Für wen Inflation ein Problem ist – und was es für die (Tarif)Politik bedeutet

Dossier

Bargeld (Foto: Mag Wompel)„… Für die Menschen, die ihr Geld arbeiten lassen, bildet die Inflationsrate einen Anhaltspunkt für ihre Anlagenentscheidung. (…) Für Menschen, die nicht ihr Geld arbeiten lassen können, sondern selbst für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen, weil sie sonst nichts haben, entscheidet sich mit der Inflation einiges. (…)  Ihr Einkommen ist ein Kostenfaktor in der Rechnung derer, die über Geld verfügen und dafür andere arbeiten lassen. In der Vergangenheit war die Inflationsrate ein Argument für die Gewerkschaften, um einen Lohnausgleich für die Inflation in den Tarifrunden zu verlangen. Damit liefen sie der laufenden Verarmung immer schon hinterher, denn der Ausgleich für die frühere Inflation entwertete sich durch die ständig laufende Inflation weiter. Inzwischen verzichten die Gewerkschaften selbst auf diesen Ausgleich…“ Beitrag von Suitbert Cechura vom 6. September 2021 bei Telepolis externer Link und hier zum Thema, das wir eher als „Profit-Preis-Spirale“ bezeichnen, unter den vielfältigen Aspekten:

  • „Cheapflation“, die die Statistik verschweigt: Lebensmittel-Billigmarken treiben die Inflation besonders stark an – Leidtragende sind Menschen mit geringem Einkommen New
    „Die Inflation trifft nicht alle Konsumenten gleichermaßen. Ärmere Haushalte wurden von den steigenden Preisen in den vergangenen Jahren besonders gebeutelt, da beispielsweise Lebensmittel einen viel größeren Teil ihrer Ausgaben ausmachen als bei wohlhabenderen Haushalten, und Grundnahrungsmittel gehörten zu den wichtigsten Inflationstreibern. Eine neue Studie von zwei Ökonomen der Universität Harvard und der Bank of Canada weist darüber hinaus einen weiteren Mechanismus nach, der dazu führte, dass einkommensschwächere Konsumenten stärker unter der Inflation leiden und dies aus den offiziellen Preisdaten nicht ablesbar ist: „Cheapflation“ nennen die Ökonomen Alberto Cavallo und Oleksiy Kryvtsov das Phänomen, dass günstige Varianten ein und desselben Lebensmittels in den vergangenen Jahren deutlich stärker im Preis stiegen als teure Markenprodukte. Die Wissenschaftler werteten mehr als zwei Millionen Preisdaten des „Billion Prices Project“ von mehr als 90 Einzelhandelsketten in 19 Ländern aus. Zentrales Ergebnis: Im Zeitraum zwischen Januar 2020 und Mai 2024 stiegen die Preise der günstigsten Lebensmittelmarken deutlich schneller als die teurer Marken. Am stärksten war dieser Effekt unter anderem in Deutschland. Während sich hier Lebensmittel insgesamt in diesen gut vier Jahren um 22 Prozent verteuerten, stiegen die Preise teurer Marken um 15 Prozent. Günstige Lebensmittel, also in der Regel die Eigenmarken der Supermärkte und Discounter, verteuerten sich dagegen um 29 Prozent, also fast doppelt so stark. (…) Zugleich reduzierten die Handelskonzerne jedoch den Abstand zwischen den Preisen der Markenprodukte und denen ihrer eigenen Billigmarken. Damit, so konstatieren Cavallo und Kryvtsov, verringerte sich die Möglichkeit der Konsumenten, ihre Inflationsbelastung durch das Ausweichen auf günstigere Produktvarianten zu senken. Vor allem aber zeigt die Untersuchung, dass diejenigen Verbraucher, die bereits preisbewusst einkauften und teure Markenprodukte vermieden, noch stärker von der Inflation betroffen sind, als bisher aus den offiziellen Statistiken erkennbar war. Diese unterscheiden bei den Verbraucherpreisen innerhalb einzelner Produktkategorien nicht zwischen verschiedenen Preissegmenten…“ Artikel von Max Borowski vom 16. Juli 2024 in Capital online externer Link („Warum Billigmarken die Inflation besonders stark antreiben“)
  • Neue Studie des IMK: „Gewinninflation“ in vier Wirtschaftsbereichen treibt Teuerung in Deutschland erheblich
    „Ein kräftiges Wachstum bei den Gewinnen von Unternehmen in einigen Branchen ist ein wichtiger Grund dafür, dass die Inflation in Deutschland seit Anfang 2021 stark angestiegen ist und das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) weit überschreitet. Neben den Preisschocks von den internationalen Energie- und Nahrungsmittelmärkten nach dem russischen Überfall auf die Ukraine hat eine „Gewinninflation“ damit wesentlich dazu beigetragen, dass die Teuerungsraten im vergangenen und in diesem Jahr sehr hoch waren und sind. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Trotz der deutlichen gesamtwirtschaftlichen Wirkung konzentriert sich das Phänomen auf einen relativ kleinen Teil der Wirtschaft. Auffällig ist der Anstieg der nominalen Stückgewinne in vier Wirtschaftsbereichen verlaufen: Am Bau, im von der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) so zusammengefassten Großbereich „Handel, Verkehr und Gastgewerbe“ sowie etwas abgeschwächt im Bereich „Produzierendes Gewerbe ohne Bau- und Verarbeitendes Gewerbe“, zu dem die Energieerzeugung gehört, und in der Landwirtschaft. Vor allem in den ersten beiden Bereichen sind nach der neuen Analyse des IMK nicht nur die Gewinne stark gewachsen, sie stiegen auch stärker als in anderen europäischen Ländern und ihre Entwicklung lief jener der Löhne voraus, sodass man hier