»
Brasilien »
»
»
Brasilien »
»
»
Brasilien »
»

Adoptiere einen Park! Bolsonaro gibt Schutzgebiete zur Nutzung durch Unternehmen frei

Bolsonaro zerstört AmazonasgebietDie Regierung Brasiliens hat im Februar 2021 das neue Programm Adote um Parque vorgestellt, durch das die Hälfte aller geschützten Gebiete im Land zur „Adoption“ durch Unternehmen angeboten wird. Das betrifft Territorien der traditionellen Gemeinschaften, der indigenen Völker sowie Naturschutzgebiete. Coca-Cola, Heineken und Carrefour sind die bekanntesten der bisher acht Unternehmen, die vorläufige Nutzungsvereinbarungen mit der Regierung unterschrieben haben. Auch wenn bisher nur acht der 132 angebotenen Schutzgebiete „adoptiert“ sind, werden damit Präzedenzfälle geschaffen, die erkämpfte Rechte der Bevölkerungen in diesen Territorien und den Umweltschutz gefährden. (…) Die fehlende Transparenz vonseiten der Firmen bestätigt die Befürchtungen, die sich mit diesen Tendenzen zur Privatisierung verbinden. Das zentrale Argument der Regierung ist, dass die Unternehmen finanzielle Ressourcen bereitstellen. Diese fehlen aber nicht. Zum Beispiel hat die Regierung Bolsonaro das Programm für Schutzgebiete Amazoniens (ARPA), das 2002 mit internationaler finanzieller Unterstützung gegründet wurde, eingestellt, obwohl noch Mittel in Höhe von 215 Millionen US$ bereitstehen, die nicht verwendet werden. Ähnlich verhält es sich mit dem Amazonien-Fonds, der vor allem von Deutschland und Norwegen unterstützt wurde, dessen Finanzierung aber 2019 eingestellt wurde. In dem Fonds befinden sich noch etwa 600 Millionen US$. Der Regierung geht es angesichts dieser Finanzlage vielmehr darum, die durch die bestehenden Gesetze dem Markt entzogenen Schutzgebiete durch die Hintertür für Unternehmen zugänglich zu machen…“ Artikel von Edel Moraes und Jörg Nowak aus der ila 449 vom Oktober 2021 externer Link – wir danken!

Adoptiere einen Park!

Bolsonaro gibt Schutzgebiete zur Nutzung durch Unternehmen frei

Die Regierung Brasiliens hat im Februar 2021 das neue Programm Adote um Parque vorgestellt, durch das die Hälfte aller geschützten Gebiete im Land zur „Adoption“ durch Unternehmen angeboten wird. Das betrifft Territorien der traditionellen Gemeinschaften, der indigenen Völker sowie Naturschutzgebiete. Coca-Cola, Heineken und Carrefour sind die bekanntesten der bisher acht Unternehmen, die vorläufige Nutzungsvereinbarungen mit der Regierung unterschrieben haben. Auch wenn bisher nur acht der 132 angebotenen Schutzgebiete „adoptiert“ sind, werden damit Präzedenzfälle geschaffen, die erkämpfte Rechte der Bevölkerungen in diesen Territorien und den Umweltschutz gefährden.

Das Programm Adote um Parque ignoriert nicht nur bisherige Protokolle zur Verwaltung der geschützten Gebiete, sondern ist auch rechtlich mit diesen nicht vereinbar. Von den acht betroffenen Gebieten sind fünf sogenannte RESEX, Reservate von Bevölkerungen, die traditionell Fischerei, Jagd und Sammeln von Nüssen und Früchten sowie Agrikultur im kleinen Maßstab betreiben. Die RESEX waren Resultat des Kampfes des CNS, früher „Nationaler Rat der Kautschukpflücker“, heute „Nationaler Rat der extraktivistischen Bevölkerungen“, der mit dem Namen Chico Mendes verbunden ist. Chico Mendes entwickelte sich seit den 70er-Jahren vom Gewerkschafter der Kautschukzapfer*innen zum Ökosozialisten. 1988 wurde er im Auftrag von Großgrundbesitzern ermordet. Nach der Konvention 169 der ILO, die Brasilien ratifiziert hat, müssten die traditionellen Bevölkerungen bei Anliegen, die ihre Territorien betreffen, konsultiert werden. Insgesamt sind von den 132 ins Regierungsprogramm aufgenommenen Gebieten 50 RESEX-Reservate.

