Gefährliche Coronaproteste: Eine rechte Massenbewegung

Dossier

AntifaMagazin zu "Spaziergängen" der CoronaleugnerImmer noch werden die „Spaziergänge“ verharmlost, dabei ist das Bündnis mit den Rechten brandgefährlich. Es braucht Gegenwehr. Man muss sich einmal vor Augen führen, was derzeit passiert: Eine Massenbewegung, die sich vornehmlich gegen Coronamaßnahmen und eine mögliche Impflicht richtet, hat bundesweit die Straßen erobert, mit zunehmender Dynamik auch in Berlin. Angesichts der Vielzahl an Demonstrationen ist ein Überblick kaum mehr möglich. 4.000 Demonstrant*innen bei etwa einem Dutzend Aufzügen waren es am Montag in Berlin, landesweit dürften es deutlich mehr als 100.000 Teilnehmer*innen sein. Woche für Woche. Sie alle ignorieren das Infektionsgeschehen, laufen ohne Masken und Abstand, stellen also ein Risiko für sich und andere dar. Nicht überall sind die Aufmärsche gewaltvoll, doch es vergeht kein Wochenende und kein Montag ohne dass Polizeiketten durchbrochen, Medienvertreterinnen oder Gegenprotestierende angegangen werden. (…) Die demonstrierende Mitte macht sich nicht nur gemein mit extrem rechten Positionen, sondern teilt und verstärkt diese. Die Massenbewegung auf Deutschlands Straßen ist eine rechte, angesichts immer gewaltvollerer Phantasien teilweise eine faschistische. Die extreme Rechte hat ihren Resonanzraum in einem Maße erweitert, wie sie es sich selbst nicht zu träumen wagte…“ Ein Wochenkommentar von Erik Peter vom 15.1.2022 in der taz online externer Link, siehe weitere Einschätzungen:

  • „Aber ich habe da noch nie Nazis gesehen“ – Und warum das Unsinn ist. Schlendernde Nazis oder auch: rechte Akteur*innen und Verschwörungsdenken im Rahmen der Corona-Proteste… New
    „Es ist keine neue Information, dass extrem rechte Akteur*innen wie die Freie Sachsen bei den sogenannten „Spaziergängen“ eine entscheidende Rolle spielen. Sie propagieren, skandalisieren, organisieren und „spazieren“. Und ihnen folgen Hunderte. Ihre faschistische Ideologie wird dabei von den Mitläufer*innen einfach toleriert oder sogar akzeptiert und unterstützt. Dabei hat das Engagement extrem rechter Akteur*innen innerhalb der Schwurbler*innen-Szene wohl nur wenig mit Corona zu tun. Im Rahmen der Maßnahmen zum Infektionsschutz wurden von der Regierung im Verlauf der letzten zwei Jahre teils Maßnahmen erlassen, die durchaus zu kritisieren sind. Zusätzlich zu fundierter, wissenschaftlich begründbarer Kritik werden im Netz und auf zahlreichen Protesten von sogenannten „Maßnahmenkritiker*innen“ auch Verschwörungserzählungen verbreitet, die leider nach wie vor viel Aufmerksamkeit erhalten. Extrem rechte Akteur*innen haben dies früh erkannt und nutzen diese Aufmerksamkeit nun für sich. Sie befeuern das Thema immer und immer wieder und sorgen dafür, dass es weiter polarisiert. Sie gewinnen dadurch an Anhänger*innen und versuchen so immer mehr Druck auf die Regierung und die Gesellschaft auszuüben. Es zeigt sich aktuell, dass Verschwörungsdenken vor allem in Krisenzeiten eine Schnittmenge für Reichsbürger*innen, Esoteriker*innen, Impfgegner*innen, Rechte und vermeintlich „normale Bürger*innen“ bietet. Verschwörungsideologien liefern Anknüpfungspunkte an rechte Ideologien und somit ein großes Radikalisierungspotential. Sie können einfach von Agitator*innen genutzt werden um ihre Feindbilder zu reproduzieren. So lässt sich vor allem in Ostdeutschland eine Vereinnahmung der Corona-Proteste durch die Freie Sachsen beobachten, welche die Proteste für ihre rechte Mobilisierung instrumentalisieren. (…) Rechte Akteur*innen wollen eine Destabilisierung der Gesellschaft, da sie so einerseits Druck auf Regierung und Gesellschaft ausüben, andererseits ihre Anhänger*innenzahl erhöhen können. Diese Anhänger*innen haben bereits bewiesen, dass sie eine Tendenz zu Verschwörungsmentalität aufweisen. Somit eignen sie sich gut, um ihnen step by step ihre faschistische Ideologie beizubringen und sie ihnen als einzigen Weg zu einer sicheren und stabilen Gesellschaft zu verkaufen. Das dies bereits passiert, kann man an der Relativierung des Holocausts erkennen, die immer wieder Ausdruck findet, wenn sich Schwurbler*innen mit den Opfern vergleichen. (…) Wir müssen auf der Straße stärker sichtbar werden, eine Gegenöffentlichkeit schaffen und sie daran hindern. Wir sind da und beobachten, dokumentieren und recherchieren die sächsischen Zustände. Es bedarf eines geschärften Problembewusstseins, konsequenter und kontinuierliche Außeinandersetzung mit strukturellen Ungleichheiten, Diskriminierungen und Herausforderungen der Gesellschaft.