von einer durch Gewinnsteigerungen induzierten Inflation sprechen kann. In anderen Branchen, etwa weiten Teilen der Industrie, stiegen die Gewinnmargen dagegen lediglich moderat, so dass von ihnen kein besonderer Inflationsdruck ausging. Eindeutige Ursachen für die außergewöhnlichen Gewinnanstiege lassen sich bislang noch nicht identifizieren, weil dafür noch nicht genügend aktuelle Daten aus der VGR vorliegen. Weitgehend ausschließen können die Forschenden des IMK allerdings die These einer Überschussnachfrage als zentrale Ursache für die gestiegenen nominalen Stückgewinne. Danach hätten Konsumentinnen und Konsumenten Produkte kurzfristig so stark nachgefragt, dass sich durch den „normalen“ Preisbildungsmechanismus deutlich höhere Preise ergeben. Dieser These widerspreche die Nachfrageentwicklung in den besonders durch Gewinnanstiege geprägten Wirtschaftsbereichen, betonen die Studienautor*innen Prof. Dr. Sebastian Dullien, Dr. Ulrike Stein und Prof. Dr. Alexander Herzog-Stein…“ Pressemitteilung vom 28. September 2023 der Hans-Böckler-Stiftung externer Link
  • Neue Werte des IMK Inflationsmonitors zum Juli 2023: 6,5 Prozent Inflationsrate für ärmere Alleinlebende, 5,5 Prozent bei sehr wohlhabenden 
    Die Inflationsrate in Deutschland ist im Juli leicht auf 6,2 Prozent gesunken. Die Teuerungsrate fiel für alle Haushaltstypen niedriger aus als im Juni. Alleinlebende mit niedrigen Einkommen sind aber mit einer Inflationsrate von 6,5 Prozent im Juli weiterhin etwas überdurchschnittlich von der Preissteigerung belastet, während Singles mit sehr hohen Einkommen mit 5,5 Prozent deutlich unter dem Durchschnitt liegen. (…)Ärmere Haushalte sind stärker durch die Inflation belastet, weil sie einen großen Teil ihres schmalen Budgets für Nahrungsmittel und Haushaltsenergie ausgeben müssen. Diese Güter des Grundbedarfs sind nach wie vor die stärksten Preistreiber. Im Vergleich der letzten Monate hat die Preisdynamik dort aber nachgelassen, während Posten wie Pauschalreisen, Gaststättenbesuche oder Versicherungen die allgemeine Inflation etwas stärker beeinflussen. Solche Ausgaben fallen in den Warenkörben von Haushalten mit mittleren und höheren Einkommen stärker ins Gewicht…“ HBS-Pressemitteilung vom 10.08.2023 externer Link
  • [VKG] Gewerkschaftsvorstände und Kapital machen gemeinsame Sache – zur Rolle der Konzertierten Aktion 
    Die Beschäftigte zahlen für die Regierungspolitik und den Krisenkapitalismus dank tätiger Kumpanei der Gewerkschaftsapparate als Retter am Krankenbett des Kapitalismus. Gewerkschaftsvorstände segnen den Lohnraub und Reallohnverluste ab!
    Zur Rolle der Konzertierten Aktion.
    Das Jahr 2022 startete relativ erfolgversprechend mit dem Hafenarbeiterstreik und einem nominal über der Inflationsrate liegendem Abschluss, obwohl die Tarifvertragsdauer angesichts anhaltend hoher Inflationsrate mit zwei Jahren bereits überlang war. Alle dann bis heute folgenden Tarifrunden schlossen noch schlechter ab, obwohl die Mitglieder alle kämpferischer als während der letzten Jahre waren. (…) In den letzten Tarifrunden spielte die im Juni 2022 von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) initiierte Konzertierte Aktion und den Vereinbarungen zur sogenannten „Inflationsausgleichsprämie“ (Oktober 22) eine besondere Rolle, die wir hier beleuchten wollen.
    Alle folgenden Abschlüsse, die nach dem Treffen der „konzertierten Aktion gegen den Preisdruck“ im Oktober vereinbart wurden – sei es in der Chemie- oder Metall- und Elektroindustrie, bei der Post, im Öffentlichen Dienst u.a.– griffen die sogenannte Inflationsausgleichsprämie auf, vereinbarten tabellenwirksame Erhöhungen weit unter der Inflationsrate, hatten viele Nullmonate (bis zu 15 Nullmonate) bis zur ersten Tabellenerhöhung, sowie lange Laufzeiten von zwei Jahren und mehr. Die Beschlüsse der Konzertierten Aktion dienten dazu, die Reallöhne nach unten zu drücken und nachhaltige Tabellenerhöhungen zu verhindern. (…)
    Die Gewerkschaftsspitzen haben also einer Maßnahme zugestimmt, von der allen klar gewesen sein muss, dass sie die aufgestellten Tarifforderungen torpedieren musste: Netto statt Brutto, Prämie statt Tabellenerhöhung, unkalkulierbare Auswirkungen auf die Sozialversicherung und zwangsläufig längere Laufzeiten. Natürlich haben die Gewerkschaftsführungen diesen Vorschlag zu keinem Zeitpunkt ernsthaft innerhalb der Organisationen diskutiert. (…)
    Die genaue Betrachtung der Tarifrunde zeigt also, dass die Sozialpartnerschaft und ihre Mechanismen nicht eine Kooperation zwischen Kapital und Arbeit sind, die beiden Seiten nutzt – wie ihre Verfechter*innen behaupten, sondern die Unterordnung der Arbeitenden unter die Interessen des Kapitals und seines Staates. In diesem Fall bedeuten sie massiven Reallohnverlust. Dies ist die Chance für die Gewerkschaftslinke, die Sozialpartnerschaft, die die Unterordnung unter die Krise des Kapitals bedeutet, anzugreifen. Die überwältigende Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen vermeidet politische Fragen und scheut davor zurück, sich mit dieser Gesellschaftsordnung zu befassen. Für die vielen Aktiven an der Basis, die im Tarifkampf aktiv waren, sollte dies der Anlass werden, dies zu tun. Nur wenn es Klarheit gibt über die Politik der Führung, kann diese auch bekämpft werden…“ Stellungnahme vom 27. Juni 2023 von und bei VKG externer Link – Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften
  • Neue Daten des IMK Inflationsmonitors: Ärmere Alleinlebende von Teuerung erneut am stärksten belastet 
    „Die Inflationsrate in Deutschland ist im Mai spürbar gesunken, war mit 6,1 Prozent aber immer noch sehr hoch. Deutlich überdurchschnittlich von der Teuerung belastet sind weiterhin Alleinlebende mit niedrigen Einkommen. Sie hatten im Mai eine Inflationsrate von 6,9 Prozent zu tragen, die höchste im Vergleich verschiedener Haushaltstypen. Dagegen verzeichneten Alleinlebende mit sehr hohen Einkommen eine Teuerungsrate von 5,4 Prozent – und wie schon seit Anfang 2022 die niedrigste haushaltsspezifische Belastung. Die soziale Spreizung bei der Inflation betrug damit 1,5 Prozentpunkte, nachdem es im April 1,9 Prozentpunkte waren. Dass ärmere Haushalte besonders stark durch die Inflation belastet sind, liegt daran, dass Nahrungsmittel und Haushaltsenergie in ihren Warenkörben ein sehr hohes Gewicht haben. Diese Güter des Grundbedarfs sind nach wie vor die stärksten Preistreiber: Im Mai war ihr Beitrag zur allgemeinen Inflation noch sieben Mal (bei Nahrungsmitteln) beziehungsweise neunmal (Haushaltsenergie) so groß wie im langjährigen Mittel. Im Vergleich der letzten Monate hat die Preisdynamik bei Nahrungsmitteln und Haushaltsenergie aber nachgelassen, weshalb die haushaltsspezifischen Raten nun weniger weit auseinanderliegen als zuvor. Das ergibt der neue IMK Inflationsmonitor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. (…) Insgesamt werde die Inflation „bei hinreichendem Wettbewerb in den kommenden Monaten auch ohne weitere Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank weiter sinken, und es sind teilweise auch Preisrückgänge zu erwarten“, schreiben Tober und Dullien. Die Forschenden gehen davon aus, dass der Rückgang des Preisdrucks unterstützt wird „durch die Auflösung noch vorhandener Lieferengpässe und eine Verringerung der teilweise überhöhten Gewinnmargen“, die etliche Unternehmen im Windschatten der allgemein starken Preissteigerungen aufgeschlagen haben. „Beides dürfte die Wirkung der etwas stärkeren Lohnentwicklung kompensieren, so dass die Inflationsrate spätestens im Verlauf von 2024 wieder in der Nähe des Inflationsziels der EZB von zwei Prozent liegen dürfte.“…“ Pressemitteilung vom 16. Juni 2023 bei der Hans-Böckler-Stiftung externer Link zum 13-seitigen IMK-Inflationsmonitor vom Juni 2023 externer Link von Sebastian Dullien und Silke Tober
  • [Lange Laufzeiten von Tarifverträgen können bei weiteren inflationären Schocks zum Eigentor werden] Vertagte Arbeitskämpfe
    Am Tarifabschluss im öffentlichen Dienst scheiden sich die Geister. Klar ist: Die übliche Tarifpolitik kommt an ihre Grenzen. Streiks werden immer wichtiger. (…) Die Strategie eines gewerkschaftlichen »Krisenkorporatismus«, die seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 immer wieder zur Krisenbekämpfung angewendet wurde, geriet an ihre Grenzen. Das komplexe Tauschgeschäft von Lohnzurückhaltung, umfangreicher Nutzung von Kurzarbeit zur Stabilisierung des Arbeitsmarkts und milliardenschweren staatlichen Krisenpaketen prägte zwar die Corona-Jahre 2020 und 2021. Die korporatistische Wette auf eine Normalisierung schlug jedoch fehl. Der Inflationsschock entwertete bestehende Tarifvereinbarungen. (…) Die hohen Inflationsverluste waren kaum einzuholen, gleichzeitig war schnelle finanzielle Unterstützung dringend notwendig. Die Tarifeinigungen im öffentlichen Dienst, in der Metall- und Elektroindustrie und bei der Deutschen Post können daher als Notlösungen gelten. Inflationsausgleichsprämien wirken zwar unmittelbar, aber eben nicht langfristig. Die Lohnerhöhungen sind hoch, aber reichen nicht aus, um den Kaufkraftverlust aus dem Jahr 2022 zu kompensieren. Laut Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), belaufen sich die Reallohnverluste im öffentlichen Dienst perspektivisch auf satte 6 Prozent. Den Beschäftigten droht bei der Entlohnung eine verlorene Dekade. Die Tarifabschlüsse führen dazu, dass gewerkschaftliche Auseinandersetzungen vertagt werden. Die 24-monatige Laufzeit verschiebt harte Verteilungskämpfe auf Ende 2024 und Anfang 2025. Bereits jetzt wirkt die Inflation als Streiktreiber (…) Streiks werden in den kommenden Jahren eine zentrale Rolle spielen, um den Kaufkraftverlust aufzuhalten. Doch der Tarifkonflikt könnte rauer werden: Die Arbeitgeberseite rüstet sich bereits für ruppigere Arbeitskämpfe.  (…) Auch die Gewerkschaften sollten sich auf das beunruhigende Gedankenexperiment einlassen, dass weitere katastrophische Ereignisse wie militärische Konflikte oder Ernteausfälle, die Preisstabilität erneut gefährden könnten. Es kommt jetzt darauf an, sich gewerkschaftspolitisch gegen Risiken abzusichern. Denn: Lange Laufzeiten von Tarifverträgen können bei weiteren inflationären Schocks zum Eigentor werden. Regelungen wie Ausstiegsklauseln aus einem Tarifvertrag im Falle ungeahnt hoher Inflationsraten, wie sie bei den Streiks an den Nordseehäfen im vergangenen Sommer erkämpft wurden, könnten Abhilfe schaffen. Die Voraussetzung für solche Forderungen bildet eine starke Mitgliederbasis und eine hohe Durchsetzungs- und Streikfähigkeit. Die aktuellen Tarifrunden haben gezeigt, dass diese geschaffen werden können.“ Artikel von Stefan Schmalz vom 27. April 2023 in Jacobin.de externer Link
