»
China »
»
»
China »
» »
»
China »
»
»
China »
»

Situation von (Wander)ArbeiterInnen in China im Lockdown: Mit Brutalität und Ohnmacht gegen Covid

Dossier

Coronavirus, die Hetze und der Ausnahmezustand: China im ShitstormEs brodelt in China: Wanderarbeiter:innen aber auch Rider und andere prekäre Kolleg:innen sind im Lockdown in China mit einer Reihe von Problemen konfrontiert, auf die die chinesische Regierung bisher keine Antwort geben will. Hierzu gab es unter anderem Berichte von Chinanarrative vom 17. April 2022 externer Link über u.a. LKW-Fahrer:innen und den Artikel von Emily Feng vom 20. April 2022 auf NPR externer Link über Arbeiter:innen, die in Quaratäne- und Testzentren anheuerten.Corona-Müdigkeit in der chinesischen Bevölkerung, mangelhaftes Gesundheitswesen, gestiegene Infektiösität des Virus… Je länger sich die Pandemie hinzieht und je umfassender die Lockdowns werden, desto schlechter skaliert die Null-Covid-Politik. Aber wie wird das enden?…“ fragt Gustav in einem Lesebrief  vom 25. April 2022 bei der Wildcat externer Link. Es führt auf alle Fälle zu einer neuen Protestwelle im Herbst 2022. Siehe zu den Arbeitsbedingungen im Lockdown:

  • ArbeiterInnen der Leiterplattenfabrik von Welfare Electronic Technology in Shenzhen drohten im Streik für Entschädigung für Standortwechsel vom Fabrikdach zu springen New
    „Etwa 150 Beschäftigte von Welfare Electronic Technology (运丰) in Shenzhen traten im April 2023 in den Streik, um gegen die Verlagerung in eine 200 km entfernte Fabrik zu protestieren. Während die Arbeiter noch auf dem Dach streikten, sprach China Labour Bulletin mit Herrn Lan, dem Betriebsgewerkschaftsvorsitzenden des Werks, der uns mitteilte, dass die Arbeiter mit der Unternehmensleitung über einen Teil der Entschädigung verhandelt hätten, die ihnen nach dem chinesischen Arbeitsrecht für die Verlagerung des Werks zusteht. Die Unternehmensleitung bezeichnete den Umzug jedoch als „industrielle Modernisierung“, und die örtliche Gewerkschaft weigerte sich, sich daran zu beteiligen. Das CLB rief auch die Abteilung für psychologische Unterstützung der Gewerkschaft des Bezirks Bao’an an, um auf eine bessere Krisenbewältigung zu drängen, wenn die Beschäftigten an ihre Grenzen stoßen.
    Am 24. April stellten Arbeiter einer Leiterplattenfabrik in Shenzhen, Provinz Guangdong, Videos ins Internet, auf denen mehr als hundert Arbeiter streiken und Dutzende auf dem Dach der Fabrik damit drohen, zu springen, wenn sie keine Entschädigung für die Verlegung in eine 200 Kilometer entfernte Schwesterfabrik erhalten. Die Muttergesellschaft gibt an, dass sie für große Marken wie Sony, Clarion, Foxconn, Flex, NEC und Casio produziert.
    Die in der CLB-Streikkarte enthaltenen Videos externer Link der Arbeiter zeigen, wie die Feuerwehr auf die Arbeiter auf dem Dach des dreistöckigen Gebäudes reagiert, indem sie eine riesige aufblasbare Vorrichtung auf dem Boden darunter platziert. Der Streik dauerte mindestens sieben Tage bei Welfare Electronic Technology (Shenzhen) Co. Ltd. (运丰). Das Werk in Shenzhen gehört zur Welfare Printed Circuits Board Co. Ltd. in Hongkong. Die Muttergesellschaft eröffnete das Werk in Shenzhen im Jahr 1991 und ein zweites Werk in Kaiping, Provinz Guangdong, im Jahr 2013. Seit Juli 2022 hat das Werk in Shenzhen einen Teil der Produktion eingestellt und die Beschäftigten in das Werk in Kaiping verlegt. Die Beschäftigten gaben online an, dass sie seit letztem Sommer drei weitere Male wegen der Verlagerung und der fehlenden Entschädigung gestreikt haben. In regelmäßigen Abständen haben sich die Beschäftigten auch außerhalb des Werks postiert, um die Verlagerung der Anlagen zu verhindern.
    Nach Angaben der Unternehmensgewerkschaft beschäftigt das Werk in Shenzhen derzeit etwa 300 Beschäftigte, von denen sich 150 an dem Streik im April beteiligten. In den Kommentaren zu den Online-Videos heißt es, dass etwa ein Drittel der Beschäftigten bereits im vergangenen Jahr gekündigt hat, als das Unternehmen einen schrittweisen Verlagerungsprozess einleitete. Am 8. Mai veröffentlichte die Fabrik einen Aushang, der in unserer Streikkarte erhalten ist und in dem es hieß, dass die Arbeiter seit dem 22. April „die Produktion für viele Tage verlangsamt“ hätten – was sich auf den Streik bezog – und dass zur Wiederherstellung der Produktion ein Sanktionssystem eingeführt werden würde. Arbeitnehmer, die eine bestimmte Anzahl von Tagen abwesend waren, würden als freiwillig gekündigt betrachtet. (…)
    Die Betriebsgewerkschaft, der Herr Lan vorsteht, befindet sich auf der untersten Ebene innerhalb der Struktur der Allchinesischen Gewerkschaftsföderation. Als Vorsitzender der Betriebsgewerkschaft zeigte Herr Lan ein gutes Verständnis für die Situation der Arbeiter und ihre Forderungen nach Entschädigung, konnte sich aber vor dem Streik nicht einbringen. Seine Bemühungen, nach Ausbruch des Streiks die übergeordneten Gewerkschaften im Bezirk zu erreichen, sind jedoch lobenswert. Die nächsthöhere Ebene ist die Straßengewerkschaft in Songgang, die nach Angaben von Herrn Lan nur ausgelagerte Anwälte an den Ort des Geschehens geschickt hatte. Herr Lan hatte die Straßengewerkschaft in Songgang gebeten, den streikenden Arbeitnehmern Brot und Wasser zu schicken, aber die Gewerkschaft antwortete lediglich, dass sie „nicht vorhabe, dies zu tun“, geschweige denn mit dem Unternehmen im Namen der Arbeitnehmer zu verhandeln. Als Vorsitzender der Betriebsgewerkschaft sind Herrn Lan durch die strukturellen und bürokratischen Zwänge des Systems die Hände gebunden. (…)
