»Amazon will die Weltherrschaft« – und wie man gegen den großen Online-Versandhändler gewinnen kann (und in Bad Hersfeld will)

"Action on Amazon"Der Gewerkschafter und seit 2008 bei Amazon arbeitende Andreas Gangl berichtet im Interview von Clemens Melzer vom 8. April 2022 in Neues Deutschland online externer Link, „wie man gegen den großen Online-Versandhändler gewinnen kann. (…) Erst mal höhere Löhne. Wir haben das auch schon auf internationaler Ebene diskutiert. Wir machen überall in Europa die gleiche schwere Arbeit – und deshalb sollen sie uns auch überall gleich bezahlen! Wenigstens im Verhältnis zum Lohnniveau des jeweiligen Landes, wie es angemessen wäre bei dem reichsten Unternehmen der Welt. Das andere sind die Arbeitsbedingungen, wie sie mit uns umspringen. Wertschätzung, Respekt – davon redet Amazon, aber sie haben keine Ahnung, was das bedeutet. (…) Wenn du in Deutschland streiken willst, müssen die Forderungen ja immer tarifierbar sein. Tarifvertrag würde bedeuten, dass wir einen Euro mehr pro Stunde bekämen. Das wäre schon eine tolle Sache, denn aktuell liegt der Einstiegslohn bei 12 Euro. Aber wenn ich Unternehmen wie Volkswagen sehe, die haben auch eine Logistiksparte und zahlen 18 Euro Startlohn. Ja, das ist die Metallindustrie, aber Amazon ist der weltgrößte Online-Händler und verdient sich dumm und dämlich! Was man auch sehen muss: Sobald der Tarifvertrag Anwendung findet, sind wir in unserem Recht zu streiken eingeschränkt. Letztlich sehe ich es als wichtiger, eine Demokratisierung bei Amazon voranzutreiben, als einen Tarifvertrag durchzusetzen…“ Siehe weitere Ausführungen zu Bad Hersfeld und tarifpolitischen Strategien:

  • Weiter im Interview von Clemens Melzer vom 8. April 2022 in Neues Deutschland online externer Link: „… Wir hatten hier in sechs Jahren keine Lohnerhöhungen. Seit wir uns organisieren, gibt es jedes Jahr eine Lohnerhöhung. Als wir das erste Mal Weihnachtsgeld gefordert haben, hat der Arbeitgeber gesagt: Das wird es nie geben, wir sind ein amerikanisches Unternehmen! Das ist nicht vorstellbar, da steht ja keine Leistung hinter. Als aber die Mitgliederzahlen bei der Gewerkschaft nach oben gingen – wumms! -, gab es plötzlich Weihnachtsgeld. Und was man nicht messen kann, ist das neue Selbstbewusstsein in der Belegschaft. Ich kann von mir sagen: Mich hat dieser Arbeitskampf persönlich total verändert. Ich bin viel selbstbewusster geworden. Wenn ich mich vergleiche mit der Person, die ich vor 2008 war – da liegen Welten dazwischen. Sich nicht alles bieten zu lassen. So haben wir es auch geschafft, dass in Bad Hersfeld kein Feedback mehr gegeben wird. (…) Früher gab es tagtäglich Feedback-Gespräche. Da hat dir der Vorgesetzte gesagt, was du am Vortag geleistet hast. Am Anfang gab es noch absolute Zahlen, zum Beispiel musste ich beim Picken 1680 Units in einer Schicht schaffen. Das haben sie irgendwann umgestellt und einen Abteilungsdurchschnitt gebildet, von dem man soundso viel Prozent schaffen sollte. Aber das ist totaler Bullshit. Wenn ich einen Durchschnitt bilde, habe ich automatisch immer welche, die darunter sind, egal wie gut die Leistung war! Das führt ja nur dazu, dass du ausgepresst wirst wie eine Zitrone. Dagegen haben wir uns erfolgreich gewehrt. In Polen bekommen sie nach wie vor Feedback, und wenn deine Leistung soundso viele Male unter 90 Prozent war, kriegst du deine Kündigung. Das ist bei uns so nicht möglich. Da Amazon die Zahlen per elektronischem System erhebt, dürfen die rein rechtlich nicht zur Leistungsbewertung herangezogen werden. (…) Das Prinzip Amazon ist an jedem Standort das gleiche, und wir müssen das Konkurrenzdenken überwinden, uns auch international vernetzen und überall Amazon bekämpfen. Was ist, wenn Amazon sagt: In Bad Hersfeld machen wir jetzt einen Tarifvertrag? Dann haben wir vielleicht einen Tarifvertrag, sind raus – und es wird nicht besser.“
  • Und strategisch wichtig: : „… Amazon wird auf lange Sicht nicht mehr Hermes oder DHL nutzen, sondern alles in Eigenregie durchführen. Amazon will die Weltherrschaft. Ich hatte jetzt in Kassel ein Treffen mit Studierenden, die über Weihnachten bei Amazon in den verschiedenen Delivery-Stations gearbeitet haben. Das ist ja ganz anders als in den Versandzentren, da werden hauptsächlich Leiharbeiter eingesetzt, und die Organisierung ist schwer. Ärgerlich, dass die Bundesebene von Verdi entschieden hat, diese Organisierung dem Fachbereich 10 für den Logistiksektor zu übertragen und nicht dem Fachbereich 12 für Handel. Im Rahmen des Netzwerks »Organisieren Kämpfen Gewinnen« (OKG) versuchen wir, uns mit Fahrern von Post und anderen Versanddiensten zu vernetzen. Was auf Funktionärsebene nicht geschieht, müssen wir als Arbeiter vorantreiben. Ich habe schon immer gesagt: Wenn wir streiken, müsste die Post doch auch streiken, damit die ganze Kette blockiert wird und die Pakete beim Kunden nicht ankommen…“
  • Siehe zu Andreas Gangl seinen Bericht vom 14. Transnationalen ArbeiterInnentreffen am 25. bis 27. März 2022 in Bad Hersfeld
  • und zuletzt zu Bad Hersfeld im März 2022: Amazon stiehlt Zeit… und hält nicht viel von Mitbestimmung. Auseinandersetzung zur Vergütung der Wegezeiten und die Mitbestimmung bei Amazon in Bad Hersfeld
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=199680
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