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„Gegen Spardiktate und Nationalismus!“ Tagebuch der 10. Griechenland-Solidaritätsreise 30.9. – 9.10. 2022

Dossier

Persönliche Reiseeindrücke aus Griechenland von Rainer ThomannVom 30. September bis zum 8. Oktober 2022 fuhr eine Reisegruppe zum jetzt zehnten Mal nach Athen und Saloniki, diesmal zu siebt, mit KollegInnen aus IG Metall, ver.di und GEW, aus Berlin, Hamburg, Hannover und Salzgitter. Die Reise stand von Beginn an unter dem Eindruck der staatlichen Repression gegen alles, was sich aktuell an Widerstand gegen Verarmung und Privatisierung regt. Wie in den Jahren zuvor, berichtet die Gruppe in mehreren Teilen von ihren Begegnungen mit GewerkschafterInnen und AktivistInnen aus einem Land, an dem die katastrophale „Rettungspolitik“ von Berlin und Brüssel studiert werden kann. Hieraus wird auch eine Gesamtbroschüre erstellt, die später abgerufen werden kann. Siehe nun den dritten Reisebericht:

Teil 3. des Reiseberichts: Die Streiks bei Cosco, Treffen mit der Gewerkschaft für Angestellte/Techniker*innen der griechischen Häfen in Piräus, zur Situation im Gesundheitswesen,
zu Geflüchteten und Zwangsversteigerungen u.a. New

Donnerstagmittag 6. Oktober

Die Streiks bei Cosco und die Gewerkschaft  ENDEP / PAME

Der Taxifahrer hatte das Arbeiterzentrum in Piräus nicht gefunden. Wir landen dann gegenüber in einem Hafenimbiss, der das Gegenteil von touristisch war. Entsprechend niedrig waren die Preise für den Kaffee. Das Arbeiterzentrum gegenüber war dann auch gut anhand der Banner erkennbar, mit dem antiquierten Flair, den wir aus ähnlichen Häusern kennen. Der Versammlungsraum bestand ausschließlich aus Tischen und Stühlen.

Wir treffen auf Damianos, einen Hafenarbeiter aus dem Containerterminal. Er ist seit 2014 Mitglied in der Gewerkschaft ENDEP. Seit ihrer Gründung bei COSCO ist sie den Schikanen der Regierung und des Unternehmens ausgesetzt. Trotzdem konnten einige ihrer Ziele durchgesetzt werden. Der Durchbruch wurde im vergangenen Jahr mit einem großen Streik erzielt.

Bei COSCO gab es für die Arbeiter weder Tarifverträge noch galten die Sicherheitsregeln, die sonst im Hafen einzuhalten sind. Gesetzliche Arbeitssicherheits- und Gesundheitsschutzvorschriften wurden erst 2018 unter der Syriza-Regierung beschlossen Demnach sollte es auch Erschwerniszuschläge und früheren Renteneintritt für besonders schwere Arbeit geben. Aber nichts davon wurde umgesetzt. Nach dem tödlichen Arbeitsunfall von Dimitris N. gab es den großen Streik im Oktober 21. Es konnten ein Tarifvertrag zur Einhaltung der Arbeitssicherheit  und höhere Löhne für alle Arbeiter bei COSCO durchgesetzt werden. Eine Arbeitsschutzkommission, die es vorher nicht gab, wurde durchgesetzt.

In der aktuellen Situation mit der hohen Inflationsrate und der Teuerung der Lebenshaltungskosten soll es am 9. November in Griechenland einen Generalstreik geben. Dieser wird zurzeit von allen Gewerkschaften vorbereitet. Wir fragen nach der Zusammenarbeit der PAME mit anderen Gewerkschaften allgemein. Damianos betont, dass es nur Zusammenarbeit mit klassenkämpferischen Gewerkschaften gibt. Was er damit meint, wird auch relativ schnell klar. Es müssen im Wesentlichen kommunistische Gewerkschaften sein. Er verweist auf die anderen Streiks in griechischen Häfen, auf den Arbeitskampf  bei LARCO, einem der größten Nickelproduzenten in Europa, der privatisiert werden soll, aber auch auf den erfolgreichen Streik bei e-food im vergangenen Jahr, an dem auch die PAME beteiligt war. Er erwähnt auch die Arbeitskämpfe in Hamburg, Liverpool und Felixstowe, wo gestreikt wurde bzw. wird. Wichtig ist die Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften. Die aktuellen Streikaktionen richten sich gegen die Teuerung und gegen die Verschlechterungen im Gesundheitswesen. Die Gewerkschaft hat Verbindungen in alle Teile der Welt, auch zu den Hafenarbeitern in Genua, wo das Komitee CALP Rüstungsexporte verhindert hatte. Die PAME  gehört dem kommunistischen Weltgewerkschafts-Bund (WGB) an und nicht dem Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB), dem der DGB und die meisten westlichen Gewerkschaften angehören

Wir fragen nach Waffenexporten, die von griechischen Häfen ausgehen. Die meisten Waffen, auch die für die Ukraine, werden von Alexandroupoli verschifft. Dort gibt es auch eine große US-Marine-Basis, die auch den Hafen kontrolliert und wo auch Rüstungsgüter verladen werden. Es gab Blockaden der Verladung von Militärfahrzeugen durch PAME. Die Blockaden wurden aber nicht nur von den Hafenarbeitern durchgeführt, sondern auch von anderen (antimilitaristischen) Kräften.

Organisierung bei COSCO

Uns interessierte besonders, wie es gelungen ist die Hafenarbeiter bei Cosco zu organisieren.

Als COSCO begann, den Betrieb mit Leiharbeitern zu organisieren, war der Druck ungeheuer. Es musste in 24-Stunden-Schichten gearbeitet werden. Kollegen konnten den Arbeitsplatz nicht mal zum Pissen verlassen. In der Hochphase der Krise war es unmöglich die Arbeiter zu organisieren.
Die Organisierung war langfristig angelegt in kleinen Schritten. Die Gewerkschafter besuchten die Kollegen zu Hause, kümmerten sich um die akuten Notlagen, boten Hilfe an und so langsam schöpften die Kolleg_innen Vertrauen. Es ging vor allem darum, die Angst wegzuschmeißen.
Dann kam das Unternehmen auf die Idee eine gelbe Gewerkschaft aufzubauen, die mit allen Mitteln unterstützt wurde und mit der COSCO dann die Verträge machen wollte, weil sie behaupteten, dass diese die meisten Mitglieder habe. Aber alle wussten, dass die Mitgliederzahlen frisiert waren. Im Containerbetrieb von COSCO in Piräus sind lediglich 50 Leute fest angestellt, früher waren es 2200. Es gibt vier Arbeitsverleihfirmen, bei denen die Arbeiter angestellt sind. Die Tarifverträge wurden mit den Leiharbeitsfirmen abgeschlossen, aber COSCO muss dafür gerade stehen. Damianos ist selbst Leiharbeiter, aber ihm ist klar, dass sein Arbeitgeber COSCO ist.

Nach den Wahlen 2019, in der die Nea Demokratia an die Regierung kam, machten die Unternehmerverbände Druck, die  Arbeitsschutzbestimmungen wieder  abzuschaffen. Aber die Sicherheit am Arbeitsplatz und der Gesundheitsschutz sind zentral. Im April ist wieder ein Arbeiter abgestürzt, weil ein  Geländer an einem Schiff durchgerostet war. Die Behandlungskosten des schwerverletzten Arbeiters wurden von der Versicherung von COSCO übernommen. Der Arbeiter kann immer noch nicht laufen und kann sich nur im Rollstuhl bewegen. Es läuft eine Klage vor Gericht, nicht nur gegen COSCO, sondern auch gegen den Reeder, dem das Schiff gehört, auf dem der Unfall passierte. Die Reederei musste 400.000 € Kaution bezahlen, damit das Schiff überhaupt wieder auslaufen konnte. Ein Urteil für den Arbeiter gibt es noch nicht und er hat noch mehrere Operationen vor sich. 

Damianos weist uns auf die derzeit laufenden Arbeitskämpfe bei LARCO und auch beim Weinhersteller Malamatinas hin und auf den bevorstehenden Generalstreik am 9. November.

Wir weisen darauf hin, dass der 9. November, der Beginn der Novemberrevolution in Deutschland, für uns eine große Bedeutung hat und dass wir diesen Kampf gegen die Teuerung in Griechenland (und gegen den Krieg) aufmerksam verfolgen werden und ihm viel Erfolg wünschen.

(Hans)

Donnerstagnachmittag, 6. Oktober

Treffen mit Anastasia Franzeskaki von der Gewerkschaft für Angestellte/Techniker*innen der griechischen Häfen in Piräus

Wir sind nur zu zweit im Treffen mit Anastasia. Sie wirkt sehr gestresst, bedient auch in unserem Gespräch mehrere Male ihre beiden Handys.

Wir fragen danach, ob der geplante Bau einer Hafencity in Piräus bereits vorangeschritten sei, und erfahren, dass nach wie vor nicht mit dem Bau gestartet wurde. Aktuell gibt es ein Gerücht, das besagt, dass die Fläche, das jetzige Logistik-Centrum oberhalb des Hafens, der griechischen Kirche gehört. Es handelt sich zwar um öffentlichen Boden, der aber seit dem ottomanischen Reich im Besitz der Kirche ist. Da die Hafenflächen bereits zu 90% bebaut/in Nutzung sind, werden für den Bau Flächen benötigt.

COSCO

Im Oktober 2021 hat die griechische Regierung die volle Verantwortung für alle Verzögerungen für Investitionsmaßnahmen übernommen, die seitens Cosco in den ersten fünf Jahren nach Übernahme des Hafens entstanden sind. Der Investitionsplan war ursprünglich das Argument für den niedrigen Kaufpreis, den Cosco zahlen musste.

Nach wie vor schafft Cosco nur sehr wenige Arbeitsplätze, maximal 20% Festanstellung, in der Regel wird mit Leiharbeitsfirmen zusammengearbeitet.  Bestimmungen zur Arbeitszeit und zum Gesundheitsschutz werden kaum beachtet. Es werden nach wie vor viele Überstunden verlangt, insbesondere von den Leiharbeitnehmern, diese werden aber nicht immer von Cosco vollständig bezahlt.

Insbesondere die Bedingungen im Gesundheitsschutz sind schlecht. Die überlangen Arbeitszeiten, die mangelnde Ausbildung und Einarbeitung auf dem jeweiligen Arbeitsplatz erhöhen die Risiken für Unfälle. Das fördert die Angst um die eigene Sicherheit und die der Kollegen. Als Cosco vor zwölf Jahren anfing, das Terminal in Piräus zu betreiben, war die Mehrheit der Arbeiter unter 40 Jahre alt und  gesund. Heute leiden viele von ihnen an Herzproblemen unterschiedlicher Schwere und anderen stressbedingten Erkrankungen.

Über mehrere Jahre haben die Gewerkschaften dafür gekämpft, dass es eine einheitliche Struktur der Gehaltsabrechnungen gibt, gerade für neue Beschäftigte. Obwohl die Forderung als Bestandteil des Tarifvertrags aufgenommen wurde, versuchten das chinesische Management und die Personalabteilung den neuen Mitarbeitenden zu erklären, dass sie eine „andere Beschäftigtengruppe“ seien. Ebenso wurde indirekt davor gewarnt, sich gewerkschaftlich zu engagieren.  Kürzlich hat  ein hochrangiges Mitglied der chinesischen Geschäftsleitung die Rechtsabteilung gebeten, die Arbeitsverträge um einen Passus zu erweitern, um das Verbot der gewerkschaftlichen Organisierung! Zum Glück erfolglos.

Anastasia betont, dass es weiterhin wichtig ist, mit Cosco im Dialog zu bleiben, gleichzeitig aber genau darauf zu achten, dass Verträge eingehalten, Zusagen umgesetzt werden.

(Doris)

Donnerstag 6. Oktober  18.00

Treffen mit Afroditi zur Situation im Gesundheitswesen

Afroditi begrüßte unsere Gruppe im Gewerkschaftsbüro und mit kurzer Verspätung stießen auch Vivi Paskali und Kristos Korneris dazu, um mit uns über die Situation im Gesundheitswesen in Griechenland und Deutschland zu sprechen. Sie sind in einer Gewerkschaft für Beschäftigte im privaten Gesundheitssektor. Sie organisieren alle Beschäftigten außer den ÄrztInnen.

Nach kurzem Austausch von Grußworten und Abschweifen zu Streikbewegungen in Griechenland begann Hans mit einem Bericht über die erfolgreiche Mobilisierung der Berliner Krankenhaus-Bewegung und die aufkeimende Bewegung in NRW und einer kurzen Schilderung der Verhältnisse der Gewerkschaften in Deutschland zum Krieg in der Ukraine. Raphael berichtete zu den geplanten „Genug ist Genug“- Protesten und der Mobilisierung eines breiten Bündnisses über die Themen Sparpolitik, Inflation und Privatisierung.

