10 Jahre nach dem Auffliegen des NSU: Der lange Schatten des Terrors

Dossier

Der NSU war nicht zu dritt!„Vor 10 Jahren flog der NSU auf. Seine Taten begannen in Nürnberg. Angehörige der Opfer glauben, dass es dort Helfer gab, die nicht verfolgt wurden. (…) 129 Kontaktleute des untergetauchten Trios listete die Bundesanwaltschaft einst auf, darunter auch V-Leute. Im NSU-Prozess klagte sie davon die vier engsten Unterstützer an. Zudem laufen bis heute noch Verfahren gegen neun weitere Helfer, die Wohnungen oder Papiere organisiert haben sollen. Handfeste Beweise gegen weitere Unterstützer aber habe man nicht gefunden, beteuerte die Bundesanwaltschaft immer wieder. Viele der Opferangehörigen dagegen glauben, es werde nicht richtig nach den Helfern gesucht, weil der Staat die Dimension des NSU-Terrors nicht noch größer machen wolle. Tatsächlich lässt gerade der Tatort Nürnberg an der These eines abgeschotteten Terrortrios zweifeln. (…) Wir müssen noch heute davon ausgehen, dass Mittäter frei herumlaufen.“…“ Artikel von Konrad Litschko vom 31. Oktober 2021 in der taz online externer Link und weitere zum „Jubiläum“:

  • 10 Jahre Wissen um den NSU-Komplex heißt: Konsequenzen ziehen!
    Am 4. November 2011 enttarnte sich der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) selbst. Am Anfang der Beschäftigung mit diesem Jahrestag darf nicht die Beschäftigung mit den Täter*innen stehen. Am Anfang der Beschäftigung mit diesem Jahrestag muss das Gedenken an die vom NSU Ermordeten stehen (…) Am Anfang der Beschäftigung mit diesem Jahrestag müssen sich die Gedanken zudem auf die Überlebenden der Anschläge des NSU richten (…) Am Anfang der Beschäftigung mit diesem Jahrestag muss zudem auch die Erinnerung daran stehen, dass bei den mindestens 15 Raubüberfällen des NSU viele Menschen körperlich und seelisch verletzt wurden. Wir wissen genug, um jetzt Konsequenzen zu ziehen! Angehörige und Überlebende, Aktivist*innen und Antifaschist*innen, Journalist*innen und engagierte Abgeordnete: Sie alle haben sich über die vergangenen zehn Jahre viel Wissen über den NSU-Komplex erarbeitet, es dem Staat gegen dessen Widerwillen und Aufklärungsverweigerung abgerungen. (…) Teile der Gesellschaft haben aus dem Wissen um den NSU-Komplex Konsequenzen gezogen, jetzt muss auch der Rest der Gesellschaft Konsequenzen ziehen: Lasst euch von offenen Fragen und fehlender Aufklärung nicht ohnmächtig machen! Hört den Betroffenen zu! Nehmt Rassismus und Antisemitismus ernst! Beendet die Straf- und Konsequenzlosigkeit für Nazis! Sorgt dafür, dass die Naziszene und rechte Netzwerke entwaffnet und zerschlagen werden! 10 Jahre Wissen um den NSU-Komplex heißt: Angesichts offener Fragen und verschleppter Aufklärung nicht resignieren, sondern das vorhandene Wissen nutzen und solidarisch handeln. (…) Wir haben aus der Beschäftigung mit dem NSU-Komplex auch gelernt: Bei der Aufklärung rechter Taten können wir uns auf den Staat nicht verlassen. Die meisten Erkenntnisse zum NSU-Netzwerk gehen dabei nicht auf Ermittlungen der Behörden zurück, sondern auf Recherchen von Betroffenen, von Antifaschist*innen und Journalist*innen. 10 Jahre Wissen um den NSU-Komplex heißt: Den Betroffenen zuhören und solidarische Bündnisse bilden. (…) 10 Jahre Wissen um den NSU-Komplex heißt: Rassistische Mobilisierungen und rechte Kampagnen ernst nehmen und früh genug stoppen. (…) 10 Jahre Wissen um den NSU-Komplex heißt: Die Straf- und Konsequenzlosigkeit beenden.“ (…) 10 Jahre Wissen um den NSU-Komplex heißt: Naziszene und rechte Netzwerke entwaffnen und zerschlagen und das Morden stoppen…“ Redaktioneller Beitrag vom 07.11.2021 von und bei NSU Watch externer Link