“ Blog vom 26. April 2022 von und bei Chemnitz bleibt nazifrei externer Link
  • Szene der „Querdenker“: Booster für Rechtsextreme 
    „Die Coronaproteste sind erst der Anfang eines von Rechten orchestrierten „Widerstands“. Dennoch wird die Gefahr von Politik und Medien verharmlost. Sind sie nun doch ein berechtigter „Freiheitskampf“ von „Maßnahmen-Kritiker:innen“ und „Impfskeptiker:innen“ seit 2020 im Netz und auf der Straße? Sind es doch bloß „friedliche Spaziergänge“ und vielerorts gar nicht von Neonazis angezettelte gewalttätige Proteste? Ist die während der Pandemie von Soziolog:innen beobachtete Radikalisierung auch bürgerlicher Milieus eine Desinformation aus dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm? Um die Frage zu beantworten, lohnt ein Rückblick in die Wochen, als alles anfing. (…) Zum Glück gab es zunächst einen weitgehenden Konsens: Coronaproteste sind nicht ohne. Wenn Leute in den Fußgängerzonen der Innenstädte ohne Maske „Frieden, Freiheit, keine Diktatur“ skandieren, sind sie egoistisch und verweigern sich der gesellschaftlichen Solidarität. Corona könnte „Einstiegsdroge“ werden, damit „normale bürgerliche Menschen“ in einen Widerstandsmodus versetzt werden, warnte 2020 der CDU-Politiker Sven-Georg Adenauer, Landrat des Kreises Gütersloh und Enkel des ersten deutschen Bundeskanzlers: „Das Thema hat Potenzial, der Nährboden ist bereitet.“ (…) All das ist nicht Geschichte. Bloß dass ausgerechnet jene Menschen, die die angeblich fehlende Meinungsfreiheit anprangern und Deutschland mit Nordkorea vergleichen, nun weitere Themen suchen, um ihre Widerstandsromantik zu pflegen: beispielsweise, indem sie sich zu Propagandamarionetten von Putin machen und behaupten, der Angriff auf die Ukraine sei „aus Notwehr“ erfolgt. (…) Die als „Spaziergänge“ verharmlosten Demonstrationen sind zum Konjunkturprogramm für die extreme Rechte geworden. Zugespitzt: Viele „Querdenker:innen“ behaupten, die Demokratie sei bedroht, während von ihnen selbst eine Bedrohung der Demokratie ausgeht. Das wird kaum ernst genommen. Verharmlosung ist wieder in Mode. Medien warnen vor einer „pauschalen Stigmatisierung“ von Protestierenden. (…) Weite Teile der Politik nehmen solche Erzählungen auf. Sie gehen der Konfrontation mit einem heterogenen Milieu aus dem Weg, das den Abstand zu Nazis nicht einhält. Könnte ja bei Wahlen schaden. Ein Grünen-Bundestagsabgeordneter fand, die #allesdichtmachen-Schauspieler:innen hätten „einen Nerv getroffen“…“ Kommentar von Matthias Meisner vom 26. April 2022 in der taz online externer Link
  • CeMAS-Studie: Das Protestpotenzial während der COVID-19-Pandemie 
    „… Um eine empirische Antwort auf das Protestmilieu geben zu können, hat CeMAS eine repräsentative Erhebung durchgeführt, die sich mit den Protestteilnehmer:innen und ihren Einstellungen befasst. (…) Unsere Analyse zeigt: 4,3 % der Befragten aus Deutschland gaben an, mindestens einmal an den Protesten gegen die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen teilgenommen zu haben.  