  • Von hungrigen Produzenten, einer „klebrigen“ Preissteigerung bei Lebensmitteln und den Abweichungen von der durchschnittlichen Inflationsrate
    Endlich geht sie wieder zurück, die Inflationsrate. Das werden viele gedacht haben, als das Statistische Bundesamt am 13. April 2023 berichtet hat: »Die Inflationsrate in Deutschland − gemessen als Veränderung des Verbraucherpreisindex (VPI) zum Vorjahresmonat – lag im März 2023 bei +7,4 %. Im Januar und Februar 2023 hatte die Inflationsrate noch bei jeweils +8,7 % gelegen.« Und weiter: „Die Inflationsrate hat sich abgeschwächt, bleibt jedoch auf einem hohen Niveau“, so Ruth Brand, Präsidentin des Statistischen Bundesamtes. Die dann noch Wasser in den Wein gießt: „Für die privaten Haushalte fielen im März die erneut höheren Preise für Nahrungsmittel besonders ins Gewicht.“ Denn Durchschnittswerte sind das eine. So wie die 7,4 Prozent Preissteigerungsrate im März 2023. Die andere Seite der Medaille sind die Preissteigerungsraten bei bestimmten Produktgruppen – und neben den Lebensmittelpreisen waren und sind vor allem die Energiepreise besondere Inflationstreiber. (…) Die Inflation trifft alle, aber nicht alle gleich … Die 7,4 Prozent durchschnittlicher Verbraucherpreisanstieg sind nicht nur ein Durchschnittswert, um den herum die Preissteigerungen für bestimmte Güter und Dienstleistungen erheblich schwanken (können), sondern die Inflationsrate ist eben nur ein Durchschnitt über alle, der die Streuung der Preissteigerungsraten für bestimmte Personengruppen erst einmal verdeckt, wenn man diese nicht explizit offenzulegen versucht. (…) Die unterschiedlichen Auswirkungen sind erheblich: Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln haben 4,0 Prozentpunkte zur haushaltsspezifischen Inflationsrate des einkommensschwachen Paarhaushalts mit Kindern beigetragen, verglichen mit 2,5 Prozentpunkten bei einkommensstarken Familien und 1,4 Prozentpunkten bei einkommensstarken Alleinlebenden. Einkommensschwache Alleinlebende verzeichneten einen Inflationsbeitrag von 3,8 Prozentpunkten, da der Anteil von Nahrungsmitteln an ihrem Warenkorb deutlich höher ist als bei einkommensstarken Alleinlebenden. (…) Nun hat sich die volkswirtschaftliche Forschungsabteilung der Allianz Trade mit einigen interessanten Aspekten speziell zur Preisentwicklung bei Lebensmitteln zu Wort gemeldet. Die Überschrift ist deutlich: Steigende Lebensmittelpreise trotz sinkender Inflation – Lebensmittelhersteller holen Gewinne nach. »Obwohl die Gesamtinflation in Europa – vor allem getrieben durch den Rückgang bei der Energieinflation – zuletzt zurückgegangen ist, bleiben Lebensmittelpreise in Europa weiterhin hoch. Die Inflation bei Nahrungsmitteln, Alkohol und Tabak hat sich in Europa im Jahresvergleich sogar … auf knapp 15 % im ersten Quartal 2023 erhöht. In Deutschland war der Anstieg im gleichen Zeitraum sogar noch stärker … auf über 22 %.« Hervorgehoben wird die besondere Bedeutung der Lebensmittelpreissteigerungen für das Inflationsgeschehen: „Lebensmittelpreise sind aktuell allerdings einer der Haupttreiber der Gesamtinflation. Sie machen fast ein Drittel der Teuerung aus und in Deutschland sogar über 40 % – im letzten Jahr war es noch weniger als ein Fünftel.“ Die Volkswirte der Allianz Trade sprechen von einer „klebrigen“ Lebensmittelinflation…“ Beitrag vom 24. April 2023 von und bei Stefan Sell externer Link, siehe auch:

  • Zwischen der Theorie einer „Lohn-Preis-Spirale“ und der Realität von Reallöhnen auf dem Sinkflug 
    „Kaum gehen (einige) Arbeitnehmer in Deutschland (etwas) vermehrt auf die Straße, um höhere Löhne einzufordern, warnen Arbeitgeberverbände vor einer drohenden Lohn-Preis-Spirale. Und nicht wenige Ökonomen zeigen beim Signalwort „Lohn-Preis-Spirale“ heftigste Reiz-Reaktions-Muster in dem Sinne, dass man genau vor einer solchen Spirale unbedingt warnen muss und dass die Gewerkschaften nun Maß halten und nicht mit „überschießenden“ Lohnforderungen die Preissteigerung befeuern sollten. (…) Im vergangenen Jahr mussten die Arbeitnehmer in Deutschland – trotz einer vor kurzem aufgrund einer Revision des Verbraucherpreisindex reduzierten Inflationsrate von „nur“ noch 6,9 statt 7,9 Prozent – einen massiven Reallohnverlust von -3,1 Prozent über alle Beschäftigten hinnehmen. Und auch der Anstieg der (nicht preisbereinigten) Nominallöhne in Höhe von +3,5 Prozent liegt deutlich unter der Dynamik der Inflationsrate. Wenn also immer wieder von einer „Lohn-Preis-Spirale“ gesprochen wird, dann geht es erst einmal um ein Schlossgespenst, von dem alle Ökonomen viel gehört haben, das aber in den Daten (noch) eindeutig nicht zu finden ist. Und es wäre an dieser Stelle keineswegs eine akademische Wortklauberei, wenn man darauf hinweist, dass der Terminus „Lohn-Preis-Spirale“ eine Kausalität in den Raum stellt, die schlichtweg nicht gegeben ist, jedenfalls bis an den aktuellen Rand, denn (offensichtlich) sind es nicht die Löhne, die die Preise treiben, sondern wenn, dann müsste man mindestens die Begrifflichkeit „Preis-Lohn-Spirale“ verwenden, aber auch die unterstellt, dass die vor uns liegenden Lohnentwicklungen so stark sein werden, dass sie einen eigenen und erheblichen Effekt auf die Höhe der Inflationsrate haben (werden). Das kann so sein, ist aber zum jetzigen Zeitpunkt keineswegs ausgemacht oder gar als Tatsache zu verbuchen. (…) Dennoch hält sich die Begrifflichkeit von der „Lohn-Preis-Spirale“ hartnäckig im öffentlichen Diskurs. Schauen wir beispielhaft in die Argumentation der Deutschen Bundesbank. Im Monatsbericht Februar 2023 wird ausgeführt: »Die Tarifverdienste stiegen im Herbst 2022 zwar weiterhin moderat. Die jüngsten Tarifabschlüsse fielen allerdings erneut deutlich höher aus als in den vorangegangenen Jahren … Auch die Lohnforderungen fallen im historischen Vergleich derzeit ungewöhnlich hoch aus.« An dieser Stelle mag man einwerfen: Ja klar, wir haben zugleich auch ganz andere gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen, so eine Inflationsrate, die um ein Vielfaches höher ist als in den vergangenen Jahren (wo sie teilweise deutlich unter der Zielinflationsrate der EZB lag) und sie ist immer noch, wie wir gesehen haben, erheblich höher als das, was an Tarifabschlüssen herausgeholt werden konnte, vor allem unter Berücksichtigung der langen Laufzeiten). Und Forderungen sind nicht Abschlüsse, wie hier bereits ausgeführt wurde. Aber lesen wir weiter – die Bundesbank bilanziert forsch: »Die deutlichen Lohnsteigerungen in neuen Tarifverträgen werden sich verstärkt in höheren Zuwachsraten der Tarifverdienste insgesamt niederschlagen.« Das ist nicht falsch, zugleich aber a) lückenhaft, denn die Zuwachsraten können (und werden) deutlich unter der Inflationsentwicklung liegen, was dann zu Reallohnverlusten führt und b) wenn man die angedeutete Argumentation der Bundesbanker konsequent übersetzt, dann wären nur Lohnabschlüsse in Ordnung, die sich in der Größenordnung der „alten Welt“ vor der großen Preissteigerung bewegen, was mithin explizit bedeuten würde, dass es noch nicht einmal eine Teil-Kompensation der Arbeitnehmer geben würde. Und immer schwingt sie mit, die „Lohn-Preis-Spirale“. (…) Die hier nur angedeutete Gleichzeitigkeit von gewinnsteigernden Unternehmen und anderen Unternehmen, die sich in schwerer See befinden, darf nicht aus den Augen verloren werden, wenn man den Terminus „Gewinn-Preis-Inflation“ als Gegenbegriff zu dem teilweise nur instrumentalisierten begriff „Lohn-Preis-Spirale“ verwendet. Aber er drückt einen sicher nicht kleinen Teil der Ursachen der weiterhin hohen Preissteigerungsraten aus…“ Beitrag von Stefan Sell vom 5. April 2023 auf seiner Homepage externer Link
  • Unternehmensprofite treiben die Preise: Für die Unternehmen lohnt sich die Inflation bisher. Das ist kein Wunder, sie machen sie ja auch 
    „Bei hoher Inflationsrate», sagte jüngst der US-Zentralbankchef, «funktioniert die Ökonomie für niemanden.» Zumindest für die vergangenen Monate stimmt das nicht. Während die Lohnabhängigen rekordhohe Einbußen bei ihrer Kaufkraft verzeichnen, bilanzieren die börsennotierten Unternehmen anhaltend hohe Gewinne. Hier liegt allerdings kein Gegensatz vor, sondern eine Kausalität: Indem die Unternehmen die Preise erhöhen und so die Inflation machen, steigern sie ihre Einnahmen. Gleichzeitig verbilligt die Reallohnsenkung die Arbeitskraft, was die Profite stützt. Zwar wird weiter vor einer «Lohn-Preis-Spirale» gewarnt. Tatsächlich aber ist eher die Frage, ob sich nicht längst eine Profit-Preis-Spirale dreht. Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine vor rund einem Jahr wurde vor einer großen Krise, Energieknappheit und Rezession gewarnt. Inzwischen jedoch hat sich gezeigt, dass die Konjunktur in Europa und den USA sich gut gehalten hat. Das spiegeln auch die Bilanzen der Unternehmen wider, die «mehr als gut mit den angespannten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zurechtkommen», so die DZ Bank. Laut der Unternehmensberatung EY stiegen im vergangenen Jahr die Umsätze der 40 Konzerne aus dem Deutschen Aktienindex (Dax) um fast 16 Prozent auf Rekordhoch. Auch die Summe der Gewinne war so hoch wie noch nie. Einen wesentlichen Grund dafür nannte EY-Geschäftsführer Henrik Ahlers: «Den meisten Dax-Unternehmen gelang es, hohe Kosten bei Personal, Beschaffung und Energie an ihre Kunden weiterzugeben.» Allerdings haben viele Firmen nicht bloß Kostensteigerungen «weitergegeben», sondern zusätzlich auf den Preis aufgeschlagen. (…) Von den hohen Gewinnen profitieren die Anteilseigner*innen. Für 2022 werden die 100 größten deutschen Aktiengesellschaften etwa 62 Milliarden Euro an Dividenden ausschütten, das sind zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Einen Großteil davon zahlen die besonders profitablen deutschen Autobauer. Auch in den folgenden Jahren «werden die Gewinne und Dividenden ihren parallelen Lauf fortsetzen», prognostiziert die DZ Bank.  (…) «Die Inflation wird nicht von überzogenen Lohnerhöhungen getrieben, sondern von extremen Gewinnen großer Firmen», schrieb jüngst Marcel Fratzscher, Chef des Forschungsinstituts DIW. Ob das tatsächlich so ist, bleibt unter Ökonom*innen allerdings umstritten. Einiges spricht dafür. So zeigt eine Berechnung von EZB-Chefvolkswirt Philip Lane, dass zwischen Anfang und Ende 2022 die Profite in Europa doppelt so schnell zulegten wie die Löhne. Nach einer Schätzung der französischen Großbank Natixis haben zwischen Ende 2020 und Ende 2022 höhere Gewinnspannen die Inflationsrate in der Eurozone um fast zwei Prozentpunkte jedes Jahr erhöht.“ Artikel von Stephan Kaufmann vom 2. April 2023 in Neues Deutschland online externer Link, siehe auch:

