Arm trotz Erwerbsarbeit – und dann auch noch ein kaltes Zuhause. In der EU betrifft das fast drei Millionen Menschen

Dossier

Plakat und Logo der Wiener Mietenkampagne: #mieten runterDerzeit häufen sich solche Berichte: »Verbraucher sollten sich auf einen teureren Winter vorbereiten, denn die Gaspreise steigen seit Monaten.« Und weiter heißt es in dem Beitrag Gaspreise bleiben auf Höhenflug (…) Nach Angaben des Vergleichsportals Verivox haben 32 von ihnen für September und Oktober Preiserhöhungen von durchschnittlich 12,6 Prozent angekündigt. (…) Und gerade die ärmeren Menschen leiden besonders unter den steigenden Energiepreisen (…) Vor diesem Hintergrund lassen solche Zahlen aufhorchen: Low wages leave 3 million workers without heating externer Link, so ist eine Mitteilung des Europäischen Gewerkschaftsbundes (ETUC) überschrieben. »Laut Berechnungen des europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) können fast drei Millionen Menschen in Europa ihre eigenen vier Wände nicht richtig heizen, obwohl sie einen Job haben. Rund 2,7 Millionen Menschen – das entspricht 15 Prozent der Europäer in der sogenannten Erwerbsarmut – fehle das nötige Geld für die Heizkosten…“ Beitrag vom 22. September 2021 von und bei Stefan Sell externer Link und dazu:

  • Von Armut bedrohte Mieter: Ein trauriger Europarekord New
    „… In Deutschland waren im vergangenen Jahr „gut 17,3 Millionen Menschen von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht“, hat das Statistische Bundesamt (Destatis) in Wiesbaden anhand von Erstergebnissen am Dienstag mitgeteilt. Das sind 20,9 Prozent der Bevölkerung. Im Vorjahr waren es 21 Prozent. Somit blieben die Werte nahezu unverändert gegenüber 2021. Als armutsgefährdet gilt, wer über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt. Die Stagnation ist angesichts der starken Kaufkraftverluste erstaunlich. Die Kaufkraft sinkt mit der hohen Inflation, das musste auch Destatis schon mehrfach einräumen, wobei das Bundesamt mit besonders aufgehübschten Inflationswerten rechnet. In Wiesbaden wird mit dem Verbraucherpreisindex (VPI) gerechnet, der stets deutlich niedriger als der international vergleichbarere harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) ist. Tatsächlich müssen Verbraucher auch in Deutschland Reallohnverluste „wie nie zuvor“ hinnehmen. (…) Ein kompletter Vergleich über die Armutsentwicklung innerhalb der EU ist aufgrund der Datenlage derzeit nicht möglich. Etliche Länder haben noch keine Ergebnisse veröffentlicht. Angesichts vorliegender Daten sind in Finnland mit 16,3 Prozent am wenigsten Menschen von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, während Bulgarien mit 32,2 Prozent an der Spitze liegt. Im Vorjahr lag Rumänien mit 34,4 Prozent an der Spitze, gefolgt von Bulgarien, Griechenland (28,3 Prozent) und Spanien (27,8 Prozent). (…) Deutschland liegt mit nur neun Prozent Sozialwohnungen auch weit unter dem Durchschnitt. Und auch hier gibt es schon Berichte wie im Stern darüber, „wie die Inflation Mieterinnen und Mieter in die Armut treibt. Spanien steht auch weit oben auf der Rangliste der Euroländer, in denen die Haushalte schon mehr als 40 Prozent ihres Einkommens für die Miete aufwenden müssen. Mit 41 Prozent sei die Zahl „fast doppelt so hoch“ wie im Durchschnitt, schreibt die Zentralbank „fast doppelt so hoch wie im europäischen Durchschnitt (21,2 Prozent), „wobei Haushalte mit niedrigem Einkommen besonders häufig betroffen sind“. In dieser Kategorie wird Spanien im Euroraum allerdings von Griechenland und von den Niederlanden übertroffen. In Griechenland sind es nach der schweren Krise ab 2008 nun sogar schon fast 75 Prozent, in den Niederlanden dagegen 48 Prozent. (…) Über die Finanzkrise wurde der Wohnungsmarkt in Spanien komplett umgekrempelt. Seit 2011 geht die Zahl derer stark