Bei TikTok in Berlin ist – nach juristischem Widerstand – der Weg frei für Betriebsratswahlen, Kritik am niedrigen Gehalt und toxischer Arbeitsatmosphäre

Dossier

Harte Zeiten erfordern starke BetriebsräteBeim Social-Media-Riesen TikTok am Standort Berlin kann ab sofort ein Betriebsrat gewählt werden (…)  Mehr als 100 Beschäftigte hätten sich an der Wahl eines Wahlvorstands beteiligt, die am Montag (11. Juli 2022) in der ver.di-Bundesverwaltung in Berlin stattgefunden habe. (…) TikTok stehe wegen schlechter Bezahlung und stark belastenden Arbeitsbedingungen weltweit in der Kritik. Eine zuvor digital durchgeführte Wahlvorstandsgründung sei am rechtlichem Widerstand des Arbeitgebers gescheitert, heißt es weiter. Bereits vor mehr als einem Jahr, mitten in der Pandemie, sei demnach ein erster Versuch unternommen worden, eine Versammlung zur Betriebsratsgründung abzuhalten. Weil das Betriebsverfassungsgesetz jedoch eine Präsenzwahl vorsehe, sei das erste digital abgehaltene Treffen im März 2021 nicht als Versammlung zur Wahl des Wahlvorstandes anerkannt und auf Veranlassung von TikTok von zwei Arbeitsgerichtsinstanzen für ungültig erklärt worden…“ ver.di-Pressemitteilung vom 12.07.2022 externer Link und mehr dazu:

  • Betriebsrat bei Tiktok: »Dinge zu verändern, braucht Zeit«. Hinter der digitalen Plattform Tiktok arbeiten Menschen. New
    Christian Lelek hat mit dem Berliner Tiktok-Betriebsrat in Neues Deutschland online vom 13. September 2024 gesprochen externer Link, der die Frage, ob auch bei Tiktok im Zweifel Verbesserungen eher individuell mit dem Chef aushandelt werden könnten, wie folgt beantwortet: „Das gilt sicherlich eher für klassische Start-ups, die noch nicht so viele Beschäftigte haben. Tiktok ist ein globales Unternehmen mit vielen Tausend Mitarbeiter*innen. Das Unternehmen bietet zwar durchaus flexible Arbeitsbedingungen, die man auch mal mit dem*der Vorgesetzten temporär anpassen kann, aber es ist ja auch im Sinne der Fairness und des Betriebsfriedens, dass nicht jede*r nur für sich andere Bedingungen aushandeln kann. Daher hilft es, einen Betriebsrat zu haben, der für viele Beschäftigte Verbesserungen erreichen kann. (…) [Die] Gesundheit, vor allem die mentale Gesundheit, ist definitiv einer der wichtigsten Punkte für die meisten Kolleg*innen. Ansonsten sind es Themen wie Leistungsdruck und Konflikte innerhalb der Belegschaft, die uns beschäftigen. Der Betriebsrat kann dabei einerseits individuell beraten und helfen und auch zwischen Kolleg*in und Unternehmen vermitteln. Andererseits schauen wir uns natürlich die Rahmenbedingungen an, denn viele verschiedene Faktoren beeinflussen zum Beispiel die Gesundheit der Mitarbeiter*innen. Da geht es um ganz unterschiedliche Themen wie Arbeitsverdichtung und Überstunden, mobiles Arbeiten, Leistungsbeurteilungen oder auch fehlende Anerkennung, um nur ein paar zu nennen. Viele der Themen kann man durch Betriebsvereinbarungen in einen passenden Rahmen gießen, um einheitliche Regelungen zu schaffen. (…) Ja, bei Tiktok läuft alles schneller ab. Strukturen, Projekte und Ziele können sich schnell ändern. Für die Betriebsratsarbeit kann das durchaus herausfordernd sein, da man teilweise sehr schnell verstehen muss, welche Auswirkungen das auf die Belegschaft haben könnte. Zudem ist die Unternehmenssprache Englisch. Gesetzestexte sind aber natürlich auf Deutsch. Daher findet der Großteil unserer Kommunikation zweisprachig statt. Da können Feinheiten durchaus auch mal in der Übersetzung verloren gehen. (…) Es kann passieren, dass man vor allem an persönliche Grenzen stößt. Denn der meisten aus dem Betriebsratsgremium machen ja weiterhin den Job, für den