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Bewertung der Wahlen 2022 in Italien: Wie „post-faschistisch“ ist das rechtsradikale Bündnis und wie gehen Gewerkschaftslinke damit um?

Italien: Il fascismo è reato. L`antifascismo un dovere. (Faschismus ist ein Verbrechen. Antifaschismus als Pflicht.)Bei den der Wahl der italienischen Abgeordnetenkammer wurde am Sonntag, den 25. September 2022, die post-faschistische Fratelli di Italia (FdI) mit 26% der Stimmen stärkste Partei. (…) Damit erringt das rechtsradikale Bündnis insgesamt 43,8% und 235 Sitze. (…) Was erwartet uns nun also von einer Regierung unter Führung Melonis? Eine faschistische Diktatur, das heißt eine präventive Konterrevolution mit der Zerschlagung der Gewerkschaften und linken Parteien sowie ihrer Medien? (…) Als erste Beiträge zur Klärung dieser Fragen bringen wir hier im Folgenden die Übersetzung von drei Einschätzungen aus der italienischen Gewerkschaftslinken, präzise von den Basisgewerkschaften USB und SI Cobas sowie von Giorgio Cremaschi, der lange einer der führenden Köpfe der größten italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM und des linken Flügels des Dachverbandes CGIL war, bevor er aus Kritik an der neuen Sozialpartnerschaftlichkeit der FIOM zur USB wechselte und darüber hinaus auch in linken Wahlbündnissen (zunächst in Potere al Popolo und nun mit dieser in der Unione Popolare) aktiv ist…“ Aus dem Vorwort des Gewerkschaftsforums Hannover vom 27.9.2022 zu den o.g. Übersetzungen – wir danken und freuen uns auf die Fortsetzung!

Vorwort des Gewerkschaftsforums Hannover

Bei den der Wahl der italienischen Abgeordnetenkammer wurde am Sonntag, den 25. September 2022, die post-faschistische Fratelli di Italia (FdI) mit 26% der Stimmen stärkste Partei. Ihre Bündnispartner, die rechtspopulistische, vor allem norditalienische Lega erhielt 8,8% die Reste von Silvio Berlusconis Forza Italia immerhin noch 8,1%, die kleine Gruppierung „Noi Moderati“ (Wir Gemäßigte) kam auf 0,9%. Damit erringt das rechtsradikale Bündnis insgesamt 43,8% und 235 Sitze. Großer Gewinner auch innerhalb der strammen Rechten sind die Fratelli di Italia die ihren Partnern Lega und Forza Italia massiv Wählerstimmen abnahmen und die Lega damit in eine tiefe Krise stürzen, die möglicherweise zum Sturz ihres Chefs Matteo Salvini führen wird.

Die sogenannte „Mitte-Linke“ kommt zusammen auf magere 26,1% und 80 Sitze. Stärkste Kraft dieses Lagers ist die Demokratische Partei (PD) mit 19,1,%, die rot-grüne Assoziation 3,6%, die expliziten Pro-EU-Kämpfer von +Europa sammelten 2,8% und der ehemalige Außenminister Di Maio, der sich wegen der Regierungskritik seiner ehemaligen Partei der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) zusammen mit 50 Abgeordneten (!) von dieser abgespalten hatte, ging mit seiner Mini-Partei Impegno Civico (Bürgerschaftliches Engagement) mit 0,6% baden.

Die allein angetretene Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) von Giuseppe Conte und Beppe Grillo verliert im Vergleich zur letzten Wahl zwar auch massiv, erholte sich allerdings aus ihrem Tief in den Umfragen, wo sie zwischenzeitlich bei 11% lagen, und erreichte am Wahlabend 15,4%, was 51 Parlamentssitze bedeutet.

Die neoliberale selbsternannte „dritte Kraft“ bzw. „dritter Pol“ des Ex-Ferrari-Managers und ehemaligen Führungsmitglieds des wichtigsten Kapitalistenverbandes Confindustria Carlo Calenda Azione + IV landete am Ende mit 7,8% und 21 Abgeordneten nur auf dem vierten Platz.

Die neu gegründete radikal-linke Unione Popolare kam nur auf 1,4% der Stimmen und scheiterte ebenso an der Drei-Prozent-Hürde wie eine Querdenker-Partei und andere kleine Listen.