Vivi begann anschließend mit der Schilderung der Situation in Griechenland. Die Probleme Energiekrise und allgemeinen Teuerungen träfen Griechenland extrem hart, da die Inflation besonders schwer wiege und das Lohnniveau konstant niedrig bliebe. Eine Mobilisierung durch linke Gruppen oder Gewerkschaften gegen diese Verhältnisse bliebe jedoch aus. Dies sah sie begründet in zwei Punkten:

  • Eine generell starke Zersplitterung linker Gruppierungen und Gewerkschaften und damit fehlende Schlag- und Organisationskraft.
  • Eine weitere Zersplitterung in der Frage der Position zum Krieg in der Ukraine.

Auf Nachfrage schildert Sie jedoch auch, dass von rechts keine Mobilisierung über das Thema stattfinde.

Im Gesundheitswesen hat sich die Situation seit dem letzten Besuch der Gruppe weiter drastisch verschlechtert. Dies liege auch an dem schlecht organisierten Arbeitskampf der Gewerkschaftsführungen. Die mangelhafte Organisation und Vorbereitung setze kein klares Zeichen, sorge kaum für Teilnahme und schaffe ebenfalls kaum Öffentlichkeit. Dies führe jedoch mehr und mehr dazu, dass sich der Druck der Basis auf die Führung erhöhe.

Ausgenutzt wird die Schwäche der Gewerkschaften ihrer Meinung nach von der Regierung. Diese erhöhe ihrerseits ebenfalls den Druck auf das Gesundheitssystem!

So werde geplant öffentliche Krankenhäuser teilzuprivatisieren. Das Krankenhaus Santorini beispielsweise wurde bereits unter der Syriza-Regierung teilprivatisiert.

Darüber hinaus gingen im Vergleich zu 2019 zehntausend Angestellte im Gesundheitswesen verloren.

Diese Zahl setze sich einerseits aus ausbleibenden Neubesetzungen nach Pensionierungen zusammen und aus dem Umstand, dass zwischen fünf- und siebentausend Angestellte sich weigerten sich zu impfen und daher nicht arbeiten durften. Diese Situation verschärfte sich noch durch die Praxis, in Pandemie-Zeiten nur Arbeitsverträge über ein Jahr auszustellen, wobei die Arbeitsbedingungen die meisten dazu brachten, noch vorher zu kündigen. So werden aktuell 60 frisch operierte Patient*innen in öffentlichen Krankenhäusern von einer Pflegekraft und einer Hilfskraft betreut.

Der allgemeine Personalmangel führt zu einer weiteren Privatisierung, da die Regierung argumentiert, wenn die öffentlichen Krankenhäuser es nicht schaffen die Patientenversorgung zu bewältigen, sollen private Anbieter übernehmen. Der Privatsektor profitierte überdies durch die Pandemie von der gesetzlichen Regelung, dass Corona-Patient*innen nur in öffentlichen Krankenhäusern behandelt werden sollten. So konnten notwendige Operationen, die in öffentlichen Krankenhäusern aufgrund der Pandemie verschoben wurden, zu teuren Preisen in Privatkrankenhäusern durchgeführt werden.  Das Pflegepersonal nahm die noch schlechtere Bezahlung in privaten Krankenhäusern hin, da die Arbeitsbedingungen, ebenfalls durch die ausfallende Betreuung von Corona Patient*innen und geringere Ansteckungsgefahr, dort besser waren.

Kristos schilderte anschließend, dass in Griechenland die fehlende Hausarztinfrastruktur über die Pandemie verheerende Folgen hatte. Einerseits kam es in den Krankenhäusern zur Ballung von Menschen, wodurch die Ansteckungsgefahr weiter erhöht wurde und durch die mangelnde Erstversorgung auch die Sterblichkeitsrate extrem hoch war. Auch auf diesen Missstand reagierte die Regierung mit Privatisierung. Es wurde versucht mehr private Ärzte als Hausärzte zu installieren. Der erste Versuch dazu startete in Attica, wo 817 Ärzte fünf Millionen Menschen versorgen sollten. Hierzu sollten vor allem Internist*innen gesucht werden. Dies sorgte auf der einen Seite für einen weiteren Personalmangel in Krankenhäusern und darüber hinaus waren auch nicht genug Internist*innen verfügbar oder gewillt diese Arbeit zu übernehmen. Daher wurde dazu übergegangen, selbst Haut- und Zahnärzte als Hausärzte zuzulassen. Eine Einweisung ins Krankenhaus war, mit wenigen Ausnahmen, nur noch über eine/n dieser privaten Ärzt*innen möglich, die teuer sind und kaum Kapazitäten übrig haben. Ohne eine solche Einweisung steigt der Eigenanteil für Patient*innen für Untersuchungen und Medikamente. All dies sollte die EU-Pläne zur Senkung der Krankenhauskosten umsetzen, woran aber schon die Syriza-Regierung gescheitert war.

Auch Afroditi, die in einem privaten Krankenhaus arbeitet, berichtete abschließend, dass die Regelungen vor allem dem Privatsektor genutzt haben. Über die Pandemie wurden große Gewinne eingefahren, da notwendige Operationen nur dort durchgeführt wurden. Während die Umsätze stiegen, blieb der Mindestlohn von Pflegekräften bei 600 – 750 €.

Versuche von Gewerkschaftsgründungen, um Lohnerhöhungen und Tarifverträge zu erstreiten, blieben meist relativ erfolglos, was sie mit dem schlechten Organisationsgrad erklärte. Dies hinge wiederum mit einer großen Aussichtslosigkeit aufgrund vergangener verlorener Arbeitskämpfe und mangelnder positiver Erfahrungen mit Gewerkschaften zusammen. Dies trifft vor allem auf junge Angestellte zu, denen nur die Hoffnung auf bessere Verhältnisse in der Zukunft bleibt. Die große Gewerkschaftsmacht im Gesundheitswesen der 70er und 80er Jahre bleibt leider nur eine schmerzliche Erinnerung.

Seit 2021 sei keine der angekündigten Verbesserungen umgesetzt worden. Außer dass Angestellten im privaten Sektor nun eine Gefahrenzulage bezahlt wird, die Angestellten in öffentlichen Krankenhäusern weiter verwehrt bleibt, und eine weitere Ankündigung von 10% Lohnerhöhung für Ärzt*innen. Ob dies umgesetzt wird, wird die Zeit zeigen. Die drei Jahre zurückliegende Ankündigung, 4000 neue Pflegekräfte einzustellen, sei jetzt erst beschlossen und noch nicht mal im Ansatz umgesetzt worden.

Währenddessen gingen von 6,5 Milliarden Euro Versicherungsbeiträgen nur 750 000 Euro in die öffentliche Gesundheitsversorgung. Der Rest ging an private Anbieter und die Pharmaindustrie.

(Raphael)

Freitagmittag, 7.10.

Dachterrasse, Achim Rollhäuser zu Geflüchteten und „Pushbacks“

Achim lebt als Anwalt in Deutschland und Athen, befasst sich mit der Problematik von Geflüchteten an Griechenlands Grenzen und in Griechenland. Wir kennen ihn schon lange.

Die deutschsprachige „Zeitung für Griechenland“ zitierte soeben den Minister für Flüchtlingsfragen, dass Griechenland seit 2021 150 000 „illegale Einreisen“ verhindert habe. Er ist stolz drauf, dass Griechenland die Genfer Flüchtlingskonvention bricht, die besagt, dass ein Unterzeichnerstaat an seiner Grenze eventuelle Fluchtgründe prüfen muss.

An der Landgrenze zur Türkei, dem Evros-Fluss, kommen besonders im Sommer, wenn der Wasserstand niedrig ist, viele Geflüchtete an und wollen über die Grenze. Sie werden von der griechischen Grenzpolizei schon auf dem Wasser oder am griechischen Ufer abgefangen. Ihnen werden die Handys abgenommen,  Männer müssen sich ausziehen, sie werden verprügelt. Dann werden sie zu mehreren in Boote gesetzt und zurück in die Türkei verfrachtet. Teilweise werden die Boote von Geflüchteten gesteuert, denen versprochen wurde, dass sie nach drei Monaten eine Aufenthaltserlaubnis bekommen oder über Griechenland weiterreisen können.

Manche Geflüchtete versuchen es immer wieder, einige zehnmal und mehr, bis sie es irgendwie schaffen, die Grenzkontrollen zu überwinden und ins Hinterland zu kommen. Spätestens seit eine junge Iranerin es geschafft hat, ihr Handy zu verstecken und die Schikanen und die Zurückschickung („Pushback“) zu filmen, kann die Regierung die Pushbacks nicht mehr leugnen. (Pushbacks Across The Evros/meriç River: The Case Of Parvin ← Forensic Architecture (forensic-architecture.org) externer Link

Die Regierung hat deshalb ihre Sprachregelung geändert: Die Türkei betreibe gegen Griechenland mit Geflüchteten einen „hybriden Krieg“. Es gebe seitens der Türkei einen „Push forward“ (also ein „Rüberschieben“), gegen den sich Griechenland und Europa schützen müsse. Für die, die es trotz allem nach Griechenland schaffen, wurden und werden jetzt geschlossene Lager, z.B. auf den Inseln Samos, Lesbos, Chios, Kos und Leros errichtet, die die EU mit knapp 300 Millionen € finanziert.

Die zuständige EU-Kommissarin hebt zwar hin und wieder mahnend den Finger, tut aber nichts, sondern gibt Geld.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte EGMR hat im Falle Polens, das die Geflüchteten an der weißrussischen Grenze zurückschiebt, geurteilt: Wenn die Übertritte massenhaft geschehen, dann darf man die Geflüchteten zurückschieben, in Einzelfällen nicht! 2014 wurde eine größere Gruppe von Afrikanern von der spanischen Exklave Melilla nach Marokko zurückgeschoben, was der EGMR in seinem Urteil vom Februar 2020 nicht beanstandete; 2016 schob Mazedonien 1800 Flüchtlinge nach Griechenland zurück, was vom EGMR im April dieses Jahres abgesegnet wurde!

In der letzten Zeit werden vermehrt Bootsunglücke bei Kreta, vor dem Peleponnes, vor den ionischen Inseln (Westküste) gemeldet. Geflüchtete versuchen mit ihren Booten aus der Türkei direkt nach Italien zu gelangen, um die griechischen Pushbacks zu vermeiden. Das sind, bei guten Bedingungen, zwei bis drei Tage Seefahrt. Die Boote sind aber häufig überladen, sie starten statt mit 8-10 Menschen teilweise mit bis zu 60 oder 80. Um Weihnachten gab es schon drei derartige Bootsunglücke mit vielen Toten, das passiert jetzt häufiger.

Wenn die Geflüchteten die nur wenigen Seemeilen lange Fahrt von der türkischen Küste auf die ostgriechischen Inseln wagen, werden sie noch auf See oder, gerade auf einer der Inseln angekommen, von der griechischen Küstenwache oder Polizei festgenommen und auf Rettungsflöße gesetzt, mit denen sie durch die Meeresströmung an die türkische Küste zurückgetrieben werden. Flüchtlinge wurden, wie in einigen Fällen dokumentiert, auch schon vor der türkischen Küste ins Meer geworfen, obwohl sie erklärten, dass sie nicht schwimmen könnten; sie wurden so ermordet.

Ein griechischer Lebensretter, in Griechenland sehr bekannt seit 2015, sollte eine Medaille bekommen. Wegen kritischer Äußerungen zur griechischen Flüchtlingspolitik wurde er aber vom Büro der Staatspräsidentin ausgeladen. Jetzt erhält er täglich Todesdrohungen. Der UN-Beauftragte für die Verteidigung der Menschenrechte stellte deswegen eine Anfrage an die griechische Regierung. Das Außenministerium antwortete, ohne Nennung des Namens, Griechenland verteidige die europäischen Grenzen in völliger Übereinstimmung mit dem Völkerrecht.

Die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX informiert offiziell die griechische Küstenwache über Flüchtlingsboote. Was diese dann mit den Geflüchteten macht, ist Frontex egal. Es gibt aber Berichte, dass sich FRONTEX auch an den Pushbacks beteiligt. Deswegen musste der italienische Chef im Frühjahr zurücktreten. (https://www.spiegel.de/ausland/frontex-ermittlungen-warum-der-spiegel-den-vertraulichen-olaf-untersuchungsbericht-veroeffentlicht-a-57535885-5d3b-4f24-b694-dd77f725d50e externer Link) Seine Nachfolgerin macht aber genauso weiter.

