Weitgehend oder durchgehend prekär? Roland Kohsiek zu den Arbeitsbedingungen in der (beruflichen) Weiterbildung

express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und GewerkschaftsarbeitMit der Corona-Pandemie wurde offensichtlich, was schon länger angemahnt wurde: Es gibt verschiedene Beschäftigtengruppen am Rande des Arbeitsmarktes, die unter prekären Bedingungen arbeiten und die in der Pandemie besonders schwer betroffen sind – so Kulturschaffende, in der Gastronomie und auch Bildungsarbeiter:innen, vor allem in der Weiterbildung. Im folgenden Beitrag werden die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der Weiterbildung etwas genauer beleuchtet – mit dem Schwerpunkt »Berufliche Weiterbildung«. (…) Es gibt keine direkten gesetzlichen Regelungen oder Rahmenbedingungen. (…) Die Weiterbildung bzw. der Weiterbildungsmarkt ist durchgängig von prekären Beschäftigungsbedingungen geprägt; ausufernde Honorarbeschäftigung ist ein negatives Strukturmerkmal. Wer immer das hohe Lied des Marktes und seiner regulierenden Kräfte anstimmt, möge sich auf dem Weiterbildungsmarkt umtun. (…) Die beiden Gewerkschaften ver.di und GEW organisieren die Beschäftigten in der Weiterbildung; ver.di erheblich mehr als die GEW. Der Organisationsgrad hält sich allerdings in Grenzen…“ Artikel von Roland Kohsiek, erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Ausgabe 2-3/2022:

Weitgehend oder durchgehend prekär?

Roland Kohsiek[*] zu den Arbeitsbedingungen in der (beruflichen) Weiterbildung

Mit der Corona-Pandemie wurde offensichtlich, was schon länger angemahnt wurde: Es gibt verschiedene Beschäftigtengruppen am Rande des Arbeitsmarktes, die unter prekären Bedingungen arbeiten und die in der Pandemie besonders schwer betroffen sind – so Kulturschaffende, in der Gastronomie und auch Bildungsarbeiter:innen, vor allem in der Weiterbildung. Im folgenden Beitrag werden die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der Weiterbildung etwas genauer beleuchtet – mit dem Schwerpunkt »Berufliche Weiterbildung«.

Die Weiterbildung ist zwar in aller Munde, wird gerne als gesellschaftlich sinnvoll betrachtet und in Transformationskonzepten besonders hervorgehoben, jede Annäherung stößt jedoch an Grenzen, denn es gibt kaum Statistiken. Das Statistische Bundesamt zählt zwar alles Mög­liche, über Weiterbildung findet sich allerdings kaum etwas, weder über die Zahl der Teilneh­mer:innen noch über die Anbieter gibt es verlässliche Daten. Lediglich einzelne Bereiche wie die Volkshochschulen und die berufliche Rehabilitation sind recht gut erfasst. Somit gibt es auch kaum Informationen und Einschätzungen über die Struktur der gesamten Weiter­bildung.[1]

Über Jahrzehnte wurde immer wieder ersucht, greifbare Zahlen zur Weiterbildung zu erhalten, auch über den Weg der Zusammenstellung von Einzel- und Teilstatistiken. Erst Untersuchungen von 2005 und 2016 brachten Licht ins Dunkel: Demnach sind knapp 700.000 Personen in der Weiterbildung tätig. Diese Zahl mag allein schon überraschen, die wirkliche Dimension wird deutlich im Vergleich mit den anderen Bildungsbereichen: In den Kinder­tagesstätten und im Vorschulbereich sind 743.000 Personen beschäftigt, an den allgemein- und berufsbildenden Schulen knapp 1,1 Millionen und an den Hochschulen 682.000. Die Weiterbildung ist demnach schon lange nicht mehr der kleine nebengeordnete Bildungs­bereich, oftmals als Erwachsenenbildung bezeichnet und mit einem Volkshochschulflair assoziiert, es ist der zweitgrößte Bildungsbereich nach den Schulen.[2]

Auch unter dem Aspekt der Finanzierung sticht die Bedeutung der Weiterbildung hervor: Für 2015 wird nach einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung von einem Volumen von 26,9 Milliarden Euro ausgegangen, das entspricht 15,1 Prozent aller Ausgaben für Bildung und macht umgerechnet 0,9 Prozent des BIP aus. Etwas über 40 Prozent dieser Summe wird von Arbeitgebern aufgebracht. Dabei ist die Abgrenzung schwierig, insbesondere bei der betrieblichen Weiterbildung ist nicht einheitlich erfasst, welche Kosten der Weiterbildung zugeordnet werden − etwa nur die Trainer:innenkosten oder auch sog. Ausfallkosten. Hier geht es zunächst nur um die Größenordnung.

