Verfassungsschutz-Lagebericht-Dauerschleife: Deutlich mehr Rechtsextreme in Sicherheitsbehörden erfasst
Dossier
„… Die Bediensteten von Polizei, Verfassungsschutz und Bundeswehr in Deutschland haben in einem Zeitraum von drei Jahren in 327 Fällen verfassungsfeindliche Bestrebungen gezeigt. Das geht aus dem Lagebericht Rechtsextremisten, „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ in Sicherheitsbehörden des Bundesverfassungsschutzes hervor, den Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gemeinsam mit Bundesverfassungsschutzchef Thomas Haldenwang an diesem Freitag vorgestellt hat. Der neue Lagebericht verzeichnet damit etwa zehnmal so viele Fälle wie der erste vom Oktober 2020, obwohl sich die Untersuchungszeiträume zum Teil überschneiden (…) Der neue Bericht mit Erhebungszeitraum zwischen Juli 2018 und Juni 2021 zeigt nun, dass es deutlich mehr Fälle gibt als bisher bekannt. 189 Fälle in Landesbehörden, 138 in Bundesbehörden, darunter die Bundeswehr…“ Artikel von Frida Thurm vom 13. Mai 2022 in der Zeit online zum Lagebericht – siehe diesen, weitere und Kommentare:
- Verfassungsschutz zählt 364 Sicherheitsbeamte unter Rechtsextremismus-Verdacht
„Rechtsextremisten gibt es nicht nur in Vereinen und Parteien – sondern auch in den Behörden, die sie aufspüren sollen. (…) Bei 364 Beschäftigen in den deutschen Sicherheitsbehörden hat der Verfassungsschutz konkrete Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche rechtsextremistische Tendenzen. Dies geht aus dem am Montag veröffentlichten dritten Lagebericht Rechtsextremismus der Behörde hervor. (…) In seinem Lagebericht umfasst das Bundesamt für Verfassungsschutz erstmals auch die Bereiche »Reichsbürger«, »Selbstverwalter« und der »Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates« und umfasst den Zeitraum 1. Juli 2021 bis zum 31. Dezember 2022.
Extremistische Äußerungen und Beleidigungen
Von den 364 Beschäftigen, bei denen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefunden wurden, arbeiten 175 bei den Sicherheitsbehörden des Bundes und 189 in den Ländern. Mehr als die Hälfte der Fälle sind sogenannte Altfälle, also solche, die bereits im letzten Lagebericht ausgewiesen wurden. (…) Die häufigsten Gründe für Anhaltspunkte waren im aktuellen Bericht extremistische Äußerungen in Chats und in sozialen Medien. Auch politisch motivierte Beleidigungen und Kontakte zu oder Mitgliedschaften in extremistischen Organisationen und Parteien wurden registriert…“ Meldung vom 01.07.2024 im Spiegel online , siehe auch detallierter:- 364 mutmaßliche Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden
„Die Sicherheitsbehörden sehen bei 364 ihrer eigenen Beschäftigten Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen. Das geht aus dem Lagebild des Verfassungsschutzes hervor. Die Gewerkschaft der Polizei fordert Entfernung aus dem Dienst und mehr Unterstützung für Opfer…“ Beitrag von Anne-Béatrice Clasmann vom 01.07.2024 im Migazin - und das Original: Lagebericht „Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden“ vom Juli 2024
- 364 mutmaßliche Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden
- nnere Unsicherheit: Welche Gefahr geht von Rechten, Rechtsextremen und Reichsbürgern in Sicherheitsbehörden aus?
„Was ist, wenn diejenigen, die uns und unsere Demokratie beschützen sollten, selbst an deren Umsturz arbeiten? Welche Gefahr geht von Rechten, Rechtsextremen und Reichsbürgern in Sicherheitsbehörden aus? Zwischen 2018 und 2021 zählte das Bundesinnenministerium 327 Angestellte in deutschen Sicherheitsbehörden und der Bundeswehr, bei denen Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung deutlich zu erkennen waren. Rechte, Rechtsextreme und Reichsbürger in Sicherheitsbehörden haben Entscheidungsmacht und Zugang zu Waffen und Munition, sie können unser aller Alltag gefährden. In den letzten Jahren haben Journalist:innen immer wieder rechte Netzwerke in Polizei und Bundeswehr aufgedeckt. Wir haben hier eine Auswahl an zentralen Recherchen zusammengetragen…“ Eine Sammlung der taz - EntnazifizierungJETZT: Der Bericht entspricht weder wissenschaftlichen Standards noch versucht er, ein realistisches Bild der Lage zu zeichnen
„Vor kurzem wurde der „Lagebericht zu Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden“ vorgestellt. Unser Fazit: Der Bericht entspricht weder wissenschaftlichen Standards noch versucht er, ein realistisches Bild der Lage zu zeichnen.
Mangelnde Datengrundlage
Für den Bericht wurde ein Meldeverfahren entwickelt und bundesweit vereinheitlicht. Genauer übersenden die betreffenden Behörden in einheitlichen Meldebögen dem VS Daten, der diese in Tabellen, Grafiken und abschließend als Bericht aufbereitet und mit eigenen Erkenntnissen abgleicht. Die Meldungen beziehen sich auf disziplinarrechtliche oder arbeitsrechtliche Vergehen, bei denen der Verdacht aufgekommen sei, es handele sich um „Rechtsextremisten, Reichsbürger oder Selbstverwalter“.