Fast genau 100 Jahre nach der Machtübernahme bzw. Machtübertragung an die Mussolini-Faschisten im Oktober 1922 schickt sich mit Giorgia Meloni eine ehemalige Aktivistin des neofaschistischen MSI und seit 2014 Parteiführerin der Nachfolgeorganisation Fratelli di Italia (FdI) an, Regierungschefin in Italien zu werden. Haben wir es mit einem neuen „Marsch auf Rom“ zu tun? Dieses Mal von den „Brüdern Italiens“ (FdI) im Bündnis mit der rechtspopulistischen Lega von Matteo Salvini und Silvio Berlusconis geschrumpfter Forza Italia?

Die bürgerliche Presse in Deutschland zumindest reagiert alarmiert: „Wird Italien faschistisch?“, fragte sich die „Frankfurter Rundschau“ am 24.September 2022. „Italien vor dem radikalen Rechtsruck“ lautete der Titel eines großen Artikels in der „Hannoverschen Allgemeine“ vom 25. August 2022. „Ein banger Blick auf Italien“, verunsicherte am 17.9.2022 den Rom-Korrespondenten der „Frankfurter Allgemeine“. Auch wenn sich die Meloni „zuletzt moderat gab“, „gibt es in ihrer Koalition andere unsichere Kantonisten“.

Die „Süddeutsche Zeitung“ schilderte am 28. Juli 2022 wie die Wahlkampfveranstaltungen der „Postfaschistin, die vielleicht Draghi nachfolgt“, aussehen: „In einer reißenden Kaskade brechen Schimpftiraden aus ihr heraus: gegen die ‚Bürokraten aus Brüssel‘, gegen die ‚Masseninvasion von Migranten‘ natürlich, gegen die ‚Lobby der LGTB‘, gegen die ‚Islamisierung unserer christlichen Identität‘.“

Gegenüber der „FAZ“ betonte die FdI-Chefin: „Wir werden keine verrückten Dinge tun. Wir wollen Europa nicht zerstören, wir wollen Europa nicht verlassen.“ Es gehe darum, ein „Europa der Vaterländer“ zu schaffen. Und gemeinsam mit den NATO-Verbündeten werde Rom weiter an der „Seite der Ukraine angesichts der Aggression der Russischen Föderation stehen“. Die Fratelli di Italia „waren sind und bleiben der Garant für diese Position im Ukrainekonflikt“ („FAZ“ 7.9.2022).

Kurz vor den Parlamentswahlen wies das wichtigste Presseorgan der deutschen Bourgeoisie ihre Leserschaft in einem Leitartikel jedoch auch auf den speziellen politischen Charakter der möglichen künftigen Ministerpräsidentin hin: „Aber Meloni ist eben auch die prominenteste Politikerin der extremen Rechten, sie liebäugelt mit Viktor Orbán und geht nur halbherzig auf Distanz zum italienischen Faschismus.“ (21.9.2022)

Was erwartet uns nun also von einer Regierung unter Führung Melonis? Eine faschistische Diktatur, das heißt eine präventive Konterrevolution mit der Zerschlagung der Gewerkschaften und linken Parteien sowie ihrer Medien? Razzien, Massenverhaftungen, Internierungslager? Neue Rassengesetze und ganz allgemein die Verfolgung vermeintlich unitalienischer bzw. abartiger Elemente und entarteter Kunst im Namen der „italienischen, europäischen und westlichen kulturellen Identität“, die Meloni im Gespräch mit der „FAZ“ betonte? Oder weil sie und ihre Kameraden in Sachen imperialistischer Krieg und (NATO)-Politik „tun, was getan werden muss“ („FAZ“ 7.9.2022)?

Als erste Beiträge zur Klärung dieser Fragen bringen wir hier im Folgenden die Übersetzung von drei Einschätzungen aus der italienischen Gewerkschaftslinken, präzise von den Basisgewerkschaften USB und SI Cobas sowie von Giorgio Cremaschi, der lange einer der führenden Köpfe der größten italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM und des linken Flügels des Dachverbandes CGIL war, bevor er aus Kritik an der neuen Sozialpartnerschaftlichkeit der FIOM zur USB wechselte und darüber hinaus auch in linken Wahlbündnissen (zunächst in Potere al Popolo und nun mit dieser in der Unione Popolare) aktiv ist.