zurück, die in eigenen Wohnungen leben. Damals waren es fast 83 Prozent, 2020 nur noch knapp 74 Prozent. Bei jungen Menschen unter 35 Jahren hat sich die Zahl von einst 69 Prozent sogar fast halbiert. Besonders junge Menschen wurden seither in die Mietfalle gedrückt, die zudem unter besonders prekären Arbeitsbedingungen leiden. Explodierende Mieten und Kaufkraftverluste über die hohe Inflation haben Mieten für viele längst unbezahlbar gemacht. (…) Das neue Wohnungsgesetz, kurz vor anstehenden Kommunal- und Regionalwahlen am 28. Mai gerade beschlossen, bringt allerdings auch keine Mietsenkungen, deckelt sie nicht einmal, wie an dieser Stelle schon herausgestellt wurde. Sie dürfen sogar weiter steigen, 2024 um drei Prozent, danach soll die Steigerung auf die Inflationsrate begrenzt werden. Da die Löhne damit aber nicht mithalten, geht die Schere weiter auf. Auch die Zahl der Miet-Zwangsräumungen wird deshalb steigen. Positiv erklärt die BdE zum neuen Gesetz, dass ein „größer Schwerpunkt auf die notwendige Erhöhung des Mietangebots“ gelegt werde. Es werden aber sicher viele Jahre vergehen, bis sich das spürbar verändern kann…“ Beitrag von Ralf Streck vom 17. Mai 2023 bei Telepolis externer Link
  • Zwangsräumungen wegen Miet- und Energieschulden vermeiden 
    „Das Deutsche Institut für Menschenrechte verlangt mehr Anstrengungen des Staates, um Menschen vor Zwangsräumungen aufgrund von Miet- oder Energieschulden zu schützen. „Die aktuellen Entlastungspakete der Bundesregierung, etwa die Erhöhung und Ausweitung des Wohngelds und die Einführung des Heizkostenzuschusses, sind zwar ein Schritt in die richtige Richtung, sie reichen aber bei weitem nicht aus“, sagte Claudia Engelmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts, anlässlich der 5. Winter-Mahnwache gegen Obdachlosigkeit und Zwangsräumungen, die am 31. Januar 2023 in Berlin stattfindet. Die Hilfen müssten auch tatsächlich bei den Menschen ankommen und ihnen ermöglichen, kurzfristig die hohen Miet- und Energiekosten zu stemmen. „Wir brauchen dringend die im Koalitionsvertrag vereinbarte Ausweitung des Kündigungsschutzes“, so Engelmann. Mit einem bundesweiten Kündigungsmoratorium solle die Bundesregierung außerdem sicherstellen, dass die Menschen in der jetzigen Situation nicht ihre Wohnung verlieren. Beratungsstellen hätten zuletzt deutlich gemacht, dass die bestehenden Maßnahmen bei weitem nicht ausreichen und viele Menschen vor der Gefahr stehen, ihre Wohnung wegen Miet- oder Energieschulden zu verlieren, und letztlich wohnungslos zu werden. Der Staat hat dafür Sorge zu tragen, bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen. Das bedeutet auch, dass hohe Wohn- und Energiekosten nicht dazu führen dürfen, dass Menschen alle anderen Ausgaben zur Lebensführung nicht mehr tätigen können. Menschenrechtlich ist Deutschland dazu verpflichtet, die Vorgaben des UN-Sozialpakts einzuhalten und unter allen Umständen zu vermeiden, dass Menschen wohnungslos werden. Das Deutsche Institut für Menschenrechte erläutert in der aktuellen Publikation „Zwangsräumungen als Menschenrechtsverletzung. Vorgaben des Ausschusses zum UN-Sozialpakt und anderer Menschenrechtsgremien zu Räumungen“, dass Räumungen nur als letztes Mittel und nur unter der Berücksichtigung strenger menschenrechtlicher Kriterien durchgeführt werden dürfen. Diese Kriterien, formuliert vom Ausschuss zum UN-Sozialpakt, umfassen unter anderem folgende Vorgaben: die betroffenen Personen müssen vor einer Räumung rechtzeitig und angemessen informiert und mit ihnen Alternativen überlegt werden; die betroffenen Personen müssen wirksame Rechtsmittel gegen die Räumung einlegen können; die Menschenrechte und die Würde der betroffenen Personen müssen zu jeder Zeit gewährleistet und geschützt werden; Räumungen dürfen nicht zu Wohnungslosigkeit der betroffenen Personen führen. Beratungsstellen in Deutschland berichten, dass diese Kriterien häufig nicht erfüllt sind…“ Meldung des Deutschen Instituts für Menschenrechte vom 30. Januar 2023 externer Link
