Schöne neue Bundeswehr: Durch den Krieg in der Ukraine kehrt eine altbekannte Debatte zurück: die Wehrpflicht. Und plötzlich gibt es viele Fans

Dossier

Bundeswehr„Unter der Überschrift „Gerne in die Kaserne“ hält Martin Machowechz auf Zeit Online am 14. Mai ein Plädoyer dafür, die Wehrpflicht wieder einzuführen. Mit diesen Gedanken ist er nicht alleine, denn wie Ex-Punk Campino (auch auf Zeit Online) hadert auch der Autor mit Blick auf die Ukraine mit der eigenen Verweigerung der Wehrpflicht. Sein vermeintlich progressiver Vorschlag: Er will alle Geschlechter verpflichten. Denn die neue Wehrpflicht solle „freier, sogar fröhlicher“ sein und „für alle Milieus, für alle Geschlechter“ gelten. Superdivers also soll sie sein, unsere neue Bundeswehr. Ein Wohlfühlort für Transpersonen, BiPoCs, Menschen mit Behinderung – geradezu verlockend. (…) In Europa und in der Nato finden sich heute nur noch sehr wenige Staaten, die an der Wehrpflicht festhalten…“  Kommentar von Bo Wehrheim vom 17. Mai 2022 in der taz online externer Link und dazu:

  • Wehrpflicht-Debatte: Wer sagt, dass er am Leben hängt, muss mit Shitstorm rechnen New
    „Artikel junger Männer, die nicht für Deutschland sterben wollen, sorgen für Empörung. Ukrainer werden als Vorbild genannt. Doch sind sie das alle freiwillig?
    Der 26-jährige Autor und Podcaster Ole Nymoen ist nicht der erste Mann unter 40, der in Deutschland seit Beginn der „Zeitenwende“ mit dem offenen Bekenntnis, nicht mit der Waffe in der Hand für Deutschland kämpfen zu wollen, für Entrüstung sorgt. Letzteres ist so ziemlich das Gegenteil von verbaler Abrüstung, wie die Reaktionen auf seinen Zeit-Artikel „Ich, für Deutschland kämpfen? Never!“ externer Link vom 25. Juli beweisen. (…) Völlig unvorbereitet trifft ihn das nicht: Andere mussten schon ähnliche Erfahrungen machen. Christian Baron (*1985), dessen autobiographischer Roman „Ein Mann seiner Klasse“ gerade verfilmt wurde, hatte Anfang 2023 im Freitag ein „Lob der Schwäche“ mit der Kernaussage „Ich werde mein Land nicht mit der Waffe verteidigen, sondern fliehen“ veröffentlicht und war dafür in „Sozialen Netzwerken“ unter anderem als „Lumpenpazifist“ und „Kreml-Troll“ verunglimpft worden. (…) Ole Nymoen bekam nun einen Shitstorm der Extraklasse, weil er in der Zeit zum selben Thema sinngemäß schrieb, dass er auch „Fremdherrschaft“ dem Tod in einem Krieg vorziehen würde, zumal die Interessen der Herrschenden des eigenen Landes nicht deckungsgleich mit denen der Beherrschten seien. Vorgebliche Verteidiger westlicher Freiheiten ließen in der Zeit-Online-Kommentarspalte durchblicken, dass einer wie er aus ihrer Sicht durchaus russische Lagerhaft verdient hätte. (…) Nachdem die negativen Reaktionen auf seinen Artikel in der Kommentarspalte zunächst sehr heftig gewesen seien, habe nach wenigen Tagen etwa ein Drittel „gesagt, dass sie meinem Text etwas abgewinnen können“. (…) Im März 2022 war Hannah Lakomy in einem Debattenbeitrag unter der Überschrift „Lob der Feigheit“ für die Berliner Zeitung auf das oft bemühte ukrainische Vorbild eingegangen und hatte darauf verwiesen, dass ukrainische Männer (sowie im Einzelfall Transfrauen) diese Rolle nicht immer freiwillig übernehmen (…) Der NDR berichtete vor wenigen Tagen über einen jungen Ukrainer, der seit zwei Jahren in Deutschland lebt und gerade erst volljährig geworden ist. Im Fall einer Rückkehr würde er sofort eingezogen. „Ich kann ehrlich zugeben, dass ich nicht in den Krieg gehen will, weil ich einfach Angst habe, dass ich verletzt oder traumatisiert werde“, so der 18-jährige Stanislav Roh. „Der Krieg hat schreckliche Auswirkungen auf den Menschen. Ich habe auch Angst, dass ich danach nicht weiter normal leben werde. Und ich weiß nicht, ob der Staat mich danach wirklich unterstützen kann. Ich sehe die Gefahr, dass man einfach zum Kanonenfutter wird.“ Er wolle nicht „so benutzt werden“.“
    Beitrag von Claudia Wangerin vom 4. August 2024 bei Telepolis externer Link, siehe dazu:

