[Roma in Deutschland] Leben ohne Aufenthaltserlaubnis: Von Duldung zu Duldung
„Roma leben in Deutschland oft ohne Bleibeperspektive. Was das mit einem macht, zeigt die Geschichte von Tereza Adzovic aus Hamburg. (…) Geschichten wie die von Adzovic können in Deutschland viele Menschen erzählen, vor allem viele Roma. Ein Leben mit Kettenduldungen sei in der Community normal, sagt Victor von Doom vom Bundes-Roma-Verband: „Eine ganze Generation junger Roma bekommt den unsicheren Aufenthaltsstatus ihrer Eltern vererbt. Diese jungen Menschen sind faktische Inländer – aber sie werden über Jahre, gar Jahrzehnte nur ‚geduldet‘.“ Das Leben in permanenter Unsicherheit habe oft schwerwiegende psychische Folgen wie Schlaflosigkeit, Ängste, Konzentrations- und Lernschwierigkeiten. Unter diesen Bedingungen erfolgreich eine Schule abzuschließen, gelinge nur wenigen. Das Schulversagen werde dann wiederum als mangelnde Integration gewertet, die sich negativ auf die Aufenthaltsperspektiven auswirke. „So entsteht ein Teufelskreis“, sagt Von Doom. Der Bundes-Roma-Verband mit Sitz in Göttingen setzt sich seit Jahren für ein Bleiberecht für Roma in Deutschland ein…“ Artikel von Katharina Schipkowski vom 16.9.2021 in der taz online und zu Berlin:
- Roma in Berlin: Asyl statt Saisonarbeit. Roma aus Moldau fordern Schutz und Bleiberecht in Berlin
„Unverzichtbar und trotzdem unterbezahlt: Beschäftigte in der Niedriglohnbranche, wie etwa im Baubetrieb, der Gastronomie, der Reinigung und des Kurierdiensts, sind fester Bestandteil unserer Stadt. Betroffen von schlechten Arbeitsbedingungen und Löhnen sind vor allem marginalisierte Menschengruppen. Sergiu Lopată vom Berliner Beratungszentrum für Migration und Gute Arbeit (Bema) berät viele Roma aus der Republik Moldau. Auf einer Podiumsdiskussion in der Volksbühne zur Situation von moldauischen Roma in Berlin berichtete er am vergangenen Dienstag von den Problemen, mit denen sie zu ihm kommen. Eingeladen hatte das Bündnis gegen Antiziganismus und für Roma-Empowerment (Bare) und die Hildegard-Lagrenne-Stiftung. Sieben-Tage-Wochen, die Auszahlung eines Taschengeldes anstelle des Lohns, fehlende Krankenversicherung – all das sei keine Seltenheit, sagt Lopată. Oft finde die Unterbringung beim Arbeitgeber statt, eine zusätzliche Abhängigkeit. Auf Kündigungen folgten unmittelbar Zwangsräumungen, von denen mitunter ganze Familien betroffen seien, schildert der Berater. »Da kontaktieren wir dann den Arbeitgeber, bereiten Klagen vor und setzen die Rechte der Arbeitnehmer durch.« Seit der Einstufung Moldaus als sicheres Herkunftsland ist die Chance auf Asyl in Deutschland für Geflüchtete stark eingeschränkt. Wer hier stattdessen auf dem Weg der Arbeitsmigration Fuß fassen will, hat zwei Möglichkeiten. Erwünscht sind die Menschen aus Moldau von der Bundesregierung entweder als Fachkräfte, um den eigenen Mangel aufzufangen, oder als Saisonarbeiter*innen in der Landwirtschaft. (…) Roma erfahren in Moldau eine existenzbedrohende strukturelle Ausgrenzung, sodass sie das Land verlassen, um Schutz zu suchen. Dieser Umstand sollte in Deutschland eigentlich kein Streitpunkt sein. Emily Barnickel vom Flüchtlingsrat Berlin weist darauf hin, dass sich Berichte aus Rechtsberatungen, einer Studie des Vereins Pro-Asyl und der Länderbericht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) im Grunde decken. So ist beim Bamf die Rede von erheblichen Defiziten im Schutz von Roma und »erhöhter Vulnerabilität und gesellschaftlicher Marginalisierung – insbesondere im Bildungs- und Arbeitsbereich«. (…) Barnickel sieht in Berlin eine Perspektive für Roma aus Moldau, wenn es gelingt, das »Anti-Abschiebe-Engagement« zu stärken. »Das ist die Stellschraube, an der wir drehen können.« Es wäre für die Vier-Millionen-Einwohner-Stadt Berlin einfacher, den 5000 Moldauer*innen, deren Asylanträge abgelehnt wurden, ein Bleiberecht zu gewähren, als sie abzuschieben. Barnickel sieht Berlin und Deutschland auch historisch in der Verantwortung, da die systematische Verfolgung und massenhafte Ermordung der Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten maßgeblich zur prekären Lage in Europa beigetragen hat. »Deutschland hat eine historische Pflicht, Rechte von Roma zu stärken und anzuerkennen.« Anstatt dieser Verantwortung nachzukommen, sind Roma besonders stark von Abschiebungen aus Berlin betroffen: Man wolle das historisch selbst produzierte Elend »nicht vor der eigenen Haustür haben«, sagt Barnickel. Der Flüchtlingsrat habe schon vor einem Jahr zusammen mit Bare vom Berliner Senat gefordert, ein humanitäres Bleiberecht für Roma einzuführen. Denn das gehe auch auf Landesebene und muss nicht vom Bund initiiert werden.“ Artikel von Lola Zeller und Hannah Blumberg vom 6. Dezember 2024 in Neues Deutschland online