    Dieser Vorfall zeigt, dass die Arbeitnehmer in diesen unsicheren wirtschaftlichen Zeiten ein tiefes Misstrauen gegenüber ihren Arbeitgebern hegen. Obwohl die Unternehmensgewerkschaft anwesend war und die lokalen Gewerkschaftsstrukturen um Hilfe gebeten hat, hat die lokale Gewerkschaft die Unternehmensgewerkschaft im Grunde aus dem Prozess herausgehalten und ihr nicht erlaubt, ihre Rolle als Brücke zwischen den Arbeitnehmern, der Fabrik und dem breiteren ACGB wahrzunehmen. (…)
    Internationale Marken, die in China einkaufen, sollten die sich ändernden Bedingungen in ihren Lieferketten zur Kenntnis nehmen und ihre Rolle bei der Verursachung von Notlagen der Arbeiter durch Auftragsrückgänge und veränderte Lieferkettenmuster, die es den Fabriken unmöglich machen, Entschädigungen gemäß dem Gesetz zu leisten.“ engl. Bericht vom 5. Juni 2023 im China Labour Bulletin externer Link („Shenzhen circuit board workers threaten to jump from factory roof over relocation compensation dispute“, maschinenübersetzt)
  • China: Die Wirtschaft leidet unter Long Covid. Die Erwartungen der Lohnabhängigen und die Realität des Arbeitsmarkts liegen weit auseinander 
    „Es knackst und knarzt an allen Stellen in der chinesischen Wirtschaft“, sagt SZ-China-Korrespondentin Lea Sahay. „Viele Leute können einfach nicht mehr.“ Die Schere zwischen Arm und Reich sei „unfassbar krass“: „Millionen Leute leben nur knapp oberhalb der Armutsgrenze.“ Es passe nicht in das Bild, was die Kommunistische Partei zeichnen wolle: Das Versprechen, jeder kann es schaffen, wenn man nur fleißig genug ist. Aber weil das eben nicht stimmt, werde es zum „riesigen Problem für die Zentralregierung“. (…) Gerade im Bereich der angeblich zukunftsweisenden IT Jobs gibt es seit Jahren wegen langer Arbeitszeiten und starken Arbeitsdrucks Unzufriedenheit und Proteste. Die Verweigerungshaltung fand unter dem Begriff „Tang Ping“, dem „Flachliegen“, einen kollektiven Ausdruck. Es ist der Versuch mit einem Minimum an Arbeit durch’s Leben zu kommen. Doch „Tang Ping“ ist schon lange kein reines Phänomen einer Jugendkultur. Die innere Kündigung, der Versuch, dem Hamsterrad der Arbeit in individueller Verweigerung zu entfliehen, hat weitere Kreise gezogen und wird nicht nur von gebildeten jungen Leuten praktiziert. Auch Wanderarbeiter, die keine Hoffnung auf einen sozialen Aufstieg haben, reagieren mit entsprechendem Verhalten. (…) China mag endlich die drei Jahre andauernden strengen Abriegelungsmaßnahmen gegen COVID-19 hinter sich lassen, aber es ist eindeutig, dass die Wanderarbeiter im Dorf Kangle es nicht eilig haben, wieder an die Arbeit zu gehen. Das städtische Dorf im Zentrum von Guangzhou ist eines der größten Bekleidungszentren Chinas – ein Labyrinth aus engen Gassen mit Tausenden von Werkstätten. Seit Jahrzehnten strömen Menschen aus dem ganzen Land hierher, um Arbeit zu finden und Anzüge, Jeans und andere Kleidungsstücke zu nähen. Doch die Gegend wurde von der Pandemie hart getroffen. (…) Die Werkstätten wurden für Monate geschlossen. Tausende von Migranten wurden unter zentrale Quarantäne gestellt und dann gezwungen, die Stadt zu verlassen. (…) Doch das größte Problem der Werkstätten ist derzeit der chronische Personalmangel: Die Migranten sind einfach nicht mehr bereit, die angebotenen Stellen anzunehmen. (…) Arbeiter in Kangle sagen, dass die Werkstätten ihre Löhne seit 2019 überhaupt nicht mehr erhöht haben. Doch die Lebenshaltungskosten im Zentrum von Guangzhou steigen rasant, und die Mieten in Kangle steigen jährlich um etwa 10 %. (…) „Die Weigerung zu arbeiten, solange die Löhne zu niedrig sind, ist die Art der Wanderarbeiter, für mehr Rechte zu kämpfen“, sagt Huang Yan, Professor an der South China University of Technology in Guangzhou, dessen Forschungsschwerpunkt die Arbeitsbedingungen in China sind…“ Presseschau vom 8. April 2023 im Blog des Forum Arbeitswelten externer Link
  • Entlassungswelle bei Test-Kit Herstellern: Arbeiter:innen protestierten in den Schnelltest-Fabriken in Hangzhou und Chongqing – Gewerkschaften unterstützten kaum
    • „In ganz China werden Arbeitende bei Covid-19-Schnelltestkits entlassen, weil die Nachfrage zurückgegangen ist. Die meisten von ihnen sind Zeit- und Teilzeitbeschäftigte, die von Arbeitsvermittlungsagenturen eingestellt wurden. Den örtlichen Behörden und den offiziellen Gewerkschaftsverbänden geht es mehr um wirtschaftliche Interessen und die Verhinderung von Protesten als um die tatsächliche Lösung der Unzufriedenheit der Arbeitenden. In der Hangzhou Alltest (Aotai) Biotech Fabrik gingen die Arbeitenden am 9. Januar auf die Straße, wo sie geschlagen und mit Polizeidrohnen konfrontiert wurden. Der Protest führte zu Verhandlungen und Lohngarantien, aber die Gewerkschaft konzentrierte sich auf nachträgliche Rechtsmittel, anstatt die Arbeitenden am Verhandlungstisch zu vertreten. Das Ende der Null-Covid-Politik in China hat zu einem Rückgang der Nachfrage nach medizinischen Produkten wie Covid-19-Testkits geführt. Fabriken für medizinische Produkte, die größtenteils auf Vertragsarbeitskräfte angewiesen sind, haben damit begonnen, Arbeitende zu entlassen. Die Arbeitenden protestieren gegen die Entlassungen und oft auch gegen die ausstehenden Löhne. Ein Beispiel dafür sind die massiven Proteste in Chongqing am 7. Januar, nachdem der Covid-19-Testkit-Hersteller Zybio die Entlassung der Hälfte seiner 20.000 Beschäftigten angekündigt hatte. Das China Labour Bulletin untersuchte die mangelnde Reaktion der örtlichen Gewerkschaft, nachdem Zybio erst im April letzten Jahres einen Lohnzuschlag erhalten hatte.