Die Protestbereitschaft und damit auch das Potential zur Mobilisierung liegt aber mehr als doppelt so hoch: Insgesamt äußerten 11,1 % der Befragten, sie wären auf jeden Fall oder eher bereit, an diesen Protesten teilzunehmen. Weitere 7,1 % gaben an, teilweise mit dem Gedanken zu spielen. (…) Unsere Daten zeigen sehr eindeutig, dass die Zustimmung zu Verschwörungserzählungen bei Protestbereiten signifikant höher ist als in der übrigen Bevölkerung. Unter den Menschen mit niedriger Protestbereitschaft stimmen nur 4,9 % der Aussage zu, dass es viele Impftote geben würde, die von den Eliten systematisch vor der Gesellschaft verheimlicht werden würden – eine Aussage, die 43,7 % der Menschen mit hoher Protestbereitschaft vertreten. Der Vergleich der aktuellen Maßnahmen mit dem Nationalsozialismus findet nur bei 3,0 % derer Zustimmung, die kein Interesse haben, an den Protesten teilzunehmen, während 37,6 % der Menschen mit hoher Protestbereitschaft diese geschichtsrevisionistische Haltung vertreten. (…) Mehr als vier Prozent der Menschen in Deutschland haben bereits an Protesten gegen die Coronaschutzmaßnahmen teilgenommen. Das Mobilisierungspotential für solche Demonstrationen liegt jedoch doppelt so hoch: Mehr als jede:r Zehnte in Deutschland wäre bereit in Zukunft an Protesten teilzunehmen. Das ist besorgniserregend, denn die Pandemie ist noch nicht vorbei und die letzten zwei Jahre haben gezeigt, dass sich das Milieu immer wieder neu erfindet und verschiedene Protestformen ausprobiert. Die Einführung einer Impfpflicht wird schon jetzt für die Mobilisierung genutzt. Eine mögliche neue Welle im Herbst könnte ihr erneut Aufwind geben. Darüber hinaus können auch andere Konflikte und Katastrophen zur Mobilisierung genutzt werden. Die Protestierenden mögen aus unterschiedlichen Milieus stammen und von außen heterogen wirken, innerhalb der Protestierenden nimmt man sich jedoch als Einheit („ein Volk“) wahr, dass sich gegen die „Feinde“ wehrt. Unsere Studie verdeutlich auch noch einmal: Bei der Bereitschaft an Protesten teilzunehmen, spielen Impfstatus (eher ungeimpft), ein ausgeprägter Verschwörungsglaube und Wahlabsicht (eher AfD) eine Rolle. Auf fast allen größeren Protesten aus dem Milieu konnte CeMAS eine Normalisierung rechtsextremer Positionen beobachten…“ Studie von Pia Lamberty, Josef Holnburger und Maheba Goedeke Tort vom 17. Februar 2022 bei CeMAS externer Link
  • Bauzen, Berlin und Ulm: 3 Städte – 3 Langzeitbeobachtungen der „Spaziergänge“
    • Beobachtungen zu den sogenannten „Montagsspaziergängen“ in Berlin
      Nachdem in Berlin überregionale Versammlungen der verschwörungsideologischen Pandemieleugner_innenszene zum Jahresende 2020 abgeflaut waren und es auch 2021 bei einer geringen Mobilisierungsdynamik blieb, reaktivierte sich das verbliebene Protestmilieu Ende des Jahres 2021. Grund für die stagnierenden Teilnehmendenzahlen 2021 war vor allem der Rückzug bundesweiter Strukturen wie „Querdenken“ aus der Protestorganisation. Das entstandene Vakuum versuchten unterschiedliche Akteur_innen regional zu füllen. Im November 2021 entstanden zunächst in Sachsen erste dezentrale „Spaziergänge“, die sich dann bundesweit ausbreiteten. Auslöser dieser neuen Dynamik dürften die weiteren Verschärfungen der staatlichen Schutzmaßnahmen gewesen sein, insbesondere die damit verbundene Debatte um eine Impfpflicht, und das Anwachsen des sozialen Drucks auf nicht geimpfte Personen. Zuletzt beteiligten sich in Berlin bei verschiedenen angemeldeten und unangemeldeten Versammlungen etwa 5.000 bis 6.000 Personen…“ Einordnung der „Spaziergänge“ vom 7. Februar 2022 beim MBR Berlin externer Link
    • „Es ist ein Dauerthema und eine dauerhafte Belastung“ – Interview mit linken Aktivist:innen zu den Anti-Corona-Protesten in Bautzen
      Seit einem Jahr geht in Bautzen eine Melange aus Verschwörungsideolog:innen, Nazis und Bewohner:innen der Stadt montäglich auf die Straße. In den letzten Monaten sind die unangemeldeten Demonstrationen teilweise auf mehrere tausend Menschen aus der gesamten Region angewachsen. Um die Versammlungen durchzusetzen, wurden immer wieder Polizeiketten durchbrochen und es kam zu Auseinandersetzungen mit den eingesetzten Beamt:innen. Die lokalen Nazis können dabei auf eine gut vernetzte und langjährig gewachsene Struktur zurückgreifen. Wir haben mit Aktivist:innen aus der Oberlausitzer Stadt gesprochen und sie nach ihrer Einschätzung der aktuellen Situation, aber auch nach ihren Gefühlen und Alltag gefragt…“ Interview vom 7. Februar 2022 bei addn.me externer Link