Die UN ist der griechischen Regierung egal, genauso der Europarat, dessen Kritik sie ignoriert. Sie interessiert nur die Haltung der EU-Kommission, weil die Geld gibt.

Generell gilt für die Politik in Europa und Griechenland: Nicht noch mehr Geflüchtete.

In Griechenland gibt es für anerkannte AsylbewerberInnen keine Unterstützung; es gibt keine Sozialhilfe oder Hartz IV, genauso wenig wie für GriechInnen. Deshalb wollen die Geflüchteten auch fast alle weiterziehen.

Die EU hatte 2016 mit der Türkei ein Abkommen geschlossen: Die Türkei bekommt sechs Milliarden € für die Unterbringung von Geflüchteten, im Gegenzug sollte für türkische BürgerInnen Visafreiheit in die EU eingeführt werden. Das letztere wurde aber nie umgesetzt. Auch hat die EU nicht, wie zugesagt, bestimmte Flüchtlingskontingente aus der Türkei aufgenommen. Als Reaktion nimmt die Türkei ab März 2020 keine Flüchtlinge mehr zurück. Auch schiebt sie jetzt syrische Geflüchtete nach Syrien ab.

Im Moment ist das Flüchtlingsthema in Griechenland kein Hauptschwerpunkt. Aber nächstes Jahr, im Wahlkampf zu den Parlamentswahlen, wird die Regierung die Flüchtlingspolitik in ihrer Erfolgsbilanz aufführen.

Nachtrag:

Nach Athen war ich noch ein paar Tage mit Sigrid in Alexandroupoli, der Hafenstadt im Norden kurz vor der Grenze zur Türkei. Mit unserem Mietauto fuhren wir am Sonntag nach Osten zum Evros-Delta. Der Evros ist der Grenzfluss zur Türkei. Eigentlich ist dort auch ein Naturreservat, aber es ist kaum ausgeschildert, es war auch kaum jemand unterwegs. Wir fuhren über einsame Straßen, bis wir auf den Grenzzaun stießen, der die Geflüchteten aus der Türkei abwehren soll. Ein Schild wies darauf hin: Fotografieren verboten! Es waren zwar Wachttürme zu sehen, aber keine Soldaten oder Polizisten.

Wir fuhren dann weiter ins Delta auf einer Sandpiste. Wir bemerkten an einer Stelle etwas entfernt Leute mit einem Bus und tippten darauf, dass hier Menschen versuchten Geflüchteten zu helfen. Als wir weiterfuhren, näherten wir uns zwei PKWs, die auf der Piste standen. Ein paar Typen liefen herum  mit Gewehr in der Hand. Als wir näher kamen, winkten sie uns hektisch zu, wir sollten weiterfahren.

Am nächsten Tag trafen wir Nikos in Kavala, dem wir die Sache erzählten. Er sagte uns, das seien rechte Paramilitärs, die Jagd auf Geflüchtete machten. Achim wusste dann noch, dass auch deutsche Nazis sich dort tummelten um das Abendland zu verteidigen.

(Manfred)

Freitagabend, 7. Oktober

Zwangsversteigerungen in Griechenland, der aktuelle Stand

Gespräch mit Tonja und Thanasis von der Athener Initiative und der European Coalition for Housing.

Die Anzahl der Zwangsversteigerungen ist auch in den letzten Monaten hoch gewesen. Die Initiative recherchiert wöchentlich zu geplanten Versteigerungen und pflegt diese in ihre eigene Statistik ein.

Monatlich werden ca. 5.200 Zwangsversteigerungen veröffentlicht. Abgesehen von der kurzen Phase, in der mal angedacht war, die Parlamentswahlen vorzuziehen, hat sich die Situation nach der Entscheidung, im Frühjahr 2023 zu wählen, dramatisch, sie sprechen sogar von barbarisch, verschlimmert.

So werden es in den Monaten September und Oktober 2022 jeweils mehr als 6.300 Versteigerungen sein (September = 6.300 Fälle, davon 35% Wohnungen).

32 bis 35% der veröffentlichten Versteigerungen werden durchgezogen. Dabei handelt es sich bei 75% der Wohnungen um den ersten, den einzigen Wohnsitz. Das heißt, dass ca. 450 Familien pro Monat ihren Wohnraum verlieren.

Die Banken gehen inzwischen viel härter mit ihren „Schuldnern“ um, sind weniger bereit für Verhandlungen und stellen schier unerfüllbare Bedingungen. Das Schlimme an der Situation ist, dass sich viele Betroffene kaum mehr wehren, sie den Kampf aufgegeben haben. Die Zahl der Depressionsfälle nimmt stark zu.

Die Initiative versucht auf zwei Ebenen Hilfe anzubieten. Zum einen, eine Bewegung zu schaffen und die Betroffenen zum Widerstand zu ermutigen, und zum anderen, rechtliche Hilfe anzubieten. Es gibt Rechtsanwälte, die mit der Initiative zusammenarbeiten.

Als problematisch wird es gesehen, dass große Teile der Linken in Griechenland sich nicht oder nur mäßig für das Thema interessieren. Es wird zwar von massiven Preissteigerungen und einer Energiekrise gesprochen, aber es herrscht wenig Verständnis für die Obdachlos-Gewordenen, die keine Energie zur Gegenwehr mehr aufbringen können. Es gibt auch Stimmen, insbesondere von Jüngeren in der Linken, die meinen, dass es Wichtigeres gäbe, als privates Besitztum zu verteidigen.

Kurz vor den Memoranden war eine private Firma gegründet worden, ein internationaler Fonds, der den Banken die „faulen Kredite“ abkaufte. Damit gibt es eine Instanz, die die Außenstände eintreiben kann. Es werden auch bei rechtlich nicht abgesicherten Verfahren Zahlungsbefehle ausgestellt und Versteigerungen beantragt. Eigentlich war diese Vorgehensweise gesetzlich nicht legitimiert, daher versucht die griechische Nationalbank gerade auf Hochtouren, eine Gesetzesänderung zu Gunsten des Fonds zu erwirken, die auch rückwirkend gültig sein soll.

Der Areopag (oberstes Gericht in Griechenland) hat der Regierung in mehreren Fällen bestätigt, rechtmäßig gehandelt zu haben, da Griechenland sich in einem Ausnahmezustand befunden habe. Da diese Vorgehensweise aber gegen Grundsätze der römischen Verträge verstößt, soll der europäische Gerichtshof angerufen werden. Dazu braucht man allerdings im ersten Schritt ca. 15.000 Euro und Anwälte, die solche Verfahren durchführen können.

Nachdem in der letzten Zeit von alternativen Medien über das Thema berichtet wird und der soziale Druck größer wird, lenken Banken jetzt auch schon mal ein und sind zu Zugeständnissen bereit. Das gibt den Betroffenen vor allem mehr Zeit, um Lösungen zu finden.

Die mediale Öffentlichkeit hat auch dazu geführt, dass  Betroffene ermutigt wurden, sich öffentlich zu äußern. Die Arbeit der Initiative hat sich dadurch verändert, da nicht mehr nur die Aktivist*innen zusammen sind. Wichtig ist, die rechtliche Hilfestellung zu intensivieren, psychologische Hilfe anzubieten und zu versuchen, sich mit anderen sozialen Bewegungen zu vernetzen. Die Betroffenheit ist überall hoch, da die Mieten in den letzten zwei bis drei Jahren regelrecht explodiert sind und Vermieter, so oft und so hoch sie wollen, die Mieten anheben können.

(Doris)

Freitagabend, 7. Oktober, Saloniki

Sieben Wochen Streik bei Malamatinas

Yorgos hatte sich den Tag für uns freigehalten und so ergab sich die Gelegenheit, Näheres über den Arbeitskampf der Beschäftigten bei Malamatinas zu erfahren. Malamatinas ist einer der bekanntesten Hersteller des  Retsina-Weins. Eigentlich ein Familienbetrieb, der Anfang des vergangenen Jahrhunderts gegründet und erfolgreich wurde.

Inzwischen ist der Betrieb auf Erben übergegangen, die wohl ziemlich verantwortungslos mit dem Unternehmen umgegangen sind. So leistete sich die Gattin des Besitzers ein Privatflugzeug und eine teure Wohnung in London. So sind mittlerweile 45 Mio. Schulden aufgehäuft worden und Steuer- und Versicherungsrückstände in Höhe von 30 Millionen. Der Betrieb stand kurz vor der Pleite und wurde verkauft. Der neue Besitzer ist allerdings ein Schwager der derzeitigen Energieministerin Skrekas.

Die Schulden wurden dem neuen Eigentümer erlassen und auch die weiteren Rückstände. Ein potenzieller  Käufer mit einem höheren Gebot wurde gar nicht berücksichtigt.

Wir hatten die Gelegenheit an diesem Tag an einer Versammlung der zuständigen Gewerkschaft (POEE) teilzunehmen. In der Gewerkschaft sind die Hersteller von Flaschengetränken und die Auslieferfahrer organisiert. Wir sprachen mit dem Vorsitzenden Jannis Fragidis und Aris Mercanidis, zuständig für die Fahrer_innen.

Jannis erläutert uns, dass die Belegschaft schon seit drei Jahren auf Lohnbestandteile verzichtet hätte, um das Unternehmen und ihre Arbeitsplätze zu retten.

Ein sogenannter Rettungsplan wurde nicht umgesetzt. Die Entlassung von sieben Arbeitern machte deutlich, dass es sich um einen Angriff auf die ganzen Arbeitsplätze handelt.

Um die Entlassungen zu verhindern und aus Protest gegen das Vorgehen traten die Arbeiter Anfang August in den Streik. Daraufhin wurden zehn weitere Beschäftigte entlassen, darunter die beiden Gewerkschaftsführer.

Es handelt sich zwar um eine kleine Gewerkschaft, aber mit viel Power.

Die Firma setzte Streikbrecher ein und die Situation eskalierte. Vorher war nur die normale Polizei vor Ort. Ab dem 31. August  wurde die MAT, die Aufstandsbekämpfungspolizei, eingesetzt. Mit sieben Bussen fuhr sie vor, 40 Polizisten waren im Einsatz, dazu noch Motorradpolizisten und Zivilpolizei. Mit Knüppeln und  Tränengas gingen sie gegen die Streikenden vor, um  Streikbrechern den Zugang zum Betrieb zu ermöglichen. Dabei wurden mehrere Arbeiter verletzt. Die Polizei agierte so als privater Sicherheitsdienst für den Arbeitgeber.

Der versucht den Streik zu kriminalisieren und hat die Gewerkschaft verklagt. Von bisher drei Prozessen hat die Gewerkschaft zwei gewonnen und einen wegen Formfehlern verloren.

.Mit dem Vorgehen der Regierung gegen den Streik sollen die neuen gewerkschaftsfeindlichen Arbeitsgesetze durchexerziert werden. Die Arbeiterbewegung soll grundsätzlich eingeschüchtert werden.
Es geht auch um das Recht Kollektivverträge zu schließen. Die Regierung will die Arbeitsbeziehungen auf Individualverträge umstellen. Der Arbeitskampf erhält in Griechenland breite Unterstützung.

Die Arbeiter_innen von Malamatinas erhalten breite Unterstützung von Beschäftigten und Gewerkschaften aus anderen Sektoren. Wir nehmen noch an einer Demonstration teil, die durch die Innenstadt von Thessaloniki und die Märkte ziehen soll. Geschätzte Teilnehmer_innenzahl etwa 500, hauptsächlich aus den unterschiedlichen Gruppen der Linken in der Stadt. Die Demo endete vor dem Gebäude des Regionalpräsidenten.

Ich übergab 300 Euro aus unserer Spendenkasse.

(Hans)

Freitag, 7. Oktober 14.00

Treffen mit Giorgos Archantopoulos von SOS To Nero in Thessaloniki

„Vom Kampf ums Wasser zum Kampf für die Demokratie“

Bestätigung der Staatsratsentscheidung gegen die Pläne der Regierung das griechische Wasser zu privatisieren

Giorgos kommt mit dem Motorrad direkt von einer Komiteesitzung, an der auch Zoe Konstantopoulou teilnahm, die Parlamentspräsidentin  unter der Syriza-Regierung. Er hatte auch schon zwei andere Termine hinter sich.  Es geht um eine Kampagne gegen die Pläne der Regierung, die Privatisierung mittels Gesetzen durchzusetzen (siehe auch  das Treffen mit der Wasserinitiative in Athen).

Später kam noch ein Journalist aus Norwegen zu unserem Treffen dazu, der auch über die aktuelle Entwicklung berichten möchte.