Kennzeichnend für das Programm „Adoptiere einen Park“ ist, dass die traditionellen Bevölkerungen bei keinem der Schritte involviert sind, nicht bei der generellen Planung des Programms, aber auch nicht bei der Erstellung von Vorhaben, die im Verlauf des Adoptionsprogramms realisiert werden sollen. Das verletzt nicht nur die ILO-Konvention 169, sondern auch die Konzessionen zur Nutzung, die mit den lokalen Gemeinschaften abgeschlossen wurden. Jegliche Veränderungen müssen mit den Räten der jeweiligen Schutzgebiete abgesprochen werden. Diese Räte setzen sich zusammen aus Vertreter*innen der lokalen Gemeinschaft und den zuständigen lokalen Vertreter*innen des ICM-Bio (Instituto Chico Mendes de Biodiversidade). Das ICM-Bio ist eine öffentliche Institution des Bundesstaates, die zusammen mit den traditionellen Gemeinschaften die RESEX verwaltet und dem Umweltministerium angegliedert ist. Ironischerweise trägt das ICM-Bio den Namen von Chico Mendes, obwohl dieser vollständige Selbstverwaltung für die traditionellen Gemeinschaften im Sinn hatte, bei der der Staat nicht einen Fuß in der Tür behält, wie im gegenwärtigen Modell. Die Schwäche dieses Modells wird nun sichtbar, denn die rechte Bolsonaro-Regierung hat die Schlüsselposten im ICM-Bio mit Gegnern des Konzepts RESEX besetzt.

In den offiziellen Verlautbarungen des ICM-Bio heißt es, dass die Partizipation der lokalen Gemeinschaften bei Adote um Parque garantiert sei. Obwohl das Programm nun schon seit Februar läuft, wurde aber bisher keine der lokalen Gemeinschaften angehört. Die meisten haben aus den Medien oder durch Dritte von der beabsichtigten „Adoption“ erfahren.

Nach einer offiziellen Beschwerde des CNS hat eine juristische Behörde im Bundesstaat Amazonas an die 6. Kammer des Ministerio Público Federal die Empfehlung ausgesprochen, die RESEX aus dem Programm zu entfernen. Die 6. Kammer muss noch eine Entscheidung treffen, die für ganz Brasilien relevant sein wird. Erste Signale lassen vermuten, dass sich die Kammer der Empfehlung anschließen wird. Dies wäre ein großer Erfolg für die Kritiker*innen des Programms.

Das Programm Adote um Parque sieht vor, dass Unternehmen die Schutzgebiete für mindestens ein Jahr und höchstens fünf Jahre lang „adoptieren“. Die Unternehmen verpflichten sich, mindestens 50 Real (oder 20 Euro) pro Hektar zu investieren, die dann für Leistungen in den Gebieten verwendet werden. Im Gegenzug dürfen sie Werbetafeln in den Gebieten aufstellen, die ihre Unterstützung dokumentieren. Des Weiteren ist vorgesehen, dass zunächst die lokalen Vertreter*innen des ICM-Bio eine Liste erstellen, welche Dienstleistungen und Güter in dem Schutzgebiet benötigt werden. Dieser Vorschlag soll dann zusammen mit dem adoptierenden Unternehmen und den lokalen Gemeinschaften konkretisiert werden. Laut ILO-Konvention müssten die lokalen Gemeinschaften von Anfang an beteiligt sein und auch die nationalen Gesetze sehen vor, dass alle Änderungen durch den Verwaltungsrat der Gebiete müssen.

Angesichts des öffentlichen Drucks hat das ICM-Bio zuletzt Informationen über die Forderungen der lokalen Gemeinschaften eingeholt, allerdings ohne den Verwaltungsrat einzuberufen. Viele RESEX, und auch einige der „adoptierten“, sind heute schon davon betroffen, dass kommerzielle Jagd, Holzeinschlag oder Viehzucht illegal betrieben werden. Das Dekret, mit dem das Programm aufgelegt wurde, sieht auch die Verwendung der Gebiete „für temporäre und institutionelle Aktivitäten“ der Unternehmen vor. Das bietet mannigfaltige Möglichkeiten für weitere Aktivitäten, die nicht durch den offiziellen Rat der Gebiete genehmigt sind. Das bisher illegale Eindringen kommerzieller Akteure in die RESEX erhielt so offizielle Deckung.

Die Vertreter*innen der RESEX befürchten, dass den bestehenden Bedrohungen der Gebiete und der kommunitären Ökonomien noch neue zur Seite treten. Wegen der Pandemie erlaubt das ICM-Bio aktuell keine Treffen der Verwaltungsräte und wegen der fehlenden Internetverbindungen können diese nicht virtuell abgehalten werden. Bezeichnend war, dass bei Lancierung des Programms der Vorstandschef von Carrefour in Brasilien, Noel Prioux, anwesend war, der bereits eine Vereinbarung mit dem Umweltministerium abgeschlossen hatte, bevor irgendjemand wusste, dass es das Programm überhaupt gibt. Ricardo Salles, damals Umweltminister, hielt das Dokument stolz in die Kameras. Jedoch wurde bislang keine dieser Vereinbarungen vom Ministerium veröffentlicht und sie wurden auch nicht den lokalen Bevölkerungen oder anderen Akteuren aus der Zivilgesellschaft zugänglich gemacht. Insofern sind die offiziellen Beteuerungen über Transparenz und Partizipation nicht ernst zu nehmen.