    • Nazis und andere Rechte bei Ulmer „Spaziergäng“ Demonstrationen
      Seit November 2021 laufen in Ulm/Neu-Ulm regelmäßig nicht angemeldete Demonstrationen als „Spaziergänge“ bezeichnet. Seit Ende Dezember 2021 nehmen regelmäßig hunderte Personen am Montag und mehrere tausend am Freitag teil. Unter ihnen sind von Beginn an (wir berichteten) organisierte extrem rechte Personen, Gruppen und Parteien sowohl aus dem Spektrum der neuen Rechten als auch neonazistische Strukturen. Hier ein Überblick aus unseren bisherigen Recherchen…“ Überblick vom 7.2.2022 bei Rechte Umtriebe Ulm externer Link
  • Sonst solidarisch mit dem „NSU“ – jetzt mit Impfgegner:innen: Neonazis in erster Reihe bei den Demos gegen Corona-Maßnahmen in Dortmund-Huckarde
    Seit vier Wochen treffen sich Gegner:innen der Corona-Maßnahmen zu Demonstrationen in Dortmund-Huckarde. In den Aufrufen dazu distanziert man sich von „jeglicher Gewalt“. Konträr dazu laufen zum Teil in der ersten Reihe Neonazis mit, die in der Vergangenheit ihre Solidarität mit der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ bekundeten. Die Teilnehmer:innen vor Ort wollen davon allerdings nichts wissen. Für sie sind die Journalist:innen das Problem. Der bekannte Dortmunder Neonazi Robin S. ist von Anfang an dabei: Mit einem unangemeldeten Lauf durch Huckarde fing am 5. Januar 2022 alles an. Seit drei Wochen versammelt man sich nun angemeldet zu „Spaziergängen“, wie sie es bezeichnen. Aufgerufen wird dazu über Telegram. Meist von einem Account, dessen Name Ähnlichkeit zum 2012 verbotenen „Nationalen Widerstand Dortmund“ aufwies. Kurz nach der Berichterstattung von Nordstadtblogger dazu (Link am Ende) wurde dieser geändert. Die Organisator:innen sind andere als die der großen Demonstrationen in der Innenstadt. Unter den Teilnehmenden gibt es teils Überschneidungen, jedoch sind auch Unterschiede festzustellen…“ Redaktioneller Beitrag vom 28. Januar 2022 bei den Nordstadtbloggern externer Link
  • Corona-„Spaziergänge“ in Berlin: Ein Überblick zur Beteiligung von Neonazi-Parteien
    „Seit Ende Dezember 2021 hat die Querdenken-Bewegung ihre Demonstrationsstrategie geändert. Waren zuvor, auch in Berlin, immer mehr Demonstration wegen des Nichteinhaltens von Auflagen verboten worden, wird nun auf „Spaziergänge“ gesetzt. Dadurch, dass in den meisten Fällen auf Transparente verzichtet wird und sich niemand als verantwortlich zu erkennen gibt, versuchen die Pandemie-Leugner*innen so Polizeiliche Maßnahmen und Verbote zu umgehen. Diese als „Spaziergänge“ getarnten Demonstrationen sind in verschiedenen Teilen des Landes auf mehrere tausend Personen angewachsen. Auch in Berlin in manchen Bezirken Mobilisierungen, die an der tausender Marke kratzten. Auch wenn die Demonstrationen nicht offensichtlich von extrem rechten Akteuren geleitet oder angeführt werden, und auch wenn mitunter ein Großteil der Mitlaufenden sich als bürgerliche Mitte präsentiert, waren Neonazis fast von Anfang an dabei. In einigen Bezirken laufen sie kontinuierlich mit und verteilen Propaganda. Hier folgt ein unvollständiger Überblick über die Teilnahme von Neonazis, im speziellen der NPD und JN sowie des III. Wegs an diesen Mobilisierungen. Er wird kontinuierlich ergänzt und speist sich aus eigenen Berichten der Parteien und aus Demonstrationsbeobachtungen durch Presse und Antifaschist*innen. Ergänzungen bitte an fightback[at]no-log.org…“ Recherche der News Redaktion bei antifa-berlin.info am 27. Januar 2022 externer Link
  • Soziologe zu „Querdenken“-Demos: „Es geht ums Ganze“