Am 6. Oktober  hatte eine Überprüfungskommission, die über die Durchsetzung des Staatsratsbeschlusses entscheiden musste, grünes Licht gegeben, dass dieser Beschluss umgesetzt werden muss. Giorgos sieht wieder mehr Möglichkeiten, mit einer  Kampagne gegen die rechtswidrigen Entscheidungen der Regierung zur Wasserprivatisierung vorzugehen .Seine Gewerkschaft hatte anlässlich der internationalen Messe, die jährlich in Thessaloniki stattfindet und die stets von Politikern zur Profilierung benutzt wird, zu Demonstrationen aufgerufen.

Tausende waren auf den Straßen, um gegen die undemokratischen Maßnahmen zu protestieren. Schon am Vortag, am 16. September, hatte die Bereitschaftspolizei Studenten angegriffen, die auf dem Campus der Aristoteles-Universität von Thessaloniki protestierten. Es kam zu massiven Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Bereits  am 8. September 2022 hatten die Beschäftigten der EYATH (Wasserwerke Saloniki) eine gelungene Protestaktion durchgeführt,  kombiniert mit einer Arbeitsniederlegung während der Aktionärshauptversammlung des Wasserversorgungsunternehmens. Die Gewerkschaft hatte sich  schon in der Vergangenheit  durch ihr Engagement gegen alle Privatisierungsbestrebungen der EU und der griechischen Regierungen ausgezeichnet.

Am 23. Oktober organisierte die Gewerkschaft eine große Veranstaltung unter dem Titel „Vom Kampf ums Wasser zum Kampf für die Demokratie“. Dort wurde die undemokratische Weigerung der Regierung, die Beschlüsse des Staatsrates und den Beschluss des Plenums des Europarats umzusetzen, scharf kritisiert.

Gleichzeitig wurde gegen die Repression in Griechenland protestiert: „…die Bereitschaftspolizei beginnt in den Universitäten und an jeder Ecke  unprovozierte Schlägereien. Die Missachtung demokratischer Regeln und die Arroganz der Macht  führen zu einer Abwärtsspirale. Die demokratischen Regeln werden weder von der Regierung noch von den mit ihr verbundenen Medien respektiert“.

Der Kampf geht weiter!

(Hans)

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Teil 2 des Reiseberichts: Zur aktuellen Energiekrise in Griechenland
und der Initiative gegen den Metrobau auf dem Exarchia-Platz u.a.

Dienstagabend 4. Oktober

Gespräch mit Panagiota auf der Dachterrasse zur aktuellen Energiekrise in Griechenland

Vor knapp einem Jahr haben wir uns schon mal zum Thema mit Panagiota getroffen. Damals waren wir überrascht zu hören, dass in Nordgriechenland ein bereits geschlossenes Kohlekraftwerk wieder ans Netz gehen sollte. Inzwischen gibt es diese Diskussionen und reaktivierte Kohlekraftwerke sowie die verlängerte Nutzung von Atomstrom auch bei uns.

Panagiota arbeitet bei DEI, der mittlerweile privatisierten griechischen Elektrizitätsgesellschaft. In 2021 haben die Beschäftigten von DEI gegen die Privatisierung angekämpft. Genützt hat es nicht, der Energiemarkt in Griechenland ist inzwischen vollkommen in privater Hand. Bis zum Herbst 2021 war DEI der größte Energieproduzent. Der private Fonds, der die Verteilung von Energie an die Haushalte übernommen hat, ist ein internationaler Fonds, bei dem auch die Tochter von Ministerpräsident Mitsotakis arbeitet. „Zufällig“ wurde zeitgleich auch der größte private Versicherungsfonds an diesen internationalen Fonds verkauft, an dem der griechische Staat Anteile hatte. Jetzt sind sowohl Energieversorgung als auch der Versicherungsfonds in internationaler Hand. Perfide daran ist nicht nur, dass die Daseinsvorsorge in private Hände übergeben wurde, sondern auch, dass das 17%ige Aktienpaket, das dem Staat gehörte, nicht verkauft, sondern verschenkt wurde, als die Aktien an der Börse gezeichnet wurden. Staatliches Eigentum, das der griechischen Bevölkerung gehört, wurde verschenkt!

Bis zur Privatisierung war die DEI durch den Staat finanziert und hatte keinen Einfluss auf die Preisgestaltung. In den Jahren vor der Privatisierung wurde mit Defiziten abgeschlossen. Als im Jahr 2017 die internationalen Gaspreise massiv anzogen, hatte DEI keine Preiserhöhungen vorgenommen und schloss das Jahr mit einem Defizit von 200 Millionen Euro ab. Nach der Privatisierung beträgt das Plus von DEI im ersten Halbjahr 2022 150 Millionen – aber zu welchem Preis, zu wessen Lasten?

Panagiota blickt auf das Jahr 2019 zurück. In 2019 gab es Parlamentsneuwahlen und die Neue Demokratie ging als Wahlsieger daraus hervor. Ministerpräsident Mitsotakis verkündete nach den Wahlen den sofortigen Ausstieg aus der Braunkohle (war nach den bisherigen Plänen schrittweise bis 2027 angedacht). Die Entscheidung war als Geschenk an die privaten Energieträger zu verstehen. Trotzdem wurde die Entscheidung der ND-Regierung von den Umweltverbänden begrüßt.

Insider des Energiemarkts waren jedoch schockiert über die Entscheidung, weil ihnen bekannt war, dass Griechenland über keinerlei Reserven verfügte und dass im Falle eines Energieausfalls ein totaler Black-Out die Folge gewesen wäre. Außerdem wurde auf die massiven Preisschwankungen hingewiesen.

Die Energiebörsen

Panagiota führt aus, dass die EU-weiten Gaspreiserhöhungen nicht direkt im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg stehen. Den Gaspreis bestimmen vielmehr drei Faktoren:

  • die europäische Energiebörse,
  • die Börse für CO2-Zertikikate,
  • die Gaspreisbörse in Amsterdam.

Griechenland verfügt zusätzlich noch über eine eigene Energiebörse, beteiligt sich aber auch an der EU-Energiebörse.

Der deutsche Energieversorgungs-Konzern RWE hat im Jahr 2016 einen sehr hohen Anteil von CO2-Zertifikaten im Wert von jeweils 6-7 Euro erworben. Da DEI hohe Schulden hatte, konnten keine Zertifikate gekauft werden. In der Folge sind sie jetzt gezwungen, Zertifikate im Wert von 80 pro Stück zu kaufen. Für RWE ein Gewinn pro Zertifikat von 73 Euro..

Obwohl sich Europa mitten in einer Energiekrise befindet, steigen die Preise für CO2-Zertifikate rasant an. Waren es in 2015 fünf Euro pro Zertifikat, wurden 2021 33 Euro verlangt, inzwischen ist der Preis auf 80 Euro angestiegen. Panagiota erläutert einige Fakten zur Gasbörse in Amsterdam. Diese existiert erst seit März 2021.

Da die Energiekosten in der BRD durch die Investition in erneuerbare Energien sehr hoch waren, die Kosten in Griechenland (und anderen EU-Staaten) durch die Braunkohleverstromung aber auf einem weitaus niedrigeren Niveau lagen, gab es eine Entscheidung des EU-Parlaments für die Bildung einer Energie-Börse, um europaweit gleich hohe Preise zu haben.

Im März 2021 kostete eine Megawattstunde 19 Euro. Bereits zwei Monate später, also im Mai 2021, hatte sich der Preis verdreifacht und war auf 57 Euro angestiegen. Im Februar 2022, nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine, sind die Preise auf sagenhafte 192 Euro pro Megawattstunde angestiegen. Gewinnmaximierung vom Feinsten.

Dabei seien die Preiserhöhungen auch vor Kriegsausbruch vorhersehbar gewesen. Dafür gab es folgende Gründe:

  • Im Frühjahr 2021 gab es einen hohen Nachfrageanstieg aus Asien, weil die Länder dort früher aus der Covid-Krise herausgekommen waren.
  • Der Winter 2020/2021 war ein harter und langer Winter, der bis in den April 2021 hineinging.
  • Im Sommer 2021 gab es kaum bis gar keinen Wind, so dass die Gasreserven angezapft werden mussten, da nicht genug Windenergie zur Verfügung stand.
  • Russisches Gas war bis 2021 nicht mit der Gasbörse in Amsterdam verknüpft. Gazprom hatte langfristige Lieferverträge angeboten, auf die seitens der EU verzichtet worden war. In der Folge kam es zum Anschluss von russischem Gas an der Amsterdamer Börse.
  • steigende Preise verursacht durch das EU-Übergangsprogramm „Fit for 55“ (2055).

Der Anstieg der Gaspreise wird absehbar nicht zu stoppen sein. Der Krieg in der Ukraine und der daraus resultierende Lieferstopp aus Russland lassen die Reserven schwinden. Die Gaspreise unterliegen daher mehr noch den Mechanismen des freien Markts.

Griechenland hatte bislang ca. 39% russisches Gas und 26% russisches Öl bezogen. Die Regierung schert sich nicht einen Deut darum, dass immer mehr Bürger*innen in eine Energiearmut schliddern.

Noch einmal zur griechischen Energiebörse, die nach anderen Mechanismen funktioniert als andere Börsen: Die Produktion von

  • Gas liegt pro Megawattstunde bei 250 Euro,
  • Braunkohle bei 120 Euro pro Megawattstunde,
  • Photovoltaik bei 60 Euro pro Megawattstunde und
  • bei Wasserwerken bei 0 Euro.

Der Strompreis wird auf den höchsten Produktionswert, auf 250 Euro, festgesetzt, und zwar für alle Energieträger. Anstatt den Betreibern vorzuschreiben, die Preise zu senken, werden die Gewinne durch Steuergelder subventioniert.

Bereits im Jahr 2020 waren ca. 45% der griechischen Bevölkerung von Energiearmut betroffen. Wer mehr als 10% seines Monatseinkommens für Strom und Heizung aufbringen muss, gilt laut Definition der EU als energiearm.

Pro Monat werden im Land 60.000 bis 80.000 Energiesperren verhängt. Betroffen sind davon neben Privathaushalten auch Betriebe und Geschäfte.

Derzeit können etwa 30% der griechischen Haushalte ihre Energiekosten überhaupt nicht mehr stemmen.

Allein vom Dezember 2021 bis Ende September 2022 stieg der Strompreis um 250%, und das bei einer Inflationsrate von 12%. Auch die Benzinpreise sind extrem hoch, liegen weltweit an fünfthöchster Stelle, wobei die griechischen Raffinerien im ersten Halbjahr 2022 ihre Gewinne verdreifachen konnten.

Der griechische Staat verschwendet monatlich ca. 2 Mrd. Euro, die als Subventionen an die Haushalte gezahlt werden, um die Gewinne der privaten Anbieter nicht zu „gefährden“. Allerdings hat die Regierung angedroht, Subventionen nur noch an diejenigen Haushalte zu zahlen, die weniger Strom verbrauchen als im Vorjahr. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass fast alle gar keine Einsparungen mehr vornehmen können. Viele Haushalte zahlen die Gebühren nicht mehr und sind von der Versorgung abgeklemmt worden.

Die Energiekrise ist absehbar das Ende vieler kleiner und mittelständischer Betriebe in Griechenland.

Es gibt Bewegungen von Umweltschützern in Griechenland, die dafür kämpfen, erneuerbare Energien zu fördern, die Umwelt nicht wie beim Braunkohleabbau zu zerstören. Andererseits gibt es Widerstand gegen die Pläne der Regierung und der Privatunternehmen, die die erneuerbaren Energien fördern wollen. Ein erstes Treffen mit den Initiativen gegen die Wasserversorgung hat stattgefunden. Gemeinsam wurde darüber diskutiert, wie gegen jegliche Form von Privatisierung gekämpft werden soll. Wichtig ist die europäische Vernetzung, da alle europäischen Bürger*innen betroffen sind.

Hieran wollen wir anknüpfen und die Diskussion auch in der BRD führen.

(Doris)

Dienstagabend 4. Oktober

Initiative gegen den Metrobau auf dem Exarchia-Platz

Wir treffen Achim und Niko auf der Dachterrasse unseres Hotels. Die Entscheidung, ausgerechnet auf dem Exarchia-Platz einen U-Bahnhof bauen zu wollen, stößt auf erheblichen Widerstand. Es handelt sich um den einzigen etwas größeren Platz im Stadtteil Exarchia. Über 70 teilweise alte Bäume sollen dem Bau geopfert werden. Die Anwohner*innen sollen zehn Jahre mit dem Bauzaun, Lärm und Dreck leben.

Die Staatsmacht reagiert auf den Widerstand mit einem unverhältnismäßig hohen Polizeiaufgebot, das in diversen Grüppchen zu viert/zu sechst 24 Stunden lang rund um den Platz herumsteht und die eingezäunte Baustelle bewacht. Die meiste Zeit lungern die Uniformierten im Weg herum.