      In den Tagen nach den Protesten in Chongqing gab es ähnliche Vorfälle in Hangzhou, ebenfalls in Fabriken für medizinische Produkte, die mit einer sinkenden Nachfrage zu kämpfen haben. Am 10. Januar protestierten die Arbeitenden bei Xiaoshan Xinyue Biotech in Hangzhou gegen ausstehende Löhne, und einige Arbeiter wurden geschlagen. Am Tag zuvor, am 9. Januar, kam es bei Alltest (Aotai) Biotech in Hangzhou zu einem groß angelegten Protest gegen Lohnrückstände und Entlassungen von Arbeitenden. Die Arbeitenden protestierten auf der Straße, und Polizeidrohnen flogen mit Audiodaten über den Köpfen, um den Konflikt zu unterdrücken. Die Polizei griff persönlich ein, aber nicht, während die Arbeitenden geschlagen wurden. Letztendlich verhandelten Vertreter:innen der Regierung mit den Arbeitenden von Alltest. Den Arbeitenden wurde versprochen, dass sie ihre Löhne nachzahlen und 500 Yuan Reisekostenerstattung erhalten, um das Werk nach der Entlassung verlassen zu können. CLB untersuchte die Rolle der örtlichen Gewerkschaft bei diesen Verhandlungen. Wir fanden heraus, dass die Bezirksgewerkschaft Qiantang von den örtlichen Behörden von der Situation erfuhr und Anwälte beauftragte, um die Rechte der Arbeitenden in dieser Situation besser zu verstehen und der übergeordneten Stadtgewerkschaft von Hangzhou einen Bericht über die Angelegenheit vorzulegen. Die Gewerkschaft des Bezirks Qiantang konzentrierte sich jedoch hauptsächlich darauf, die Spannungen zu beruhigen und rechtliche Fragen zu beantworten, anstatt die Interessen der Arbeitenden zu vertreten und sich für ein positives Ergebnis einzusetzen. (…) Bei den zahlreichen Untersuchungen des CLB zu den Reaktionen der Gewerkschaften in konkreten Fällen von Verletzungen der Arbeitnehmerrechte haben wir festgestellt, dass die Gewerkschaften nur selten die Initiative ergreifen, um für die Arbeitenden einzuschreiten. (…) Zunächst beauftragte die Gewerkschaft ein Team von Anwälten damit, herauszufinden, welche der betroffenen Arbeitenden berechtigte Rechtsansprüche haben und welche Arbeitenden zum Zeitpunkt der Entlassungen am 9. Januar beschäftigt waren. Diese Maßnahme folgt einem von uns beobachteten Muster, bei dem die Gewerkschaft die Vertretung vor allem als Rechtsbeistand betrachtet und nur für die Fälle, die vor Gericht Erfolg versprechen. Wir halten diesen Ansatz für grundlegend unzureichend, wenn es um die Pflicht der Gewerkschaft geht, Arbeitende vor und während Rechtsverletzungen zu vertreten und nicht erst im Nachhinein in Gerichtsverfahren durch ausgelagerte Anwälte…“
      Artikel von China Labour Bulletin vom 2. Februar 2023 externer Link („Rapid test kit factory workers protest in Hangzhou, union assistance is limited to legal remedy“)
    • Siehe dazu auch den Beitrag im Forum Arbeitswelten vom 25. Januar 2023 externer Link: „Aufstand im Pharmazeutischen Werk Dadukou Zhongyuan Huiji Chongqing“
  • Neujahresfest-Proteste für die Auszahlung von Lohnrückständen: Ein Symptom für ein systemisches Problem Chinas
    • „Chinas Spitzenbeamte haben das Problem der Lohnrückstände und seine Auswirkungen auf schutzbedürftige Arbeitende, darunter auch Migrant:innen, erkannt – vor allem in diesem Jahr, da das Problem nach drei Jahren der Aussperrung und dem nahenden Neujahrsfest noch akuter ist. Aber die Arbeitenden können nicht pünktlich und vollständig bezahlt werden, weil das System von oben nach unten auf allen Ebenen versagt und den lokalen Regierungen die Mittel ausgehen. Chinas Gewerkschaften haben die Aufgabe, das grundlegendste Recht der Arbeitenden zu vertreten: für die geleistete Arbeit bezahlt zu werden. Die Arbeitenden in China gehen ständig auf die Straße, um zu protestieren, nur um ihren versprochenen Lohn zu erhalten. Mit anderen Worten: Bei diesen Protesten geht es in der Regel nicht um höhere Löhne oder bessere Leistungen, sondern darum, überhaupt für ihre Arbeit bezahlt zu werden. Von den 802 kollektiven Aktionen der Arbeitenden, die in der CLB [China Labour Bulletin]-Streikkarte für das Jahr 2022 aufgeführt sind, betrafen 87 Prozent Lohnrückstände. Ein Tortendiagramm der CLB Strike Map Daten aus dem Jahr 2022 zeigt, dass es bei 87 Prozent der über 800 Protestierenden um Lohnrückstände ging. Jedes Jahr häufen sich die Proteste der Arbeitenden in den Wochen vor dem Neujahrsfest. Sie blockieren Straßen, halten Protestbanner hoch und drohen sogar damit, von hohen Gebäuden zu springen, nur um das ihnen zustehende Geld zu bekommen, bevor sie über die Feiertage nach Hause zu ihren Familien zurückkehren. Dieses Jahr ist keine Ausnahme, aber die Dringlichkeit hat sich nach drei Jahren der Aussperrung, keiner Erhöhung des Mindestlohns, hoher Arbeitslosigkeit und einer schwachen Gesamtwirtschaft verschärft. (…) Das Problem der Lohnrückstände hat sich in diesem Jahr unter dem Einfluss einer Reihe von Faktoren deutlich verschärft. Die Bekämpfung der Ursachen für die Lohnrückstände von Migrant:innen wird komplizierter sein. (…)
      Arbeiterinnen und Arbeiter protestieren für ihre Löhne, während die Kommunalverwaltungen wegschauen und die Polizei Arbeitende verhaftet
      Trotz öffentlicher Ermahnungen auf höchster Regierungsebene scheinen die Beamten in ganz China nicht in der Lage zu sein, das Problem zu lösen, und in einigen Fällen verschlimmern sie die Situation sogar noch. Einige Beispiele für die Proteste der Arbeitenden zeigen, wie verzweifelt die Arbeitenden sind und wie die Behörden darauf reagiert haben. Busfahrer:innen im Kreis Qingfeng in der Provinz Henan schmückten in den letzten Tagen des Jahres 2022 ihre Busse mit Protestbannern und forderten 16 Monate Lohnnachzahlung. Nach ihrem Protest konnte die Bezirksregierung in Qingfeng jedoch nur versprechen, einen Teil der ausstehenden Löhne nach dem 1. Januar zu zahlen. Andere Arbeitende, die öffentliche Dienstleistungen erbringen, darunter auch Chinas Pandemiepräventionskräfte, die den Spitznamen „Big Whites“ tragen, kämpfen darum, von den lokalen Regierungen und Gesundheitsunternehmen bezahlt zu werden, da drei Jahre der Pandemiekontrolle Zero Covid plötzlich zu Ende gegangen sind. Im Dezember kam es in großen Städten in ganz China, darunter Wuhan, Xi’an, Peking und Shanghai, zu Protesten. (…)