    Der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer sieht die Gefahr von rechten Bedrohungsallianzen, die sich bei „Querdenken“-Demos zeigen. Er spricht von einer „asymmetrischen Polarisierung“ nach dem Motto „Leise Mehrheit, laute Minderheit“. (…) Da ist die systemische Krise, die die gesamte Gesellschaft betrifft. Hinzu kommen erfahrene oder gefühlte Kontrollverluste, dass man die äußeren Umstände nicht mehr selbst beeinflussen kann. Drittens hat sich ein eskalationsträchtiger Konflikttyp herausgebildet. (…) Das sind aufschaukelnde Selbstbestätigungsmaschinen, die außerdem noch in die Selbstermächtigung hineinführen. Das ist für eine Demokratie außerordentlich gefährlich. Denn Voraussetzung für eine demokratische Auseinandersetzung ist, dass wir alle in derselben Welt leben. Aber das ist nicht mehr der Fall. Das macht die Sache so schwierig und so gefährlich. (…) Die Bewegung ist sehr heterogen zusammengesetzt. Auf der einen Seite handelt es sich um Einzelpersonen mit unterschiedlichen Motivationslagen, etwa echte Sorgen oder esoterische Motive. Auf der anderen Seite geht es um Personengruppen, die ein explizites Gruppenbewusstsein haben und häufig aus dem rechtsautoritären oder rechtsextremistischen Bereich kommen. Einzelpersonen lassen sich sozusagen gefangen nehmen. Hier beobachten wir die Erosion von Grenzziehungen. Dieser Typus breitet sich aus. (…) Ich spreche von einer rohen Bürgerlichkeit mit autoritären Versuchungen, die inzwischen viele Anschlussstellen findet, etwa bei den Denkmustern der AfD. Diejenigen, die da mitlaufen, liefern die Legitimationsgrundlage dafür, dass die AfD dann mit Begriffen wie „Corona-Diktatur“ die Sache emotionalisiert und polarisiert. Dies wiederum sind Begriffe, die für die rechtsextremistischen Gruppen Legitimation darstellen, weil sie sich daraus so etwas wie ein Notwehrrecht zimmern, das Gewalt rechtfertigt. Die geben wiederum Legitimation weiter an klandestine rechtsterroristische Gruppen, die mit Umsturzfantasien operieren. (…) Ich spreche von einer asymmetrischen Polarisierung: leise Mehrheit, laute Minderheit. Das Fatale ist, dass die stille Mehrheit in einigen Bundesländern gar nicht auf die Straße gehen kann, weil sie dann Regelverstöße begehen würde. Umso wichtiger ist, nicht nur auf Zahlen zu schauen, sondern auf die Mechanismen der Eskalation…“ Interview von Pitt von Bebenburg vom 20.1.2022 in der FR online externer Link
  • Corona-Proteste und Rechtsextremismus: Zahl politisch motivierter Straftaten erreicht 2021 Rekord
    „… Im vergangenen Jahr sind in Deutschland so viele Straftaten mit politischem Hintergrund verübt worden wie in den vergangenen 20 Jahren nicht. Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Frage des AfD-Abgeordneten Martin Hess hervorgeht, stieg die Zahl der politisch motivierten Straftaten 2021 nach vorläufigen Daten des Bundeskriminalamtes im Vergleich zum Vorjahr um knapp sechs Prozent auf insgesamt 47.303 Delikte. Damit erreichte die politisch motivierte Kriminalität den höchsten Stand seit Einführung der jährlichen Statistik im Jahr 2001. Durch mögliche Nachmeldungen – für die Antwort der Regierung war eine Abfrage am 5. Januar erfolgt – könnte die Zahl am Ende sogar noch höher ausfallen. (…) Ursächlich für diesen Anstieg sind politisch motivierte Straftaten, die weder dem linken noch dem rechten Spektrum zuzuordnen sind. Nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden spielt hier das aufgeheizte gesellschaftliche Klima in der Corona-Pandemie eine wesentliche Rolle. (…) Den Angaben zufolge gingen 1047 Gewaltdelikte im vergangenen Jahr auf das Konto von Tatverdächtigen, die von der Polizei weder als Rechte, Linke oder Islamisten noch als Anhänger einer ausländischen Ideologie – dazu zählt beispielsweise die Weltanschauung der kurdischen PKK – identifiziert wurden. (…) Mit 98 Straftaten ist auch der überwiegende Teil der 120 polizeibekannten Gewaltdelikte gegen Amts- und Mandatsträger aus dem Jahr 2021 Menschen zuzuordnen, deren politischer Hintergrund jenseits der bekannten Phänomenbereiche liegt…“ Meldung vom 18. Januar 2022 beim Tagesspiegel online externer Link – ist zwar einerseits interessant, andererseits ist die Trennung rechter vs Corona bedingter Straftaten kritisch zu sehen. Was genau sind die polizeilichen Zuordnungskriterien? Oder interpretiert die Polizei (bzw. der VS) nur schlichtweg rechte Straftaten von Corona-Leugner als nicht „typisch“ rechts?