Staat und Polizei stehen Hand in Hand mit Investoren selbstverwalteten Strukturen gegenüber. Funktionierende soziale Zusammenhänge sollen zerstört werden. Häuser wurden aufgekauft und in Hostels oder Hotels umgebaut, Initiativen vertrieben. Immer mehr Wohnungen werden über airbnb kurzfristig an Tourist*innen vermietet. In der Folge verstärkt sich der Mangel an bezahlbarem Wohnraum, wird auch Exarchia gentrifiziert.

Die Regierung hat sich an diversen Orten in Athen, aber auch in ganz Griechenland, für ein symbolisches Vorgehen gegen widerständische Zusammenhänge entschieden. Eines davon ist der Bau der Metrostation auf dem Exarchia-Platz. Dieses Vorhaben ist als Schlag gegen die sozialen Bewegungen zu verstehen.

Technisch gesehen, ist es schwierig auf dem Platz eine Station zu bauen, da er nur 0,3 ha groß und von diversen engen Straßen umgeben ist. Erstmalig wurde 2008 über den Bau einer Metrostation gesprochen, in der Nähe des archäologischen Nationalmuseums. Das Museum sollte erweitert und dafür leerstehende Gebäude des benachbarten Polytechnikums genutzt werden. (Dort gibt es nur noch den Lehrstuhl für Architektur, alle übrigen Fakultäten sind bereits ausgelagert worden.) Es wäre daher sinnvoll, eine Metrostation – wenn denn überhaupt eine Station in Exarchia gebaut werden soll; es gibt einige Stationen rings um Exarchia herum – in unmittelbare Nähe des Museums zu bauen. Dort gibt es Platz und es wäre aus Gründen der Tourismusentwicklung sinnvoll, das größte Museum des Landes nicht ohne U-Bahnanbindung zu lassen.

Die Entscheidung für den Exarchia-Platz ist eine politische, wie der zuständige Minister selbst im Parlament erklärt hat. Die Gentrifizierung soll vorangetrieben werden, die widerständige Geschichte des Viertels soll ausgelöscht werden.

Darüber hinaus soll nach dem Willen der rechtskonservativen neoliberalen Regierung alles, was nicht kommerziell nutzbar ist, aus dem Stadtzentrum verschwinden. Die Schulen sollen z. B. in einer „Zentral-Schule“ aufgehen, ausgelagert werden aus den zentrumsnahen Nachbarschaften. Auch Postämter und Ministerien sind teilweise schon geschlossen worden, noch vorhandene sollen in andere Stadtteile verlegt, gewachsene Nachbarschaftsstrukturen zerstört werden. Das gesamte Viertel soll vollständig für Marktinteressen geöffnet werden. Entscheidend ist die Gewinnmaximierung der Investoren.

Auch in den Jahren der Krise waren die Wohnungen in Exarchia bewohnt, hatten Nachbarschaften Bestand. Das soll nun vernichtet werden. In den letzten Jahren sind zunehmend Menschen aus Exarchia weggezogen, die die zugespitzten Verhältnisse nicht mehr aushalten konnten. Exarchia war vom Staat bewusst sich selbst überlassen worden. Kleinkriminalität wurde nicht nur geduldet, sondern sogar gefördert, z. B. fand der Drogenhandel unter den Augen der Polizei statt. An den Jahrestagen des Aufstands am Polytechnikum (17. Nov. 1973) und der Ermordung des Jugendlichen Alexis Grigoropoulos (6.12.2008) lieferten sich anarchistische Gruppierungen mit der Polizei Straßenschlachten; viele Menschen störten sich an den Tränengaseinsätzen und an der Polizeiwillkür. Durch das massenhafte Auftreten der Polizei wurde das Wohnen für einen Teil der Anwohner*innen nicht mehr erträglich.

Ganze Mehrfamilienhäuser werden aufgekauft, leer stehend gelassen. Die Investoren erwarten Preissteigerungen, um dann teurer zu verkaufen. Zu den Käufer*innen gehören v. a. Chines*innen, insbesondere chinesische Fonds, aber auch Russ*innen, Israel*innen, Türk*innen. Orte wie z. B. der Strefi-Hügel wurden sich selbst überlassen, nicht unterhalten. Für viele Menschen ist es auch wichtiger, nah am Arbeitsort zu wohnen; der politische Hintergrund Exarchia war unerheblich für sie, was den Fortzug befördert hat.

Gibt es eine Chance, die U-Bahnstation zu verhindern? Die Vertreter der Initiative sagen, dass es vor allem darum geht, diesen Kampf zu führen, selbst wenn er letztlich nicht gewonnen wird. Wichtig ist, in diesen Kämpfen den Standpunkt als Ini zu bestimmen, Räume zu schaffen, um ihre Vorstellungen umsetzen zu können, die richtige Ansprache zu finden, um gemeinsam mit der Nachbarschaft herauszufinden, wie der öffentliche Raum genutzt werden soll.

Es gab und gibt Demonstrationen, an denen immer mehr Menschen teilnehmen. Größere und kleinere Aktionen finden statt, wobei die Legalität eine untergeordnete Rolle spielt. Aber auch der Rechtsweg wird beschritten. Das Ziel ist dabei, eine Verzögerung des Baus zu erreichen, bis sich vielleicht die politischen Verhältnisse verändern oder die jetzige Regierung gezwungen ist, ihre Strategie zu ändern. Versucht wird, Öffentlichkeit herzustellen, dadurch Druck auszuüben und zu hoffen, dass die Regierung Fehler begeht.

Auch die gut 100 Uniformierten, die Tag und Nacht auf dem Patz herumstehen, langweilen sich und könnten Fehler machen. Es gibt schon Beispiele dafür. So wurde gestern ein amerikanischer Journalist auf dem Strefi-Hügel geschlagen, und eine Frau, die mit ihrem Moped fortfahren wollte, wurde in die Exarchia-Baustelle hineingezerrt und dort misshandelt.

Ca. 40 Organisationen, Gruppen, Basisgewerkschaften haben kürzlich einen Aufruf gegen den Bau unterschrieben. Die Initiative hat auf dem Platz kleinere Veranstaltungen z. B. mit Architekten und Stadtplanern durchgeführt. Bislang sind keine Baupläne, Baugenehmigungen veröffentlicht bzw. vorgelegt worden. Vielleicht gibt es die erforderlichen Genehmigungen auch noch gar nicht.

Weitere Demonstrationen und Veranstaltungen folgen. Die EU bezuschusst übrigens den Bau der U-Bahnlinie 4, zu der die Station Exarchia gehören soll, mit 550 Mio. Euro.

(Doris)

Dienstagabend 4. Oktober

Besuch im Lokal von SVEOD

Das Treffen bei SVEOD (der Basisgewerkschaft der Kurier- und Auslieferfahrer_innen) mussten wir leider nur zu zweit machen, weil der Rest der Gruppe sich auf der Dachterasse mit Vertretern des Komitees gegen den Metrobau auf dem Exarchiaplatz versammelt hatte.

Es war das offene Treffen der Gewerkschaft, bei dem Kolleginnen und Kollegen sich beraten lassen können und wo sonstige Aktivitäten vorbereitet werden. Giorgos, ein Kollege, der mir noch vom letzten Treffen in Erinnerung war, hatte meine Mail-Korrespondenz gelesen und war bereits im Thema, was ein internationales Onlinetreffen zum Thema Plattformökonomie betraf. Allerdings war der Vorschlag noch nicht mit  anderen Kolleg_innen  besprochen worden.

Meine Fragen bezogen sich zum einen auf die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und Gewerkschaften beim Streik, zum anderen auf die internationale Zusammenarbeit in ihrem Arbeitsfeld.

Nach unserem Zusammentreffen im Herbst 2021 hatte ich zuletzt von der Gewerkschaft gehört, dass  sie zu einem weltweiten Streiktag der Auslieferfahrer_innen am 1. Mai aufgerufen hatte. Von den Ergebnissen, von  Reaktionen auf diesen Aufruf hatten wir dann nichts mehr gehört (weil wir selbst nicht in der Branche tätig sind) und auch mit den Kolleg_innen von Gorillas, die bei der letzten Reise dabei waren, nicht in ständigem Kontakt geblieben sind. Umso überraschter waren wir, dass es doch eine sehr breite Resonanz gegeben hatte. Die Kontakte, die dadurch entstanden waren, reichten von Taiwan über Myanmar nach Mexiko, Argentinien, Brasilien bis zu den Philippinen und Hongkong.

Natürlich kann man hier nicht von einem globalen Netzwerk sprechen. Es ging bei der Aktion am ersten Mai darum, ein Zeichen zu setzen.

Konkreter ist die Zusammenarbeit mit Italien. Es hat erste gemeinsame Treffen in Turin gegeben mit Kolleg_innen von „Lieferando“ und „Just eat“. An unserem Gespräch im Lokal von SVEOD nahm auch eine  Kurierfahrerin aus Italien teil. Gute Kontakte gibt es auch nach Spanien und Frankreich. Auf der Ebene einiger Unternehmen wie Delivery Hero, Foodoraund e-food gibt es bereits Netzwerke. Wir konnten das nicht vertiefen.

Bei einem Streik der Fahrer_innen in Myanmar gab es gegenseitige Solidaritätserklärungen und Unterstützung.

Den SVEOD Kollegen, die wir trafen, ist bewusst, dass diese internationale Vernetzung eine Mammutaufgabe ist, die sie mit langem Atem und auch mit kleinen Schritten voran bringen müssen.

Nach dem Streik 2021

In der konkreten Situation in Athen bei e-food müssen die Gewerkschafter_innen feststellen, dass die Zugeständnisse, die e-food gemacht hatte nach dem Streik 2021 und nach dem Boykott der Nutzer_innen der Bestellplattform längst wieder zurück gedreht werden.

Das Ziel von e-food, nur mit Scheinselbstständigen zu arbeiten und jedes Risiko auf diese zu verlagern, wird intensiv weiterverfolgt. Von den insgesamt 5000 Beschäftigten sind nur 2000 mit festen Verträgen, Löhnen und Arbeitsbedingungen angestellt. 3000 oft neue Kolleg_innen arbeiten mit Werkverträgen auf eigenes Risiko. Was das im Einzelnen bedeuten kann, hat Ken Loach in seinem letzten Film „Sorry we missed you“ dargestellt. Natürlich kannten die Kollegen diesen Film, beschreibt er doch das Geschäftsmodell sehr treffend. Inzwischen hat sich bei e-food eine Betriebsgewerkschaft als Interessenvertreterin der Beschäftigten gegründet. SVEOD arbeitet darin mit. Die Basisgewerkschaft, die sich für alle Beschäftigten der Branche zuständig sieht, will die Zusammenarbeit mit anderen Kräften koordinieren und gegebenenfalls moderieren. Es sind ja unterschiedliche politische Richtungen beteiligt, was öfter auch mal zu Konflikten führt. Unter diesem Gesichtspunkt arbeiten sie auch mit der (KP-Gewerkschaft) PAME zusammen, die gerne ihren exklusiven Führungsanspruch reklamiert. Das Beeindruckende an diesem Konzept ist, dass SVEOD gerade nicht eine Führung beansprucht, sondern die Kräfte bündeln will, um den übermächtigen Klassengegner, hinter dem meist riesige Finanzfonds stehen, mit seinen Ausbeutungsstrategien zu stoppen.

Im Eifer der Debatte hatten wir nicht daran gedacht, den Kolleg_innen einen Betrag von Spendengeldern, die in Deutschland zur Unterstützung der Kämpfe gesammelt wurden,  zu übergeben. Vielleicht können wir das nachholen. In jedem Fall hoffen wir darauf, dass die internationale Zusammenarbeit und der Meinungs- und Erfahrungsaustausch fortgesetzt wird.

(Hans)

Mittwochmorgen, 5.10.

Dachterrasse, Treffen mit Eurydike

Die Journalistin Eurydike kennen wir schon seit 2012 und treffen sie jedes Jahr. Letztes Jahr hatte sie uns von der Kampagne berichtet, die die Umweltbewegung gegen die Windkraftpläne der Regierung unternahm. Die Regierung wollte ganz Griechenland mehr oder weniger mit Windkraftanlagen zupflastern, um zum Exporteur von grünem Strom zu werden. Dabei hatte sie auch Naturschutzgebiete und Inseln in der Ägäis im Blickfeld. Eine Professorin aus Ioannina entwickelte ein Konzept, nachdem es in Griechenland genügend entwickeltes Land gebe, auf dem man Windkraftanlagen bauen könne, um ganz Griechenland zu versorgen. Dafür brauche man nicht relativ unberührte Waldgebiete und Inseln zu zerstören.