Salles ist inzwischen wegen seiner Verwicklung in den groß angelegten Verkauf von wahrscheinlich illegal geschlagenem Holz zurückgetreten. Als die Bundespolizei große Mengen dieses Holzes beschlagnahmt hatte, hat er sich persönlich und vor Ort dafür eingesetzt, dass das Holz vor Abschluss der Ermittlungen exportiert werden kann.

Bezeichnend ist auch, dass außer der Firma Geoflorestas keine der angeblich um Transparenz und Nachhaltigkeit bemühten Firmen Einblick in die Planungen gibt oder sich sonst irgendwie zu den Widersprüchen des Programms äußert. Geoflorestas stellt anderen Firmen ökologische Beratung zur Verfügung und zählt zahlreiche Multis zu ihren Kunden. Die anderen vier brasilianischen Firmen sind die Kreditbank Coopecredi Guariba aus dem Bundesstaat Sao Paulo, die Immobilienfirma Genial Investimentos, Teil der Investmentbank Brasil Plural, das Agrounternehmen Coplana Cooperativa Agroindustrial und MRV Engenharia, einer der größten Immobilien- und Baukonzerne Brasiliens.

Die fehlende Transparenz vonseiten der Firmen bestätigt die Befürchtungen, die sich mit diesen Tendenzen zur Privatisierung verbinden. Das zentrale Argument der Regierung ist, dass die Unternehmen finanzielle Ressourcen bereitstellen. Diese fehlen aber nicht. Zum Beispiel hat die Regierung Bolsonaro das Programm für Schutzgebiete Amazoniens (ARPA), das 2002 mit internationaler finanzieller Unterstützung gegründet wurde, eingestellt, obwohl noch Mittel in Höhe von 215 Millionen US$ bereitstehen, die nicht verwendet werden. Ähnlich verhält es sich mit dem Amazonien-Fonds, der vor allem von Deutschland und Norwegen unterstützt wurde, dessen Finanzierung aber 2019 eingestellt wurde. In dem Fonds befinden sich noch etwa 600 Millionen US$.

Der Regierung geht es angesichts dieser Finanzlage vielmehr darum, die durch die bestehenden Gesetze dem Markt entzogenen Schutzgebiete durch die Hintertür für Unternehmen zugänglich zu machen. Der Kampf um die Einrichtung der RESEX und andere Schutzgebiete war vor allem eine Auseinandersetzung mit den Unternehmen, die in der Vergangenheit in diesen Territorien aktiv waren. Durch die Installierung der RESEX mussten sie weichen. In einigen Fällen ist bei den RESEX der komplizierte Prozess der Übertragung der Landtitel noch nicht abgeschlossen und dies birgt zusätzliche Risiken.

Welche Konflikte in Zukunft bevorstehen, ist am Weltforum für Bioökonomie erkennbar, das vom 18. bis 20. Oktober 2021 in Belém, der Hauptstadt des Bundesstaates Pará stattfindet, unter der Schirmherrschaft des Governeurs von Pará, Helder Barbalho. Das Forum soll verdeutlichen, dass das Amazonasgebiet als Ökosystem von höchstem Interesse für die im Entstehen begriffene Bioökonomie ist. Damit greift es die Sprache der ökologischen Bewegungen auf und stellt die Kreislaufökonomie ins Zentrum. Eingeladen sind aber keine lokalen Akteure, sondern nur große Firmen aus aller Welt. Der Sprecher des Forums, der Finne Jukka Kantola, ist CEO der Firma NC Partnering, die ressourcenschonende Prozesse für die Holz- und Zelluloseindustrie entwickelt. Folgerichtig wird das Forum von den brasilianischen Branchenvereinigungen des Agrobusiness und der Holzindustrie mit veranstaltet. Prägend bleibt ein Entwicklungsmodell, das ohne Partizipation der armen Bevölkerungsmehrheit durchgesetzt wird.

Artikel von Edel Moraes und Jörg Nowak aus der ila 449 vom Oktober 2021 externer Link – wir danken!

Quellen:

Edel Moraes ist Vizepräsidentin des Memorial Chico Mendes und Mitglied der Studiengruppe über Praktiken des Dialogs im Kontext traditioneller Völker und Gemeinschaften an der Universität Brasilia. Jörg Nowak ist Gastprofessor im Postgraduiertenprogramm zu Umwelt und ländlicher Entwicklung der Universität Brasilia.

Siehe zum Thema auch:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=194995
nach oben