  • »Wer sparsam war, wird noch mehr sparen müssen«. Mieterbund warnt vor Kündigungen und Energiesperren. »Auffangnetz« soll Sicherheit für Betroffene schaffen 
    „…Zahlreiche Energieversorger haben für Beginn des nächsten Jahres teils massive Preiserhöhungen angekündigt. Zwar ist das Gesetz zur Einmalzahlung für Gas im Dezember, gemessen am September 2022, bereits beschlossen und die Gaspreisbremse ab März 2023 nun in der dritten Lesung. Der Bundestag wird sie voraussichtlich Donnerstag dieser Woche verabschieden. Unklar bleibt aber, zu welchem Zeitpunkt die geplante Entlastung überhaupt bei der Mehrheit der Mieterinnen und Mietern ankommen wird. Die plagen ohnehin schon permanent ansteigende Mietpreise. Die Mietpreisbremse zieht kaum, was wir schon lange kritisieren. Zusätzlich boomen derzeit Indexmietverträge. Kommen noch hohe Nebenkostennachzahlungen auf Mieterinnen und Mieter zu, kann man sich ausrechnen, was geschieht. Die Gefahr einer Energiesperre oder des Verlustes der Wohnung drohen, wenn Menschen den Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen können. Wir fordern für den Fall, dass die Maßnahmen der Bundesregierung nicht oder erst zu spät greifen, ein Auffangnetz, um für die Menschen Sicherheit zu schaffen: ein gesetzliches Kündigungsmoratorium für Mietverträge und ein Verbot von Energiesperren als Sofortmaßnahme. Im jetzigen Gesetzesvorhaben findet sich leider von all dem nichts. (…) Im Mietrecht gilt es Grundsätzliches zu verändern, damit Mieterinnen und Mieter nicht ständig mehr für ihre Wohnung zahlen müssen. Im Koalitionsvertrag heißt es, in angespannten Wohnungsmärkten soll die Kappungsgrenze für Mieterhöhungen weiter gesenkt werden, auf elf Prozent in drei Jahren. Weiter wolle man »die Ursachen drohender Wohnungslosigkeit beseitigen«, insbesondere wenn »Schonfristzahlungen« dem Weiterführen des Mietverhältnisses entgegenstehen. Das Mietrecht hat Tücken: Kommt ein Mieter in Zahlungsverzug, kann der Vermieter ihn fristlos und ordentlich zugleich kündigen. Bei letzterer Kündigung ist eine »Heilung« nicht möglich, wenn er seine Rückstände später ausgleicht. Auch die sogenannte Indexmiete, die mit der Inflation stetig ansteigt, darf nicht mehr greifen. Doch das Mietrecht liegt leider im FDP-Ministerium bei Justizminister Marco Buschmann, der offenbar keinen Anlass zum Handeln sieht.“ Interview von Gitta Düperthal in der jungen Welt vom 13.12.2022 externer Link mit Jutta Hartmann ist Sprecherin des Deutschen Mieterbundes (DMB), siehe dazu:

    • Gaspreisbremse: Nachbesserungen nötig, um soziale Schieflage zu vermeiden. Moratorien zur Aussetzung von Kündigungen und Energiesperren erforderlich
      „„Die mit der Gaspreisbremse beabsichtige Entlastung muss alle Mieterhaushalte gleichermaßen erreichen, sonst kann von einer fairen Entlastung keine Rede sein. Der aktuelle Gesetzentwurf wird dem nicht gerecht. Er benachteiligt Mieter:innen mit einer Zentralheizung sowohl gegenüber selbstnutzenden Eigentümer:innen als auch gegenüber Mieter:innen mit einem eigenen Liefervertrag mit einem Energieversorger. Das ist weder gerecht noch nachvollziehbar, so dass der Gesetzgeber hier dringend nachbessern muss“, erklärt der Präsident des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten, anlässlich der gestrigen Anhörung zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Einführung einer Preisbremse für leitungsgebundenes Erdgas und Wärme (Drs. 20/4683)…“ Pressemitteilung vom 7.12.22 beim Mieterbund externer Link
  • Vonovia, LEG & Co bereichern sich an den Energiekosten. Mietervertreter*innen fordern transparente Abrechnungen. Nebenkosten zurückbehalten.