Der Weiterbildungsmarkt

Die traditionelle Untergliederung nach allgemeiner, politischer und beruflicher Weiterbildung hat zwar Bestand, doch hat gerade auch durch die Expansion der gesamten Weiterbildung eine Verschiebung stattgefunden: Der weitaus größte Teil ist die berufliche Weiterbildung. Zugleich ist der Weiterbildungsmarkt sehr heterogen und unübersichtlich; eine Unterschei­dung nach Marktsegmenten ist hilfreich (die Auflistung benennt nur einige und recht bekann­te Segmente):

  • die sog. Arbeitsmarktdienstleistungen, also die SGB II- und SGB III-geförderte Wei­terbildung,
  • der Nachhilfemarkt mit einem geschätzten Volumen zwischen 1,5 bis 3,5 Milliarden Euro,
  • der Sprachschulmarkt mit dem Sonderbereich Deutsch als Fremdsprache / Deutsch als Zweitsprache,
  • die privaten Fachschulen
  • oder die Unternehmen für Fernunterricht.

Während es zu Zeiten der großen Bildungsreformdebatte noch hieß, die Weiterbildung solle zur vierten Säule im Bildungssystem der Bundesrepublik ausgebaut werden, fand Mitte der 1980er Jahre die schleichende Kehrtwende statt. Nun hieß es, die Weiterbildung orientiere sich »an den Prinzipien der Vielfalt und des Wettbewerbs der Träger und der Angebote«, so in einer Broschüre des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft 1994.

Ungeregelte Konkurrenz

Herausgekommen ist ein unübersichtlicher, ungeregelter Markt ohne Standards, weder für das Produkt ›Weiterbildung‹ noch für die Ausstattung der Lernorte oder die Arbeitsbedingungen. Es gibt keine direkten gesetzlichen Regelungen oder Rahmenbedingungen. Der Marktzugang ist denkbar einfach, es genügt ein Gewerbeschein und mit lediglich etwas Werbeaufwand entstehen Lerninstitute oder Akademien, alles keine geschützten Bezeichnungen. Entspre­chend herrscht auf dem Weiterbildungsmarkt durchgehend eine scharfe, in Teilbereichen auch brachiale Konkurrenz. Diese Konkurrenzmechanismen drücken auf die Qualität und die Be­schäftigungsbedingungen, was bei einer Dienstleistung mit 50 bis 70 Prozent Personalkosten auch nicht verwunderlich ist.

Diese Konkurrenz ist in den einzelnen Marktsegmenten und örtlich unterschiedlich ausge­prägt. So ist im Bereich der Fachschulen die Konkurrenz je nach Berufsziel unterschiedlich groß, im Bereich der Sprachschulen in jeder Großstadt an endlosen Werbekampagnen zu erkennen, das gilt auch für den Nachhilfemarkt: Früher weitgehend von Studierenden be­trieben, sind es heute die beiden großen Nachhilfeketten Schülerhilfe und Studienkreis Nachhilfe mit jeweils über 1.000 Standorten in der Bundesrepublik, beide arbeiten nach dem Franchise-Prinzip, die Einzelstandorte sind also formal selbstständige Unternehmen unter einem Franchise-Geber.

