Lindner plant drastische Kürzungen für Langzeitarbeitslose im SGB II – an der falschen Stelle
„Finanzminister Lindner plant offenbar die Ausgaben im SGB II drastisch zu kürzen. Diese Kürzungen sollen vor allem dem sozialen Arbeitsmarkt drohen. Dazu ein umfassender Artikel im Spiegel . Im Kern wird es um die Reduktion der Beschäftigungsverhältnisse nach § 16e und § 16i SGB II gehen. Grade diese sind für die Integration von Langzeitarbeitslosen durchaus hilfreich, da hier Beschäftigungsverhältnisse von bis zu 5 Jahren (nach § 16i SGB II) gefördert werden. Anstatt diese Maßnahmen zu kürzen, sollten die ein oder anderen Instrumente zur Erreichung von Integrationsquoten gestrichen werden. Viele solcher Maßnahmen erfolgen zum Selbstzweck wie Erfüllung Integrationsquoten einzelner Jobcenter und zur Finanzierung von sinnlosen Beschäftigungsmaßnahmen. Da könnte, sollte und müsste der Rotstift angesetzt werden.“ Aus dem Thomé Newsletter 26/2021 vom 10.07.2022 – wir schließen uns an, siehe unsere Rubrik zur Erwerbslosen- und Armutsindustrie und auch dazu:
- [Mainzer Initiative gegen Hartz IV] »Wir lehnen jede Kürzung von Fördermitteln ab« – Kritik am Modell eines »sozialen Arbeitsmarktes«
Im Gespräch mit Oliver Rast in der jungen Welt vom 12. Juli 2022 begründet der Sprecher der Mainzer Initiative gegen Hartz IV Manfred Bartl u.a. so: „… Selbstverständlich sind wir prinzipiell gegen jede Kürzung von Fördermitteln aus der Kostenstelle »Hartz IV« des Etats des Bundesarbeitsministeriums. Zumal, wenn diese Mittel einem sozialen und ökonomischen Vorankommen von Langzeitarbeitslosen und allgemein von Bezieherinnen und Beziehern der »Grundsicherung für Arbeitsuchende«, also auch von Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ihren Kindern etwa, gewidmet sind. Das zur Klarstellung. (…) Wir fühlen uns der Idee eines sozialen Arbeitsmarkts stark verbunden. In einem Sozialstaat indes, der diesen Namen verdient, müsste der Arbeitsmarkt stets ein sozial gestalteter sein. Ein Beispiel: Ein gesetzlicher Mindestlohn müsste ein Auskommen bei jedem Einkommen bedeuten. Ferner müsste die Arbeitszeit dynamisch dem Arbeitskräftepotential angepasst werden, die Arbeitsbedingungen müssten darüber hinaus entweder dem Konzept guter Arbeit entsprechen oder diesem schleunigst angepasst werden. Und nicht zuletzt hätte eine verbindliche bedarfsgerechte Personalbemessung die Belegschaften vor Überlastung zu schützen. Aber einen Kreis benachteiligter Menschen überhaupt im Rahmen eines »Marktes« zu denken, halten wir für verfehlt. Schon gar nicht dürfen dabei weiter Daumenschrauben bei Betroffenen angelegt werden. Denn beim obskuren Hartz-IV-Credo von »Fördern und Fordern« ist immer das Fordern vorangestellt. (…) Mit dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches II im Jahr 2005, das die Grundsicherung für Arbeitsuchende und Teile des deutschen Arbeitsförderungsrechts regelt, entstand eine Bildungs- und Maßnahmenindustrie mit prekär Beschäftigten, die ohnehin schon unter der Arbeitsbelastung ächzen. Sollten die angekündigten Kürzungen von Minister Lindner wahr werden, könnten sich viele von ihnen auf der anderen Seite des Beratungstisches wiederfinden; kurz: erwerbslos werden. (…) Wir lassen uns von Unternehmen viel zu viel bieten. Sie sind für die Massenarbeitslosigkeit in Deutschland verantwortlich. Ihnen müssen wir die gesamten Kosten aufbürden, beispielsweise die Arbeitslosenversicherung zu 100 Prozent. Und: Null Toleranz gegenüber der Absicht, eine industrielle Reservearmee an Arbeitskräften in der Rückhand zu behalten, um Erwerbslose gegen aktuell Erwerbstätige auszuspielen. Wir brauchen keine sogenannte aktivierende Arbeitsmarktpolitik, die die Schuld an kurzer oder langer Erwerbslosigkeit bei einzelnen sucht und sie mittels Drohungen und Sanktionierungsängsten zur Aufnahme von Arbeit zwingen will. Wir brauchen, wie vor Hartz IV, nur besser, hingegen eine aktive Arbeitsmarktpolitik, mit der der Staat den Unternehmen die Schaffung von Arbeitsplätzen diktiert, weil der Kapitalismus nun einmal nicht von selbst Arbeitsplätze schafft, sondern wegzurationalisieren versucht. Das wichtigste Instrument bleibt die Arbeitszeitverkürzung, die Verteilung der vorhandenen Arbeit auf mehr Schultern als bislang.“