    • Nein zu Wehr- und Dienstpflicht: „Ich würde für Deutschland auch nicht an der Gulaschkanone stehen“
      Unser Autor schrieb, er sei nicht bereit, für Deutschland zu sterben und bekam einen Shitstorm. Doch auch ohne Waffe wird er nicht für Deutschland kämpfen.
      Die Deutschen haben Lust auf Krieg – so könnte man die Reaktionen auf meinen Kommentar deuten, in dem ich erläuterte, warum ich nicht bereit bin, für Deutschland zu sterben.  Ich schrieb das Editorial der Berliner Zeitung am Wochenende externer Link (3. August 2024) und äußerte meinen Unmut über die aktuelle deutsche Debatte zur Wiedereinführung der Wehrpflicht. Als Gegenvorschlag zum Krieg gab ich lieber Gastrotipps. Wie bereits meinen Journalistenkollege Ole Nymoen, der sich mehrfach gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht aussprach externer Link, erreichte mich ein riesiger Shitstorm
      …“ Artikel von Kevin Gensheimer vom 06.08.2024 in der Berliner Zeitung online externer Link ab da hinter paywall
  • „Kriegstüchtig“ werden? Das Militär lässt sich nicht demokratisieren
    „Seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands in der Ukraine und der sogenannten Zeitenwende wird in Deutschland militärisch aufgerüstet. Das Ziel: „kriegstüchtig werden“. Dazu gehört die Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht oder einer allgemeinen Dienstpflicht. Die Internationale der Kriegsdienstgegner:innen (IDK) erklärt ihren Widerstand gegen eine mögliche Dienstpflicht. Jede Form von staatlichem Zwangsdienst muss als Ausdruck einer zunehmenden Militarisierung der Gesellschaft gesehen werden. Sie würde bedeuten, dass das Leben der Bürger:innen immer mehr den Interessen und Bedürfnissen des militärischen Machtapparats unterworfen wird. Die Einführung eines Zwangsdienstes wird als sogenanntes „Gesellschaftsjahr“ kaschiert, bei dem es darum ginge, junge Menschen zu einem gemeinnützigen Engagement für die Allgemeinheit heranzuziehen. Der wahre und ausschlaggebende Grund ist, dass die Bundeswehr wieder mehr Soldaten haben möchte, die sie nur über den Umweg einer allgemeinen Dienstpflicht bekommen kann. Die angeblich notwendige Vorbereitung auf eine Landesverteidigung mit kriegerischen Methoden soll eine Dienstpflicht für alle legitimieren. Dies hält die IDK für falsch und verhängnisvoll. Die Grundlagen unserer Kritik sind: Die materielle Gewalt des Eigentums führt verstärkt auch in reichen Ländern zu Armut, Ausgrenzung, Rassismus, Antifeminismus und Antisemitismus. „Staatliche Souveränität äußert sich zusehends in ethnischen Volksbegriffen mit entsprechenden Ausschlüssen“, schreibt die „Jour fixe Initiative Berlin” zurecht. Nationalismus und Militarisierung dominieren und kumulieren in Gewaltmonopolen in Form von Militär, Polizei und staatlicher Bürokratie, trotz der weltweit agierenden neo-liberalen Marktwirtschaft. Krieg ist somit strukturell angelegt, in einigen Ländern sogar tatsächlich real. Diese weltweite Situation bedarf eines gemeinsamen vielfältigen Widerstandes, eines Antimilitarismus auf der Höhe der Zeit. Eine radikale Kritik von Nationalismus und Staat ist angesichts der dominanten Kriegsrhetorik wichtiger denn je. (…) Das Militär ist und war niemals eine demokratische Institution. Sie ist nicht zu demokratisieren. Militär ist eine Institution, in der Soldaten, auf Befehl und Gehorsam getrimmt, zur Sache und zum Mittel der Politik werden. Der Mensch wird in der Figur des Soldaten seinem Wesen entfremdet. Das Gewaltmonopol des Staates dient der Sicherung von Herrschaft, konstatiert Ekkehart Krippendorff in seinem Buch „Staat und Krieg – Die historische Logik politischer Unvernunft“ (1985). Der Staat hat den primären Zweck, Herrschaft zu stabilisieren, nicht aber den inneren Frieden zu stiften. Eine friedliche