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»Dann geben wir die Straße wieder zurück?« Mit (transformativem) Organizing zum feministischen Streik
„Im Jahr 2020 gingen laut der Website des bundesweiten Frauen*streiks am 8. März in ganz Deutschland knapp 67.000 Menschen auf die Straße. Die wenigsten von ihnen haben im klassischen Sinne gestreikt. Dass die Bewegung damit bei Weitem nicht die Dynamik ausgelöst hat, wie es in anderen Ländern der Fall ist, ist bekannt. Im gleichen Jahr haben zwei Kommiliton:innen und ich die Methode des (transformativen) Organizings kennengelernt, in der wir glauben, eine Methode gefunden zu haben, die das Potential hat, systematisch gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen, ohne dabei in eine antidemokratische, avantgardistische oder auch eine rein reformistische Haltung zu verfallen. Im Rahmen eines Masterprojekts haben wir uns über die letzten Monate damit beschäftigt, inwiefern transformatives Organizing zu einer umfassenderen Umsetzung eines feministischen Streiks beitragen könnte. Dabei wollten wir herausfinden, vor welchen Herausforderungen die Bewegung aktuell steht, wo und wie Organizing an diesen ansetzen könnte und welche Schwierigkeiten sich bei der Anwendung von Organizing ergeben könnten. Außerdem haben wir uns gefragt, inwiefern Organizing die feministische Bewegung und andersherum die Anwendung transformativen Organizings in feministischen Kontexten die Praxis des Organizings verändern könnte…“ Artikel von Imke Heller, erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Ausgabe 2-3/2022:
»Dann geben wir die Straße wieder zurück?«
Mit (transformativem) Organizing zum feministischen Streik – von Imke Heller[*]
Im Jahr 2020 gingen laut der Website des bundesweiten Frauen*streiks am 8. März in ganz Deutschland knapp 67.000 Menschen auf die Straße. Die wenigsten von ihnen haben im klassischen Sinne gestreikt. Dass die Bewegung damit bei Weitem nicht die Dynamik ausgelöst hat, wie es in anderen Ländern der Fall ist, ist bekannt. Im gleichen Jahr haben zwei Kommiliton:innen und ich die Methode des (transformativen) Organizings kennengelernt, in der wir glauben, eine Methode gefunden zu haben, die das Potential hat, systematisch gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen, ohne dabei in eine antidemokratische, avantgardistische oder auch eine rein reformistische Haltung zu verfallen. Im Rahmen eines Masterprojekts haben wir uns über die letzten Monate damit beschäftigt, inwiefern transformatives Organizing zu einer umfassenderen Umsetzung eines feministischen Streiks beitragen könnte. Dabei wollten wir herausfinden, vor welchen Herausforderungen die Bewegung aktuell steht, wo und wie Organizing an diesen ansetzen könnte und welche Schwierigkeiten sich bei der Anwendung von Organizing ergeben könnten. Außerdem haben wir uns gefragt, inwiefern Organizing die feministische Bewegung und andersherum die Anwendung transformativen Organizings in feministischen Kontexten die Praxis des Organizings verändern könnte. Dazu haben wir Interviews mit drei Personen geführt, die sich an der Schnittstelle von transformativem Organizing und feministischem Streik befinden. Obwohl bei unserer Recherche aufgefallen ist, dass immer wieder Organizing-Workshops in der feministischen Streikszene veranstaltet wurden, ist uns kein feministisches Streikbündnis bekannt, das explizit mit Organizing arbeitet.
Dabei ist darauf hinzuweisen, dass sich die verschiedenen lokalen Frauen*- und Queerstreikbündnisse durch die dezentrale Organisierungsform in ihrer Arbeitsweise, ihren Themen und auch den Herausforderungen, denen sie gegenüberstehen, sehr unterscheiden. Durch die Interviews konnten wir Einblicke in die Arbeit von vier Bündnissen in Deutschland sowie in die bundesweite Vernetzung gewinnen. Eine der interviewten Personen ist außerdem unter anderem im feministischen Streik in der Schweiz aktiv.
Abrücken vom Ziel eines feministischen Massenstreiks?