      Die Arbeitenden sind auch körperlicher Gewalt ausgesetzt, wenn sie ihren Lohn einfordern. Die öffentliche Wut über die Misshandlung von Migrant:innen, die ihren Lohn einfordern, entlud sich im Internet, nachdem ein virales Video zeigte, wie eine Gruppe von Arbeitenden brutal mit Eisenstangen verprügelt wurde. Die Arbeitenden forderten ihren Lohn für die Arbeit an einem Bauprojekt in Xiayi in der Provinz Henan zurück. Die örtlichen Behörden gaben schnell eine Erklärung ab, in der sie behaupteten, dass es sich bei den Schlägen lediglich um einen Streit zwischen zwei Unternehmen handelte, die sich um ein Projekt stritten. Ein Online-Portal hat jedoch die beteiligten Arbeitenden ausfindig gemacht, die die offizielle Behauptung widerlegten. (…) Bei einem anderen Vorfall Ende letzten Monats [Dezember 2022] nahm die Polizei in Linyi in der Provinz Shandong fünf Arbeitende fest, weil sie rückständige Löhne forderten. Die Polizei warf den Arbeitenden vor, dass sie sich „weigerten, den normalen Weg zu gehen“, um ihre Löhne einzufordern, und hielt sie fünf Tage lang fest. (…) Die Rolle der Gewerkschaft bei der Vertretung der Arbeitenden ist in Chinas Arbeitsgesetzen und -politik festgelegt. Aber die Gewerkschaft hat ihre Verantwortung gegenüber den Arbeitenden in China nicht ernst genommen. „Sie behauptet, mehr als 200 Millionen Mitglieder zu haben, aber in Wirklichkeit geht es nur um Gesten“…“ Artikel von China Labour Bulletin vom 9. Januar 2023 externer Link („Wage arrears after Zero Covid and before Lunar New Year is symptom of systemic problem“)
  • Straßenblockaden in Chongqing nach Entlassungen von 10.000 Arbeitenden bei Zybio, Hersteller von Covid Tests, der diese zunächst als „Urlaub“ vertuschte
    „Am Wochenende kam es in einer Arzneimittelfabrik in #Chongqing, die Antigen-Testkits herstellt, zu massiven Protesten, weil die Hälfte der 20.000 Arbeitenden entlassen werden sollte. Videos zeigen, wie Arbeitende Straßen blockieren, sich mit der Polizei anlegen und über Covid-19-Testkits trampeln. Der Vorfall begann am frühen Freitag, als die Arbeitenden des Zybio-Werks (Zhongyuan Huiji) von Entlassungen erfuhren, die als vorzeitiger Urlaub getarnt waren, und dass die Löhne niedriger als ursprünglich versprochen ausgezahlt werden sollten. Die Proteste eskalierten am Samstag und Sonntag. Nach dem chinesischen Arbeitsvertragsgesetz erhalten Arbeitende 1 Monat Lohn für jedes Jahr, das sie bei dem Unternehmen gearbeitet haben. Bei Entlassungen von mehr als 10 % der Belegschaft müssen die Gewerkschaft oder alle Beschäftigten 30 Tage im Voraus informiert werden, und das Unternehmen muss Stellungnahmen einholen und dem Arbeitsamt einen Plan für die Entlassungen vorlegen. Bei den Verhandlungen über Abfindungen müssen sowohl die Arbeitnehmer als auch die Arbeitgeber zustimmen, und die Arbeitenden drängen oft auf bessere Abfindungen. Anfang 2022 verhandelten die Beschäftigten des Canon-Werks in Zhuhai beispielsweise erfolgreich über Abfindungen, die über das gesetzliche Minimum hinausgehen. Viele der Zybio-Arbeitenden in #Chongqing haben keinen Arbeitsvertrag mit dem Unternehmen…“ Thread von China Labour Bulletin vom 9. Januar 2023 externer Link (engl.)

    • Siehe auch die Übersetzung aus den Screenshots des Originalbeitrags des Teilnehmers am #Chongqing #中元汇吉 Covid-Testfabrikkampf externer Link: „Die Polizei konnte die Situation nicht unter Kontrolle bringen und schaltete die Anti-Aufruhr-Polizei ein. Zwei voll ausgerüstete Lieferwagen kamen und bewachten das Tor des Campus. Zu diesem Zeitpunkt war bereits ein ganzer Tag seit Beginn der Unruhen vergangen. Vielleicht hat die Regierung dem Druck nachgegeben – nach und nach kamen Agenten, um die Löhne zu begleichen. Dies dauerte bis zum Nachmittag des zweiten Tages. Etwa die Hälfte der Forderungen war bereits beglichen, so dass sich die Lage deutlich beruhigt hatte. Aber es gab immer noch ein oder zwei Agenturen, die sich weigerten. Sie dachten, sie könnten damit durchkommen, da die Menge kleiner war und ein Dutzend Polizisten sie schützte. Ihr Ton war sehr arrogant. Sie rechneten jedoch nicht damit, dass die Menge immer größer und wütender werden würde, bis sie die Polizeilinie durchbrach und den Agenten eine harte Tracht Prügel verpasste. Schließlich benahmen sie sich und begannen, die Arbeiter zu registrieren und die Löhne abzurechnen. Das war in etwa der Ablauf der Veranstaltung.“ (Quelle: engl. Thread von Chuang vom 9. Jan.23 externer Link zum Protest mit Videos)
    • Massive Proteste in Chongqing widerlegen die jüngsten Auszeichnungen des Unternehmens durch die offizielle Gewerkschaft
      „Seit 2020 hat das Unternehmen Zybio mit Hauptsitz in Chongqing mehrere Arbeitsauszeichnungen von verschiedenen Ebenen der offiziellen chinesischen Gewerkschaft erhalten, während gleichzeitig grundlegende Arbeitsrechtsverletzungen begangen wurden. Das CLB hat die Bezirksgewerkschaft aufgefordert, das zu untersuchen. Am 7. Januar kam es zu massiven Protesten in der Zybio-Fabrik (Zhongyuan Huiji) für medizinische Produkte in Chongqing, die Covid-19-Antigen-Testkits herstellt. Etwa die Hälfte der 20.000 Arbeitenden des Unternehmens sollte entlassen werden, nachdem die Aufträge für die Testkits kürzlich zurückgegangen waren. Die Arbeitenden hatten noch Lohnnachzahlungen zu leisten und gingen auf die Straße, um ihre Rechte zu verteidigen. Videos auf Twitter zeigen Arbeitende, die Straßen blockieren, sich mit der Polizei anlegen und über Straßen trampeln, die mit den ikonischen Testkassetten aus Plastik übersät sind. Augenzeugen berichten, dass Arbeitende Produktionsmaterialien und fertige Produkte zerstörten. Den Arbeitenden wurde ein besserer Stundensatz für ihre Lohnnachzahlung versprochen, und der Konflikt wurde ausgesetzt. (…) Nach dem chinesischen Arbeitsvertragsgesetz haben die Arbeitenden Anspruch auf eine Abfindung in Höhe von mindestens einem Monatsgehalt für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit (Art. 40). Darüber hinaus müssen Entlassungen von mehr als zehn Prozent der Belegschaft des Unternehmens der Gewerkschaft oder allen Beschäftigten 30 Tage im Voraus angekündigt werden, und das Unternehmen muss Stellungnahmen einholen und dem Arbeitsamt einen Plan für die Entlassungen vorlegen (Artikel 41). Bei diesen Abfindungsverhandlungen müssen sowohl die Arbeitnehmer als auch die Arbeitgeber zustimmen, und die Arbeitenden drängen oft auf bessere Abfindungspakete. Anfang 2022 verhandelten die Arbeitenden des Canon-Werks in Zhuhai zum Beispiel erfolgreich über bessere Leistungen als ursprünglich vorgeschlagen. Die meisten Arbeitenden bei Zybio haben jedoch keinen Arbeitsvertrag mit dem Unternehmen als Vollzeitbeschäftigte, was bedeutet, dass ihre Arbeitsrechte möglicherweise völlig ungeschützt bleiben. Einige Arbeitende konnten durch die Vermittlung von Leiharbeitern Arbeitsverträge vorweisen, in denen ihnen nur 17 Yuan pro Stunde garantiert wurden, viel weniger als bei der Einstellung mündlich vereinbart wurde…“ Artikel von China Labour Bulletin vom 10. Januar 2023 externer Link („Massive protest in Chongqing belies company’s recent labour awards from the official trade union“)