… und Ausschreibungspraxis

Die scharfe Konkurrenz prägt in besonderem Maße die sogenannten Arbeitsmarkt­dienstleistungen, vielleicht nicht das größte Segment, aber ein sehr großes, dessen Bedingun­gen Auswirkungen auf die gesamte Weiterbildung haben. Dieser Bereich steht auch deshalb immer wieder im öffentlichen Interesse, weil hier öffentliche Mittel in beträchtlicher Höhe genutzt werden – Beiträge der Arbeitslosenversicherung beim SGB III und Steuermittel beim SGB II. Mit den Hartz-Gesetzen wurde nicht nur die Streichung der Arbeitslosenhilfe und die Einführung der sogenannten Grundsicherung, sprich Hartz IV, sowie der Umbau der Bundes­agentur vollzogen. Es wurde auch ganz gezielt die Weiterbildung als zentrales Instrument der aktiven Arbeitsmarktpolitik zusammengestrichen, nachdem sie einmal unter den (so nicht haltbaren) Verdacht der Ineffektivität und der Klientelbereicherung geraten war. Das Fördervolumen wurde drastisch reduziert und die bereits in Teilen umgesetzte Ausschrei­bungspraxis verallgemeinert. Die Folge war ein dramatischer Preisverfall, der in den Bildungsträgern sofort an die Beschäftigten durchgereicht wurde. Denn: Den Zuschlag erhiel­ten die «wirtschaftlichsten«, de facto aber die billigsten Anbieter. Die begrenzte Anzahl der (Haus-)Tarifverträge und die Gehälter gerieten massiv unter Druck und brachen regelrecht ein. Zahlreiche Träger gerieten in die Insolvenz oder stellten einfach ihre Tätigkeit ein. Insgesamt dürfte dieses Marktsegment der öffentlich geförderten Weiterbildung für den Arbeitsmarkt in den ersten Jahren nach den Hartz-Reformen um 30 bis 50 Prozent reduziert worden sein.

… verschlechtern die Beschäftigungsbedingungen

Von diesem Einbruch hat sich dieser Bereich der Weiterbildung bis heute nicht erholt. Zwar nahm das Mengenvolumen schrittweise wieder zu, die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen blieben aber auf der Strecke. Bei Neueinstellungen, allesamt befristet, wurde ein Gehalt um die 2.000 Euro gezahlt, es gab Verträge mit 1.850 Euro, in einer mitteldeutschen Landes­hauptstadt auch 1.500 Euro, was belegt ist, angeblich sogar auch Dumpinggehälter von 1.200 Euro und das ›Super Schnäppchen‹ mit 999 Euro. Diese Gehälter sind Entlohnungen für eine Vollzeittätigkeit. Geschliffen wurde zudem die Begrenzung der Unterrichtsstundenzahl und die Bezahlung zusätzlicher Zeiten für Vor- und Nachbereitungsaufgaben. Ein Gehalt von 2.000 Euro für 40 Unterrichtsstunden (à 45 Minuten) pro Woche war bis zur tariflichen Einführung eines branchenspezifischen Mindestlohns Standard.

Die durch Ausschreibungspraxis bedingte Abwärtsspirale bei Gehältern und Arbeits­bedingungen konnte erst Jahre später durch einen branchenspezifischen Mindestlohn aufge­fangen werden. 2009 wurde dieses Marktsegment, die SGB II/SGB III-geförderte Weiter­bildung, in das Entsendegesetz aufgenommen, und 2012 konnte dann endlich ein für all­gemeinverbindlich erklärter Mindestlohn durchgesetzt werden. Dafür war ausdauernder politischer Druck, vor allem von den beiden Gewerkschaften ver.di und GEW sowie dem tarifschließenden Arbeitgeberverband (Bundesverband der Träger der beruflichen Bildung, BBB), notwendig.

Seitdem konnte dieser Mindestlohntarifvertrag immer wieder fortgeschrieben und ver­bessert werden, so dass nach mittlerweile zehn Jahren die 3.000-Euro-Grenze gerade wieder erreicht werden konnte, immerhin ein Teilerfolg gegenüber den katastrophalen Bedingungen nach 2006. Doch selbst dieser Mindestlohntarifvertrag wurde von einer Gruppe von Arbeit­gebern aus der Branche immer wieder gerichtlich angefochten mit teilweise grotesken Argu­menten (etwa wie ›Tarifverträge in der Weiterbildung schränken die notwendige Flexibilität am Markt ein‹) – ohne Erfolg. Die Klage der Klägergemeinschaft richtete sich direkt gegen die Bundesarbeitsministerin / den Bundesarbeitsminister, diese:r habe ihren/seinen Ermes­sensspielraum bei der Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit nach dem Entsendegesetz überschritten. Dabei erfolgt diese Zustimmung nach Zustimmung im Bundeskabinett. Erst der letzte Tarifabschluss von 2019 wurde nicht mehr angefochten, ohne aber den Mindestlohn politisch zu akzeptieren.