  • NSU und rechter Terror: Bekenntnisse eines Verfassungsschützers
    „… Stephan Kramer, Leiter des Thüringer Verfassungsschutzes, zieht deshalb in Hinblick auf die Aufarbeitung des NSU-Komplexes im Interview mit dem BR ein ernüchterndes Fazit: „Wir wissen, dass diese Netzwerke weiter fortbestehen und dass die handelnden Personen heute zum großen Teil noch dieselben sind. Da gilt es noch viel mehr ans Licht zu bringen.“ (…) Netzwerke aus Unterstützern und Hintermännern, die Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt überhaupt erst ermöglichten, zehn Jahre lang im Untergrund zu morden, Bombenanschläge zu verüben und Banken zu überfallen. Mittendrin auch die Behörde, die Stephan Kramer seit bald sieben Jahren leitet: das Landesamt für Verfassungsschutz Thüringen. Dieses hatte vor seiner Amtszeit rund um das Untertauchen und die Beobachtung des NSU-Trios und dessen Sympathisanten eine sehr unrühmliche Rolle gespielt. „Ich habe damals gesagt: Wenn das so läuft, dann müsste man eigentlich den Verfassungsschutz abschaffen. Denn er erfüllt seine Aufgaben nicht, die wehrhafte Demokratie umzusetzen“, so Kramer. (…) Die rechtsextreme Szene sei nicht nur weiter existent, sondern mittlerweile sogar besser vernetzt. Die Neue Rechte habe es geschafft, verschiedene rechtsextremistische Kräfte zusammenzuführen und auch soziale Räume wie Schulen, kulturelle Institutionen und Gewerkschaften zu erobern. (…) Neben solchen Netzwerken in Sicherheitsbehörden gebe es außerdem das Problem des institutionellen Rassismus. Dieses hatte während der Aufklärungsarbeit im NSU-Komplex unter anderem dazu geführt, dass Angehörige der Opfer durch ihre Migrationsgeschichte kriminalisiert und jahrelang selbst verdächtigt wurden. Ermittlungen in Richtung rechtsextremer Motive wurde jahrelang nicht nachgegangen. „Wir haben insbesondere in den Amtsleitungen das Problem erkannt, dass die handelnden Mitarbeiter ideologisch schon in der Wolle gefärbt sind“, räumt Kramer ein. Deshalb versuche man, durch Weiterbildungen ein Bewusstsein für diese Vorurteile zu schaffen und diese schließlich abzubauen. Und vielleicht, so überlegt Kramer, komme durch die neue Bundesregierung ja auch die bundesweite Studie zu institutionellem Rassismus innerhalb von Polizeibehörden, die der noch amtierende Innenminister bislang verhindert hat…“ Beitrag von Meret Reh vom 4. November 2021 bei BR24 externer Link
  • 4.11.2021: #10JahreDanach – Adbusting- und Plakat-Aktion: Verfassungsschutz abschaffen