  • [VVN-BdA] Mit Nazis marschieren ist kein Spazieren! Für Aufklärung und Solidarität statt Verschwörungsmythen
    „… Die größte verschwörungsideologische Organisation in Deutschland hieß NSDAP. (…) An dieses Vorbild knüpfen heute der „III. Weg“, die „Freien Sachsen“, die „AfD“ und weitere extrem rechte und neofaschistische Organisationen an. Ihnen ist es in diesen Wochen gelungen die von Anfang an wissenschaftsfeindliche, egoistische und nach Feindbildern gierende Szene der deutschen Impfgegner*innen in nie dagewesenem Ausmaß bundesweit in vielen Städten zu mobilisieren. Längst geht es nicht mehr nur darum, inmitten einer Pandemie, in völliger Verkennung der Realität, lebensrettende Maßnahmen des Infektionsschutzes zu hintertreiben, sondern gegen „das System“ an sich zu mobilisieren. (…) Stattdessen fordern wir: – Gesetzte Regeln für das öffentliche Leben, die Leib und Leben retten sollen, müssen auch durchgesetzt werden. – Infrastruktur und Personal des Gesundheitswesens als auch Journalist*innen sind zu schützen. – Mordaufrufe in Sozialen Medien sind genauso zu verfolgen wie in der realen Welt. – Tatsächliche soziale Verwerfungen, die durch die Pandemie verstärkt werden, gehören auf die Tagesordnung, u.a. die Unterfinanzierung des Gesundheitswesens. – Wir brauchen klare Kante gegen die Ideologien des Egoismus und der Verschwörungsmythen. Wir halten dagegen!“ Erklärung des Bundesausschusses der VVN-BdA vom 18. Januar 2022 externer Link
  • [Am Bsp. Bayern] Wie sich die Corona-Proteste verändert haben
    Wöchentlich finden in Bayern Corona-Demos statt. Vor allem in Franken sammelt sich die Szene zu Groß-Demonstrationen, weil sie dort wenig Eingriffe seitens der Behörden erlebt. Experten und Behörden warnen vor einer Radikalisierung. (…)
    Schon im April 2020 wurden die Versammlungen im Vorfeld nicht bei den Behörden angemeldet, stattdessen verabredete man sich zuvor über Chatgruppen auf Telegram und nannte die Zusammenkünfte „Hygienedemonstrationen“, oder „Spaziergänge“ – ein verharmlosender Begriff für Proteste, den schon die Pegida-Bewegung nutzte. Von Beginn an waren rechte Akteure bei diesen Versammlungen dabei, traten in Chatgruppen auf und haben die Proteste teils mit initiiert. BR-Recherchen zeigen, dass organisierte Rechtsextreme in Bayern aber nur einen kleinen Teil auf Demos darstellen.
    Seit den ersten Einschränkungen konnte die Szene teils mehrere Tausend Teilnehmer mobilisieren, hatte aber auch Mobilisierungsschwächen. Im Mai 2021 waren nur wenige Teilnehmer zu einer groß angekündigten „Querdenken“-Versammlung in Nürnberg erschienen, danach wollte die Bewegung vorerst keine Demonstrationen mehr organisieren. Mittlerweile ist die Szene wieder im Aufwind, Einschränkungen für Ungeimpfte und die Diskussion um eine Impfpflicht dienen als Mobilisierungshilfe. Am gestrigen Montag riefen Anhänger der Szene in rund 300 bayerischen Städten und Gemeinden zu Protesten auf.