Vorwort des Gewerkschaftsforums Hannover vom 27.9.2022

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Gewerkschaftsforum Hannover:

Die größte Basisgewerkschaft USB (Basisgewerkschaftsunion) veröffentlichte am 26. September 2022 um 15:02 Uhr auf ihrer Homepage (www.usb.it externer Link) die folgende Stellungnahme zum Ausgang der italienischen Parlamentswahlen vom Vortag:

Wahlen: Die Draghi-Gegner haben gewonnen.
Aber die neue Regierung bereitet sich darauf vor, in Draghis Fußstapfen zu treten!

Wieder einmal, wie schon bei den Parlamentswahlen 2018 gewannen die Kräfte, die das Gefühl vermittelten, den Protest zu repräsentieren und die Ungeduld der Bevölkerung zu interpretieren. Gewonnen hat ((Giorgia)) Melonis Partei, die sich nicht an der sehr breiten Pro-Draghi-Koalition beteiligte. Und die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) von ((Giuseppe)) Conte, die sich von Draghi distanzierte und damit die Regierungskrise auslöste, die zu den Wahlen führte, gewann einen großen Teil der Zustimmung zurück. Auf der anderen Seite haben alle Kräfte, die die Regierung der Banker stark unterstützten, angefangen bei der Demokratischen Partei (PD), verloren, was die wachsende Kluft zwischen dem Establishment und der Stimmung in weiten Teilen des Landes bestätigt.

Hatten sich 2018 die beiden siegreichen Parteien bei den Wahlen mit einem Programm präsentiert, das sich deutlich von dem der damaligen Regierung unterschied, so gewinnen nun die Fratelli d’Italia (FdI) die Wahlen mit einem Programm, das im Wesentlichen mit dem der Regierung Draghi übereinstimmt. Damals war das Eingreifen des Präsidenten der Republik notwendig, der sogar die Wahl der Minister beeinflusste, und die von der Europäischen Kommission gesetzten Pflöcke brachten die beiden „Anti-System-“ Parteien ((Lega + M5S)) anlässlich des Haushaltsgesetzes am Ende des Jahres wieder in Reih & Glied. Stattdessen schlagen die FdI-Exponenten bereits heute einen Austausch mit den Ministern der Draghi-Regierung vor, um das Finanzgesetz gemeinsam zu verfassen.

Denn in Wirklichkeit bereitet sich die von Meloni geführte Regierung darauf vor, im Zeichen der Kontinuität zu regieren. Sowohl im Bereich der Außenpolitik und der Finanzierung der NATO-Aufrüstung als auch im Bereich der Wirtschaftspolitik.

Auf der linken Seite scheiterten die Formationen, die eine Systemalternative vorschlugen, an der 3 %-Hürde, wahrscheinlich aufgrund der kurzen Zeit, die ihnen zur Verfügung stand. Unbestreitbar erfolgreich war dagegen die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), die ein radikales Programm mit Vorschlägen vorlegte, die oft geteilt werden konnten. Es wird sich nun zeigen müssen, ob es sich dabei um reine Wahltaktik handelt oder ob die Anhänger von Beppe Grillo ernsthaft einen Kurs eingeschlagen haben, der nicht mit ihrer kürzlichen Regierungszeit übereinstimmt.

Die große Frage der Löhne und der steigenden Preise (und Rechnungen), die das Thema der kommenden Wochen ist, wird die nächste Regierung auf die Probe stellen. Vorschläge für eine ernsthafte Diskontinuität gibt es im Wahlprogramm der FdI nicht: Kürzung des Steuerkeils, Flat Tax, Angriff auf das Bürgergeld (Reddito di Cittadinanza) und dann viel Gerede über die erneute Diskussion des ((mit EU-Auflagen und Milliarden-Summen verbundenen)) Nationalen Planes für Aufschwung und Resilienz (PNRR). Dies sind nicht mehr und nicht weniger als die Ideen, die in der Regierung Draghi kursierten und bereits in den Vorschlägen des Industriellenverbandes Confindustria und eines großen Teils der scheidenden Parlamentsmehrheit enthalten sind.