sie eingestellt wurden. Die Betriebsratsarbeit kommt dabei noch obendrauf. Das kann durchaus zu Überlastung und Mehrarbeit führen. Es ist gar nicht so einfach, eine vernünftige Balance zu finden, um den Job weiterhin gut zu machen, aber gleichzeitig auch gute Betriebsratsarbeit zu machen. Eine andere Grenze ist natürlich, dass wir in einem globalen Unternehmen agieren und einen vergleichsweise kleinen Teil der Belegschaft repräsentieren. Da stößt man vor allem rechtlich schnell an Grenzen. Da würde es schon mal helfen, wenn die Politik die Rechte von Europäischen Betriebsräten (also die Arbeitnehmervertretung in grenzüberschreitenden Unternehmen, Anm. d. Red.) stärkt. (…) An der Tür unseres Betriebsratsbüros hängt ein »Calvin & Hobbes«-Comic. Da sagt die Mutter zu Calvin: »Life could be worse.« (Das Leben könnte schlechter sein, Anm. d. Red.) Und Calvin antwortet: »Life could be a lot better too.« (Das Leben könnte auch viel besser sein.) Das beschreibt unsere Arbeit und unsere Ziele eigentlich ganz gut. Wir haben bereits durchaus gute Arbeitsbedingungen bei Tiktok erreicht. Aber es geht natürlich immer noch besser. Wir wollen uns also nicht ausruhen auf dem bisher Erreichten, sondern uns weiterhin für Verbesserungen einsetzen…“
  • TikTok hat erstmals einen Betriebsrat
    Die 450 Mitarbeiter/innen der TikTok Germany GmbH in Berlin haben erstmals einen Betriebsrat gewählt. Nach der gelungenen Wahlversammlung im Juli erzielte die ver.di-Liste am 12. Oktober mit überwältigender Mehrheit 9 von elf Sitzen im 11-köpfigen Betriebsrat bei TikTok. Die beiden Konkurrenzlisten erhalten jeweils einen Sitz. „Mit diesem Ergebnis können wir sehr zufrieden sein, denn alle Bereiche der Belegschaft sind im Betriebsrat repräsentiert. Die Führungsebene und Administration haben die Wahl sehr unterstützt. Auf allen Monitoren wurde zur Wahl aufgerufen. Das ist eine gute Basis für die jetzt beginnende Betriebsratsarbeit. Am 18. Oktober wird der Betriebsrat mit der konstituierenden Sitzung sein Amt antreten – ver.di wird die Kolleginnen und Kollegen natürlich weiterhin begleiten und unterstützen”, resümiert die für TikTok zuständige ver.di-Gewerkschaftssekretärin Kathlen Eggerling. Nach jahrelangem Hin und Her ist es durch ver.di-Unterstützung gelungen, einen Betriebsrat bei TikTok zu wählen. Er soll dabei helfen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und einen Dialog zwischen Mitarbeitenden und Geschäftsführung zu etablieren. Unter den Beschäftigten am Standort Berlin und insbesondere in den Teams der Inhaltsmoderator/inn/en herrscht wegen schlechter Bezahlung und stark belastenden Arbeitsbedingungen große Unzufriedenheit. (…) „Mit unserer gewerkschaftlichen Unterstützung liefen die Wahlen reibungslos ab. Unsere ver.di-Gewerkschaftsliste holte auch noch die meisten Sitze im neuen Betriebsrat. Ein tolles Ergebnis mit Signalwirkung, nicht nur für die SocialMedia-Beschäftigten in Berlin, sondern sicher auch weit darüber hinaus“, so der zuständige ver.di-Gewerkschaftssekretär Hikmat El-Hammouri...“ Presseerklärung vom 13.10.2022 beim ver.di-Landesbezirk Berlin-Brandenburg externer Link
  • [Betriebsratswahl am 12. Oktober] TikTok: Mitarbeiter hoffen auf mehr Unterstützung – für Kriegspropaganda missbraucht 
    Am 12. Oktober werden Mitarbeiter*innen der TikTok Germany GmbH in Berlin einen Betriebsrat wählen. Das teilte der wenige Wochen zuvor gewählte Wahlvorstand mit. Unter den Beschäftigten am Standort Berlin herrscht derzeit große Unzufriedenheit. Ein Betriebsrat soll dabei helfen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und einen Dialog zwischen Mitarbeitenden und Geschäftsführung zu etablieren.