    „Die im VoNO!via-MieterInnenbündnis zusammengeschlossenen Mieterorganisationen werfen den Großvermietern Vonovia und LEG vor, ihre tatsächlichen Heiz- und Betriebskosten zu verheimlichen und sich an der Energiekostenkrise zu bereichern. Sie rufen die MieterInnen dazu auf, die Einsichtnahme in sämtliche Belege zu verlangen und die Nachforderungen bis dahin zurückzubehalten. „Mit ihren selbstgefertigten Belegen und intransparenten Verrechnungen innerhalb des Konzerns knöpfen Vonovia und LEG ihren MieterInnen wahrscheinlich deutlich mehr ab, als ihnen bei Offenlegung der tatsächlichen Kosten zustünde“, lautet der Vorwurf von Knut Unger vom MieterInnenverein Witten. „Das ist bereits seit Jahren so. Aber jetzt kommen die hohen Gas- und Wärmekosten hinzu, die sich die Vermietungskonzerne als Energieversorger selbst in Rechnung stellen. Wahrscheinlich haben sie als Großabnehmer die Brennstoffe zu deutlich günstigeren Preisen eingekauft als sie jetzt den Mietern berechnen. Auf jeden Fall sind ihre internen Verrechnungs-Gewinne, das belegen auch ihre Geschäftsberichte, so hoch, dass sie ihre Einsparungen nun endlich an die Mieter weitergeben könnten.“ „Der Gesetzgeber gebietet dem Missbrauch, den wir auch bei uns in Hamburg kennen, leider keinen Einhalt. Ja er subventioniert die Abzocke mit seinen Notstandsprogrammen sogar“, meint Rolf Bosse vom Mieterverein zu Hamburg. „Der vom Staat übernommene Gas-Abschlag im Dezember fließt erstmal an die Vermieter. Auch das erhöhte Wohngeld und das geplante Bürgergeld wirken wie Konzernsubventionen, wenn die Abrechnungen nicht konsequent geprüft werden.“ „Da uns der Staat allein lässt, müssen sich die MieterInnen selbst helfen“, sagt Daniel Katzenmeier von der Mietergewerkschaft Frankfurt. „Seit über einem Jahr vernetzen wir uns bundesweit, um Mietergemeinschaften dabei zu helfen, die Abrechnungen zu prüfen und Geld zu sparen. Je höher die Nebenkostenforderungen werden, desto mehr werden sich unserem Vorgehen anschließen.“ „Die rechtlichen Möglichkeiten dafür sind gut“, erklärt der Mietrechtler Manfred Grimm aus Köln. „Aber leider nutzen viele Mieter ihre Prüfungsmöglichkeiten durch Belegeinsicht nicht.  Die Sperrwirkung durch die Belegeinsichtsforderung des Mieters für vermieterseitig geltend gemachte Nachforderungen aus einer Betriebskostenabrechnung ist häufig unbekannt. Dabei kann das Zurückbehaltungsrecht aus § 273 BGB bis zur vollständigen Belegeinsicht auch an laufenden Betriebskostenvorauszahlungen geltend gemacht werden.“…“ Kritik des MieterInnenvereins Witten und Umgebung vom 17. November 2022 externer Link
  • Was tun, wenn die Nebenkosten explodieren? Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, wie man sich erfolgreich mit den Nachbar*innen gegen hohe Heiz- und Betriebskosten organisiert
    „Inflation und steigende Gas- und Strompreise lassen die sogenannte »zweite Miete« explodieren: die Betriebs- und Heizkosten. Vermieter*innen verschicken in diesen Tagen reihenweise Erhöhungen der Vorauszahlungen zwischen 100 und 300 Prozent. Viele Menschen wissen nicht, wie sie die Energierechnungen bezahlen sollen, und fürchten, im Winter zu frieren oder an anderen Grundbedürfnissen sparen zu müssen. Dagegen kann man sich als Mieter*innen organisieren. (…) Es gibt aktuell wieder linksgerichtete Sozialproteste in Form von Demos und medienorientierte Kampagnen wie Genug ist Genug, die sich an die Bundesregierung wenden, um eine gerechtere Verteilung der Kosten dieser Krise zu erwirken. Unserer Erfahrung nach braucht es jedoch ergänzend