Sobald der Wahlkater vorbei ist, kommt die Realität der Probleme wieder auf den Tisch, die durch die Fortsetzung des Krieges und eine bevorstehende Rezession mit Tausenden von Entlassungen und einem schweren Angriff auf die allgemeinen Lebensbedingungen von Millionen von Menschen immer deutlicher wird.

Die USB hat bereits für den 2. Dezember 2022 gemeinsam mit der übrigen Welt der Basisgewerkschaften einen Generalstreik ausgerufen. Wir wissen noch nicht, wie die nächste Regierung aussehen wird und welche ersten Entscheidungen sie treffen wird, aber aus ihrem Programm und dem gerade zu Ende gegangenen Wahlkampf ist es nicht schwer zu erraten, wie sie sich verhalten wird. Deshalb ist es notwendig, die größtmögliche Mobilisierung zu erreichen.

Wir werden auf den Straßen und Plätzen auch diejenigen finden, die den Sturz der Draghi-Regierung nicht wollten und im Juli dazu aufriefen, Draghi im Amt zu halten. Wir werden diejenigen wiederfinden, die das Establishment unterstützten und den Rechtsruck des allgemeinen Klimas im Lande begünstigten, indem sie Meloni die Regierung überließen. Es wird gut sein, sich dies in Erinnerung zu rufen, um nicht neuen Einheitsillusionen zu erliegen und die Unabhängigkeit und Klarheit unserer Ziele zu bewahren. Zuallererst: Die Waffen nieder und die Löhne rauf.

Unione Sindacale di Base
Rom 26/9/22
(Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in doppelten Klammern: Gewerkschaftsforum Hannover, Kontakt: gewerkschaftsforum-H@web.de)

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Gewerkschaftsforum Hannover:

Die 2010 gegründete und insbesondere im Logistikbereich starke und dank ihres engagierten und kämpferischen Auftretens betrieblich sehr erfolgreiche Basisgewerkschaft SI Cobas veröffentlichte auf ihrer Website (https://sicobas.org externer Link) am 24.Februar 2022 (d.h. einen Tag vor dem Urnengang) die folgende Stellungnahme zu den anstehenden italienischen Parlamentswahlen.

Die Berufgruppenübergreifende Gewerkschaft der Basiskomitees SI Cobas, so der volle Name, ist in 21 (vor allem norditalienischen) Städten mit Gewerkschaftslokalen vertreten. Ihre Mitgliederzahl wurde 2019 auf 40.000 geschätzt. Darunter sind viele Migranten.

Weder „befreundete“  Regierungen noch „befreundete“ Listen.
Für einen Herbst des Kampfes gegen Krieg, Ausbeutung und hohe Lebenshaltungskosten:
2/12 Generalstreik!

WIR HABEN KEINE „BEFREUNDETEN“ REGIERUNGEN ODER WAHLLISTEN.

LASST UNS EINEN HERBST DES KAMPFES GEGEN KRIEG, AUSGLIEDERUNG UND AUSBEUTUNG AUFBAUEN.

AM 2. DEZEMBER IST GENERALSTREIK!

IN DER ZWISCHENZEIT… LASST UNS DIE STRASSEN UND PLÄTZE FÜLLEN!

Am vergangenen Sonntag diskutierten Hunderte von Arbeitern, Studenten und Arbeitslosen auf einer gut besuchten Versammlung, die von SI Cobas im Dumbo-Raum in Bologna veranstaltet wurde, über die dramatische politische und soziale Phase dieser Monate und die Notwendigkeit, eine Agenda des proletarischen Kampfes und der Mobilisierung aufzustellen, die den heutigen Aufgaben entspricht. Der schwindelerregende Anstieg der Energie- und Rohstoffpreise (größtenteils das Ergebnis eines gigantischen Spekulationsstrudels), die Verschärfung der Repression und die Kriminalisierung von Streiks sowie der umfassende Angriff auf den direkten Lohn. Die indirekten Löhne und die dürftigen sozialen Dämpfer für die Arbeitslosen (vor allem die rücksichtslose Kampagne der Bosse, der Medien und eines großen Teils des parlamentarischen Bogens gegen das Bürgergeld) sind das vergiftete Produkt des blutigen Kampfes, der sich zwischen den wichtigsten imperialistischen Polen auf internationaler Ebene abspielt: ein Konflikt, der heute sein Epizentrum im Stellvertreterkrieg zwischen der NATO und Russland auf ukrainischem Boden hat, der aber mit dem Fortschreiten der kapitalistischen Krise jeden Tag mehr Hungersnöte, Epidemien, Katastrophen und militärische Spannungen hervorbringt.