Eurydike erzählte uns nun, dass der Premierminister Mitsotakis diese Professorin eingeladen hatte und tatsächlich danach Gebiete, die bisher nicht durch Straßen erschlossen sind, aus den Planungen herausnahm. Obwohl es einigen aus der Umweltbewegung nicht reicht, sieht sie selbst das als positiv an, als Schritt in die richtige Richtung.

Als in die falsche Richtung gehend sieht sie die griechische Bahn. Die ist mittlerweile komplett privatisiert und filetiert, d.h. an verschiedene Unternehmen verkauft. Wo es früher 12000 Beschäftigte gab, gibt es jetzt noch 2000. Die Unternehmen mussten der Regierung schriftlich versichern, einen Mindestleistungsservice einzuhalten. Das machen sie aber nicht und kassieren trotzdem. Es funktioniert kaum noch was. Die Strecke Athen – Saloniki dauert jetzt zehn Minuten weniger als früher, aber nur deswegen, weil es lediglich noch einen einzigen Zwischenhalt gibt. Von der EU gibt es einen 5-Mrd.-Fonds für neue Bahnstrecken, die auch gebaut werden, wo aber keine Züge fahren. Sie vermutet, dass die Lobby der Flug- und Busgesellschaften das Ganze sabotiert. Das private Busnetz funktioniert demgegenüber prächtig.

Insgesamt ist die Klimabewegung in Griechenland sehr unterentwickelt. Am Sonntag hatten sie eine Fahrraddemo mit etwa 1000 Teilnehmenden, was angesichts der kleinen Vorbereitungsgruppe ganz ordentlich war.

Im Vordergrund steht natürlich die Teuerung vor allem durch den Anstieg der Energiepreise seit dem letzten Jahr und beschleunigt seit Kriegsbeginn. Die wird viele noch existierenden Kleinbetriebe in den Ruin treiben. Eine organisierte Gegenbewegung, die den Ärger der Leute ausdrücken würde, gibt es bislang noch nicht.

(Manfred)

Mittwochabend, 5.10.

Veranstaltung in Vyronas

Vyronas ist ein Stadtteil von Athen, südlich vom Zentrum, in dem wir einen guten Kontakt zu Christos haben, der bis zur Rente bei der dortigen Stadtreinigung arbeitete. 2019 hatte seine Gruppe im Sozial- und Kulturzentrum „Lambidonas“ eine Veranstaltung mit unserer Reisegruppe organisiert. Damals an einem Sonntag tagsüber, diesmal abends. Sie hatten mit selbst erstellten Plakaten dafür geworben. Gekommen waren etwa 40 Leute, also ganz ordentlich, wie sie und wir fanden.

Wir hatten uns vorbereitet und hielten vier kurze (so war es zumindest geplant) Beiträge zu den Themen: Appell für den Frieden, Transformation zum grünen Stahl bei den Stahlwerken Salzgitter, Krankenhausbewegung und Umgang der Gewerkschaften mit dem aktuellen Kriegsthema und zum Abschluss des Hafenarbeiterstreiks. Da wir dann doch länger gebraucht hatten, war die Diskussion nicht mehr so ausführlich. Die Fragen bezogen sich auf verschiedene Themen:

  • Ist auch in Deutschland jemand, der zum Krieg eine differenzierte Einstellung hat, ein „Putinversteher“, so wie in Griechenland?
  • Gibt es einen dritten Weltkrieg?
  • Gibt es in der Hafencity in Hamburg auch sozialen Wohnungsbau?
  • Woher kommt der „grüne Strom“ für die Transformation des Stahlwerks?
  • Ist es nicht so, dass die deutschen Gewerkschaften mit ihren Tarifkämpfen einen Anteil an dem Kuchen haben wollen, der den ärmeren Ländern in der EU und anderswo weggenommen wurde?

Danach kam der gemütliche Teil mit Essen und Trinken und einer siebenköpfigen Band, die die Folgezeit uns mit griechischen Liedern unterhielt.

(Manfred)

Hier der Bericht unserer griechischen Freunde zum selben Abend:

Ein Abend der internationalistischen Arbeiterfreundschaft und Klassensolidarität zwischen griechischen und deutschen Arbeitern/Gewerkschaftern in Vyronas

Die Veranstaltung und Diskussion am Mittwochabend in Vyronas, die von der Arbeiterinitiative organisiert wurde, entwickelte sich zu einem Abend der internationalen Arbeitersolidarität und Freundschaft zwischen griechischen und deutschen Arbeitnehmern/Gewerkschaftern.

„Wir heißen euch willkommen“, sagte Nikos und begrüßte die Deutschen Freunde in den für ihre Gastfreundschaft bekannten Räumlichkeiten des Sozialen Kulturzentrums „Lampidona“, das in diesen Tagen den Abschluss von zehn Jahren aktiver Beschäftigung und sozialer, kultureller, politischer Aktion und Solidarität feiert. „Danke, dass ihr gekommen seid und uns die Möglichkeit gibt, etwas über die Situation in Deutschland zu erfahren.“

Einigen aus der deutschen Gruppe war der Ort vertraut, weil sie im Jahr 2019 schon einmal im „Lampidona“ waren, und zwar im Rahmen ihrer Besuche in Griechenland und der Kontakte, die sie mit der Arbeitergewerkschaft der Kommune Vyronas hatten.

Die Gruppe von Arbeitnehmern/Gewerkschaftern wurde 2012 in Deutschland gegründet, um Solidarität mit Griechenland und seinen Arbeitnehmern gegen die Memoranden, die Sparmaßnahmen, den Nationalismus und das damals in Deutschland gepflegte Klima, dass Griechen faul sind usw., auszudrücken, sagte Manfred, ein pensionierter Lehrer aus Hamburg. „Seit 2012, mit Ausnahme der Pandemiezeit, haben wir Griechenland besucht, uns mit Gewerkschaften, Gewerkschaftern und Kollektiven getroffen, uns ausgetauscht und versucht, Solidarität von unten, unter den Arbeitnehmern, aufzubauen. Wir versuchen diese Diskussionen in Deutschland bekannt zu machen, indem wir Veranstaltungen organisieren, Broschüren mit unseren Treffen hier in Umlauf bringen und Griechen im Rahmen dieser Solidarität nach Deutschland einladen, wie zum Beispiel Christos aus Vyronas.“

Er sagte noch, dass wir uns heute in einer neuen Phase des Krieges befinden. Deutschland liefert Waffen an die Ukraine und rüstet sich selbst auf. Die Medien kultivieren ein kriegerisches Klima und setzen die Regierung unter Druck, sich mehr und mehr einzumischen. Es ist eine schwierige Zeit für die Linke, und wir müssen für einen anderen Diskurs eintreten.  

Die Freunde und Genossen sprachen dann über den Krieg in der Ukraine, über den großen Streik des Pflegepersonals und der Hafenarbeiter, als auch über Stahlindustrie.

Benno, der sich auch in der Friedensbewegung in Berlin engagiert, sprach über den Appell an die Gewerkschaften und Arbeitnehmer, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Deutschland dürfte diesen Krieg nicht unterstützen und neutral bleiben. Wir hätten auch die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs gemacht, als Millionen von Menschen getötet wurden.  Deutschland sei davon überzeugt, dass Russland durch Waffenexporte in die Ukraine in eine untergeordnete Position gerät. Die Ukraine, so heißt es, wird den Krieg durch Krieg gewinnen. Sie werde ständig mit Waffen versorgt und der Krieg eskaliere immer mehr. Die Gefahr, dass Atomwaffen eingesetzt werden könnten, werde aus deutscher Sicht nicht ernst genommen. Die USA und die NATO wollen, dass die Ukraine gewinnt. Sie seien nicht bereit, ihre Hegemonie in der Welt zu verlieren. Ein Konflikt zwischen den USA und ihren Verbündeten einerseits und Russland und China andererseits, zeichne sich ab und die Menschen werden dies mit ihrem Leben bezahlen. Der Appell solle dazu beitragen, den Krieg JETZT zu beenden.

Hans, der viele Jahre in der Autoindustrie gearbeitet hat, Gewerkschafter ist und jetzt als Rentner in der Bewegung aktiv ist, verwies auf den großen Streik des Pflegepersonals, der dazu führte, dass ein Tarifvertrag unterzeichnet und dass das Verhältnis zwischen Krankenpflegern und der Zahl der von ihnen betreuten Patienten verringert wurde.

Doris, eine Gewerkschafterin im Hamburger Hafen, sprach über den Hafenarbeiterstreik und die Schwierigkeiten des Kampfes. Der Arbeitgeber legte Berufung bei den Gerichten ein, die den Streik für illegal und missbräuchlich erklärten. Am Ende hat die Gewerkschaftsführung eine Vereinbarung unterzeichnet – einen Vertrag, in dem die Beschäftigten nicht zum Ausdruck kommen und somit Frustration entsteht, sagte sie.

Lena, Angestellte in der Stahlindustrie und Mitglied des Betriebsrates, sprach über die Stahlindustrie und die Änderungen, die in der Produktion vorgenommen werden müssen, damit weniger Kohlendioxid ausgestoßen wird. Sie wies auch auf die Notwendigkeit hin, die Klassensolidarität unter den Arbeitnehmern zu stärken.

Die Anwesenden verfolgten die Berichte mit Interesse und anschließend wurden mehrere Fragen gestellt und Meinungen zu den Aussagen geäußert.

Danach folgte eine Feier mit der Musikband „LOLA“ von „Lampidona“, während den Teilnehmern Snacks und Wein angeboten wurden.

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Teil 1 des Reiseberichts: Initiative gegen Wasserprivatisierung, „Rouvikonas“,
Internationalistische Anti-Kriegs-Koordination u.a.

Freitag, 30.9.

Als ich an unserem traditionellen Hotel Exarchion am Exarchia-Platz ankam, war es ein erschreckendes Bild: Der Platz mit seinen grünen Bäumen komplett eingezäunt und überall schwer bewaffnete Polizisten in Kampfmontur, die vor lauter Langeweile mit ihren Maschinenpistolen herumfuchteln. Ich wusste ja schon, dass das passiert war über die Korrespondenz im Vorwege. Dass die Stadt und die Regierung ausgerechnet hier eine Metrostation bauen wollen, obwohl ein paar hundert Meter weiter das Nationalmuseum steht an einer belebten Straße, wo kein Grün ist. Natürlich gibt es dagegen Widerstand, dass einer der ganz wenigen grünen Flecken in diesem sehr eng bebauten Viertel verschwinden soll. Das wirkt hier so wie eine Faust, die dem rebellischen Viertel aufgedrückt wird, Machtdemonstration, Repression. Wie manche mittelalterliche Kirchen auch wie Fäuste wirken, die dem Volk zeigen sollten, wer hier der Herrscher ist.

Freitagabend, 30.9.

Abends war auf dem kleinen Platz in der Nähe, den eine Initiative zum Spielplatz und Versammlungsort umgebaut hat und auf dem wir in den letzten Jahren schon zwei Mal eine Veranstaltung hatten, ein Treffen zur aktuellen Situation mit dem Krieg in der Ukraine. Benno sollte dort kurz den „Appell für den Frieden“ vorstellen, der seit Mai kursiert und den mittlerweile schon über 300 000 unterschrieben haben.

Die kleine selbstgebaute Tribüne war ziemlich voll, etwa 50 Leute waren gekommen, das Thema Krieg bewegt. Veranstalter war eine vor kurzem neu gegründete Gruppe „Anti-Nato-Aktion“, die ihren ersten öffentlichen Auftritt hatte. Von unseren früheren Besuchen kannten wir einige, mit denen wir uns oft getroffen und die uns immer unterstützt hatten.

Entsprechend dem Motto der Gruppe ging es in den ersten Redebeiträgen um die Vorgeschichte des Krieges und die Rolle, die die NATO und insbesondere die USA dabei spielten. Als ein Redner gerade davon sprach, dass man zwar an Regimen wie im Iran Kritik üben müsse, im Moment aber die NATO der Hauptfeind sei, stand im Publikum plötzlich ein Mann auf und beschimpfte den Redner als „Faschisten“. Natürlich gab es etwas Tumult und Gedränge, es stellte sich heraus, dass eine kleine Gruppe Ukrainer und Iraner die Veranstaltung stören wollten. Die mussten dann mehr oder weniger freiwillig den Platz verlassen.