    Vor zehn Jahren, am 4. November 2011, enttarnte sich das Kerntrio des „Nationalsozialistischen Untergrunds“. Mit Unterstützung eines großen Unterstützer*innen-Netzwerkes konnte der NSU 13 Jahre lang unbehelligt in Sachsen leben und von dort aus rassistische Morde und Sprengstoffanschläge sowie zahlreiche Raubüberfälle begehen. Ermöglicht wurde der rechte Terror auch durch das Weggucken und Vertuschen der deutschen Geheimdienste und die rassistische Ermittlungsarbeit. #10JahreDanach wissen wir, dass zehn Menschen noch leben könnten: Enver Şimşek. Abdurrahim Özüdoğru. Süleyman Taşköprü. Habil Kılıç. Mehmet Turgut. İsmail Yaşar. Theodoros Boulgarides. Mehmet Kubaşık. Halit Yozgat. Michèle Kiesewetter. #10JahreDanach ist klar, dass keine ausreichenden politischen Konsequenzen gezogen wurden. (…) #10JahreDanach sind noch viel zu viele Fragen offen. #10JahreDanach fordern wir weiterhin die Abschaffung des Verfassungsschutzes.“ Aktionsseite der Interventionistischen Linke (IL) vom und zum 04.11.2021 externer Link mit PM zur Adbusting- und Plakat-Aktion externer Link und tollen Motiven externer Link
  • Zehn Jahre nach NSU-Enttarnung: Die mutmaßlichen Helfer
    Vor zehn Jahren flog das NSU-Trio auf. Die Bundesanwaltschaft leitete Ermittlungen gegen neun mögliche Unterstützer ein, Anklagen gab es nicht. Der NSU bekundete es selbst in seiner Bekenner-DVD: man sei ein „Netzwerk von Kameraden“. Als am 4. November 2011 der Terror aufflog, machten sich die Ermittler auf die Suche. Gab es wirklich so ein Netzwerk? Gab es Helfer, gar weitere Mitglieder? Vier Männer ließ die Bundesanwaltschaft schließlich festnehmen, sie wurden später zu Haftstrafen von bis zu zehn Jahren verurteilt: der frühere NPD-Mann und Waffenbeschaffer Ralf Wohlleben, der langjährige Helfer André E., der Passbesorger Holger G. und der reuige Waffenüberbringer Carsten S. Zugleich leitete die Bundesanwaltschaft gegen neun weitere Rechtsextremisten Verfahren wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ein. Diese Verfahren sind bis heute offen. Aber es ist sehr ruhig um sie geworden. Opferanwälte erhalten dazu keine Akteneinsicht, Ermittlungsschritte sind nicht bekannt. Die Opferfamilien fordern Anklagen gegen die neun Beschuldigten. Die Bundesanwaltschaft entgegnet, dass es dafür bisher an einem ausreichenden Nachweis fehlt, dass die Beschuldigten ihre Unterstützung in Kenntnis der Terrortaten leisteten. Wer sind diese Helfer, was ist aus ihnen geworden?…“ Artikel von Konrad Litschko vom 3.11.2021 in der taz online externer Link
  • [Bilanz] NSU – Zehn Jahre danach
    „… Das Thema Rechtsterrorismus ist im Mainstream angekommen, aber nicht in der Politik. Abgesehen von wenigen Ausnahmen bringen Politiker*innen extrem rechte Gewalt immer nur dann auf ihre Agenda, wenn sie es müssen – wenn sie auf Anschläge reagieren oder Gedenkveranstaltungen besuchen. Im Bundestagswahlkampf 2021 war rechter Terror kaum Thema. Diese Haltung ist ein Spiegel dessen, wie wenig jene Bevölkerungsgruppen in der Politik repräsentiert sind, die zum Ziel des Rechtsterrorismus werden. Sie weist auch darauf hin, dass die Veränderungen nach zehn Jahren NSU nicht aus gesamtgesellschaftlichen Erschütterungen hervorgegangen sind, auch wenn inzwischen mehr mediale Öffentlichkeit für Rechtsterrorismus existiert. Es waren vielmehr Impulse aus Teilen der Gesellschaft heraus, die einen Wandel gebracht haben, gestärkt von internationalen Entwicklungen wie den Black Lives Matter-Protesten. Die Betroffenen extrem rechter Gewalt und ihre Unterstützer*innen haben sich nach dem NSU eigene Handlungsmacht und Gehör und damit eine neue Rolle verschafft. Erst sie zwangen die Gesellschaft genauer hinzuschauen…“ Bilanz von Svenja Kux externer Link im Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 192 – September/Oktober 2021