    • Extraprofite von Unternehmen treiben Kerninflation auf Rekordniveau
      „… Die Inflation in der Euro-Zone geht zurück. Dank fallender Energiepreise hat sie sich erheblich abgeschwächt. Die Verbraucherpreise stiegen im März nur noch um 6,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das teilte das Statistikamt Eurostat am Freitag nach einer ersten Einschätzung mit. Im Februar hatte sie noch bei 8,5 Prozent gelegen. Das ist ohne Zweifel eine gute Nachricht für die Verbraucher, und in den kommenden Monaten könnte sich der Trend fortsetzen. Dies brachte zumindest Francois Villeroy de Galhau, Frankreichs oberster Notenbanker und Ratsmitglied der Europäischen Zentralbank, im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) zum Ausdruck. (…) Im Handelsblatt war dagegen mehr über die Ursachen der hohen Kerninflation zu erfahren. Ein Faktor seien die stark gestiegenen Unternehmensgewinne, heißt es dort. Vertreter der EZB hätten stattdessen lange Zeit hauptsächlich vor zu stark steigenden Löhnen als Treiber der Inflation gewarnt. Doch nun zeigten aktuelle Daten, dass wohl viele Unternehmen die Situation ausgenutzt haben, um zusätzlichen Profit zu machen. Sie hätten die Preise stärker erhöht, als zum Ausgleich gestiegener Kosten notwendig gewesen wäre. Die Bruttogewinne der Firmen im Euro-Raum – außerhalb des Finanzsektors – seien im Jahr 2021 um dreizehn Prozent gestiegen, hat ein Ökonom laut Handelsblatt errechnet. Auch im Jahr 2022 habe das Plus demnach bei sieben Prozent gelegen. Ob die EZB die Inflation in den Griff bekommt, hängt auch davon ab, ob die Unternehmen im Euro-Raum die Preise auch weiterhin mit Extraprofiten in die Höhe treiben. Hier sei die Politik gefragt, die genau hinschauen solle, ob etwa die Gewinnmargen zu hoch seien, sagte Robert Holzmann, der Chef der Oesterreichischen Nationalbank, dem Handelsblatt.“ Beitrag von Bernd Müller vom 3. April 2023 in Telepolis externer Link
  • Das Nötigste ist extra teuer. Ärmste zahlen im Supermarkt stärker drauf: Billigste Grundnahrungsmittel kosten bis zu 75 Prozent mehr als vor einem Jahr 
    „… Dass die vier großen Handelsketten gerade das Allernötigste verteuern, war am Donnerstag durch eine Studie von Foodwatch aufgezeigt worden. Lebensmittel, auf die die Ärmsten »am meisten angewiesen ist, sind viel stärker im Preis gestiegen als der Rest«, teilte die Verbraucherschutzorganisation mit. Produkte von Billigmarken wie »Milsani« von Aldi, »Milbona« von Lidl (Kaufland), »Gut und Günstig« von Edeka (Netto) oder »Ja!« von Rewe (Penny) verteuerten sich im Jahr 2022 demnach um sagenhafte 30,9 Prozent. Das Wörtchen »durchschnittlich« braucht es an dieser Stelle nicht, wenn man Foodwatch folgt: »Alle sogenannten Preiseinstiegs-Eigenmarken kosten bei den großen Supermärkten in der Regel auf den Cent das Gleiche. Erhöht ein Händler den Preis, kann man sich sicher sein, dass innerhalb weniger Tage die anderen nachziehen.«
    Käufer von Markenprodukten waren nicht einmal halb so stark von der Teuerung betroffen, hier lag die Rate im Schnitt bei »nur« 14,5 Prozent. Und dabei schlugen die Handelsriesen mächtig Alarm wegen Preisforderungen von Markenherstellern. Rewe erklärte zum Beispiel 8,7 Prozent Preisanstieg für »Kellog’s Choco Crispies« zum Unding. Das Trash-Food wurde ausgelistet zugunsten der unschlagbar billigen Alternative »Ja!-Choco Chips«. Deren Teuerung lag übers Jahr bei 25 Prozent. Bei Aldi, wo der Anteil der Eigenmarken höher ist als bei der Konkurrenz, wurde das Markenmehl Aurora zwar um 33 Prozent teurer, ohne aus dem Sortiment zu fliegen; beim Mehl der Eigenmarke Goldähre lag die Rate allerdings bei stolzen 75 Prozent. Dieser Wert wurde laut Foodwatch »insbesondere bei sättigenden Grundnahrungsmitteln wie Nudeln, Reis, Mehl oder Hülsenfrüchten« wiederholt erreicht, aber auch bei Molkereiprodukten wie Käseaufschnitt oder Joghurt.
    Viele Millionen, die mit dem Billigsten über die Runden kommen müssen, zahlen im Supermarkt also deutlich mehr drauf als jene, die für ein bisschen Lebensgefühl aus der Werbung gerne ein paar Euro mehr ausgeben. Und noch bei einem typischen Warenkorb mit Aldi-Eigenmarken – Nudeln, Reis, Öl, Tomatenmark, Milch, Käse … – lag die Teuerung deutlich über der offiziellen Zahl für Lebensmittel, nämlich bei 32,6 Prozent...“ Artikel von Alexander Reich in der jungen Welt vom 20.03.2023 externer Link, siehe dazu:

    • Preissprung bei Eigenmarken von Aldi, Lidl & Co.