Durch die Interviews ist deutlich geworden, dass das Ziel eines Streiks durch die Anwendung von transformativem Organizing im Kontext der feministischen Streikbewegung zunächst in den Hintergrund rücken würde. Die Einzelgespräche mit Personen außerhalb der queerfeministischen, linken Blase und entsprechende Organizingprozesse würden deutlich machen, dass es zunächst niedrigschwelligere Aktionen braucht als einen politischen Streik.
»Es müsste sehr genau hingeschaut werden: ›was konkret will ich eigentlich?‹ und dann ›was sind die konkreten Handlungsschritte?‹. Und ich habe das Gefühl, das sind zehn Schritte zu viel, danach zu fragen, ›wie kriegen wir einen Generalstreik hin und sind Gewerkschaften da die richtigen Partner?‹, weil davor muss so viel mehr passiert sein.«
Die Arbeit an den formulierten Forderungen in den konkreten lokalen Bezügen würde in den Fokus der Bewegung rücken. In einigen Städten passiert diese kontinuierliche Arbeit bereits, in anderen wird vor allem zum 8. März mobilisiert. Selbstverständlich bleibt eine breite Mobilisierung zum 8. März auch zentral. Mit den eigenen Organisationen, Forderungen und Positionen auf der Straße sichtbar zu sein, ist unabdingbar für die Bewegung. Die Protestaktionen am 8. März wären dann aber nicht mehr das Hauptaugenmerk, sondern vielmehr Belohnung für die anstrengende und wichtige Arbeit, die das ganze Jahr über geleistet wurde. Letztendlich ist es nämlich auch in der politischen Arbeit die unsichtbare Arbeit, die im Vorfeld und im Nachhinein passiert, die den Laden am Laufen hält, und nicht die medienwirksame Großdemo. Basisorganisierung ist quasi die unsichtbare Reproduktions- und Carearbeit sozialer Bewegungen. Sich für diese getane Arbeit zu feiern und zu belohnen, ist wichtig.
Tatsächlich wird in den Interviews aber auch in Frage gestellt, was überhaupt passieren würde, wenn ein wirklicher Generalstreik, bei dem sämtliche Arbeiten niedergelegt werden, gelingen sollte. Auch wenn dies ein einschneidendes Ereignis wäre, Diskurse verschieben und die Beteiligten stärken würde, würde es nicht bedeuten, dass sich zwangsläufig eine gesellschaftliche Transformation anschließen würde. Auch deshalb müsse genau ›reingezoomt‹ werden und das ganze Jahr über realpolitische und machtorientierte Arbeit geleistet werden. Die befragte Person aus der Schweiz berichtet:
»Ich glaub‘, der Streik, also dieser Tag, das war extrem wichtig. Leute haben geweint und waren gerührt und es war so stark, aber ich glaube, das ist dann vor allem die Belohnung dafür, was vorher alles gemacht wurde. Ich glaub‘ auch, die Arbeit vorher und nachher war viel wichtiger als dann schlussendlich der Tag selber. Ich meine, die Stadt geht nicht unter, wenn einen Nachmittag lang alles stillsteht.«
Auch hat sich in den letzten Jahren herausgestellt, dass das Bestreiken von unbezahlter reproduktiver Arbeit eher symbolisch ist. Dadurch, dass die Arbeit nicht nicht gemacht werden kann und somit nur verschoben oder verlagert wird, kann nicht, wie beim klassischen Streik, dadurch Macht aufgebaut werden, dass dem Gegenüber ein (ökonomischer) Schaden entsteht. Das bedeutet nicht, dass das Bestreiken unbezahlter Arbeit nicht sinnvoll ist. Es zeigt vielmehr auf, wie grundlegend diese Arbeit für das Funktionieren der Gesellschaft ist, weist auf die Prekarisierung und fehlende Anerkennung der Menschen hin, die sie ausführen, und kann Auslöser für innerfamiliäre Aushandlungen zur Umverteilung dieser Aufgaben sein. Außerdem macht das Bestreiken unbezahlter reproduktiver Arbeit zumindest an diesem einen Tag eine Kollektivierung und/oder Umverteilung dieser Arbeit nötig und zeigt damit Wege in eine bessere Zukunft auf.