Zu den niedrigen Gehältern und verschlechterten Arbeitsbedingungen kamen noch die generell, bei Neueinstellungen praktisch zu 100 Prozent, durchgesetzten Befristungen hinzu. Die Bundesagentur für Arbeit listet in ihren Statistiken mittlerweile auch Befristungen als einen Indikator für prekäre Beschäftigung auf. In einer etwas traditionellen Aufgliederung nach Branchen steht der Bereich Erziehung und Bildung an erster Stelle, und nicht, wie vielleicht zu erwarten wäre, die Gastronomie oder die Gebäudereinigung. Hier schlägt sich neben den wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen im Hochschulbereich die ausufernde Befris­tungspraxis in der Weiterbildung nieder. Befristungsquoten von 50 Prozent waren üblich, Beschäftigte sollten auf Betriebsversammlungen dem Arbeitgeber Anerkennung zollen, wenn die Befristungsquote auf unter 50 Prozent gedrückt werden konnte. Erst ab 2015, mit einem wahrnehmbaren Fachkräftemangel, konnte die durchschnittliche Befristungsquote auf ca. 25 bis 35 Prozent gesenkt werden. Aber noch immer weisen auch renommierte Bildungsträger Befristungsquoten von 80 bis über 90 Prozent auf – aber natürlich, ohne das öffentlich einzugestehen.

Honorarbeschäftigung dominiert

Von den knapp 700.000 in der Weiterbildung Beschäftigten sind ca. 265.000 sozial­versicherungspflichtig beschäftigt, dazu kommt noch eine kleine Gruppe an ehrenamtlich Tätigen. Die weitaus größte Gruppe sind die Honorarkräfte, meist Lehrkräfte, die auf Honorarbasis für einen oder auch mehrere Bildungseinrichtungen tätig sind. In keiner anderen Branche ist die Zahl der Honorarkräfte so hoch wie in der Weiterbildung – ein Struktur­merkmal dieses Bereichs. Ursprünglich aus der Erwachsenenbildung kommend und die Vielfalt der Angebote der Volkshochschulen widerspiegelnd, findet sich heute Honorar­beschäftigung bei nahezu jedem Bildungsträger, in einzelnen Segmenten wie dem Nachhilfe­markt machen sie 100 Prozent des operativen Geschäfts aus. Rechtlich dürfte die Mehrzahl dieser Honorarverhältnisse zweifelhaft sein, das Stichwort heißt ›Scheinselbständigkeit‹. Denn nach wie vor geht das Bundesarbeitsgericht davon aus, dass Unterricht im Regelfall eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit ist.

Honorarbeschäftigung bedeutet, keinerlei arbeitsrechtlichen Schutz zu haben und zusätzlichen Belastungen ausgesetzt zu sein:

  • kein Urlaubsgeld oder Sonderzahlungen (sofern es solche noch gibt),
  • kein Kündigungsschutz (was gerade in der Corona-Pandemie verschärfend gewirkt hat),
  • keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen,
  • keine betriebliche Altersversorgung (auch hier die Einschränkung − sofern es solche überhaupt noch in der Branche gibt).