Die Klimakrise, das Ergebnis jahrzehntelanger Plünderung der natürlichen Ressourcen im Namen des Profits, sowie die Gesundheitskrise (das von den Medien und der institutionellen Politik „vergessene“ Covid-Virus fordert weiterhin täglich Opfer und verursacht mittel- und langfristige Schäden) sind nichts anderes als ein Anheizen des globalen Chaos und der Barbarei.

Dies ist der dramatische Kontext, der zum Sturz der Regierung Draghi und zu einem weiteren Wahltheater geführt hat, das einer wahrscheinlichen Bestätigung der reaktionären, auf nationale Souveränität pochenden und obskurantistischen Rechten vorausgeht.

Diejenigen, die sich wie wir vor nur vier Jahren auf den Straßen und Plätzen und am Arbeitsplatz ((des Lega-Chefs und ex-Innenminister)) Salvinis berüchtigtem Sicherheitsdekret mit seiner Ladung an rassistischem und arbeiterfeindlichem Hass entgegenstellten, sind sich voll und ganz bewusst, dass die Arbeiter und Arbeiterinnen bereits in den kommenden Wochen zur Mobilisierung aufgerufen sein werden, um sich einer neuen Welle von Gift gegen eingewanderte Arbeiter, gegen Frauen (beginnend mit einem neuen, wütenden Angriff auf den Artikel 194 und das Recht auf Abtreibung) und ganz allgemein gegen alle Unterdrückten entgegenzutreten und sie zu stoppen.

Wie auf der Versammlung deutlich wurde, verbirgt sich hinter der populistischen Rhetorik von Giorgia Meloni und ihren Mitstreitern ein neuer Plan des sozialen Gemetzels: Der Angriff auf das Bürgergeld Reddito di Cittadinanza ist nichts anderes als ein Instrument, um noch mehr Reichtum aus den Taschen der Proletarier in die der Bosse (kleine, mittlere und große) zu transferieren und jene Flat-Tax zu verwirklichen, die schon immer der Traum des Industriellenverbandes Confindustria und des „Volkes“ der großen Steuerhinterzieher war, das heißt derjenigen, die die Arbeitskraft auf dem Schwarzmarkt und/oder zu Hungerlöhnen ausbeuten.

Der wahrscheinliche Amtsantritt einer rechten Regierung ändert jedoch nichts an der Richtung, die in den letzten Jahrzehnten von allen bürgerlichen Regierungen eingeschlagen wurde, zuletzt von Draghis Governissimo ((die ganz große Regierung der „Frankenstein-Koalition“, die von der Lega über Forza Italia die Demokratische Partei und Fünf-Sterne-Bewegung bis zu den linken Sozialdemokraten von LeU reichte)), der seit einem Jahr im Namen und im Auftrag des Großkapitals und gegen die Arbeiter regiert, mit der Unterstützung von 90 % des Parlaments und denselben politischen Kräften, die bei diesen Wahlen antreten (von der PD bis zu Renzi, von den 5 Sternen bis zu den selbsternannten „Linken“, von Berlusconi bis zu Salvini), aber vor allem mit der offenen und beschämenden Komplizenschaft der Gewerkschaftsbünde CGIL-CISL-UIL.

Diese Subjekte sind also eingeschworene Arbeiterfeinde und zwar nicht weniger als Meloni. Dieselben selbsternannten „Anti-System“-Kräfte haben als einzigen oder wichtigsten Bezugspunkt das von der Krise in die Zange genommene Kleinbürgertum oder ein allgemeines „Volk“, einen interklassischen Kessel, in dem die spezifischen und autonomen Interessen der Arbeiter und Proletarier verschleiert und verwässert erscheinen. In einem solchen „Zirkus des Schreckens“ haben Werktätige, Arbeitslose und Studenten, die immer mehr zum Kanonenfutter des Kapitals werden (wie der Tod sehr junger Studenten, die zu ((ausbeuterischen)) Schulpraktika gezwungen werden, beweist), keinen Raum und keine Chance, ihre Forderungen und Bedürfnisse zu äußern.