    • Möglicher Hintergrund der Krise des Herstellers: Öffnung der Grenzen sorgt für Widerbelebung des Schwarzmarktes für Medikamente
      „Ein Online-Schwarzmarkt für Covid-19-Medikamente ist in China explodiert: Einkäufer beschaffen Medikamente aus Indien und den Grenzregionen, um sie auf Social-Media-Plattformen zu verkaufen. Chines:innen kaufen und verkaufen Schmerzmittel und antivirale Covid-19-Medikamente auf einem florierenden Online-Schwarzmarkt, da Hunderttausende von Omicron-Infektionen eine Nachfrage nach antiviralen und fiebersenkenden Medikamenten auslösen. Anfang Dezember hob die chinesische Regierung abrupt ihre Null-Covid-Beschränkungen auf, so dass sich die Bürgerinnen und Bürger kaum auf den schlimmsten Covid-19-Ausbruch des Landes vorbereiten konnten. Da die ältere Bevölkerung nicht ausreichend geimpft ist und die Covid-19-Therapien knapp sind, haben Händler und Anwohner:innen mit überschüssigen Medikamenten die Produkte online teuer verkauft. (…) Auf chinesischen sozialen Plattformen wie Weibo, WeChat und Xiaohongshu verkaufen Händler Paxlovid zu einem Preis von bis zu 2.200 US-Dollar, wobei einige behaupten, sie würden es aus den USA verschicken. In nahegelegenen Regionen wie Südkorea, Taiwan und Hongkong gehen den Apotheken die Erkältungs- und Grippemittel aus, da die Menschen sie an ihre Kontakte in China schicken…“ Artikel von Viola Zhou vom 5. Januar 2023 auf Rest of World externer Link („An online black market for Covid-19 drugs is exploding in China“)
  • Forderungen der Wanderarbeiter:innen als Bestandteil der Massenproteste gegen Corona-Maßnahmen und Regierung in China
    • „… Ob mit oder ohne die COVID-19-Pandemie: China hat die interne Mobilität seiner Bevölkerung stärker kontrolliert als vielleicht jedes andere Land der Welt. Dies wird vor allem durch das Haushaltsregistrierungssystem (hukou) durchgesetzt, das seit 1958 die Bereitstellung von Sozialleistungen an regionale Standorte bindet. Unter Deng Xiaoping begann China mit dem Aufbau eines nationalen Arbeitsmarktes, der es den Bürgerinnen und Bürgern heute ermöglicht, im ganzen Land eine Beschäftigung zu suchen. Die soziale Teilhabe, einschließlich des Zugangs zu staatlich subventionierter Gesundheitsversorgung, Bildung, Renten und Wohnraum, ist jedoch auf der Ebene der Städte geregelt. In den letzten Jahren hat die Zentralregierung eine technokratische Biopolitik gefördert, die darauf abzielt, die Menschen in der richtigen Qualität und Quantität innerhalb einer komplexen sozialräumlichen Hierarchie von Städten und Regionen zu verteilen. Diese „Just-in-time-Urbanisierung“ soll Elitetalente in Elitestädte ziehen und die „Low-End-Bevölkerung“ in Low-End-Orte drängen. Auch wenn sich die Mobilität der Menschen nie so genau bestimmen lässt, hat sie für Chinas Migrant:innen in der Praxis dazu geführt, dass die Lebensräume von der Arbeit getrennt wurden. Fast 300 Millionen Menschen wurden vertrieben, weil sie auf der Suche nach Arbeit in die Städte gezogen sind und ihnen dort der Zugang zu lebenswichtigen Infrastrukturen wie Wohnraum und Gesundheitsversorgung verwehrt wurde. Diese Aufteilung wurde durch ein punktbasiertes Bewertungssystem durchgesetzt, das es ermöglicht, nominell öffentliche Ressourcen an Menschen mit hohem Bildungsniveau zu verteilen, die über Eigentum verfügen. Mit anderen Worten: Obwohl Kapital und Arbeit innerhalb Chinas frei beweglich sind, gibt es weiterhin massive interne Grenzen, die die soziale Reproduktion einschränken. Manchmal werden diese unsichtbaren Grenzen auch physisch sichtbar. Obwohl die Abschiebung von Nicht-Ortsansässigen aus den Städten („Inhaftierung und Rückführung“, im offiziellen Jargon) nach dem Polizistenmord an dem Migranten Sun Zhigang im Jahr 2003 verboten wurde, ergreifen die Städte immer noch Zwangsmaßnahmen, um Menschen zu entfernen, die als fehl am Platz gelten. So wurden schon informelle Schulen für Migrantenkinder mit Bulldozern platt gemacht und sogar ganze Migrantengemeinschaften abgerissen. Das spektakulärste Beispiel für die zwangsweise Vertreibung von Arbeitsenden war 2017, als die Stadtregierung von Peking einen tragischen Brand als Vorwand für Massenvertreibungen und die Sanierung von Arbeitervierteln nutzte und dabei bis zu 100.000 Menschen vertrieb. Chinas Vorgehen bei der Steuerung der Freizügigkeit während der Pandemie kann nicht losgelöst vom Rest der Welt betrachtet werden. Derartige Zwangsmaßnahmen sind auf die Diskrepanz zwischen einem national organisierten Arbeitsmarkt und der auf regionaler Ebene organisierten Sozialfürsorge zurückzuführen, eine Dynamik, die zu sporadischen Ausbrüchen sozialer Kämpfe geführt hat. Bei meinen Forschungen mit Migrant:innen in Peking, Guangzhou und anderswo habe ich häufig festgestellt, dass die Menschen sich einerseits bewusst sind, dass die Städte ohne ihre Arbeitskraft zusammenbrechen würden, und andererseits ungläubig darüber sind, dass sie in diesen Städten als Arbeitende ohne Zugang zu Bildung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung aufgenommen werden. Oft ohne staatliche Unterstützung haben sich diese Gemeinden kreativ bemüht, ihre eigenen sozialen Bedürfnisse zu erfüllen. Schon in den 1990er Jahren haben kleine Gruppen von Eltern ihre begrenzten Ressourcen zusammengelegt, um informelle Schulen zu gründen, die oft in einem einzigen Zimmer einer Wohnung beginnen. Einige dieser