Demgegenüber stehen die Krankenversicherung, die verpflichtende Rentenversicherung (die viele Honorarkräfte aufgrund der geringen Einkünfte nicht bezahlen), eigene Weiterbildung zum Erhalt und Ausbau der Qualifikation sowie die permanente Akquise in eigener Sache. Die Spanne der Honorare ist extrem breit gefächert: von einem dreistelligen Betrag im Ausnahmefall bis zu (belegten) 7,50 Euro pro Unterrichtsstunde. Das durchschnittliche Hono­rar liegt knapp über 20 Euro und ist gerade in den letzten Jahren wieder etwas gesunken.[3] Zudem sind viele Honorarkräfte gezwungen, bei zwei oder mehreren Bildungsträgern gleich­zeitig zu arbeiten. 54 Prozent der ausschließlich als Honorarkraft Tätigen verfügen am Monatsende über ein Brutto-Einkommen von unter 1.750 Euro, so eine Untersuchung im Jahr 2016.[4] Die Laufzeit der einzelnen Honorarvereinbarungen ist gering, oftmals nur wenige Monate. Bezieht man diese Aussagen auf die Gesamtzahl der Honorarbeschäftigten, dann ergibt sich: in jeder deutschen Großstadt gibt es eine drei-, wahrscheinlich sogar vierstellige Zahl von Unterrichtskräften, die sich bei durchweg hoher Qualifikation unter ausgesprochen prekären Bedingungen durchkämpfen müssen – ohne zumindest in dieser Branche eine wirkliche Perspektive auf Besserung zu haben.

Nach den Hartz-Gesetzen wurden Bildungsmaßnahmen von den Agenturen für Arbeit bzw. den Jobcentern oft mit einer einjährigen Laufzeit vergeben. Noch während der laufenden Bildungsmaßnahme wurde die inhaltlich unveränderte Folgemaßnahme bereits ausgeschrie­ben. Der kostengünstigste – oder direkter: billigste − Bewerber erhielt den Zuschlag. In vielen Fällen übernahm dann der zukünftige Arbeitgeber nicht nur die Räume, sondern auch das Personal, egal ob schlecht bezahlt sozialversicherungspflichtig oder gegen Honorar. Und das wiederholte sich Jahr für Jahr – der Begriff des pädagogischen Wanderarbeiters bzw. der pädagogischen Wanderarbeiterin war geboren.

Fazit

Die Weiterbildung bzw. der Weiterbildungsmarkt ist durchgängig von prekären Beschäf­tigungsbedingungen geprägt; ausufernde Honorarbeschäftigung ist ein negatives Struktur­merkmal. Wer immer das hohe Lied des Marktes und seiner regulierenden Kräfte anstimmt, möge sich auf dem Weiterbildungsmarkt umtun. Der öfter skandierte, inhaltlich völlig richtige Slogan ›Bildung ist keine Ware‹ kann auf die Weiterbildung sofort angewendet werden: Der Verzicht auf jegliche Regulierung des Marktes führt zwingend zu Qualitätseinbrüchen und prekären Beschäftigungsbedingungen. Zwar ist die Qualität in der Weiterbildung ein eigenes, lang und breit diskutiertes Problem, es ist ein weiteres Strukturproblem der Branche Weiter­bildung. Unter den geschilderten Bedingungen ist keine Lösung in Sicht. Die Qualitätsver­sprechen mancher Bildungsträger wirken geradezu grotesk und dienen eher der Vermarktung. Wer in der aktuellen politischen Diskussion über notwendige, anstehende Transformations­prozesse auch auf die Weiterbildung verweist, tut gut daran, sich über den aktuellen Stand der Weiterbildung zu informieren – mit der gegenwärtig so verfassten Weiterbildung dürften die Grenzen der Leistungsfähigkeit für größere und systematische Bildungserfolge bald erreicht sein.

Auch aus einer anderen Perspektive werden dunkle Schatten unübersehbar: Die für die Weiterbildung prägende Form der Honorarbeschäftigung schwappt bereits über in andere Bildungsbereiche, wie z.B. in das staatliche Schulwesen. Vor dem Hintergrund »selbstverant­worteter Schulen« und erweiterten (unzureichend finanzierten) Ganztagsangeboten ist dort die Beschäftigung von Honorarkräften deutlich angestiegen.

Welche gewerkschaftspolitischen Perspektiven?