Benno konnte kurz den „Appell für den Frieden“ und dessen Vorgeschichte vorstellen. Jennifer hatte den Text übersetzt und die Veranstalter hatten ihn auf ihrem Büchertisch ausliegen. (Appell für den Frieden – hier lesen – hier unterschreiben. – widerstaendig.de externer Link) Benno wies insbesondere darauf hin, dass es darum geht, alle Aspekte anzusprechen, Aufrüstung, Waffenlieferungen, Sanktionen, Kriegsende. Im weiteren Verlauf der Veranstaltung ging es dann darum, die internationale Dimension des Konfliktes aufzuzeigen und zu einer Solidarität der betroffenen Völker aufzurufen.

Ich fand, dass die Beiträge ausgesprochen lang waren. Jennifer versuchte uns etwas zu übersetzen, so dass wir einiges mitbekamen. Auffallend war schon, wie klar die NATO und die USA in den Blick genommen wurden, in Griechenland hat man einschlägige Erfahrungen. Besonders die Rolle der USA beim Militärputsch 1967 und deren Unterstützung der Militärjunta bis 1974 sind noch gut in Erinnerung. Deshalb wurde immer wieder betont, wie wichtig die Trennung von der NATO sei, denn nur so sei überhaupt eine unabhängige Politik möglich.

(Manfred)

Sonnabend, 1. Oktober 2022

Abends war unser jährliches Willkommenstreffen auf der Dachterrasse geplant. Da aber am Abend vorher bei der Veranstaltung schon ein Großteil der Leute da war, die sonst zum Willkommenstreffen gekommen waren und mit denen wir hinterher auch noch zusammen in der Kneipe waren, kamen nur Achim, Christos und Pavlos kurz vorbei. Christos brachte die Plakate mit, die sie für die Veranstaltung am Mittwoch gedruckt hatten und mit denen sie in ihrem Stadtteil werben.

So blieben wir unter uns und kamen beim Bericht über die Veranstaltung vom Vortag, die ja nicht alle mitbekommen hatten, schwer ins Diskutieren über den Krieg. Vom Appell für den Frieden bis zum russischen Imperialismus reichte die Spannweite, wir sind also keineswegs einheitlich in dieser Frage.

Später bei Rosalia kamen noch Kostas (Vio.Me Athen) und Maria, die auch sehr besorgt wegen der Kriegsstimmung sind. Kostas hoffte, dass wir erfreuliche Nachrichten von gewerkschaftlichem Widerstand aus Deutschland mitbringen würden. So wie letztes Jahr, als Sylvia von der Krankenhausbewegung berichtete. Da musste ich ihn doch enttäuschen. Es wird wohl dieses Jahr nicht so viel werden mit dem gegenseitigen Mutmachen.

(Manfred)

Sonntagmittag 2. Oktober

Initiative gegen Wasserprivatisierung

Wir treffen die Athener Initiative gegen Wasserprivatisierung in ihren neuen Räumen mitten in der Innenstadt von Athen. Dass gerade eingezogen wird, ist daran zu sehen, dass die Räume noch halb leer stehen. Stamatis Stefanakos begrüßt uns ganz herzlich und es ist ihm anzusehen dass er unsere Unterstützung im Kampf gegen die Wasserprivatisierung ernst nimmt….

Das Griechenland-Solidaritäts-Komitee Köln (GSSK) schrieb dazu am  17.9.2022: „Der Kampf gegen die Wasserprivatisierung in Griechenland geht in die nächste Runde
Die Beschäftigten der Wasserwerke von Thessaloniki streikten und protestierten am 8.09.2022 erneut gegen die Wasserprivatisierung.
(…) Die Aktiven der Initiative berichten, dass es zwei Linien gibt, beim Versuch gegen die Wasserprivatisierung zu kämpfen.

  1. Gewerkschaften und Bürger*innen arbeiten zusammen gegen die Privatisierung.
  2. Eine Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften mit dem Ziel die Privatisierung abzuwenden unter dem Titel „Save the water“.

Es gibt griechenlandweit viele Initiativen gegen die Wasserprivatisierung. In einer Meinungsumfrage im Jahr 2011 sprachen sich 48% pro Privatisierung aus und ebenso 48% dagegen.

In einer neuen Meinungsumfrage in 2020 war das Ergebnis eindeutig. 74% der Befragten sprachen sich gegen eine Privatisierung aus.

Heute besteht eine große Allianz aus Wissenschaftler*innen, Vereinen, Basisgruppen und Gewerkschaften, die gemeinsam gegen die Privatisierungsbestrebungen kämpfen.

Ilias, von ESAP (Wasserwerke Athen), beleuchtet die vergangenen Jahre. Es gab in den 2000er Jahren immer kleinere Versuche, eine Privatisierung des Wassers vorzunehmen, der große Druck wurde aber durch die Memoranden seitens der EU aufgebaut. Ab 2010 wurden seitens der Regierung Pläne zur vollständigen Privatisierung forciert.

Der Großraum Athen bekommt sein Trinkwasser aus dem See Monar, der ca. 500 km von Athen entfernt liegt. Dort gibt es fünf Wasserwerke und Strombetriebe. Ein weiterer natürlicher See speist Wasser für die Versorgung ein und als Reserve gilt der See von Marathon. Das Wasser gelangt über die Klärwerke in das Wassersystem der Stadt. Dieses System wurde vor gut 100 Jahren von ESAP, also vom Staat, gegründet und seither instandgehalten. Obwohl es 100 Jahre keine Probleme mit der Wasserversorgung gab, möchte die Regierung diese ab 2025 privatisieren: Von der Quelle bis zu den Haushalten.

Im Jahr 2014 urteilte das Oberverwaltungsgericht Griechenlands, dass eine Privatisierung verfassungswidrig sei. Trotz des Urteils wurde der Druck der Troika auf die griechische Regierung fortgesetzt, die Privatisierung voranzutreiben. Inzwischen hat das oberste Verwaltungsgericht (eine höhere Instanz gibt es nicht) im Herbst 2022 sein Urteil bestätigt, die Privatisierung von Wasser ist verfassungswidrig.

Die griechische Regierung respektiert allerdings das Urteil bzw. die Verfassung nicht. Trotz der beiden eindeutigen Gerichtsurteile wird weiterhin versucht, die Privatisierung voranzutreiben. Auch weigert sich die Regierung, ESAP aus dem Treuhandfond der zu privatisierenden Einrichtungen herauszunehmen. Das ist eindeutig ein Demokratiedefizit seitens der griechischen Regierung, eine Missachtung der Werte der Europäischen Union, der griechischen Verfassung und der geltenden Gesetze. Die Regierung von Mitsotakis weigert sich schlicht, gültige Gerichtsurteile anzuerkennen und sie umzusetzen.

Neben den Privatisierungsvorhaben stellt sich ein weiteres Problem dar. Die öffentlichen Wasserwerke sind Bestandteil des sog. Treuhandfonds und daher auf Profit ausgerichtet. Das hat bereits dazu geführt, dass entgegen der bisherigen Praxis schneller die Wasserzufuhr abgebrochen wird, wenn Haushalte mit mehr als 100 Euro im Zahlungsrückstand sind. Zur ausstehenden Summe ist dann auch noch ein Bußgeld in Höhe von ca. 50 Euro zu zahlen zuzüglich einer Gebühr von 190 Euro für den erneuten Anschluss des Wasserzählers. Bei den seit Jahren niedrigen Einkommen ist das ein fataler Teufelskreis und für viele unbezahlbar.

Die Führungskräfte – wohlgemerkt, die Führungskräfte- der ESAP bekommen Boni von den Gebühren. Zynischer kann mit der Not der Bevölkerung kaum umgegangen werden.

Problematisch ist darüber hinaus, dass die Führung der ESAP seit einiger Zeit Gewinne an Privataktionäre ausschüttet. Daher fehlen notwendig benötigte Gelder für die Unterhaltung und Modernisierung der Anlagen. Wenn bspw. 30 Mio. Euro vereinnahmt werden, werden davon 20 Mio. Euro an die Aktionäre gezahlt. Das Gericht hat in seinem Urteil eindeutig bestätigt, dass die ESAP ein Unternehmen der Daseinsvorsorge ist und schleunigst aus dem Treuhandfonds herausgehört.

Gefährdung der Demokratie

Die Initiative hat viele Veröffentlichungen zum Thema herausgegeben, zahlreiche Demos veranstaltet, mit Vertreter*innen von Parteien gesprochen, um ihren Standpunkt klarzumachen. In den social media werden wissenschaftliche Beiträge veröffentlicht, um eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Weitaus gefährlicher als die Privatisierung des Wassers wird jedoch die Gefahr für die Demokratie angesehen. Wenn Gerichtsbeschlüsse ignoriert werden, stellt sich schnell die Frage, ob es überhaupt noch einen funktionierenden Rechtsstaat gibt, ob die Gewaltenteilung noch funktioniert. Radio und Fernsehen berichten wenig über das Thema, da sie regierungsnah sind. Nur selbstgeschaltete Blogs, Internetseiten informieren.

Um solche Informationen weiter einzuschränken, hat die Leitung der ESAP eine Firma eingestellt, die für die Sicherheit zuständig sein soll, um Gewerkschaften und einzelne Beschäftigte daran zu hindern, weitere Informationen zu veröffentlichen. Die Handys und Mails von Beschäftigten sollen künftig darauf überprüft werden, ob sie vertrauliche Daten weitergeleitet haben. Nicht sicher ist, ob die Überwachung nicht schon stattgefunden hat. Diese Maßnahmen wurden eingeführt, nachdem die Initiative Daten an das Parlament weitergeleitet hatte. Dabei wurde nicht bedacht, dass die Zuständigkeit für das IT-System der ESAP bei Mitgliedern der Initiative liegt, die jetzt sog. Kryptoprogramme entwickelt hat, um die Überprüfungen ins Leere laufen zu lassen.

Offen wurde während der Memoranden die Frage diskutiert, ob der griechische Staat in der Lage sei, öffentliche Unternehmen zu leiten. Inzwischen ist eindeutig klar, dass die Bereiche Wasser, Energie und Gesundheit Bereiche der Daseinsvorsorge sind und daher in öffentlicher Hand bleiben müssen.

Kritisch angemerkt wird, dass sich die Gewerkschaften während der Memoranden nicht genug gegen die Privatisierungsideen gestemmt haben. Ihnen war es wichtiger sich darum zu kümmern, dass Rechte erhalten bleiben, Gehälter nicht angetastet werden. Das stellt sich jetzt als kurzsichtig heraus, da der Faktor Arbeit beim Profitmaximierungsgedanken immer als zu teuer dargestellt wird.

Die Initiative betont die Wichtigkeit, auf europäischer Ebene Konzepte zu entwickeln, die die Grundbedürfnisse der europäischen Büger*innen beschreiben. Eindeutig gehören dazu die Wasser- und Energieversorgung und das Gesundheitswesen, um einige zu nennen. Diese sind Faktoren für ein würdevolles Leben aller in Europa Lebenden, ohne regionale Unterscheidungen.

(Doris)

Sonntagabend 2. Oktober

Rouvikonas

Es ist das erste Mal in den zehn Jahren unseres Griechenland-Austausches, dass wir ein offizielles Treffen mit einem Vertreter dieser Organisation haben.

Rouvikonas ist quasi eine Legende und an Popularität kaum zu überbieten. Die Gruppe macht immer wieder mit spektakulären Aktionen auf aktuelle Missstände konkret aufmerksam.
„Unfähige“ Politiker wie die Gesundheitsministerin werden ebenso öffentlich bloß gestellt wie korrupte Ärzte.

Im jüngsten Fall haben Mitglieder der Gruppe das Büro der Gesundheitsministerin besetzt, die Wände mit Parolen besprüht  und Flugblätter verstreut. Anlass war der Fall einer Schwangeren, der eine Reha-Behandlung verwehrt worden war. In einem anderen früheren Fall wurde ein reicher Arzt heimgesucht, der  dafür bekannt war, dass er Behandlungen nur durchführte, wenn er dafür Bestechungsgeld bekam.

Der bekannteste Treffpunkt von Rouvikonas ist das „VOX“ am Exarchia-Platz. Eigentlich eine ganz normale Kneipe, wo man abends sein Bier trinken kann. Daneben gibt es noch einen Buchladen und eine Bibliothek. Im Keller des VOX gib es eine solidarische Arztpraxis, in der Menschen ohne Papiere behandelt werden und Medikamente bekommen können. Auch eine Zahnklinik arbeitet dort. Rouvikonas will ein Netzwerk von sozialen Treffpunkten schaffen, so wie das Café, in das wir eingeladen worden waren. Es liegt im Zentrum von Keseriani gleich hinter dem Widerstandsmuseum und dem Gedenkort, an dem die deutsche Wehrmacht Partisanen und Widerstandskämpfer erschossen hat ( siehe auchden Bericht über unseren Besuch 2013, bei dem wir Manolis Glezos kennen gelernt haben).