Schulen, die auf Gegenseitigkeit beruhen, sind in den Zwischenräumen der Stadt weiter gewachsen und bieten Kindern, die keinen Zugang zum öffentlichen Schulsystem haben, eine kostengünstige Ausbildung. Ohne öffentliche Unterstützung sind diese Schulen natürlich an ihre Grenzen gestoßen, da sie auf Schulgeld angewiesen sind und gleichzeitig eine arme und arbeitende Bevölkerung versorgen müssen. Dennoch ist es einigen von ihnen gelungen, finanzielle Unterstützung von Stiftungen und der Regierung zu erhalten und gleichzeitig bewundernswerte akademische Erfolge zu erzielen. Diese Bemühungen haben zwar nicht dazu geführt, dass sich die Ungleichheit im Bildungswesen und in der Wirtschaft in China umkehrt, aber sie haben zumindest dazu beigetragen, dass Millionen von Migrant:innen in derselben Stadt wie ihre Kinder leben können. Einige haben bei ihrer Suche nach bezahlbarem Wohnraum in den boomenden Städten auch institutionelle Umgehungen gefunden. Vor allem in Megastädten wie Shanghai, Peking, Shenzhen und Guangzhou sind die Wohnkosten astronomisch hoch und der Kauf einer Wohnung ist nur für wenige Migrant:innen vom Land in die Stadt möglich. Diese Arbeitenden haben oft eine Unterkunft in „Dörfern in der Stadt“ gefunden – Land, das offiziell als ländlich bezeichnet wird, aber in den letzten Jahrzehnten der rasanten Urbanisierung von der Stadt umschlossen wurde. Die lokalen Gemeinden, die Nutzungsrechte an diesem Land haben, haben relativ kostengünstige informelle Wohnungen gebaut. Wie bei den informellen Schulen gibt es auch hier echte Einschränkungen: Ohne öffentliche Unterstützung sind die Unterkünfte oft unzureichend und haben kaum Zugang zu physischer und sozialer Infrastruktur. Nichtsdestotrotz ermöglichen diese Unterkünfte den Migrant:innen den Zugang zum städtischen Arbeitsmarkt, der ihnen sonst durch die hohen Wohnkosten versperrt wäre. Diese Überlebenstaktik ist rechtlich unsicher und daher den Launen der lokalen Behörden ausgesetzt, die eine Sanierung erwägen. Doch immer wieder haben wir erlebt, dass Migrant:innen in chinesischen Städten ein Bleiberecht fordern. In Peking zum Beispiel wurden zwischen 2010 und 2018 mindestens sechsundsiebzig Schulen für Migrantenkinder abgerissen. Der Abriss von Schulen führte häufig zu konfrontativen kollektiven Aktionen wie Petitionen an Regierungsbeamte, Straßenblockaden und sogar zur Selbstverbrennung von Eltern. Diese Unruhen konnten häufig Siege erringen, indem sie Abrisspläne zurückschlugen und die Einschulung von Kindern in öffentlichen Schulen durchsetzten, obwohl die Exklusivität von Chinas wohlhabenden Megastädten weiter voranschreitet. Die Zentralregierung hat eine technokratische Biopolitik gefördert, die darauf abzielt, die Menschen in der richtigen Qualität und Quantität innerhalb einer komplexen sozialräumlichen Hierarchie von Städten und Regionen zu verteilen. Migrant:innen kämpften im Herbst 2017 auch gegen die Räumung informeller Wohnungen in Peking. Ihr Widerstand stieß nicht nur auf große Sympathie bei den Stadtbewohnern, sondern auch auf große klassenübergreifende Solidarität. Pekingerinnen und Pekinger aus allen Gesellschaftsschichten organisierten sich in gegenseitigen Hilfsnetzwerken, um den Zehntausenden Vertriebenen eine vorübergehende Unterkunft, Kleidung und Lebensmittel zur Verfügung zu stellen. Prominente Akademiker/innen unterzeichneten einen Brief, in dem sie die Räumungen anprangerten. Vor dem Hintergrund der drastischen Einschränkung der akademischen Freiheit unter Xi Jinping war ein solcher Brief nicht nur ein großes Risiko, sondern auch von symbolischer Bedeutung. Weniger uneigennützig, aber dennoch bedeutsam war, dass einige der Unternehmen, die auf Migrant:innen angewiesen sind, sich beeilten, vorübergehende Unterkünfte zu organisieren. Fast über Nacht entstand eine breite Koalition, die sich gegen einen Stadtstaat wehrte, der mit der biopolitischen Maschinerie ausgestattet war, das menschliche Leben nach seinem Gutdünken umzugestalten. Die Kämpfe der Migrant:innen um die Annäherung von Arbeit und Leben nahmen in den folgenden Jahren einen neuen und noch dringlicheren Charakter an. Der erste COVID-19-Ausbruch und die anschließende Abriegelung von Wuhan offenbarten viel über das staatliche Bevölkerungsmanagement. Wie in Chuangs Social Contagion (2021) genau dokumentiert, kann der Erfolg der Abriegelung nicht auf einen allmächtigen Zentralstaat zurückgeführt werden. Vielmehr waren es gerade die Unfähigkeit und die Irrationalität des Staates, die die Ausbreitung des Virus überhaupt erst ermöglichten. Vielmehr entstanden während des ersten Ausbruchs dichte Netze der gegenseitigen Hilfe, die den Transport unverzichtbarer Güter in der Stadt und der Region erleichterten und es den meisten Menschen ermöglichten, zu Hause zu bleiben. Obwohl sich der Staat schließlich dazu verpflichtete, das Virus auszurotten, lag der Schlüssel zum Erfolg in Wuhan in den Koordinationsfähigkeiten des Staates in Kombination mit Bottom-up-Initiativen. (…) In den zweieinhalb Jahren seit Beginn der Pandemie hat sich die Mobilität der Menschen dramatisch verändert. Auf der allgemeinsten Ebene hat die COVID-19-Ära die Mobilitätskluft zwischen Kapital und Waren sowie Arbeit und Menschen vergrößert. Zweifelsohne wurde der Warenverkehr durch das, was etwas ungenau als Lieferkettenkrise bezeichnet wird, durcheinander gebracht. Während die weltweite Einwanderung und der internationale Reiseverkehr aufgrund der Pandemie deutlich zurückgingen, erreichte der Welthandel im Jahr 2021 einen neuen Rekord von 28,5 Billionen US-Dollar. Chinas Handel mit den Vereinigten Staaten nahm 2021 um 25 Prozent zu, während sein globaler Handelsüberschuss einen Rekordwert von 676,6 Milliarden Dollar erreichte. Gleichzeitig führte China radikale neue Mobilitätskontrollen für Menschen ein, sowohl international als auch im eigenen Land. (…)