      Die Preise der günstigsten Supermarkt-Eigenmarken sind im vergangenen Jahr besonders stark angestiegen. Das zeigt eine foodwatch-Analyse. Beim Einkauf im Supermarkt werden Verbraucher:innen nach wie vor kräftig zur Kasse gebeten: Die Lebensmittelpreise sind hoch – und dürften wohl so bald auch nicht sinken. foodwatch hat Marktdaten analysiert externer Link , die zeigen, dass im vergangenen Jahr etwa 70 Prozent aller Lebensmittel im Preis gestiegen sind…“ Meldung vom 20.03.2023 bei Foodwatch externer Link
  • Ärmere Haushalte haben um 2,5 Prozentpunkte höhere Inflationsrate als einkommensreiche Alleinlebende – Gewinnsteigerungen zunehmender Inflationstreiber 
    „Die Inflationsrate in Deutschland ist mit 8,7 Prozent im Februar weiterhin sehr hoch und gegenüber Januar unverändert geblieben. Familien sowie Alleinlebende mit jeweils niedrigen Einkommen hatten im Februar mit je 9,9 Prozent die höchste Inflationsbelastung zu tragen, Alleinlebende mit sehr hohen Einkommen mit 7,4 Prozent die mit Abstand niedrigste. Die soziale Schere bei der haushaltsspezifischen Belastung durch die Teuerung ist somit bei einem Abstand von 2,5 Prozentpunkten weiter weit geöffnet, trotz eines minimalen Rückgangs gegenüber Januar, als es 2,6 Prozentpunkte waren. Das ergibt der neue IMK Inflationsmonitor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, der monatlich die spezifischen Teuerungsraten für neun repräsentative Haushaltstypen berechnet. (…) Die leichte Verschiebung bei den größten Preistreibern – Energie hat im Februar etwas an Einfluss auf die Inflation verloren, höhere Kosten für Nahrungsmittel legten an Gewicht zu – habe am Muster bei den haushaltsspezifischen Teuerungsraten kaum etwas geändert, erklärt IMK-Inflationsexpertin Dr. Silke Tober: „Die stark gestiegenen Preise für Nahrungsmittel und Haushaltsenergie stellen insbesondere für einkommensschwächere Haushalte eine Belastung dar, weil dort der Anteil dieser Güter des Grundbedarfs an den Konsumausgaben überdurchschnittlich hoch ist.“ So machten diese beiden Komponenten bei ärmeren Alleinstehenden 7,1 Prozentpunkte von 9,9 Prozent haushaltsspezifischer Inflationsrate im Februar aus, bei Familien mit niedrigeren Einkommen summierten sie sich auf 6,6 Prozentpunkte. Bei Alleinlebenden mit hohen Einkommen trugen Nahrungsmittel und Haushaltsenergie hingegen lediglich 2,8 Prozentpunkte zur Inflationsrate von 7,4 Prozent bei. Das Problem, dass Haushalte mit niedrigem bis mittlerem Einkommen auch höhere Inflationsbelastungen tragen, wird dadurch verschärft, dass viele nur geringe finanzielle Rücklagen haben und vor allem Ärmere grundsätzlich besonders unter starker Teuerung leiden. Denn die Alltagsgüter, die sie vor allem kaufen, sind kaum zu ersetzen. (…) Aktuell habe die soziale Schieflage bei der Inflationsbelastung noch eine zweite Komponente, analysiert der wissenschaftliche Direktor des IMK, Prof. Dr. Sebastian Dullien: In den Daten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zeige sich, dass die Gewinne von Unternehmen zuletzt in vielen Wirtschaftsbereichen stärker gestiegen sind als die gesamtwirtschaftliche Teuerung. „Damit sind Gewinnsteigerungen zunehmend zum Inflationstreiber geworden. Auffällig ist das etwa in den Bereichen Transport, Handel und Gastgewerbe, Bau und Landwirtschaft“, sagt Dullien. Und betont gleichzeitig: „Ein steigender Inflationsdruck durch überhöhte Lohnabschlüsse ist bisher weder in Deutschland noch in den anderen großen Euro-Ländern zu beobachten.“…“ Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung vom 15. März 2023 externer Link, siehe auch:

    • Inflation in Deutschland: Teuer ist es vor allem für die Armen
      Viele lebensnotwendige Güter kosten heute deutlich mehr als vor einem Jahr, doch nicht alle sind gleich betroffen. Höhere Zinsen sollen Inflation senken. Warum die Gewerkschaften davor warnen. Ein Jahr nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine wirkt es schon fast banal, auf die steigenden Preise in Deutschland hinzuweisen. Der Krieg an sich, aber auch die westlichen Sanktionen gegen Russland haben Waren aller Art in Deutschland teurer werden lassen. Das Statistische Bundesamt veröffentlichte kürzlich die Daten zur Inflation in Deutschland. Die Teuerungsrate lag im Februar dieses Jahres bei 8,7 Prozent. Es sind vorwiegend die Menschen mit geringen Einkommen, die mit den steigenden Preisen zu kämpfen haben. (…) Nach Ansicht des IMK gibt es neben dem Krieg in der Ukraine noch einen weiteren Grund dafür, dass Waren und Dienstleistungen teurer werden: Die Profite der Unternehmen steigen. Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des IMK, erklärte, dass sich in den Daten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zeige, dass die Gewinne von Unternehmen zuletzt in vielen Wirtschaftsbereichen stärker gestiegen seien als die gesamtwirtschaftliche Teuerung. „Damit sind Gewinnsteigerungen zunehmend zum Inflationstreiber geworden. Auffällig ist das etwa in den Bereichen Transport, Handel und Gastgewerbe, Bau und Landwirtschaft“, so Dullien weiter…“ Beitrag von Bernd Müller vom 17. März 2023 in Telepolis externer Link
  • Wie Superreiche, fossile Konzerne und Krieg Inflation weiter anheizen 