Das Café, das für gut 50 Menschen Platz bietet, war kurz vor Ausbruch der Pandemie eröffnet worden. Nach dem Lockdown konnte es nicht mehr als Treffpunkt genutzt werden. Es wurde dann umfunktioniert zu einer Essensausgabestelle für Bedürftige aus dem Stadtteil. Und es gibt genug Menschen, für die eine warme Mahlzeit schon eine Hilfe ist. Das sind nicht nur Gefüchtete, die zwar anerkannt sind, aber nach der Anerkennung keine Hilfe vom Staat mehr bekommen. Mit einer Liste von Adressen, die sie u.a. von antirassistischen und von Flüchtlingsgruppen bekommen haben, gingen die Rouvikonas-Leute von Haus zu Haus, um mit den Leuten über ihre Lage zu sprechen. Das ist keine philanthropische karitative Arbeit, sondern dient dazu sich mit den Menschen im Stadtteil zu verbinden.

Die Arbeit wird finanziert durch eine breite Mitgliederbasis. Darüber werden auch die Kosten der staatlichen Repression aufgefangen. Bei einigen Aktionen wurden erwischt und festgenommen. Danach gab (und gibt) es Verurteilungen mit Gefängnis- oder z.T. hohen Geldstrafen. Die teuerste war eine Aktion mit Parolen am griechischen Parlament, bei der die Beschuldigten 60.000 € bezahlen mussten. Aber die breite solidarische Unterstützung konnte das auffangen.  Rouvikonas arbeitet dezentral in vier Kollektiven. Es gibt wöchentliche Vollversammlungen, die nicht öffentlich sind. Wenn eine Aktion vorgeschlagen wird, wird sie von der Vollversammlung diskutiert und beschlossen. Wenn jemand nicht mit der Aktion einverstanden ist, kann er sich zurückziehen oder aber sein Veto einlegen, wenn es zu große Widersprüche gibt. Nach einem positiven Beschluss wird eine Kerngruppe gebildet, die die Aktion vorbereitet. Diese  sucht sich wiederum Leute, die mitmachen wollen. Das Geheimnis vieler öffentlichkeitswirksamer Aktionen ist Ameisenarbeit, Das heißt, dass viele detailreiche Vorbereitungen getroffen werden müssen.

Inzwischen gibt es auch eine feministische Gruppe, die spezifische Aktionen gegen frauenfeindliche Politiker und Entscheidungen macht. Im Prinzip verlaufen alle  Aktionen gewaltlos gegen die betreffenden Personen. In Ausnahmefällen kam es jedoch schon mal vor, dass die Hand „ausrutschte“.

Neben der Frauengruppe gibt es eine Sektion, die sich um Arbeitsangelegenheiten kümmert. Neuerdings gibt es zum Thema Umwelt und Klima einen Arbeitsbereich. Die Müllverbrennung ist dabei ein großes Thema. Müllverbrennung und die Zementindustrie hängen eng zusammen. Mafiaähnliche Strukturen organisieren den Müllimport, der verbrannt wird, um Energie für die Zementwerke zu liefern. Besonders die Stadt Volos (zwischen Athen und Saloniki) ist ein krasses Beispiel dafür. Während der Krise aufgrund der Memoranden war die Bautätigkeit stark zurückgegangen und es wurden in dieser Zementindustrie trotzdem drei Einheiten(?) bis zu einer Megatonne umgesetzt.(unverständlich)

Ein Dauer-Schwerpunkt ist der Antifa- und Geflüchteten-Bereich. Dort gibt es Zusammenarbeit mit Notara*, mit LGBT-Gruppen und anderen wie das ehemalige Zentrum „Distomo“, wo anarchistische und kommunistische Leute zusammenarbeiten. (Das Zentrum ist jetzt an einem anderen Ortals der, den wir 2019 besucht hatten.)

Wir haben nachgefragt, warum das Konzept des sozialen Treffpunkts in Perama nicht mehr funktioniert hat. Wir hatten ja als Reisegruppe einen sehr engen Kontakt zu Perama. Dimitri verwies auf die erschwerten Bedingungen dort. Es ist ein Stadtteil, in dem es einen hohen Fascho-Anteil gibt. (Wir erinnern uns, dass beim Versuch, einen Community Garten anzulegen, dieser sofort nachts zerstört wurde.)

Es gibt eine Kommunikationsgruppe, die Öffentlichkeitsarbeit konzipiert und umsetzt. Die Aktionen von Rouvikonas werden alle auf Video aufgezeichnet und im Internet und in den verschiedenen sozialen Medien wie Facebook, Instagram usw. veröffentlicht. Damit gelingt es das Totschweigen durch  Presse und Fernsehen zu durchbrechen.

Die jüngste Aktion war nach einer Demo gegen die Liberalisierung des Strommarktes am 4. Oktober. Rouvikonas-Leute drangen in das Büro von DEA, dem ehemals staatlichen Energieversorger, ein und „verzierten“ es  Mit dem Anwachsen der Energiekrise und der Unverschämtheit der Mitsotakis-Regierung gibt es zur Zeit sehr viele Aktionen und oft weiß unser Gesprächspartner nicht, wo er kürzer treten kann.

Bei einer Aktion beim Finanzminister gegen die Privatisierungen landete eine Torte, die so aussah wie die, die er bei einer Feier für seine Erfolge bei der Privatisierung bekommen hatte, leider nicht im Gesicht des Finanzministers.

Eine Gentrifizierungsstrategie gerade im alternativen Stadtteil Exarchia war die Ansiedlung von Drogenmilieus, um dadurch das Viertel herunter zu wirtschaften und dann sog. Investoren anzuziehen, denen im heruntergekommenen Stadtviertel nicht viel Widerstand entgegengesetzt würde. Rouvikonas hat deshalb teilweise erfolgreich den Einfluss der Drogenmaffia bekämpft.

Die kleinen Leute haben oft Wohneigentum. Sie hatten sich bei der Flucht in die Stadt ein Stück Land besetzt und dort wild gebaut. Reiche (Bau)Unternehmen haben später den Leuten im Tausch gegen ihr Land eine oder zwei kleine Wohnungen in dem neuen Wohnhausangeboten. Jetzt droht ihnen, dass sie diese Wohnungen verlieren, weil sie den Unterhalt nicht mehr finanzieren können.

Die Altersstruktur bei Rouvikonas ist zwischen 18 und 68. Das Ziel ist, zusammen mit der Basis zu wachsen.  – Viel Erfolg!

Wir übergaben 100 Euro aus unserer Spendenkasse.

(Hans)

Montagabend 3. Oktober

Dachterrasse: Internationalistische Anti-Kriegs-Koordination

Sokrates und Christos waren gekommen, später kam noch Ntinos dazu

Die Anti-Kriegs-Koordination besteht aus Vertretern unterschiedlichster Zusammenhänge, Vertretern von Gewerkschaftsfraktionen, Studentenvertretern, Leuten aus der Flüchtlingsarbeit, aus politischen Organisationen, z.T. auch ganzen Gruppen, auch aus Einzelpersonen. Es ist eine relativ kleine Initiative, die sich mit Beginn des Krieges in der Ukraine bildete. Bisher gab es zwei Vollversammlungen an denen alle teilnehmen konnten, die Interesse haben. Es gibt einen Ausschuss, der die Beschlüsse der VVs umsetzt.

Sie organisierten kleine Demos und Konzerte, z.B. beim Einmarsch Russlands in die Ukraine,  als die NATO mit Waffenlieferungen begann, oder beim NATO-Gipfeltreffen. Ihre Haltung zum Konflikt ist nicht einheitlich. Sokrates, der aus der Organisation Spartakus kommt, sieht den Zusammenstoß zweier imperialistischer Zentren.

Sokrates schilderte die Arbeit von Spartakus, die sich auf das Militär, insbesondere die Wehrpflichtigen konzentriert. (Daher der Name Spartakus: Die Wehrpflichtigen sehen sie in einer ähnlichen Situation wie die Sklaven im alten Rom.) Generell haben sie das Ziel, dass kein Wehrpflichtiger außerhalb Griechenlands eingesetzt werden darf. Zurzeit sind griechische Soldaten in Rumänien stationiert, außerdem bilden sie Ukrainer an NATO-Gerät aus. Sie organisierten eine Unterschriftensammlung unter Soldaten gegen den Krieg, was natürlich schwer ist. Bisher haben sie 75 gesammelt.

Ihre Arbeit besteht auch darin Missstände in Kasernen, Schikanen usw. aufzudecken und anzuprangern. Sie erfahren diese von Soldaten, manchmal auch von Eltern. Sie veröffentlichen dazu auf ihrer Website, was dann regelmäßig Verleumdungsklagen der Militärs nach sich zieht. Kriegsdienstverweigerung ist in Griechenland sehr schwer, fast unmöglich. Relativ populär ist die Methode, sich ein „Irrenzeugnis“, wie der Volksmund sagt, ausstellen zu lassen, also für untauglich erklärt zu werden. Kontakte zu den Wehrpflichtigen sind möglich im Urlaub, vor den Kasernen, intern muss man natürlich aufpassen.

Auf die Frage nach der Stimmung in der Bevölkerung meinten sie, sie sei zweigeteilt. Zum einen stöhnen die Leute über die Verschlechterung ihrer Lebenslage durch die allgemeine Verteuerung. Die gäbe es nicht, wenn es den Krieg nicht gäbe. Aber sie sind nicht grundsätzlich gegen den Krieg, den die NATO in der Ukraine führt.

Zum anderen gibt es die Regierungsseite, die Griechenland auf der richtigen Seite in diesem Krieg sieht. Deshalb lieferte die Regierung schon am dritten Tag des Krieges Hubschrauber, später Waffen. Die NATO-Stützpunkte in Griechenland sind wichtige Transportpunkte für Waffenlieferungen. Andererseits gibt es auch ein tief sitzendes, unterschwelliges Misstrauen in der Bevölkerung gegen die NATO und die USA. Die Militärdiktatur ist noch gut in Erinnerung. Außerdem haben die Leute Zweifel, ob die NATO Griechenland in einem etwaigen Konflikt mit der Türkei helfen würde. Daran könne man anknüpfen.

Was die Türkei angeht, so sieht sich Griechenland in einem hybriden Krieg, den die Türkei mit Flüchtlingen führe. Diese „Unterwanderung“ gelte es abzuwehren. Hier sieht sich die griechische Regierung als Sturmwall zur Verteidigung europäischer Werte. EU-Kommissions-Präsidentin Von der Leyen adelte Griechenland bei einem Besuch im März diesen Jahres auch als „Schutzschild Europas“.

Die Regierung hat jetzt den Krieg genutzt um ein Aufrüstungspaket über 36 Mrd. € durchs Parlament zu bringen, um gegen die Türkei gewappnet zu sein. Syriza stimmte auch dafür, die kommunistische Partei enthielt sich. Nationalismus gewinnt. Es geht ja unter anderem um türkische Ansprüche auf Gas- und Ölvorkommen im Mittelmeer, die in griechischen Gewässern liegen. Christos sieht hier eine Konkurrenz zwischen türkischem und griechischem Kapital, die die Kriegsgefahr real macht. (Nachtrag von mir: Angesichts der aktuellen Kriegsdrohungen der Türkei gegenüber Griechenland erhofft sich die Regierung Unterstützung von der NATO im Angriffsfall. Auch deshalb die bedingungslose Unterstützung der NATO im Ukraine-Krieg. Ob diese Unterstützung auch kommen wird, ist vielleicht aber nicht ausgemacht. Im Zypernkonflikt 1974, als die Militärdiktatur den Anschluss Zyperns wollte, unterstützten die USA sowohl Griechenland als auch die Türkei.)

Eine Frage von uns war, ob es in Griechenland auch wie in Deutschland eine „Zeitenwende“ gebe, nach der vieles, was vorher galt, nicht mehr gelte, und vieles, was vorher undenkbar war, zur aktuellen Politik geworden sei. Die Antwort war sehr aufschlussreich, wie ich fand:

Griechenland habe die Zeitenwende schon vor über zehn Jahren erlebt, als der Staatsbankrott drohte und die Spardiktate durch die EU-Kommission, EZB und IWF dem Land aufgedrückt wurden. Dies bedeutete einen dramatischen Bruch mit allem Vorigen, die Bevölkerung wurde aus einem Wohlfahrtsstaat in eine Armuts- und Verelendungsspirale gestürzt. Was vorher undenkbar gewesen sei, sei eingetreten: Aushebelung der Gewerkschaftsrechte, Halbierung der Löhne und Renten, Zerstörung des öffentlichen Gesundheitswesens, Massenarbeitslosigkeit.

Griechenland war auch immer abhängig von anderen Großmächten, das habe sich mit dem aktuellen Krieg nicht geändert.

(Manfred)

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=206768
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