    Der Termin für die Betriebsratswahl steht, die Vorbereitungen sind bereits im Gange.Wir unterstützen den Wahlvorstand bei den Vorbereitungen und bereiten sie derzeit auf ihre wichtige Aufgabe vor“, erklärt die für TikTok zuständige Gewerkschaftssekretärin Kathlen Eggerling. Bisher habe TikTok Germany gut mit ver.di und dem Wahlvorstand kooperiert, die Betriebsversammlung konnte erfolgreich stattfinden und man gehe davon aus, dass auch die Wahl zum Betriebsrat reibungslos ablaufen werde, so Eggerling weiter.
    Für Kriegspropaganda missbraucht
    TikTok gehört zum chinesischen Mutterkonzern ByteDance und hat mehr als 10.000 Mitarbeitende weltweit. In Berlin beschäftigt der Konzern über 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Viele Mitarbeiter*innen kritisieren ihr zu niedriges Gehalt, die hohe Arbeitsbelastung und eine toxische Arbeitsatmosphäre. Die Content-Plattform steht jedoch nicht nur wegen der Arbeitsbedingungen in der Kritik. Vor dem Hintergrund des Russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wird die Plattform auch zu Propagandazwecken missbraucht. Man habe sich laut TikTok zwar dem Kampf gegen Desinformation verschrieben, die dafür hauptsächlich zuständigen Content-Moderatior*innen tragen hier jedoch eine ungeheure Last.
    Einer der größten Arbeitsbereiche bei TikTok ist die Content-Moderation, also die Bewertung von nutzergenerierten Inhalten, welche beispielsweise von Nutzer*innen gemeldet oder auf andere Weise entdeckt werden. Dazu gehören Videos, die Misshandlung von Kindern, Tierquälerei, Kriegsinhalte und Propaganda zeigen. Alles Inhalte, die die eingesetzte KI (Künstliche Intelligenz) häufig nicht überprüfen und bewerten kann, weshalb hier Inhaltsmoderator*innen eingesetzt werden müssen. In einer 8-Stunden-Schicht müssen diese Moderator*innen etwa 1.000 Videos anschauen und bearbeiten bzw. bewerten. Mitarbeitende berichten, dass dies nur möglich sei, indem man sie in vierfacher Geschwindigkeit abspielt.
