Die Probleme der Just-in-Time-Lieferungen. Dieses Logistikmodell ist der Motor des Hochgeschwindigkeitskapitalismus. Aber seine Zerbrechlichkeit hat sich jetzt gezeigt
„Ein Preisschock auf den globalen Erdgasmärkten bringt mehrere kleine Energieversorger zu Fall; Kunden stehen ohne Heizung da und sind mit steigenden Kraftstoffpreisen konfrontiert. (…) Was diese Vorfälle gemeinsam haben, ist die Geschwindigkeit, mit der ein einziges Ereignis die sich weltweit kreuzenden Lieferketten unterbrechen kann. Fast jedes Mal, wenn du etwas online bestellst, wird es über ein Netzwerk von Fabriken, Schienen, Straßen, Schiffen, Lagerhäusern und Auslieferungsfahrer*innen transportiert, die zusammen das Kreislaufsystem der Weltwirtschaft bilden. Diese eng getaktete Infrastruktur ist auf ununterbrochene Bewegung ausgelegt. Sobald ein Glied ausfällt oder stockt, sind die Auswirkungen auf die heutigen Just-in-Time-Lieferketten sofort spürbar. (…) Jahrzehnte der Deregulierung, Privatisierung und Marktvergötterung haben die Gesellschaft anfällig gemacht für die Gewalt von „Just-in-Time“-Lieferketten, die keiner wollte. Keine noch so hohen staatlichen Subventionen, Steuersenkungen, Berufsausbildung und andere altmodische Maßnahmen werden ausreichen, um die kommenden Krisen zu bewältigen, von der Pandemie bis zum Klimawandel, die zum Versagen der Lieferketten führen. Es ist an der Zeit, nicht nur darüber nachzudenken, wie wir Dinge herstellen und konsumieren, sondern auch, wie wir sie bewegen.“ Artikel von Kim Moody erschien in die internationale Nr. 1/2022 (Januar/Februar 2022) in der Übersetzung aus dem Englischen durch Björn Mertens und mehr zum Thema:
- Ist das Prinzip Just-in-Time am Ende? Just-in-Time hat Lieferketten revolutioniert und den ganzen Fertigungsprozess verschlankt – Heute zeigen sich erste Risse
„Die Just-in-Time-Produktion (JIT) wurde 1970 von Toyota in Japan entwickelt und hat sich im Laufe der Zeit auf die Minimierung von Verschwendung durch das Vermeiden von Teilefertigung, die nicht unmittelbar in ein fertiges verkäufliches Endprodukt einfließt. Grundbedingung für eine erfolgreiche Implementierung von JIT, welches hauptsächlich in der Automobilindustrie zur Anwendung kam, ist eine konstante und zuverlässige Belieferung, was in der Praxis vielfach dazu geführt hat, dass sich die Zulieferer in unmittelbarer Nähe des Endfertigers ansiedelten, um Zeitverzögerungen durch Staus auf den Straßen zu vermeiden. Da eine Just-in-Time-Logistik von der konstanten und zuverlässigen Belieferung abhängig ist, bringen Störungen wie die coronabedingten chinesischen Lockdowns, ein blockierter Suez-Kanal, ein Stau vor den deutschen Seehäfen oder die Sanktionen und Zerstörungen aufgrund des Kriegs in der Ukraine massive Turbulenzen in die Lieferketten. (…) Für 2022 zeigt sich, dass die Rohstoffengpässe weiter anhalten und teilweise bis 2023 dauern werden. Da verwundert es wenig, dass viele Rohstofflieferanten weiterhin auf Preiserhöhungen setzen, wobei als Grund meist erhöhte Logistikkosten angeführt werden. Grundsätzlich zeigt sich, dass sich die Lieferzeiten verlängern und die Fertigung der meisten Unternehmen aufgrund der hohen Verbrauchernachfrage voll ausgelastet sind, wenn sie die benötigten Komponenten wie Chips beschaffen können. Nach Aussage von Supplyframe steigen die Vorlaufzeiten für elektronische Komponenten um 70 Prozent. Bei komplexen Halbleitern, Frequenzsteuerungsgeräten, analogen Bauteilen und elektrischen Widerständen werden für das gesamte Jahr 2022 und bis ins Jahr 2023 hinein erhebliche Lieferengpässe und Preiserhöhungen erwartet. (…) Mit dem inzwischen neben zahlreichen nationalen Initiativen auch vom EU-Parlament geforderten Recht auf Reparatur kommt der schnellen Ersatzteilversorgung über eine erwartete Gerätelebensdauer von bis zu zehn Jahren eine neue Bedeutung zu. Da einerseits Bauteile meist nicht über zehn Jahre produziert werden und anderseits die Lieferanten der Geräte verpflichtet werden sollen, die benötigten Ersatzteile binnen 14 Tagen zu liefern, kommen auf die Lieferketten ziemlich heftige neue Anforderung zu. Laut einer Eurobarometer-Umfrage würden 77 Prozent der Verbraucher in der EU ihre Waren lieber reparieren oder reparieren lassen, als neue zu kaufen. Aufgrund der üblicherweise hohen Reparaturkosten und dem meist mangelnden Service müssen sie aber letztendlich ihre Geräte entsorgen und durch neue ersetzen. (…) Eine Reparatur elektronischer Geräte wäre gut für die Umwelt, da sie zu einem geringeren Ressourcenverbrauch, weniger Treibhausgasemissionen und weniger Energieverbrauch führen würde. Zudem ist es für die Gerätereparatur notwendig, dass sie nahe am Verbraucher erfolgt. Dadurch werden neue Arbeitsplätze in Europa geschaffen…“ Beitrag von Christoph Jehle vom 26. April 2022 bei Telepolis