zu solchen Protesten auch die Selbstorganisierung von Mieter*innen, die in der Nachbarschaft, von Wohnungstür zu Wohnungstür und auf Versammlungen in Hausfluren oder Vereinslokalen stattfindet. Ein Ziel dabei ist, konkrete Erfolge zu erzielen, in diesem Fall: durch Überprüfung der Betriebskosten mehr Zeit zu gewinnen, bis die Zahlungen fällig werden, und sie zu reduzieren, wenn sie unzulässig in Rechnung gestellt wurden. Eine Art solidarische Selbstverteidigung der Nachbarschaft. Ein zweites Ziel ist es, Gruppen und Strukturen aufzubauen, um gemeinsam auch anderen Herausforderungen begegnen zu können. Denn wenn wir uns als Nachbar*innen besser kennen, können wir uns auch bei anderen Problemen mit Vermieter*innen, dem Jobcenter oder oder oder unterstützen und das Leben in der Nachbarschaft schöner machen. Durch nachbarschaftliche Organisierung erreichen wir außerdem Mieter*innen, die bei politischen Kampagnen oft außen vor bleiben. Das gemeinsame Nachdenken und Handeln mit Nachbar*innen kann auch den diskursorientierten Kampagnen für soziale Gerechtigkeit mehr Zuspruch verschaffen, der über reine Medienarbeit nicht herstellbar ist. Es öffnet Räume für politisches Handeln von Menschen, die sonst in den Medien selten gehört werden. Außerdem kann durch dieses Vorgehen Druck nicht nur auf politische Entscheidungsträger*innen aufgebaut werden, die Konzerne mit ihren Milliardengewinnen an den Kosten der Krise zu beteiligen, sondern auch auf die Unternehmen selbst. (…) Aber wie kann Organisierung gelingen mit einem so drängenden und gleichzeitig so bürokratischen Thema wie Betriebskosten? Als praktische Inspiration möchten wir unsere Erfahrungen mit einer solchen organisierenden Nachbarschaftskampagne zu Betriebskosten teilen. Wir haben die Kampagne 2014–15 ins Leben gerufen, als wir bei der Mieter*innengemeinschaft Kotti & Co in Berlin-Kreuzberg aktiv waren. (…) Wir sind überzeugt, dass auch in der deutschlandweiten Auseinandersetzung um die explodierenden Energie- und Nebenkosten, die uns die nächsten Jahre beschäftigen wird, Nachbarschaftsorganisierung und ihre Verknüpfung zu Kampagnen wie Umverteilen oder Genug ist Genug eine wichtige Rolle spielen werden.“ Artikel von Tashy Endres und Georgios Thodos vom 15. November 2022 aus dem ak 687 externer Link
  • Länger schuften fürs Heizen: Der Europäische Gewerkschaftsbund hat berechnet, wie lange Menschen mit niedrigem Einkommen für Strom und Heizung arbeiten müssen 
    „Mindestlohn ist nicht gleich Mindestlohn: In der EU ist die Bandbreite zwischen einzelnen Ländern enorm. Während in Luxemburg mehr als 13 Euro pro Stunde gezahlt werden, sind es in Bulgarien gerade einmal zwei Euro. Ohnehin schützen die Mindestlöhne oft nicht vor Armut. Mehr als 25 Millionen Europäer*innen sind »arm trotz Arbeit«, wie die Europaabgeordnete Özlem Alev Demirel (Die Linke) betont. Angesichts der rasant steigenden Inflation im Euroraum dürften in den letzten Monaten noch viele Millionen dazu gekommen sein. Wie prekär die Lage für die Betroffenen ist, zeigt eine aktuelle Analyse des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB). Demnach müssen Beschäftigte, die nur einen Niedriglohn erhalten, im Schnitt einen Monat pro Jahr arbeiten, nur um die Energierechnungen bezahlen zu können. »Arbeitnehmer*innen, die in 16 EU-Mitgliedstaaten den Mindestlohn verdienen, müssen den Gegenwert eines Monatslohns oder mehr beiseite legen, um zu Hause Licht und Heizung am Laufen zu halten«, heißt es im EGB-Papier. Im vergangenen Jahr war dies nur in acht