Die beiden Gewerkschaften ver.di und GEW organisieren die Beschäftigten in der Weiter­bildung; ver.di erheblich mehr als die GEW. Der Organisationsgrad hält sich allerdings in Grenzen, auch beide zusammen erlangen keine wirkliche Durchsetzungskraft, etwa um einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag für die gesamte Branche oder zumindest wichtige Seg­mente durchzusetzen. Der Einbruch nach den Hartz-Gesetzen hat bis dahin besser organisierte Belegschaften unter Druck gesetzt und auch zerstört; die mittlerweile umfassende Befris­tungspraxis führt zu einer hohen Fluktuation und lässt stabile Belegschaften kaum oder nur mühsam wachsen. Das erschwert gewerkschaftliche Organisation.

Die gewerkschaftliche Organisierung von Honorarkräften ist besonders schwierig: Nur sehr wenige verteidigen ihren Status als Honorarkraft offensiv (z.B. mit ihrer angeblichen unternehmerischen Freiheit usw.), die Mehrzahl ist von ihrem Arbeitsalltag so belastet und erschöpft, dass für gewerkschaftliches Engagement wenig Raum bleibt. Zudem hat die gewerkschaftliche Organisierung mit den traditionellen Instrumenten auch nicht so richtig gegriffen. Da bedarf es kontinuierlicher Unterstützung, um Organisationserfolge zu erringen. Aber einzelne erfolgreiche Beispiele gibt es dennoch.

Hinzu kommt, dass das Bild der Weiterbildung in der Öffentlichkeit mehrfach wider­sprüchlich ist:

  • einerseits die bunte Vielfalt der Volkshochschulen,
  • andererseits die Erfahrungen von Weiterbildungsteilnehmer:innen mit nicht erfüllten Erwartungen oder gar Fehlqualifizierungen
  • und schließlich die nicht wirklich belegte Weiterbildungsqualität.

Natürlich gibt es auch gute Erfahrungen und Erfolge. Diese sind aber vor allem dem über­mäßigen Engagement der Beschäftigten zu verdanken.

Bislang haben es diejenigen, die am ehesten ein Interesse an einem besseren Bild in der Öffentlichkeit haben müssten, nämlich die Arbeitgeber selbst, nicht geschafft, einen wir­kungsvollen Arbeitgeberverband zu organisieren. Mehrere Arbeitgeberverbände konkurrieren. Das Vorbild anderer, auch viel kleinerer Branchen, zumindest einen Lobby-Verband auf die Beine zu stellen, hat bislang nicht gewirkt.

Letztlich kommt man um eine Regulierung des Weiterbildungsmarktes nicht herum. Eine Umwandlung der Weiterbildung in eine staatlich verantwortete vierte Säule des Bildungs­systems dürfte absehbar kaum durchsetzbar sein. Notwendig ist aber eine Rahmengesetz­gebung, die Strukturen, Qualität, Marktzugang und Abschlüsse regelt. Von den Gewerkschaf­ten liegen dazu seit über 20 Jahren ausformulierte Ansätze und Konzepte vor.[5]

Artikel von Roland Kohsiek, erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Ausgabe 2-3/2022

* Roland Kohsiek war bis 2017 Leiter des Fachbereichs Bildung, Wissenschaft und Forschung, die letzten Jahre auch des Fachbereichs Sozialversicherung im ver.di Landesbezirk Hamburg.

Anmerkungen:

1) Roman Jaich / Roland Kohsiek / Hans-Jürgen Sattler (2019): Branchenreport Weiterbildung, veröffentlicht von ver.di, Berlin

2) Alle Zahlen stammen aus dem von der Kultusministerkonferenz und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung herausgegebenen Band Bildung in Deutschland 2016. Der Band von 2020 weist zwar leicht veränderte und erhöhte Zahlen aus, die Struktur und das Verhältnis ist aber unverändert.

3) Die durchschnittlich höchsten Honorare werden in der betrieblichen Weiterbildung in Großbetrieben bezahlt, die hier aber nicht weiter berücksichtigt werden.

4) Martin, Andreas et.al.: Das Personal in der Weiterbildung, Bielefeld 2016, S. 87.

5) »Gewerkschaftliche Initiative – Vorschläge für Bundesregelungen in der beruflichen Weiterbildung«, in: Gerd Herzberg u.a. (Hrsg.) (2001): Bildung schafft Zukunft – Über die Perspektivgen von Bildung, Beruf und Beschäftigung, Hamburg, S. 167-174

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