      Die Kontrolle der Bewegung bestimmter Menschen dient der Aufrechterhaltung globaler Herrschaftsverhältnisse. Die Vereinigten Staaten und die EU haben Mobilitätskontrollen exportiert, indem sie Grenzpatrouillen an Länder im Globalen Süden delegiert haben, während sie gleichzeitig die Grenze durch alle Arten von Polizeiarbeit, Überwachung, Inhaftierung und formalisierte Gastarbeiterprogramme verinnerlicht haben. Die wachsende Forderung nach der Abschaffung von Grenzen beruht im besten Fall auf der Überzeugung, dass Menschen sich frei bewegen können und die politischen und sozialen Rechte besitzen sollten, die es ihnen ermöglichen, sich in dem Raum, den sie bewohnen, zu entfalten. Die Bestrebungen und Kämpfe in China sind Teil der Forderungen von Migrant:innen und enteigneten Menschen auf der ganzen Welt, die Logik der Grenzen abzuschaffen und dem geschlossenen Kreislauf des Kapitals zu entkommen.“
      Artikel von Eli Friedman vom 28. November 2022 im Boston Review externer Link („Escape from the Closed Loop“)
    • Wanderarbeiter:innen durchbrechen Lockdown-Absperrungen und beteiligen sich an Protesten gegen Regierung
      „… Als ab Mitte November landesweit Lockdowns verhängt wurden, häuften sich die Vorfälle. Im Stadtteil Haizhu in Guangzhou, wo viele Wanderarbeiter:innen wohnen, durchbrachen Hunderte die Lockdownabsperrungen und lieferten sich Auseinandersetzungen mit den «grossen Weissen» («da bai»). Das sind die von den Behörden geschickten Ordnungs- oder Sicherheitskräfte in weissen Schutzanzügen. Am 23. November eskalierte die Situation im Foxconn-Komplex in Zhengzhou erneut. Foxconn hatte neue Arbeiter:innen angeworben und hohe Bonuszahlungen versprochen, vor Ort merkten die Neuen dann, dass die Bedingungen schlechter waren als erwartet. Zudem wurden infizierte und nichtinfizierte Arbeiter:innen nicht getrennt. Auch hier kam es zu Zusammenstössen mit den Sicherheitskräften, bei denen Tränengas und Wasserwerfer eingesetzt wurden. (…) Wanderarbeiter:innen sind vor allem wütend über Reisebeschränkungen, Einkommensausfälle und schlechte Behandlung. Ihre Löhne sind angesichts der krisenhaften Wirtschaftslage in letzter Zeit kaum erhöht worden. Sie haben kaum Rücklagen, um zeitweise auch ohne Arbeit über die Runden zu kommen. Für sie geht es um ihre Existenz, entsprechend gross ist ihre Wut, die sie gegen Absperrzäune, Überwachungskameras und Polizeikräfte richteten. Das Regime reagierte mit Gewalt…“ Aus dem Artikel von Ralf Ruckus vom 1. Dezember 2022 in der WOZ externer Link („Demonstrationen in China: Von Marx und Engels inszeniert?“)
    • Siehe auch unser Dossier: Tödlicher Hochhausbrand in Urumqi: Landesweite Massenproteste gegen Lockdown-Politik und Regierung Chinas
  • Lockdown: Pekings Rider campieren im Freien, nachdem Wohnquartiere abgeriegelt wurden – ein Lieferfahrer erhielt nach Protest Unterkunft vom Arbeitgeber
    „Essenslieferanten in Peking haben erklärt, dass sie auf der Straße leben, um weiter zu arbeiten und Geld zu verdienen, nachdem ihre Wohnhäuser wegen einer Welle von Coronavirus-Infektionen geschlossen wurden. In einem verzweifelten Hilferuf schrieb ein Gig-Worker mit dem Nachnamen Zhang, dass er und 15 andere Fahrer nach einer bezahlbaren Unterkunft suchen, nachdem ihre Gebäude am Sonntag versiegelt wurden. Zhang sagte, dass die Gruppe befürchtete, nicht mehr arbeiten zu können, wenn sie in ihre Wohnungen zurückkehrten, und fügte hinzu, dass sie den sinkenden Temperaturen getrotzt und Unterschlupf gesucht hätten, wo immer sie konnten. „Selbst diese Orte sind für uns nicht mehr zugänglich, weil die Leute von zu Hause aus arbeiten und die Restaurants nach und nach die Essensausgabe einstellen“, schrieb Zhang am Dienstag zusammen mit einem QR-Code zu seinem WeChat-Konto. „Wir können uns keine teuren Hotels leisten … Wir wären dankbar, wenn uns jemand mit Mietwohnungen verbinden könnte, die etwa 50 Yuan (7 US-Dollar) pro Person und Tag kosten. (…) Der Beitrag, der inzwischen auf den sozialen Medien viral gegangen ist, unterstreicht die Notlage der Gig-Arbeitenden im Land, die bereit sind, alles zu tun, um ihr Einkommen zu schützen, während ihre Arbeit durch die Maßnahmen zur Virenbekämpfung ständig unterbrochen wird. In Peking und in mehreren anderen Großstädten, darunter Guangzhou im Süden und Zhengzhou in Zentralchina, häufen sich derzeit die COVID-19-Fälle. In der Hauptstadt wurden die Beschränkungen verschärft, und in einigen Bezirken wurden Schulen, Restaurants und andere öffentliche Einrichtungen geschlossen, um die Ansteckung einzudämmen. Die Arbeitenden sind ein wesentlicher Bestandteil der Gig-Economy in China und treiben die Multimilliarden-Dollar-Industrie an. Aber sie werden oft ausgebeutet und schlecht bezahlt, obwohl die Unternehmen versprechen, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern.Während der Abriegelung im Frühjahr in Shanghai waren die Arbeitenden eine wichtige Stütze für die 25 Millionen Anwohner:innen der Stadt. Da sie fürchteten, nicht arbeiten zu können, wenn sie in ihren versiegelten Wohnanlagen lebten, kampierten viele von ihnen auf der Straße und versorgten die hungrigen Stadtbewohner mit kostenlosem Essen zum Mitnehmen. Zhang sagte, dass er und seine Kolleg:innen, die bei der Essenslieferplattform Meituan angestellt sind, in den letzten Tagen in Lieferstationen, Bürogebäuden und Restaurants geschlafen haben. „Wir bestehen darauf, jeden Tag einen (PCR-)Test zu machen“, schrieb er in dem viralen Posting. „Aber wir wollen nicht eingesperrt werden oder unsere einzige Einnahmequelle verlieren.“ Am Mittwoch erklärte eine Meituan-Sprecherin gegenüber Sixth Tone, dass das Unternehmen Hotels für Zhang und die anderen Fahrer organisiert und versprochen hat, ihre Kosten zu übernehmen. Die Plattform plant auch, anderen Fahrern mit ähnlichen Problemen zu helfen…“ Artikel von Lin Xin vom 22. November 2022 auf Sixthone.com externer Link („Fearing Lockdown, Beijing’s Delivery Workers Camp Outside“)
  • Siehe dazu auch unser Dossier: Repression gegen Selbstorganisierung und Kämpfe der Kuriere: Rider Mengzhu wird in China festgenommen
  • Unzufriedenheit mit den Lockdownbedingungen: Apple-Zulieferer sieht sich mit Arbeiterrevolte in abgeriegelter Fabrik konfrontiert
    Arbeiter protestieren gegen die Abschottung des Quanta-Werks in Shanghai (…) Gewaltsame Zusammenstöße, zunehmende Infektionen und leere Fabrikhallen: Der Aufruhr, der Zehntausende von Arbeitern in einem Zulieferbetrieb von Apple Inc. in Shanghai erfasst hat, ist ein beunruhigendes Symptom für Chinas radikalen Versuche, Fabriken während des schlimmsten Covid-Ausbruchs seit 2020 am Laufen zu halten.