Verengtes Verständnis von Rechtsextremismus
Als problematisches Verhalten, das einen Verdacht rechtfertigt, gelten laut dem Bericht u.a. die Teilnahme an rechtsextremen Veranstaltungen, der Kontakt zu oder die Mitgliedschaft in rechtsextremen Vereinigungen oder offensichtlich rechtsextreme Äußerungen wie Hitlergrüße und eindeutiger Antisemitismus. Dabei ist zu beachten, dass der VS und die Behörden einer sehr verengten Definition von Rechtsextremismus folgen. Zum einen werden nur bereits (vom VS) als rechtsextreme Organisationen eingestufte als solche aufgefasst: NPD, Dritter Weg, die Rechte, die IB, seit neuerem auch die Junge Alternative (JA) und der Flügel. Reservistenverbände, Polizeigewerkschaften, Coronaleugner:innen und die AfD im Allgemeinen finden keine Erwähnung, obwohl sich hier immer wieder Überschneidungen zum extrem rechten Milieu auftun. Zum anderen fehlt eine umfassende Bestimmung aller (extrem) rechten Vergehen, die dann auch etwa Waffendelikte, Datenabfragen, Verharmlosung, Vertuschung und Untätigkeit sowie viele weitere einbezieht. Dadurch fallen einige Skandale, die zum Beispiel der Justiz zuzuordnen sind, automatisch weg, da diese häufig nicht so offensichtlich agiert. Sie bleiben dennoch nicht folgenlos. (…)
Jede seriöse Studie würde die Begrenztheit der Aussagekraft aufgrund der verfälschenden Datenbasis benennen, problematisieren und diskutieren: Können aufgrund der bestehenden Datengrundlage überhaupt Aussagen getroffen werden? Der Lagebericht geht mit keinem einzigen Wort darauf ein, wie verfälschend und problematisch dessen Art der Erhebung ist. (…) Auch wenn viele Initiativen Betroffener von rechtem Terror immer wieder auf die fatale Unzulänglichkeit der Einzeltäterthese hinweisen und regelrecht darum kämpfen müssen, dass ebenfalls das Netzwerk und die Struktur hinter diesen Taten untersucht werden, findet sich dieses Narrativ auch im Bericht. Das liegt neben einer traditionsreichen politischen Verharmlosung rechtspolitisch motivierter Taten auch an der Form der Datenerhebung. Nicht das Umfeld des Beamten oder der Beamtin oder allgemein die Strukturen, die die Reihe der Skandale erst ermöglichen, sind Gegenstand der Untersuchung, sondern das rein individuelle Verhalten einer Person. Wer also nur Einzelfälle erhebt und danach sucht, der wird auch nur solche finden…“ Stellungnahme vom Mai 2022 von und bei EntnazifizierungJETZT , siehe auch:- „Vor kurzem wurde der „Lagebericht zu Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden“ vorgestellt. Unser Fazit: Der Bericht entspricht weder wissenschaftlichen Standards noch versucht er, ein realistisches Bild der Lage zu zeichnen. Im folgenden Thread mehr dazu:
Im Lagebericht fehlen Verbindungen zu AfD, Coronaleugner:innen, Nazis in Reservistenverbänden und rechten Polizeigewerkschaften. Waffenklau, Datenabfragen, Vertuschung und Verharmlosung von rassistischen Übergriffen werden nicht als Delikte erfasst.
Nazis in der Justiz und ihr Beitrag bei der Verharmlosung von rechter und rassistischer Gewalt werden nicht beachtet.
Die Datenerhebung im Lagebericht ist unwissenschaftlich. Zu meldende Skandale durchlaufen einen mehrstufigen Filterprozess, der ihre Menge erheblich reduziert.
Die “Netzwerkanalyse“ ist eine Farce. Es werden nur Verbindungen zu bekannten Nazis erfasst. Nicht das Umfeld oder allgemeine Strukturen werden untersucht, sondern nur das individuelle Verhalten. Das Narrativ des “Einzeltäters“ wird dadurch verfestigt.
Rassismus als strukturelles Problem wird nicht thematisiert. Die Perspektive von Betroffenen spielt keine Rolle.
Das Hauptproblem bleibt: Die Behörden kontrollieren sich selbst und das nicht einmal ansatzweise mit der nötigen Energie.
Als Reaktion auf die Naziskandale werden Maßnahmen verkündet, die ausschließlich im Bereich der Prävention liegen z.B. Fortbildungen. Viel zu wenige Nazis werden aus den Sicherheitsbehörden entfernt. Nichts ist weiter von der Realität entfernt als dieser vom VS verfasste Lagebericht...“ Thread von EntnazifizierungJETZT vom 25. Mai 2022
- „Vor kurzem wurde der „Lagebericht zu Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden“ vorgestellt. Unser Fazit: Der Bericht entspricht weder wissenschaftlichen Standards noch versucht er, ein realistisches Bild der Lage zu zeichnen. Im folgenden Thread mehr dazu:
- Lagebericht: Rechtsextremisten, „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ in Sicherheitsbehörden
Siehe zum Thema auch im LabourNet neben vielen Einzelberichten und regionalen Dossiers:
- unser Dossier: AfD-Richter im Dienst: „An manchen Gerichten unmöglich, Asylverfahren zu gewinnen.“ und
- das Dossier: Warum der Rechtsextremist Jens Maier nicht wieder Richter werden darf
- sowie das Dossier: Kontinuitäten der Bundesanwaltschaft: Personell und politisch reichlich braun – und die Anwälte?
- oder das Dossier: Paritätischer warnt vor Rassismus in Jobcentern
- Verfassungsschutz 2021: 350 Rechtsextremismus-Verdachtsfälle in deutschen Sicherheitsbehörden
- von 2021: Rechtsextremismus: Zahl der Verdachtsfälle in der Polizei steigt um knapp 40 Prozent
- Verfassungsschutzbericht 2020: Der Staat und seine Delegitimierer