Ordnung ist nicht der Zweck staatlicher Herrschaft. Antiinstitutioneller Widerstand bedeutet für die IDK, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht zu verhindern oder wenigstens einen Beitrag dazu zu leisten. Alle, die zu einem Zwangsdienst verpflichtet werden könnten, sollen dazu ermutigt werden, sich zu widersetzen. Öffentliche Aufrufe zur Verweigerung der Erfassung und Musterung für den Zwangsdienst werden begleitet von Angeboten der juristischen Beratung und Unterstützung bei der individuellen Verweigerung. Weitere Formen der Verweigerung von Kriegsdiensten werden erwogen und demnächst veröffentlicht. Übrigens: Die „klassische“ Kriegsdienstverweigerung nach Artikel 3/4 Grundgesetz ist aktuell auch für Reservisten möglich.“ Artikel von Wolfram Beyer in der Soz Nr. 07/2024 externer Link („„Das Militär lässt sich nicht demokratisieren““)
  • [deutsche »Kriegstüchtigkeit«] Mit der Waffe in der Hand für Niedriglohn-Deutschland kämpfen
    Junge Menschen sollen Einsatz für »die Gesellschaft« zeigen und für den deutschen Staat in den Kampf ziehen – einen Staat, der sich seinerseits immer weniger für »die Gesellschaft« einsetzt.
    Kürzlich hat der Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius seine Idee einer neuen Wehrpflicht vorgestellt. Eine wirkliche Pflicht hat er zwar nicht in petto, denn dafür sind breite Teile der SPD und auch der FDP nicht zu haben. Dennoch bereitet Pistorious die deutsche »Kriegstüchtigkeit« vor, indem er jungen Männern verpflichtende Fragebögen schickt. Wahrscheinlich werde auch ich darunter fallen und bald erklären müssen, ob ich wehrfähig und -willig bin. Auf diese Weise will Pistorius die jungen Männer freiwillig dazu bewegen, in den Dienst zu treten. Und was fällt den versammelten Journalisten, der sogenannten vierten Gewalt dazu ein? Natürlich: Der gewaltsame Zugriff des Staates auf seine Bürger ist eigentlich noch viel zu lasch. (…) Das Sterben fürs Vaterland darf bitte keine Freiwilligkeit sein. (…) Auch sonst werden zuletzt immer wieder Stimmen laut, die jungen Menschen mehr abverlangen wollen. Nachdem sie in der Corona-Krise völlig alleingelassen wurden, dürfen sich dann junge Menschen von Leuten wie Frank-Walter Steinmeier anhören, dass sie doch bitte sehr ein Jahr für die Gesellschaft opfern sollen. (…) Eine Gesellschaft, die ihnen umgekehrt natürlich nichts gibt. Denn wer arbeitslos wird, den wollen Frank-Walter Steinmeier und seine Schergen in den Jobcentern in schlecht bezahlte Jobs zwingen, um das Wachstum anzutreiben. Niedriglohn und Altersarmut, das ist es, was die Regierung denen verordnet, die es nicht schaffen, ihres eigenen Glückes Schmied zu werden. Und solche Leute erzählen uns dann etwas von gesellschaftlichem Zusammenhalt und behaupten, wir müssten ein Interesse daran haben, dass sie weiter über uns herrschen? Denn darum geht es ja: Wenn junge Männer – und bald auch Frauen – für Deutschland in den Krieg ziehen, tun sie das nicht für sich selbst. Sie könnten ja sterben. Für sie ist nur die Rolle des nützlichen Idioten eingeplant, damit weiterhin der deutsche Staat alle seine Quadratkilometer behält, auf denen er dann Leute in Niedriglohnjobs stecken darf. Für diesen Staat werde ich ganz sicher keinen Finger rühren. Weder an der Waffe, noch im sozialen Jahr. Und jeder, der sich irgendwie für links hält, sollte bitte sehr aufhören, sich konstruktiv in die Fragen einzumischen, wie viele tote junge Männer und wie viele zerstörte Städte man für einen gerechten Frieden hergeben muss. Das kann man wirklich den Kriegstreibern dieser Welt überlassen.“ Kommentar von Ole Nymoen vom 18. Juni 2024 in Jacobin.de externer Link

Siehe zum Thema auch:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=200979
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