    Die seit fast zwei Monaten in einer Blase gefangenen, per Regierungsdekret eingeschlossenen und von der Außenwelt abgeschotteten Arbeiter von Quanta Computer Inc. fordern mehr Freiheit und beginnen, sich gegen ihre Aufseher aufzulehnen (…) Hunderte von Arbeitern sind mit dem Wachpersonal aneinandergeraten. (…)Der riesige Campus von Quanta im Shanghaier Vorort Songjiang dient sowohl als Arbeitsplatz als auch als vorübergehendes Zuhause für ungelernte Wanderarbeiter aus dem ganzen Land – und auch für besser bezahlte Ingenieure aus Taiwan. Vor dem Ausbruch des Covid-Virus arbeiteten die Arbeiter in Schichten, um in einer nahe gelegenen Fabrik das MacBook und andere Laptops von Apple herzustellen. Ein normaler Schlafsaal beherbergt 12 Arbeiter in Etagenbetten, so die Aussagen von Personen, die in der Anlage gewohnt haben. In den ersten Tagen der obligatorischen Abriegelung im April musste Quanta den größten Teil seiner Fabrik schließen und die Arbeiter in ihren Schlafsälen einsperren…“ Beitrag vom 6.6.2022 im Forum Arbeitswelten externer Link mit einigen Fotos
  • [Tesla-Fabrik in Shanghai] Tesla Arbeitslager: Chinesische Behörden ermöglichen Arbeit im Lockdown
    Elon Musks Tesla-Fabrikarbeiter schlafen auf dem Werksgelände und arbeiten in 12-Stunden-Schichten sechs Tage die Woche – Elon Musk lobt chinesische Arbeiter dafür, dass sie „ihr Öl um 3 Uhr früh verbrennen“ – so sieht das in der Realität aus
    Teslas riesige „Giga-Fabrik“ in Shanghai treibt ihre Arbeiter bis an die Grenzen, um die Produktionsziele zu erreichen – und das bei einer anhaltenden Pandemie-Abriegelung (…) Seit der Eröffnung der Tesla-Fabrik in Shanghai im Jahr 2018 wurde über Verstöße gegen Arbeitsrechte und Sicherheit berichtet, wobei einige Arbeiter in der von lokalen Journalisten als „Giga-Sweatshop“ bezeichneten Fabrik weniger als 1.500 US-Dollar im Monat verdienen. (…) „Sie verlassen nicht einmal die Fabrik“: Tesla-Mitarbeiter in China leiden, der Chef feiert’s…“ Übersetzungen aus der Presse am 30.5.2022 im Forum Arbeitswelten externer Link
  • Der Lockdown in Shanghai im Forum Arbeitswelten, u.a. am Beispiel der EssenskurierfahrerInnen 
    Bei dem Ausbruch der Covid19 Epidemie 2019 in Wuhan versuchte die Kommunistische Partei das Problem unter den Teppich zu kehren und wurde von einer Welle der Empörung der Bevölkerung überrollt. Mit einem radikalen Kurswechsel, der ZeroCovid Strategie und rigorosen Maßnahmen gegen die Verbreitung des hochansteckenden Virus, gelang es der Chinesischen Regierung, die Verbreitung des Virus und die Unruhe in der Bevölkerung in den Griff zu bekommen. Diese harten Maßnahmen wurden von der Bevölkerung weitgehend als notwendig anerkannt und auch Weltweit gab es Lob für dieses Vorgehen. Die Belastung der Bevölkerung mit den Maßnahmen führte auf Dauer von einem Sinken der Akzeptanz und 2021 gab es eine Reihe von Protesten gegen die Einschränkungen. Die Omikron Variante ließ sich auch mit den harten Maßnahmen der Regierung nicht in den Griff kriegen. Die Partei scheint keinen Plan-B in dieser Sache zu haben, und versucht nun die Durchsetzung eines Lockdowns in aller Härte, ohne die logistischen Probleme dieser Situation bewältigen zu können. Es funktioneren Notwendigkeiten, wie die Lebensmittelversorgung nicht und es fehlt an einer funktionieren Gesundheitsversorgung in abgeriegelten Städten. Es kommt zu Verzweiflung, Verzweiflungstaten, Protesten, Revolten und Plünderungen. Siehe dazu 5 Beiträge im Blog des Forum Arbeitswelten zur aktuellen Situation des Lockdowns in Shanghai:

  • Kommt die ”Kulturrevolution” nach Shanghai zurück? Lockdown bei der Null-Covid-Politik führt zu Engpässen bei der Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung der Bevölkerung.
    Um genauer zu fragen: Stehen 22 chinesische Städte und Regionen vor einer neuen ”Kulturrevolution”, weil man mit einem harten Lockdown die Covid-Pandemie in den Griff bekommen will? Wir nehmen Shanghai allein wegen seines Status als  Metropole in den Blick. Über die Stadt wurde Anfang April der Lockdown verhängt, weil die Zentralregierung unbedingt ihre Null-Covid-Politik durchsetzen will. Seitdem sehen sich ihre 27 Millionen EinwohnerInnen nicht nur vom Virus bedroht, sondern auch noch durch den Mangel an Lebensmitteln und sonstigem lebensnotwendigen Bedarf, einschließlich Medikamenten für die Kranken und vor allem durch eine barbarische Umsetzung (野蛮执法) der Null-Covid-Politik. Die Menschen werden gewaltsam zu Covid-Tests gezwungen, die positiv Getesteten werden in Quarantäneeinrichtungen geschickt, selbst wenn sie keine Symptome aufweisen oder sie werden einfach in ihren Wohnungen eingesperrt. Die Regierung schert sich überhaupt nicht um die sozialen Folgen oder dass dadurch Menschen sterben. Initium.com, ursprünglich eine Internetzeitung in Hongkong , die nach Einführung des Gesetzes zur nationalen Sicherheit nach Singapur ausweichen musste, gelang es, mit einem Shanghaier Arzt ein Interview zu machen…“ china watch-Blogbeitrag von Au Loong Yu vom 26.04.2022 in der taz externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=200253
nach oben