Migrationspolitisches Engagement von Gewerkschaften und gewerkschaftliches Engagement von Migranten

Dossier

[Buch] Solidarität – Kooperation – Konflikt. Migrantische Organisierungen und Gewerkschaften in den 1970/80er Jahren„Viele Migrantinnen und Migranten engagieren sich in Gewerkschaften. Und auch andersherum engagieren sich Gewerkschaften für Zugewanderte. Das Verhältnis war allerdings nicht immer einfach. Die Geschichte migrantischen Engagements in Gewerkschaften kann aus mehreren Perspektiven erzählt werden: Etwa als eine Geschichte der Integration von Migrant*innen in vorhandene Strukturen. Aus dieser Perspektive erscheint sie als Erfolgsgeschichte. So entspricht beispielsweise der Anteil der Mitglieder mit Migrationshintergrund in der IG Metall mit 22 Prozent ungefähr dem Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in der Gesamtbevölkerung. Ebenfalls kann eine positive Bilanz gezogen werden, wenn danach gefragt wird, inwieweit das Engagement von Migrant*innen in Gewerkschaften diese veränderte…“ Artikel von Anne Lisa Carstensen vom 28. November 2022 bei der Bundeszentrale für politische Bildung externer Link – siehe mehr daraus und dazu:

  • Das Verhältnis der Gewerkschaften zu Migration ist ein kompliziertes: Ambivalenzen nicht ausblenden New
    Seit Jahrzehnten engagieren sich Migrantinnen und Migranten in Gewerkschaften in Deutschland. So entspricht der Anteil der Mitglieder mit Migrationsgeschichte in der IG Metall mit 22 Prozent ungefähr dem Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte in der Gesamtbevölkerung. Das Verhältnis der Gewerkschaften zu Migration ist aber ein kompliziertes. Während sich gewerkschaftliche Strukturen in den vergangenen Jahrzehnten langsam der migrationsgesellschaftlichen Realität öffneten, unterstützten Gewerkschaften immer wieder antimigrantische Politiken der Bundesregierung. Das Thema Migration war im gewerkschaftlichen Kontext auch deswegen so heikel, weil es die Frage aufwarf, für welche Themen Gewerkschaften eigentlich zuständig sind. Das zeigt unsere Forschung zum Verhältnis von Migrantenorganisationen und Gewerkschaften in den 1970er und 80er Jahren in Hamburg und Stuttgart. Ein kleiner Überblick (…) Zu bedenken ist, dass Unterscheidungen zwischen Migrant_innen und Nicht-Migrant_innen in vielen dieser Kämpfe gar nicht von Bedeutung waren; in vielerlei Hinsicht positionierten sich Migrant_innen als Kolleg_innen wie alle anderen auch. Oftmals hatten sie allerdings auch andere Probleme und Interessen als Arbeiter_innen mit einem deutschen Pass. (…) Viele der Themen, die in den 1970/80er-Jahren wichtig waren, wie die Unterschichtung des Arbeitsmarktes, die weit gehende politische Entrechtung von Migrant_innen, restriktive Migrationspolitik und Rassismus sind auch in der heutigen krisengeschüttelten Arbeits- und Einwanderungsgesellschaft präsent. Eine antirassistische gewerkschaftliche Erinnerungspolitik, die Ambivalenzen im Verhältnis von migrantischen Organisierungen und Gewerkschaften nicht ausblendet, sondern Konfliktlinien, Kooperationsformen und Praktiken der Solidarität detailliert nachverfolgt, ist wichtig, damit heutige Kämpfe von ihrer Geschichte lernen können.“ Kommentar in Forum Migration vom Februar 2023 von Anne Lisa Carstensen und Lisa Riedner externer Link (Universität Kassel) beim DGB-Bildungswerk
  • Weiter im Artikel von Anne Lisa Carstensen vom 28. November 2022 bei der Bundeszentrale für politische Bildung externer Link: „… Denn Migrant*innen brachten sich auf unterschiedlichsten Ebenen in die betriebliche und gewerkschaftliche Interessenvertretung ein und warfen dabei auch neue Fragen auf. Ein ganz anderer Eindruck entsteht, wenn betrachtet wird, inwieweit es gelungen ist, die Interessen von Migrant*innen in der Arbeitswelt und darüber hinaus abzusichern und diese Beschäftigtengruppe vor Ausbeutung und Rassismus zu schützen. Letzteres hängt auch mit gesellschaftlichen und arbeitspolitischen Entwicklungen in den letzten fünf Jahrzehnten zusammen. (…) Dabei stellt sich die Frage, inwieweit der Kampf gegen Rassismus als eine genuin gewerkschaftliche Fragestellung und nicht nur als ein zusätzliches Themenfeld gesehen wird. Wenn Rassismus die Alltags- und Arbeitsrealität von Menschen in Deutschland prägt, müsste sich ein entsprechendes Engagement auch auf der arbeitspolitischen Ebene widerspiegeln. Auch die bereits in den 1970er Jahren aufgeworfene Frage danach, welchen Stellenwert ‚außergewerkschaftliche‘ Forderungen von Migrant*innen auf dem Feld der Migrations- und Integrationspolitik haben, ist heute weiterhin relevant. Schließlich prägen die migrations- und sozialpolitischen Rahmenbedingungen zunehmend, unter welchen Bedingungen Migrant*innen arbeiten und wie ‚erpressbar‘ sie gegenüber ihren Arbeitgeber*innen sind. Es fällt auf, dass auch heute noch migrantisierte Beschäftigte das Bild vieler Streikbewegungen prägen, beispielsweise im Rahmen der Mobilisierungen der Pflegekräfte in NRW im Sommer 2022. Gerade in Feldern, die stark durch Migration geprägt sind, zeigt sich zudem, dass Selbstorganisationen und ‚wilde Streiks‘ zunehmen. Ein aktuelles Beispiel ist der Streik der Fahrradkuriere des Berliner Lieferdienstes Gorillas im Herbst 2021. Auffällig war die Präsenz migrantischer Beschäftigter in der insgesamt recht jungen Belegschaft, welche mit kreativen Streikaktionen in Erscheinung trat. Dieser und andere Streiks bieten einen Hinweis darauf, dass – ähnlich wie 1973 – neue Antworten in einer sich verändernden Arbeitswelt gefordert sind und Gewerkschaften sich (einmal mehr) damit auseinandersetzen müssen, welche Rolle Migration dabei spielt. Dabei müssen die gegenwärtigen gewerkschaftlichen Strategien immer auch im Zusammenhang mit einem generellen Einflussverlust von Gewerkschaften und Betriebsräten und der Aufkündigung von Tarifverträgen gesehen werden.“
  • Siehe auch: [Buch] Solidarität – Kooperation – Konflikt. Migrantische Organisierungen und Gewerkschaften in den 1970/80er Jahren
  • Höhrenswert dazu auch der Podcast von Democratize Work vom 14. Oktober 2022 externer Link Audio Datei : „#21.2 Migrantische Beschäftigte und Gewerkschaften früher & heute“ – „Im 2. und letzten Teil der Episode diskutieren wir mit Lisa Carstensen, Professorin für „Globale Politische Ökonomie der Arbeit und Geschlecht“ an der Universität Kassel und Ben Luig von der gewerkschaftsnahen Beratungsorganisation „faire Mobilität“ und dem Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen über historische und aktuelle Herausforderungen von Arbeitsmigration, Gewerkschaften und Demokratie.“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=206633
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