Wie auf der Versammlung mehrfach betont wurde, zeigt die anderthalb Jahrhunderte währende Geschichte der Arbeiterbewegung, dass der Kampf und keinesfalls die Wahl das einzige Instrument ist, das den Ausgebeuteten zur Verfügung steht, um ihre Interessen durchzusetzen. In zahlreichen Redebeiträgen der Anwesenden (Logistiker, Umweltschützer und Kostengegner von Plat und Iskra, Arbeitslose der neapolitischen Bewegung 7. November, FGC-Studenten) wurde die Notwendigkeit einer sofortigen Antwort auf die hohen Lebenshaltungskosten hier und jetzt betont und ein illusorischer und schädlicher „Frieden wegen der Wahlen“ abgelehnt.

Unter diesem Gesichtspunkt können die Initiativen, die in den letzten Wochen in vielen Städten mit der Verbrennung von Rechnungen und der Entstehung der ersten „Ich zahle nicht!“-Netzwerke (in Verbindung mit ähnlichen Initiativen, die sich in England und Spanien entwickeln) gefördert wurden, einen wertvollen Ausgangspunkt für die Entwicklung einer echten Bewegung darstellen, die in der Lage ist, die Straßen ab Herbstbeginn und in den Tagen unmittelbar nach den Wahlen zu beleben.

Gleichzeitig wirft der Notstand bei Löhnen und Sicherheit am Arbeitsplatz die Frage nach der Wiederaufnahme eines allgemeinen Kampfes für Lohnerhöhungen mindestens in Höhe der Inflation (Lohnskala), für einen garantierten Lohn für Arbeitslose und für eine Wiederaufnahme der Konfrontation und Mobilisierung gegen Tod und Schädigung am Arbeitsplatz auf (Vito Totires Intervention ist in dieser Hinsicht von Bedeutung).

Schließlich die Frage der Unterdrückung gewerkschaftlicher und sozialer Kämpfe, die in diesem Sommer mit der Theorie der Staatsanwaltschaft von Piacenza, die zu Hausarrest gegen vier SI-Cobas-Führer führte, um eine neue, unrühmliche Seite bereichert wurde: In dieser Hinsicht ist die vom Gericht von Bologna beschlossene Aufhebung der Verhaftungen ein wichtiger Sieg, aber wir können die Tatsache nicht ignorieren, dass diese Genossen immer noch verpflichtet sind, für das Verbrechen der „privaten Gewalt“ zu unterschreiben, d.h. für die Durchführung und Organisation von Streiks zur Verteidigung der Werktätigen.

Aus diesen Gründen nahm die Versammlung den Vorschlag der SI Cobas an, im Einvernehmen mit den anderen gewerkschaftlichen Basisorganisationen den nationalen Generalstreik für den kommenden 2. Dezember auszurufen.

Diese Annäherung hebt die Kritik und die Vorbehalte nicht auf, die wir bei mehreren Gelegenheiten (und in demselben Aufruf für die Versammlung in Bologna) gegen die Entscheidung fast aller Basisgewerkschaften geäußert haben, den Streik um mehr als einen Monat zu verschieben und damit die Zeiten der bürgerlichen Politik und die Logik des „Friedens aufgrund der Wahlen“ zu akzeptieren und zu ertragen.

Da es jedoch nicht unsere Gewohnheit ist, unser eigenes Urteil über das allgemeine Interesse von Millionen von Arbeitern an einem echten, breiten und partizipatorischen Streik zu stellen, haben wir obtorto collo ((gegen den Willen)) die Orientierung akzeptiert, die unter den anderen Basisgewerkschaften weit verbreitet ist.