Mitgliedstaaten der Fall. Schon vor der Preisexplosion hatten zehn Millionen Erwerbstätige in der EU große Schwierigkeiten, ihre Energierechnungen zu bezahlen. Allein bis Juli dieses Jahres sind die Kosten für Gas und Strom europaweit um fast 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. An den Strombörsen wird derweil weiter gezockt. Das treibt die Preise nach oben. »Zwischen Anfang Juli und Anfang September 2022 hat sich der Preis für kurzfristigen Strom an der Strombörse mehr als verdoppelt«, meldet das Wirtschaftsmagazin »Forbes«. Keine guten Aussichten für die Verbraucher*innen in Europa. Beim Blick auf die reinen Arbeitstage, die für das Begleichen der Energierechnungen draufgehen, zeigt sich das ganze Ausmaß der Teuerungen. Hier gab es in vielen Ländern drastische Anstiege: Etwa in Estland, wo die Betroffenen nun 26 Tage länger arbeiten müssen, um die Rechnungen zu begleichen. In den Niederlanden brauchen Mindestlohnbezieher*innen nun 20 Arbeitstage mehr, um Strom und Gas bezahlen zu können. Je mehr die Menschen für Strom und Gas ausgeben, desto weniger bleibt ihnen für andere Dinge. »Hinter diesen Zahlen stehen reale Menschen, die immer härtere Entscheidungen treffen müssen, ob sie es sich leisten können, die Heizung einzuschalten oder warme Mahlzeiten für ihre Kinder zu kochen«, betont EGB-Vize-Generalsekretärin Esther Lynch. (…) Der Europäische Gewerkschaftsbund drängt deshalb auf entschlossene Maßnahmen: »Wenn die Rechnung mehr als ein Monatsgehalt kostet, hilft kein noch so cleverer Spartrick mehr. Diese Preise sind für Millionen von Menschen einfach unerschwinglich geworden«, so Vize-Generalsekretärin Esther Lynch. Deshalb müssten Lohnerhöhungen »dem Anstieg der Lebenshaltungskosten Rechnung tragen«. In der momentanen Krise »sollten Mindestlöhne schnell steigen und Staaten gezielte Notzahlungen an Geringverdiener*innen leisten«, so der EGB. (…)  [A]nders als die Unternehmen könnten die Arbeitnehmer*innen die explodierenden Kosten nicht an die Kunden weitergeben.“ Artikel von Fabian Lambeck vom 9. September 2022 in neues Deutschland online externer Link, siehe auch:

  • Wie internationale Investments den Wohnungsmarkt umwälzen
    „… In London ist seit einigen Jahren ein seltsames Phänomen zu beobachten. Wenn es dunkel wird, gehen in besonders begehrten Wohnlagen in Covent Garden oder Chelsea nur noch vereinzelte Lichter in den Fenstern an. Die Wohnungen gehören einer kosmopolitischen Elite, die in mehreren Städten Immobilien besitzt und sie nur bei ihren seltenen London-Aufenthalten braucht. Finanziell lohnt sich das trotzdem. Denn es sind gute Anlageobjekte – selbst unbewohnt. Auch Paris leert sich abends. Weil es als lukrativer galt, Büros in der Innenstadt zu betreiben, sinkt dort die Zahl der Wohnungen. Weitere 114.000 wurden zu möblierten Apartments für Touristen umgebaut. Auch die stehen in der Pandemie leer. (…) Auf der anderen Seite des Spektrums liegt Berlin. In der europäischen Hauptstadt der Selbstverwirklichung, wo 83 Prozent zur Miete wohnen, galt der Erwerb einer eigenen Wohnung lange als unlukrativ, unnötig oder zumindest spießig. Mit steigendem Durchschnittseinkommen wird auch Berlin zur Eigentümerstadt, argumentieren viele. So, wie es in Dublin, Madrid oder Oslo schon seit Generationen normal ist. Doch eine europaweite Recherche zeigt: Das könnte ein Trugschluss sein. (…) In den letzten sieben Monaten hat ein Rechercheverbund die Wohnungsmärkte in 16 europäischen Städten verglichen. (…) Das Ergebnis: Zwar zeigt sich, dass der Wohnungsmarkt in