    Eine sehr belastende Situation und ein mahnendes Beispiel, warum ein Betriebsrat gerade jetzt von größter Wichtigkeit ist, sagt Eggerling. „Die Arbeitsbedingungen für Content-Moderator*innen sind wirklich hart und die Situation hat sich in den letzten Monaten weiter verschlechtert. Hier muss man nun ganz genau hinschauen, damit die psychische Gesundheit und das Wohl der Mitarbeitenden nicht weiter leidet. Sie brauchen Unterstützung und bessere Rahmenbedingungen – dabei kann ein Betriebsrat helfen.“…“ ver.di-Meldung vom 30.08.2022 externer Link mit dem Video: Kriegspropaganda auf TikTok: Das SWR-Format VOLLBILD recherchiert externer Link
  • TikTok versucht Betriebsratswahlen zu verhindern – erfolgreiche Wahlversammlung im zweiten Anlauf 
    Die Mitarbeiter*innen bei der TikTok Germany GmbH klagen über massiven Leistungsdruck, psychologische Belastungen, sexistischer Umgang mit Kolleginnen und Problemen wie Micromanaging. Micromanagement ist ein Führungsverhalten, das von sehr starker Detailorientierung und fehlendem Vertrauen geprägt ist. Ein Betriebsrat soll nun dabei helfen die Arbeitsbedingungen zu verbessern, doch das Management versucht diesen zu verhindern.
    TikTok lässt Wahlversammlung gerichtlich aufheben
    Im März 2021 versuchte eine Gruppe von Kolleg*innen erste Schritte zur Gründung eines Betriebsrates zu gehen. Mitten in der Pandemie, wo viele Kolleg*innen im Homeoffice waren, führten sie eine digitale Versammlung durch, um einen Wahlvorstand zu bestimmen. Bei dieser ersten Versammlung wählten sich nach Informationen des Magazin Spiegel auch Führungskräfte mit ein. Ein Personalverantwortlicher soll hier sogar unter falschem Namen teilgenommen haben. TikTok akzeptierte diese Versammlung und die dort bestimmten Kolleg*innen nicht als Wahlvorstand und ging gerichtlich dagegen vor, da das Betriebsverfassungsgesetz eine Präsenzwahl vorsehen würde. Das Arbeitsgericht Berlin und das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg gab TikTok in zwei Instanzen recht. Einem Antrag auf Einsetzung eines Wahlvorstands vor dem Arbeitsgericht widersprach das Unternehmen: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien für die Rolle nicht geeignet. Kurz darauf sollen mehrere Kolleg*innen die sich für den Betriebsrat einsetzten intern Probleme mit ihren Vorgesetzten bekommen haben. Mindestens eine beteiligte Person hat TikTok Deutschland daraufhin verlassen.
    Erfolgreiche Wahlversammlung im zweiten Anlauf
    Nachdem die Arbeitsgerichte den bisherigen Wahlvorstand in zwei Instanzen aufhoben, wählten die Mitarbeiter*innen am 11.07.2022 in der Verdi-Bundeszentrale erneut einen Wahlvorstand, diesmal in Präsenz. Mehr als 100 der 200 Mitarbeiter*innen von TikTok Deutschland in Berlin nahmen an der Versammlung teil. (…)
    Zu tun gibt es bei TikTok scheinbar mehr als genug. Laut dem Magazin Spiegel soll der Druck auf die Mitarbeiter*innen in manchen Abteilungen so groß sein, dass sie von einem Klima der Angst sprechen. Dies gelte insbesondere für die Moderator*innen, welche die Inhalte von TikTok-Videos überprüfen müssen. Viele von ihnen kommen aus dem Ausland und ihre Visa sind zum Teil an ihren Job geknüpft. Der Konzern erwartet, dass die Moderator*innen mehr als 1000 Videos am Tag bewerten. Dazu müssen die Mitarbeiter*innen die Videos mindestens in vierfacher Geschwindigkeit angucken. TikTok hat die Anforderungen, Angestellten zufolge, kürzlich noch einmal verschärft. Hinzu kommen regelmäßige Auswertungen der individuellen Leistung durch einen persönlichen Score. Mitarbeiter*innen sorgen sich zudem um den Schutz ihrer persönlichen Daten…“ Meldung von Kevin Hoffmann vom 25. Juli 2022 in den Frontberichte 07/2022 bei Arbeitsunrecht externer Link
  • Siehe für Hintergründe den ver.di-Beitrag vom 11.7.2022 externer Link von Rita Schuhmacher
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=202683
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