»Denn damit Frauen und Queers am 8. März demonstrieren können und zur Kundgebung können, braucht es eine Kinderbetreuung am 8. März. Das heißt, die Wahl von Streik als Methode erfordert es, von vornherein ein Stück weit die Gesellschaft jetzt zu leben, die wir uns erträumen. Nämlich, dass die Kinderbetreuung kollektiviert wird, dass da maßgeblich Männer mit drin sind, weil männliche Freunde, Genossen und Mitstreiter das übernehmen oder kochen.«
Es wird aber auch an diesem Punkt wieder deutlich, wie wichtig es ist, das ganze Jahr über auf die Umverteilung von reproduktiver Arbeit hinzuarbeiten, herauszufinden, wie dieses Ziel zu erreichen ist und an wen die Forderungen zu adressieren sind. An dieser Stelle könnte beispielsweise auch ein Blick in die Praxis der, mit dem Organizing eng verwobenen, Worker Center lohnenswert sein. Derartige Orte zu schaffen, bietet sich insbesondere an, wenn es um Arbeitsverhältnisse geht, die von Unbeständigkeit geprägt sind, so dass oftmals auch keine gemeinsamen Austauschorte wie zum Beispiel Pausenräume gegeben sind. Unter ein derartiges Arbeitsverhältnis ließe sich zum Beispiel auch unbezahlte Reproduktionsarbeit fassen. So könnte es in einem Viertel ein Worker Center rein für FLINTA und/oder unbezahlte Reproduktionsarbeit leistende Personen geben. Es geht darum, kollektive Räume zur gegenseitigen Unterstützung in fragmentierten und prekarisierten Arbeits- und Lebensverhältnissen zu schaffen. An diesem Ort können reproduktive Arbeiten auch kollektiviert werden. So könnte zum Beispiel selbstorganisiert günstiges oder kostenloses Mittagessen angeboten, gemeinsame Gärten angelegt und Kinderbetreuung eingerichtet werden. Zusätzlich kann es an diesen Orten Schulungen, Sprachtrainings, gegenseitige Beratung und Erholungsräume geben. Daneben steht außerdem die Organisierung von politischen Kampagnen, basierend auf den individuellen Erfahrungen der Besucher:innen im Zentrum. Derartige Orte geben Menschen die Möglichkeit, sich niedrigschwellig mit feministischen Themen auseinanderzusetzen. Diese niederschwellige Auseinandersetzung hatte laut der interviewten Person aus der Schweiz erheblichen Einfluss auf die Bedeutungszunahme der feministischen Szene und den Erfolg des feministischen Streiks in der Schweiz.
Auch wenn das Ziel ›Streik‹ zunächst zurückgestellt werden müsste, hat das Stecken eines zunächst unrealistisch erscheinenden Ziels die Entwicklung langfristiger Strategien notwendig gemacht. Dass die Bewegung in dieser Hinsicht auf bestem Wege ist, zeigt sich meiner Meinung nach durch die immer wieder stattfindenden Diskussions- und Austauschveranstaltungen zwischen Aktivist:innen und Gewerkschafter:innen sowie in der Unterstützung gewerkschaftlicher Organisierungen durch Aktivist:innen. Beispiele sind hier die Unterstützung der Organizingkampagne im Uniklinikum Jena durch das lokale feministische Streikkollektiv sowie die bundesweite Solidarisierung feministischer Streikbündnisse mit den aktuell laufenden Tarifverhandlungen von ver.di im Sozial- und Erziehungsdienst (siehe die entsprechenden Beiträge auf S. 1 und 6).
Dass transformatives Organizing eine solche langfristige Strategie für die feministische Streikbewegung darstellen könnte, hat die interviewte Person aus der Schweiz am Ende des Interviews noch einmal treffend beschrieben:
»Ich denke nicht, dass der feministische Streik das große Ziel ist, sondern das Ziel ist, Strukturen aufzubauen, die permanent und solidarisch sind und in denen andere Werte gelebt werden. Orte des Gegenwissens vielleicht, wo man intime Dinge teilt, die sonst einfach untergehen. Und ich denke, dass die feministische Bewegung sich sehr gut eignet, um aufzuzeigen, wie Organizing funktioniert. Denn ganz viel von dem, was wir hier gemacht haben, ist geblieben als Gruppen, Infrastrukturen oder Orte – und wie sich das entwickelt hat von ›ich sprech‹ mit einzelnen Leuten über Dinge, die ich nicht gut finde oder die mir als Frau passieren‘, zu ›wir haben Räume und eben Strukturen aufgebaut‹. Und ich glaub, das ist als Praxis oder als politische Arbeit viel interessanter, weil es über dieses ›wir nehmen uns die Straße und alle lesen was‹ hinauszeigt. Das hat ganz früh schon Frust zurückgelassen ›ja und dann?‹ – ›dann geben wir die Straße wieder zurück‹. Ich glaube, dass der Feminismus, wie er hier gemacht wird – wahrscheinlich weil Elemente aus dem transformativem Organizing einfach gemacht werden – eine Möglichkeit bietet für etwas, was darüber hinausgeht. Und ich glaube, dass man Organizing nicht gut machen kann, ohne feministische Anliegen auch ernst zu nehmen. Und das find ich so inspirierend und ermutigend und spannend oder viel spannender als vieles andere.«
Wie ändert sich Organizing durch die Anwendung in feministischen Kontexten?