    Vor wenigen Wochen hat es die größte Demonstration in Bayern seit Pandemiebeginn mit rund 12.000 Teilnehmern in Nürnberg gegeben. In der fränkischen Metropole finden seit Pandemiebeginn mit die größten Versammlungen der Szene statt. Auch an den Montagen demonstrieren regelmäßig mehrere Hundert bis mehrere Tausend Menschen. Vor allem in der mittelfränkischen Region fühlen sich Anhänger der Szene wohl. (…)
    Andernorts in Bayern jedoch kam es in den vergangenen Wochen bei nicht-angemeldeten Corona-Protesten teils zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, beispielsweise in München und Schweinfurt. In den Chatgruppen der Szene wird deutlich: Es geht nicht nur um einzelne Corona-Maßnahmen oder eine mögliche Impfpflicht. Manchen geht es um den Sturz des demokratischen Systems. Das ist allerdings keine neue Entwicklung: Schon zu Beginn des vergangenen Jahres forderte eine „Querdenken“-Aktivistin bei einer Kundgebung in Nürnberg, den Rechtsstaat auszuhebeln und Politiker der damaligen Bundesregierung, die die Aktivistin als „Verbrecher“ titulierte, verhaften zu lassen. (…)
    Für die Mobilisierung zu Demonstrationen wie in Fürth nutzt die Szene hauptsächlich den Messengerdienst Telegram. Robert Andreasch vom antifaschistischen a.i.d.a.-Archiv in München beobachtet diese Gruppen und stellt eine Radikalisierung fest. „Die Teilnehmenden feuern sich dort gegenseitig an, eskalieren sich gegenseitig, was beispielsweise Angriffe gegen MedienvertreterInnen und Polizei angeht“. In den derzeitigen Protesten sieht der Journalist eine „große unsolidarische rechte Bewegung, die auf Minderheiten, schwache und Kranke keine Rücksicht nehmen will und denen ein rechter Umsturz vorschwebt“. (…)
    Das Milieu der „Querdenken“-Szene plant unterdessen für Ende Januar erneut eine Groß-Demonstration in Nürnberg. Laut BR-Informationen handelt es sich beim Anmelder um die gleiche Person, die auch die Groß-Demonstration im Dezember in Nürnberg angemeldet hat. Der Jugendliche hat dafür nach BR-Recherchen extra einen Rechtsextremen gebeten, die Demonstration zu bewerben. Angemeldet sind 10.000 Menschen. Die Szene fühlt sich im Aufwind und will alles daran setzen auch weiterhin Tausende Menschen auf die Straßen zu mobilisieren.“ Analyse von Jonas Miller am 18.01.2022 bei BR24 externer Link
  • Linguistischer Zwischenruf: Aufmärsche sind keine Spaziergänge!
    Spaziergang, Querdenker, Diktatur und Co. – Wörter verlieren im öffentlichen Diskurs ihre Unschuld. Es geht um Deutungshoheiten, semantische Kriege und damit auch um Macht. Deshalb: Augen auf bei der Wortwahl. Haben Sie in den letzten Tagen eine Einladung zu einem Spaziergang ausgesprochen – und dann schnell erschrocken eine Erklärung hinterhergeschickt, dass Sie kein Querdenker seien und nicht der Meinung seien, wir lebten in einer Diktatur. Willkommen im aktuellen Corona-Diskurs! Verlorene Unschuld von Wörtern: Wir schreiben das Jahr 2022 und das Wort Spaziergang ist plötzlich gar nicht mehr unverfänglich. Interessanterweise hat es dabei in den vergangenen 24 Monaten nicht eine, sondern gleich zwei Bedeutungsverschiebungen hinter sich. (…) Das vormals harmlose Wort dient nun als Tarnung von protestierenden Personen, von denen etliche zu Gewaltandrohungen und konkreter Gewalt gegriffen haben, und soll unangemeldeten Demonstrationen und sogar Fackelmärschen ein vermeintlich bürgerliches Antlitz geben. (…) Während Wörter wie Spaziergang im öffentlichen Diskurs ihre Unschuld verloren haben, wurden Wörter wie Diktatur banalisiert. (…) Es können sich aber nicht nur Bedeutungen und Bewertungen wandeln, sondern auch Deutungshoheiten in einem Diskurs. Dies ist deshalb wichtig, weil es hier um Macht geht. Wem es gelingt, seine spezielle Deutung innerhalb eines Diskurses dominant zu setzen, übt Macht aus und kann dadurch gegebenenfalls auch die Welt nach seinen Wünschen verändern. Wörter mit ihren sich wandelnden Bedeutungen und Bewertungen sind die Waffen in diesem semantischen Deutungskampf. (…) Durch die weiter oben genannten historisch hinkenden Vergleiche versuchen Gegner der Corona-Maßnahmen außerdem auch, die Geschichte umzuschreiben und Deutungshoheit über sie zu erlangen. Sie versuchen also, das sogenannte kulturelle Gedächtnis unserer Gesellschaft zu ihren Gunsten zu verändern. Und das nicht ohne Grund, denn re-konstruierte Erinnerungen dienen zur Legitimation von Macht. (…) Augen auf bei der Wortwahl: Vertreter:innen der Politik, Medien und des Staates wie auch wir alle als Privatpersonen sollten unser besonderes Augenmerk deshalb darauf richten, was wie gesagt wird...“ Beitrag von Clara Herdeanu vom 17.01.2022 beim Migazin externer Link