jeder teilnehmenden Stadt weit unterschiedlicher strukturiert ist als zunächst angenommen. Doch auch wenn es europaweite Megakonzerne für Wohnungen bisher noch nicht gibt: Es bilden sich gerade die ersten heraus. (…) Erstens wächst in allen 16 Städten die Bevölkerung in den letzten Jahren – teils sehr stark. Einzige Ausnahme: Athen. Zweitens: In allen Städten steigen die Mieten, selbst im schrumpfenden Athen. (…) Dazu kommt drittens, dass der Anteil der Haushalte, die zur Miete wohnen in den 16 Städten weit über dem nationalen Durchschnitt liegt. (…) Viertens nimmt in den meisten Ländern der Anteil der Bevölkerung, der zur Miete wohnt, zu, der individuelle Wohnungsbesitz ab. Hinzu kommt fünftens der Tourismus und damit verbunden die Umwandlung von Wohnungen in Airbnb-Angebote. Und sechstens schaffen es die Städte nicht, so viele neue Wohnungen zu bauen, dass es die Preisentwicklung bremst. Egal, ob sie starke oder schwache Mieterschutzgesetze haben. (…) Zu diesen sechs Faktoren kommt nun seit zehn Jahren der schwerwiegendste, wie die Recherche zeigt: Geld. Sehr, sehr viel Geld. Nicht das kleine Geld der Bausparverträge, sondern das milliardenschwere Kapital der Fonds, denen Wohnungen früher zu kleinteilig waren. Real Capital Analytics, eine der wichtigsten globalen Analysefirmen für Immobilientransaktionen, sammelt weltweit Informationen zu großen Wohnungskäufen. Das Unternehmen hat für diese Recherche alle großen Immobiliendeals in den 16 Städten ausgewertet. 2007 lag die Summe der großen Käufe (mindestens zehn Wohneinheiten pro Kauf) bei 17,3 Milliarden Euro. 2009 fielen die Investitionen während der Finanzkrise auf knapp acht Milliarden. Seither explodieren sie. 2019 wurden 66,9 Milliarden Euro in Mietwohnungen investiert. Selbst im Corona-Jahr 2020 gingen die Investitionen nur leicht zurück. Platz eins bei den Investitionen: Berlin. (…) Insgesamt 42 Milliarden Euro wurden von 2007 bis 2020 für große Wohnungsdeals in Berlin und Umland ausgegeben, mehr als in Paris und London zusammen. Im Gegensatz zu London kam der Großteil der Investitionen in Berlin noch aus dem Inland. Die Analyse der Herkunftsländer grenzüberschreitender Investitionen zeigt jedoch: Die Investitionen globalisieren sich langsam. Platz eins belegen die USA. Aber auch Deutschland, Frankreich, England und Schweden investieren viel grenzüberschreitend. Katar und Russland sind auch mit dabei. Und je mehr mitbieten, desto höher steigen die Preise. (…) Der Geldstrom in den Wohnungsmarkt wird zu einer Art selbsterfüllenden Prophezeiung. Weil die Wohnungspreise steigen, können sich weniger Leute eine leisten. Die, die es noch können, werden aus Angst vor hohen Mieten trotzdem versuchen, eine zu kaufen, was den Preis noch weiter steigert. Also wohnen langfristig wahrscheinlich eher mehr Leute zur Miete. Und das macht Wohnungen aus Investmentsicht noch rentabler. Das ist die Sicht von oben. Am Boden, bei den Leuten, wo die Wohnungen nicht Investment heißen, sondern Zuhause, führt die Kapitalverschiebung zu tiefen Rissen im Stadtleben. Denn bevor Wohnungen erst zu Paketen von Hunderten, dann Tausenden geschnürt, renoviert, vermietet und weitergehandelt werden können, sind oft diejenigen im Weg, die darin wohnen.“ Beitrag des deutschen Teils des europäischen Rechercheprojekts „Cities for Rent“ beim Tagesspiegel online, zuletzt aktualisiert am 2. Juni 2022 externer Link

Siehe zum Thema im LabourNet Germany:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=193650
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