  • [#KeinSchlussstrich unter den NSU-Komplex!] 10 Jahre nach dem Auffliegen des NSU: Der lange Schatten des Terrors
    Vor 10 Jahren flog der NSU auf. Seine Taten begannen in Nürnberg. Angehörige der Opfer glauben, dass es dort Helfer gab, die nicht verfolgt wurden. (…)
    Das Auffliegen der Terrorgruppe ist jetzt genau zehn Jahre her. Und je länger Semiya Şimşek an diesem Oktoberabend darüber spricht, desto energischer wird sie. „Nichts ist aufgeklärt“, sagt die Sozialpädagogin bitter. „Wir haben immer noch dieselben Fragen wie damals. Warum mussten unsere Väter sterben? Warum gerade sie?“ Semiya Şimşek ist überzeugt: Weil es Helfer an den Tatorten gab, die die Opfer ausspähten und aussuchten, gerade in Nürnberg. „Es ist kein Trio, es gibt viele Helfershelfer. Und ich verstehe den Staat nicht, warum er da nicht ermittelt, warum er sie nicht bestraft. Warum möchte er immer noch blind bleiben?“ (…)
    Der Terror des NSU ist die schwerste rechtsterroristische Anschlagsserie in Deutschland. Es ist der Terror von Thüringer Neonazis, der in Nürnberg begann – und dort die meisten Todesopfer forderte. Warum ausgerechnet Nürnberg? Weil es lokale Helfer gab? Das Jenaer Trio war mit Rechtsextremisten aus der Region gut bekannt. Und zwei von ihnen hatten vor den Taten direkten Kontakt mit den Nürnberger Mordopfern. (…)
    In sechs anderen Städten ermordete der NSU bis 2007 sieben weitere Menschen: Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat, Michèle Kiesewetter. Dazu kamen zwei Anschläge in Köln und 15 Raubüberfälle. Für die Terrorserie wurde Beate Zschäpe im Juli 2018 vor dem Oberlandesgericht München zu lebenslanger Haft verurteilt. Vier Mitangeklagte erhielten Haftstrafen bis zu zehn Jahren: der frühere NPD-Mann und Waffenbeschaffer Ralf Wohlleben, der engste Gefährte André Eminger, der Passbesorger Holger G. und der geläuterte Waffenüberbringer Carsten S. Semiya Şimşek aber glaubt, dass das nicht alle sind. (…)
    Auch Mehmet O., der verletzte Betreiber der „Sonnenschein“-Bar, sagt: „Das waren definitiv nicht nur drei Leute.“ Viele Engagierte in Nürnberg sind davon ebenfalls überzeugt. Das Problem ist nur: Die Bundesanwaltschaft konnte bis heute keine NSU-Helfer an den Tatorten ermitteln – nicht in Nürnberg und nicht anderswo. Dabei beschrieben sich die Terroristen in ihrem Bekennervideo selbst als „Netzwerk von Kameraden“. (…) Viele der Opferangehörigen dagegen glauben, es werde nicht richtig nach den Helfern gesucht, weil der Staat die Dimension des NSU-Terrors nicht noch größer machen wolle. Tatsächlich lässt gerade der Tatort Nürnberg an der These eines abgeschotteten Terrortrios zweifeln. (…) Auch Birgit Mair glaubt, dass es bisher nicht verfolgte NSU-Helfer in ihrer Stadt gibt. „Aber der Wille, sie zu überführen, ist nicht da. Denn wenn man das ganze Netzwerk anklagen würde, käme man an den V-Leuten nicht vorbei. Und da will dieser Staat nicht ran.“ Es ist ein Fazit, das so ähnlich auch der NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag fällte
    …“ Artikel von Konrad Litschko vom 31.10.2021 in der taz online externer Link

Siehe auch:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=194839
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