  • Ein inszenierter Aufstand. Wie Rechtsextreme versuchen, die Anti-Corona-Proteste für ihre Zwecke zu instrumentalisieren
    „… Recherchen der ZEIT zeigen: Der vermeintlich spontane „Volksaufstand“ gegen eine angebliche „Corona-Diktatur“ entpuppt sich mancherorts als teilweise von Rechtsextremen professionell organisiert und inszeniert. Sie wollen eine bundesweite Bewegung aufbauen, die vorgibt, sich aus der Wut auf der Straße zu speisen. In Wahrheit betreiben sie jedoch einigen Aufwand, um diese Wut erst zu entfachen und dann für die eigene Agenda zu nutzen. (…) Die Verschwörungserzählung, dass der aktuelle Kampf gegen „die da oben“ quasi die letzte Schlacht sei, motivierte in der Vergangenheit immer wieder rechtsextreme Gewalttäter, politische Taten zu planen oder gar zu begehen. Radikalisierte Täter wollen den Worten irgendwann Taten folgen lassen. Die Morde der rechten Terrorgruppe NSU, die Morde von Halle und Hanau, der Mord am Regierungspräsidenten von Kassel, Walter Lübcke – all dies sind nur die blutigen Höhepunkte in einer Reihe von ungezählten Angriffen auf Staat oder Andersdenkende. Fragt man heute Verfassungsschützer, in welche Richtung sich die Radikalisierung im Umfeld sogenannter „Querdenker“ entwickeln könnte, werden genau diese Anschläge genannt. (…) Wiederholt wurden in den vergangenen Wochen Impf- und Testzentren attackiert. Die Polizei meldet seit Monaten fast täglich gewalttätige Übergriffe von Gegnern der Corona-Politik im gesamten Bundesgebiet. Die Ermordung eines Tankstellenmitarbeiters, der im September in Idar-Oberstein von einem Maskenverweigerer erschossen wurde, könnte Nachahmer anstiften. In der immer wiederkehrenden Behauptung von Corona-Leugnern, dass die Bürger in einem Notstandsregime lebten, das beseitigt werden müsse, sieht das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz einen Beleg für die fortschreitende Enthemmung der Bewegung. (…) Die Sicherheitsbehörden sehen diese Entwicklung mit großer Sorge. Auch weil man schon jetzt Schwierigkeiten mit der Überwachung und Auswertung der immensen Fülle an Kommunikation auf Online-Kanälen wie Telegram zu haben scheint. Bundesweit nehmen die Orte und Teilnehmerzahlen der „Spaziergänge“ jede Woche tendenziell zu. Mittlerweile gehen nicht nur in sächsischen Dörfern Maßnahmen-Kritiker auf die Straße, sondern auch in Trier, Potsdam und Freiburg. An einem Montag im Januar fanden laut Polizei allein in Baden-Württemberg 160 Versammlungen mit 23.700 Teilnehmenden statt…“ Artikel von Christian Fuchs vom 12. Januar 2022 in der Zeit online externer Link mit vielen Beispielen
  • Corona-Demos: Neonazis an der Spitze
    Die Demos gegen die Corona-Maßnahmen sind in MV keine Veranstaltungen aus der Mitte der Gesellschaft. Sie werden mittlerweile von der Naziszene koordiniert.
    In Rostock demonstrieren am Montag zwischen 3.000 und 4.000 Personen gegen die Corona-Maßnahmen. In der ersten Reihe steht Sven Krüger, ein gewaltbereiter, vorbestrafter Rechtsextremer aus Jamel. Dicht bei ihm läuft Daniel Sebbin von der Identitären Bewegung. Sie stehen zusammen mit weiteren Maskierten des „schwarzen Blocks” in den ersten Reihen, die sich gegenüber der Polizei aufgebaut haben. An anderer Stelle ist auch Hannes Krünägel zu sehen. Er war Landeschef der Identitären in MV und wurde 2018 bereits wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz verurteilt. (…) Die derzeitigen Demos gegen die Corona-Maßnahmen sind also weder friedlich, noch werden sie von der Mitte der Gesellschaft durchgeführt. Die Neonaziszene MV hat mittlerweile großen Einfluss auf die Demonstrationen
    …“ Artikel von Benjamin Fredrich vom 12. Januar 2022 bei katapult-mv externer Link – stellvertretend für viele andere regionale Berichte…
  • Thread von Daniel Mullis vom 5.1.2022 externer Link: „Nicht/Vorgehen der Polizei gegen Pandemie-Leugner:innen verdeutlicht #Polizeiproblem. Neben #Einzelfall (sic!) und #Rassismus wird strukturelle Ungleichbehandlung von Protest abhängig von pol. Einstellung deutlich. #Querdenken darf Dinge, die Polizei bei Linken nicht duldet…“

Siehe zur Kritik an staatlichen Corona-Maßnahmen von links:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=196987
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