Europäischer Gerichtshof: Kopftuchverbot nicht erlaubt, wenn es Muslime diskriminiert
„Ein Unternehmen darf das sichtbare Tragen religiöser, weltanschaulicher oder spiritueller Zeichen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) unter bestimmten Voraussetzungen verbieten. Ein solches Verbot sei zulässig, wenn diese Regel für alle Arbeitnehmer gelte. Laut dem am Donnerstag in Luxemburg verkündeten Urteil ist eine solche Vorschrift nicht diskriminierend, sofern sie allgemein und unterschiedslos angewandt wird. (C-344/20) „Pauschale Verbote einzelner religiöser Symbole am Arbeitsplatz sind und bleiben verboten“, betonte die Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung, Ferda Ataman, nach dem Urteil. (…) Eine Muslimin, die das islamische Kopftuch trägt, hatte ein Unternehmen wegen Diskriminierung beim Brüsseler Arbeitsgericht angezeigt…“ Meldung vom 13.10.2022 im Migazin und dazu:
- LAG spricht Frau mit Kopftuch AGG-Entschädigung zu: Arbeitsvertrag mit Neutralitätsgebot ist Diskriminierung
„… Ein Arbeitgeber verstößt gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), wenn er einer Muslimin einen Arbeitsvertrag unterbreitet, der ein Neutralitätsgebot enthält. Das hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg in einem jetzt bekannt gewordenen Urteil entschieden (Urt. v. 12.11.2024, Az. 11 Sa 443/24). Die Frau bekommt zwei Monatsgehälter Entschädigung. Die kopftuchtragende Muslimin hatte sich auf eine Stelle als Werkstudentin in einer sozialen Einrichtung beworben. Sie bekam die Stelle zugesagt und einen bereits vom Arbeitgeber unterschriebenen Arbeitsvertrag zugeschickt. Der Vertrag enthielt jedoch eine Neutralitätsformel. In dieser heißt es, der Arbeitgeber trete neutral auf. Das Tragen sichtbarer Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugung am Arbeitsplatz sei daher untersagt. Das gelte auch für sie, erklärte der Arbeitgeber auf Nachfrage. Die Frau sollte zwar nur Recherchen machen und wäre nicht in die sonstigen Arbeiten der Einrichtung eingebunden. Doch ihr Arbeitsraum sei unmittelbar neben dem Gruppenraum und sie sei ins Team eingebunden, was zu Konflikten führen könne, wie ihr Arbeitgeber bemerkte. (…) Das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin hatte die daraufhin geltend gemachte Entschädigung nach dem AGG noch abgelehnt (Urt. v. 18.04.2018, Az. 38 Ca 5915/23). Vor dem LAG bekam die Klägerin nun zwei Monatsgehälter wegen Diskriminierung gem. § 15 Abs. 2 AGG zugesprochen. (…) Das LAG marschiert in seiner Entscheidung fast durch das gesamte Prüfungsschema des AGG: (…) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urt. v. 27.08.2020, Az. 8 AZR 62/19) liege hier eine unmittelbare, nach dem Europäischen Gerichtshof (EuGH, Urt. v. 13.10.2020, Az. C-344/20) eine mittelbare Diskriminierung vor. Diese Differenzierung könne aber schon dahinstehen, so das LAG. Denn in jedem Fall sei die Frau diskriminiert worden. Zwar habe der Arbeitgeber einen bereits unterschriebenen Arbeitsvertrag zugeschickt, aber eben mit dem Neutralitätsgebot. Damit habe der Arbeitgeber „kein uneingeschränktes oder neutrales Angebot unterbreitet“. Er habe vielmehr klargemacht, dass er die klagende Frau nur einstellen werde, wenn sie sich verpflichtet, am Arbeitsplatz und im Betrieb kein Kopftuch zu tragen. Da die Muslimin das Kopftuch auch bei der Arbeit aus religiösen Gründen tragen möchte, liegt nach dem LAG in diesem Anliegen des Arbeitgebers die für den AGG-Anspruch notwendige Benachteiligung wegen der Religion. Gerechtfertigt war die Diskriminierung nach Ansicht der Kammer auch nicht. Denn es sei für eine Werkstudentin, die zu Recherchezwecken eingestellt wird, keine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für diese Tätigkeit: „Die ordnungsgemäße Durchführung dieser Tätigkeit hängt nicht davon ab, ob die Arbeitnehmerin ein islamisches Kopftuch trägt oder nicht“, befand das LAG. (…) Das Gericht verwies darüber hinaus auf die umfassende Rechtsprechung zu Kopftuchverboten, etwa auf die des Bundesverfassungsgerichts. (…) Danach verletzt ein pauschales Kopftuchverbot für Arbeitnehmerinnen deren Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 u. 2 Grundgesetz (GG) auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. (…) Das BAG hatte in einer Entscheidung betont, dass nur bei Anhaltspunkten für „konkrete Störungen“ durch das Tragen eines Kopftuchs betriebliche Neutralitätsvorgaben erlaubt seien…“ Beitrag von Tanja Podolski vom 16. Januar 2025 bei LTO
Siehe auch:
- Dossier: Bundesarbeitsgericht: Pauschales Kopftuchverbot im Unterricht ist diskriminierend
- Wegen Kopftuch von Sicherheitsfirma am Hamburger Flughafen abgelehnt: Muslima erstreitet kein Recht auf Einstellung, aber Schadensersatzanspruch
- Muslima gegen Müller. Bundesarbeitsgericht überweist Klage einer Kopftuchträgerin gegen Drogeriemarkt an Europäischen Gerichtshof (dort verloren)