Bei der Betrachtung von Organizing aus feministischer Perspektive ist auch deutlich geworden, dass es nicht allein um das Führen von Auseinandersetzungen zur strategischen Verschiebung von Macht gehen sollte und dass die Definition von ›Erfolg‹ hinterfragt werden muss. Die Auffassung, dass nur erfolgreich ist, was öffentlich wahrgenommen wird und quantifizierbar ist, muss problematisiert und die Organisierung an sich als Erfolg verstanden werden. Die Organisation von Menschen und der Aufbau von Beziehungen untereinander darf nicht dem Zweck des Erreichens bestimmter Ziele untergeordnet werden. In zwei der geführten Interviews ist deutlich geworden, dass der strategisch ausgerichtete Umgang mit Beschäftigten, wie es im gewerkschaftlichen Organizing häufig praktiziert wird, Unbehagen auslöst. Beziehungen strategisch zu nutzen und Schlüsselpersonen zu identifizieren, um über diese bestimmte Ziele zu erreichen, kann instrumentalisierend wirken und läuft Gefahr, paternalistische Strukturen zu reproduzieren; insbesondere dann, wenn dieses Vorgehen nicht transparent gemacht wird. Auch wenn der Fokus auf eine übergeordnete Strategie und konkrete Forderungen wichtig ist, muss es vor allem um die Beziehungsarbeit gehen. Die Sorge umeinander muss auch ins Zentrum von Organizing gestellt werden. Beziehungen zwischen organisierten Menschen sind zentral, damit sich diese aufeinander verlassen können, damit sie sich gegenseitig empowern und im Falle von Niederlagen und Repressionen ein Netz hinter sich wissen, in das sie sich fallen lassen können. Macht wird außerdem nicht allein durch das Erkämpfen politischer Maßnahmen aufgebaut, sondern auch durch Beziehungsarbeit und die Aneignung und Weitergabe von Kompetenzen.[1] Neue Aktive in ihrer Weiterentwicklung und der Übernahme von Aufgaben zu unterstützen, ist ein zentrales Element im transformativen Organizing. So kann peu à peu die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt werden. Dabei müssen jedoch auch unterschiedliche Aktivitätsgrade zugelassen werden. Das gilt umso mehr, wenn in der eigenen Organisierung hohe Arbeitsbelastungen und unsichtbare Arbeit problematisiert werden. Nach einem langen Arbeitstag noch den Haushalt schmeißen zu müssen, Angehörige zu versorgen und dann auch noch alle zwei Wochen in einem Plenum sitzen zu sollen, kann auf viele abschreckend wirken oder schlicht nicht umsetzbar sein. Im Organizing werden diese unterschiedlichen Aktivitätsgrade aber nicht nur zugelassen, sondern systematisch mit eingeplant.
Artikel von Imke Heller, erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Ausgabe 2-3/2022
* Imke Heller studiert Sozialwissenschaftliche Transformationsstudien an der FH Bielefeld.
Anmerkung: Stall und Stoecker (1998): Community Organizing or Organizing Community? Gender and the Crafts of Empowerment, S. 740-743.
- Siehe auch im LabourNet Germany das Dossier Internationaler Frauentag und Frauen*streik am 8. März 2022: Überlastet, ungesehen, un(ter)bezahlt. Wir streiken! Gemeinsam gegen Patriarchat und Kapitalismus
express im Netz und Bezug unter: www.express-afp.info
Email: express-afp@online.de