Bürgerrechtliche Terraingewinne – oder grün-liberale Deko? Bürger*innenrechte & Polizei im Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP im Bund

Cilip - Bürgerrechte & Polizei 127 vom Dezember 2021„… Wo es (…) ans Eingemachte geht, wird die Koalition ihrer Verantwortung als Hüterin des Bestehenden nachkommen. In keinem Satz kommt dies wohl schöner zum Ausdruck als jenem ersten aus dem Abschnitt zum Verfassungsschutz: „Nachrichtendienste sind ein wichtiger Teil der wehrhaften Demokratie“. Versprochen wird allerdings, Dekoration ist alles, eine stärkere „insbesondere … parlamentarische“ Kontrolle der Geheimdienste. (…) Mit der infantilisierend „Ampel“ genannten Koalition kommt in der Bundesrepublik eine politische Konstellation an die Macht, deren gemeinsames Programm sich mit der von Nancy Fraser geprägten Vokabel des „progressiven Neoliberalismus“ kennzeichnen lässt. Die Beschwörung von Diversity, Vielfalt, Einbeziehung der Zivilgesellschaft an zahlreichen Stellen des Vertrags geht rhetorisch nahtlos in die Beschwörung der Kräfte des freien Marktes, des schöpferischen Unternehmertums und der Eigeninitiative aller einher. Wer damit nicht gemeint ist, zeigt das Bekenntnis zu einer „Rückführungsoffensive“ und zur Reduzierung der „irregulären“ Migration – gefragt sind diejenigen, die „neue Potentiale für den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Deutschland (…) erschließen“ helfen.“ Kommentar von Dirk Burczyk vom 29. November 2021 im Cilip-Blog externer Link und weitere Zitate hieraus:

„… Versprochen wird allerdings, Dekoration ist alles, eine stärkere „insbesondere … parlamentarische“ Kontrolle der Geheimdienste. Das schreibt eine Koalition, die Gerüchten zufolge die LINKE demnächst aus dem Gremium zur parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste heraushalten wird. Als Ausdruck parlamentarischer Selbstbehauptung gegen die paranoide Einstufung von Antworten auf parlamentarische Fragen als „geheim“ mag gelten, dass eine „unabhängige Kontrollinstanz für Streitfragen bei Verschlusssachen-Einstufungen“ geschaffen werden soll – überfällig wäre, dass der Bundestag über solche Einstufungen autonom entscheidet. Versprochen wird eine umfassende Reform der Übermittlungsvorschriften von Polizei und Nachrichtendiensten – wie die aussehen soll, darauf konnten sich die Koalitionäre nicht einigen. Die Grünen haben sich ja bekanntlich schon vor einigen Jahren von dem Gedanken verabschiedet, dass eine Demokratie auch ohne Inlandsgeheimdienst ganz gut funktionieren könnte, und stattdessen ihren akademischen Dünkel über den Verfassungsschutz ausgegossen. (…) Erfreulich ist schließlich das klare Bekenntnis zur Einrichtung der Stelle eines/r Beauftragten für die Polizeien des Bundes als Beschwerdestelle mit Akteneinsichts- und Zutrittsrecht. Der wird sich vermutlich mit der Praxis des racial profiling durch die Bundespolizei auseinandersetzen müssen: denn die Befugnis zur anlasslosen Personenkontrolle in Zügen und Bahnhöfen bleibt unangetastet. Immerhin werden die kontrollierenden Polizeibeamte in Zukunft pseudonym gekennzeichnet – ob das Fehlen des Wortteils „spflicht“ hinter „Kennzeichnung“ dabei eine Hintertür lassen soll, wird die Zukunft zeigen. Ebenfalls vertagt wurde letztlich die Auseinandersetzung um die Vorratsdatenspeicherung. Während von der Speicherung und automatisierten Auswertung von Fluggastdaten erst gar keine Rede ist – zumindest der Verzicht auf die Speicherung bei inner-EU-Flügen wäre unionsrechtlich möglich gewesen – heißt es zur Vorratsdatenspeicherung von Kommunikationsdaten, diese solle rechtlich so ausgestaltet werden, „dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können“. Das ist deutlich weniger als die anlasslose Speicherung, aber wie viel weniger, wird sich zeigen…“

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