Es wäre jedoch ein großer Fehler, sich darauf zu beschränken, den Streik in zweieinhalb Monaten auszurufen und in der Zwischenzeit untätig zu bleiben: Der Streik kann wirklich allgemein sein, er kann wirklich „den Manövrierenden stören“, wenn er in der Lage ist, wirklich bedeutende Sektoren von Arbeitern, Arbeitslosen und Studenten im Rahmen desselben „Aktionsplans“ zu aktivieren: Andernfalls läuft er Gefahr, wieder nur als der übliche Herbsttermin zu erscheinen, der wie eine Liturgie mit feierlichen Tönen eingeleitet wird, ohne jedoch ein Zeichen in Bezug auf die Machtverhältnisse zu hinterlassen.

Aus diesem Grund hat die Versammlung in Bologna auf der Grundlage der Vorschläge und Hinweise in den verschiedenen Redebeiträgen eine Reihe von nationalen Terminen für die kommenden Wochen beschlossen:

  • 16. Oktober: Nationale Konferenz zum Ukraine-Krieg in Rom.
  • 22. Oktober: Demonstration in Bologna und Konferenz zur Gründung des „Nationalen Netzes für sichere Arbeit“ in Florenz.
  • 5. November: Demonstration in Neapel.
  • 3. Dezember, nach dem Generalstreik: nationale Demonstration in Rom gegen den Krieg, die Kriegsregierungen und die Kriegswirtschaft.

Wir verstehen diese Schritte als Etappen der Annäherung und Vervollständigung des Weges des Aufbaus des Generalstreiks, zu dem hoffentlich weitere Termine der Konfrontation und des Kampfes hinzukommen werden, die darauf abzielen, seinen Inhalt in den Betrieben und Territorien zu stärken und zu verwurzeln.

Nationale Koordination des SI Cobas
(Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in doppelten Klammern: Gewerkschaftsforum Hannover, Kontakt: gewerkschaftsforum-H@web.de)

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Gewerkschaftsforum Hannover:

Während sich in Westeuropa Regierungsmitglieder und bürgerliche Medien große Sorgen darüber machen, dass mit Giorgia Meloni eine ehemalige Neofaschistin italienische Ministerpräsidentin wird und welche Linie sie fährt, blickt die Biden-Administration ganz entspannt auf diese Option.

Die US-Demokraten sehen in Meloni, die seit ihrem 15. Lebensjahr in der extremen Rechten aktiv war, eine treue NATO-Verbündete und eine wichtige Bremserin bei der politischen Einigung und Zentralisierung des europäischen Imperialismus in Gestalt der EU. Probleme mit den viel beschworenen „westlichen Werten“ haben sie dabei nicht. Die USA wollen vielmehr „Russenfreunde“ wie Lega-Chef Matteo Salvini und Forza Italia-Patron Silvio Berlusconi in der künftigen Rechtsaußen-Regierung klein oder – besser noch – ganz draußen halten.

Mit dieser Tatsache und der gar nicht so großen politischen Entfernung zwischen Giorgia Meloni und dem scheidenden Regierungschef und ehemaligen EZB-Gouverneur Mario Draghi, der nächster Staatspräsident werden könnte, beschäftigt sich der prominente Gewerkschaftslinke Giorgio Cremaschi in dem folgenden Kommentar, den das kommunistische Online-Magazin „Contropiano“ (www.contropiano.org externer Link) am 6. September 2022 brachte.

Der 74jährige Politikwissenschaftler Giorgio Cremaschi war lange Führungsmitglied der größten Metallarbeitergewerkschaft Italiens FIOM und einer der Köpfe der Gewerkschaftslinken im Dachverband CGIL. Er verließ sie vor einigen Jahren aufgrund der sozialpartnerschaftlichen Entwicklung der FIOM und wechselte zur linken Basisgewerkschaft USB. Außerdem zählt er zu den bekanntesten Mitgliedern der Wahlbündnisse Potere al Popolo und nun Unione Popolare.

Die Regierung Draghi-Meloni

Hillary Clintons Worte zugunsten von Giorgia Meloni waren ein Signal an das gesamte Establishment und die großen Zeitungen.

Die Führerin der Fratelli d’Italia ist nicht mehr „Erbin des Faschismus“, sondern „eine von Margaret Thatcher inspirierte Konservative“, die ein Idol für die liberale Welt ist. Aber wenn man von Almirante ((dem verstorbenen Chef des neofaschistischen MSI)) zum reaktionärsten britischen Premierminister der Nachkriegszeit übergeht, ist das ein weiterer Schritt nach rechts.

Der Wettlauf um die Unterstützung des vermeintlichen Gewinners, der alle Jahreszeiten des italienischen Transformismus kennzeichnet, hat begonnen, und der Dreh- und Angelpunkt dieser Operation ist Mario Draghi.

Vor Bankern und Industriellen in Cernobbio lobte Meloni den Ministerpräsidenten in den höchsten Tönen und behauptete, dass seine einzige Einschränkung die Kräfte seien, die ihn unterstützten. Mit ihr wird die Draghi-Agenda ihre wahre Umsetzung erfahren.

Andererseits sind die Fratelli D’Italia zusammen mit der Demokratischen Partei (PD) die Partei, die den Krieg gegen Russland, für den Draghi steht, am fanatischsten vertritt. Und Meloni ist auch die stärkste Befürworterin der Haushaltsdisziplin des Regierungschefs.

Draghi seinerseits tut nichts, um diese Akkreditierung Melonis ihm gegenüber zu dementieren. Im Gegenteil, er lässt aus befreundeten Zeitungen – und zwar fast allen – durchblicken, dass er in ständigem Kontakt mit der Frau steht, die für ihn unter seiner Garantie und seinem Schutz Premierministerin werden soll.

Und es kommt der Zweifel auf, dass dieser herzlichen Nähe auch die Aussicht auf Draghi als Präsident der Republik zugrunde liegt, mit Giorgia Meloni als seiner ersten Wählerin.

Auf jeden Fall ist sicher, dass die Führerin der reaktionären Rechten heute vielleicht mehr Draghi-Anhängerin ist als ((der ehemalige Ferrari-Manager und ex-Minister Carlo)) Calenda, der nicht verstanden hat, dass Draghi es vorzieht, der Lordprotektor der Republik zu sein, während er auf die höchsten Ämter wartet, anstatt die Beleidigungen der vielen zu ertragen, die nicht mehr in der Lage sein werden, ihre Rechnungen zu bezahlen.

Kurz gesagt, der Palast arbeitet an einer Draghi-Meloni-Regierung, inhaltlich und über die Formalitäten der Ernennungen hinaus. So viel zum armen ((PD-Generalsekretär Enrico)) Letta, der sich weiterhin als Paladin der Banker präsentiert, die ihn stattdessen abserviert haben – so wie es ein Finanzunternehmen mit einer bankrotten Firma tun würde.

Das sind Schlussfolgerungen für diejenigen, die wählen werden.

Giorgia Meloni betrügt, wenn sie sich als diejenige präsentiert, die das Volk (wenn auch das rechte Volk) in den Palazzo bringen wird. Sie ist eine weitere Investition der Eliten in die Kontinuität ihrer Macht, in unterschiedlichen Formen.

Die Elite hat gelernt, sich des rüpelhaftesten Populismus zu bedienen, der sich gegen das Bürgergeld (Reddito di Cittadinanza), die Renten und die Arbeitnehmerrechte richtet, die allesamt als Privilegien der Faulen dargestellt werden, während diejenigen, die jeden Tag für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen, unterdrückt werden.

Und mit dem Krieg hat der Palazzo auch den militaristischen Patriotismus, die Gewehre und die Fanfaren, die Melonis rechtem Flügel so lieb sind, wieder entstaubt. Die aus diesem Grund leicht von Draghi kooptiert werden kann. Das ist alles andere als eine Veränderung.

Was die ((rechtssozialdemokratische)) PD anbelangt, so ist sie derzeit die nutzloseste Partei in der Republik. Sie dient Draghi nicht mehr, sie ist nutzlos und hat noch nie etwas gegen Draghi, Meloni und ihre Vereinbarung über Krieg und Austerität ausrichten können.

Diejenigen, die eine Alternative zur Regierung Draghi-Meloni wollen, sollte uns von der Unione Popolare unterstützen. Wir wissen genau, wofür diese beiden stehen und warum sie sich zusammengetan haben.

(Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in doppelten Klammern: Gewerkschaftsforum Hannover, Kontakt: gewerkschaftsforum-H@web.de)

Siehe auch:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=204776
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