    „Hohe Löhne und billiges Geld seien Treiber von Preissteigerungen. Also wird Lohnzurückhaltung und Zinserhöhung gefordert. Eine neue Studie in den USA räumt mit diesen Mythen auf und fördert Überraschendes zutage. (…) In den USA, wie auch hierzulande, wird von Ökonomen und in den großen Medien wie Washington Post oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zudem von einem „demand shock“, einem Nachfragschock gesprochen, der die Inflation antreibe. Hilfspakete wie der American Resue Plan Act der US-Regierung im Zuge der Corona-Pandemie von März 2021 würden normale Bürger:innen einfach zu viel Geld geben, was sie dann mit beiden Händen ausgeben – was wiederum die Inflation angetrieben habe. (…) Die Wirtschaftswissenschaftler Thomas Ferguson und Servaas Storm vom Institute for New Economic Thinking in den USA widersprechen jedoch in einer neuen Studie der Ansicht, dass zu hohe Löhne und billiges Geld für die extreme Inflation verantwortlich sind. Sie verweisen darauf, dass 90 Prozent der Corona-Hilfsgelder bereits bis zum Juni 2021 ausgegeben worden waren. Im zweiten Halbjahr von 2021 hätten die diversen Steuer- und Ausgaben-Politiken in den USA die wirtschaftliche Nachfrage dann sogar verringert. Die Inflation ging aber erst Ende 2021 los und steigerte sich dann auf Rekordmarken im Verlauf von 2022. Ferguson und Storm sehen daher keinen Nachfrage-Boom bei der arbeitenden Durchschnittsbevölkerung als Inflationstreiber. Doch es habe ihrer Meinung nach durchaus einen „demand shock“ gegeben. Er sei jedoch von den oberen Schichten ausgelöst worden. Zwischen dem ersten Quartal 2020 und dem ersten Quartal 2022 ist das gesamte Privatvermögen in den USA um 26,1 Billionen Dollar gestiegen, was vor allem auf den explodierenden Aktienmarkt zurückzuführen ist. Vierzig Prozent davon entfielen auf das oberste eine Prozent, weitere 33,4 Prozent auf die nächsten neun Prozent – was bedeutet, dass etwa drei Viertel des Anstiegs an das oberste Zehntel der Amerikaner ging. Ende 2021, so schreiben Ferguson und Storm, „betraten die wohlhabenden US-Amerikaner in Scharen die Bühne und starteten eine Ausgabenrally“. Die Wirtschaft konnte in der Tat nicht genug Angebot für das erzeugen, was die Reichen kaufen wollten. Die beste Lösung für diese Art von einseitiger Nachfrage wären progressive Verbrauchssteuern gewesen, anstatt die Wirtschaft über die Federal Reserve, die US-Notenbank, auf breiter Front zu bremsen. (…) Ferguson und Storm warnen davor, dass die Welt auf unbestimmte Zeit einer „Zukunft mit einer Vielfalt von Angebotsschocks“ gegenüberstehe. Daher müsse man nicht nur kurzfristig den finanziellen und monetären Aspekten Aufmerksamkeit schenken, sondern den darunter liegenden Ursachen. Dazu gehören drohende Pandemien, fehlende internationale Kooperation und fossile Verbrennung zur Energieerzeugung. Daher empfehlen die Wissenschaftler, gegen Kriegseskalation wie in der Ukraine vorzugehen, sich auf weitere Pandemien vorzubereiten und gegen die Erderhitzung entschiedene Maßnahmen zu ergreifen. Am Ende bedeutet es: Sich den Interessen und Bedürfnissen der normalen Bevölkerung zuzuwenden und die der Eliten zu vernachlässigen. Etwas, was in der medialen Kommentierung aber kaum im Zentrum der Debatten steht.“ Beitrag von David Goeßmann vom 10. März 2023 bei Telepolis externer Link
  • Neue Berechnungen zu Reallohneinbußen: Tarifverdienste 2022 um 2,2 % höher als im Vorjahr – aber deutlich schwächer gestiegen als die Verbraucherpreise
    • Hohe Inflation: Reallöhne sind 2022 wieder gesunken
      „… Die Reallöhne in Deutschland sind 2022 das dritte Jahr hintereinander gesunken. Sie sanken um 3,1 Prozent im Vergleich zum Jahr 2021, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Die Nominallöhne stiegen demnach im vergangenen Jahr zwar um 3,5 Prozent, aber infolge der fast doppelt so hohen Inflationsrate gab es beim Nominallohnindex eine negative Entwicklung. Für 2022 hatte eine frühere Schätzung sogar ein Minus von 4,1 Prozent ergeben. Die Statistiker korrigierten die vorläufigen Zahlen nun aber um 1,0 Prozentpunkte nach unten und berücksichtigten dabei die Neuberechnung der Inflationsrate für das vergangenen Jahr. Damit fielen die Reallohneinbußen in Deutschland wegen der korrigierten Inflationsrate nicht so stark aus wie ursprünglich erwartet. Trotzdem ist der Rückgang der größte seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2008…“ Meldung vom 1. März 2023 bei tagesschau.de externer Link
    • Tarifverdienste 2022 um 2,2 % höher als im Vorjahr – Tarifverdienste deutlich schwächer gestiegen als die Verbraucherpreise
      „Die Tarifverdienste in Deutschland sind im Jahr 2022 im Durchschnitt um 2,2 % gegenüber dem Jahresdurchschnitt 2021 gestiegen. Dies geht aus dem Index der tariflichen Monatsverdienste einschließlich Sonderzahlungen hervor. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, sind die Tarifverdienste ohne Sonderzahlungen 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 1,4 % gestiegen. Im gleichen Zeitraum erhöhten sich die Verbraucherpreise um 6,9 %. Das Berichtsjahr 2021 war durch eine im Zeitvergleich unterdurchschnittliche Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Tarifverdienste (+1,3 %) gekennzeichnet. Dies war insbesondere auf die Corona-Sondersituation zurückzuführen, in Folge derer einige Tarifverhandlungen verschoben und im Kalenderjahr 2022 nachgeholt wurden. Des Weiteren war das Jahr 2022 durch deutliche Erhöhungen des gesetzlichen Mindestlohnes geprägt. Gleichwohl fällt die Veränderung des Tarifindex ohne Sonderzahlungen für das Jahr 2022 mit 1,4 % noch vergleichsweise gering aus. Dies liegt vor allem daran, dass ein Teil der beschlossenen Tariferhöhungen erst im Kalenderjahr 2023 zahlungswirksam werden…“ Destatis-Pressemitteilung Nr. 81 vom 2. März 2023 externer Link
  • Soziale Schere bei Inflation auf Höchststand: Ärmere Familien haben 3,5 Prozentpunkte höhere Rate als wohlhabende Singles 
    „Die Inflation ist im November im Durchschnitt aller Haushalte leicht auf 10,0 Prozent gesunken. Die Hoffnung wächst, dass der Höhepunkt der Teuerungswelle überschritten ist, die Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung haben daran einen wesentlichen Anteil. Doch gleichzeitig hat sich die soziale Schere bei der Teuerung noch einmal etwas weiter geöffnet. Einkommensschwache Familien, die von der Teuerung am stärksten betroffene Gruppe, mussten im November mit einer Inflationsrate zurechtkommen, die um 3,5 Prozentpunkte höher lag als bei Alleinlebenden mit hohen Einkommen – seit Jahresbeginn die Gruppe mit der niedrigsten Rate. Gemessen an den für diese Haushaltstypen repräsentativen Warenkörben trugen Familien mit niedrigem Einkommen im November eine Inflationsbelastung von 11,5 Prozent gegenüber 8,0 Prozent bei wohlhabenden Alleinlebenden. Die Differenz ist die größte in diesem Jahr gemessene, nach bereits hohen 3,4 Prozent im Oktober. Sie erklärt sich damit, dass die weiterhin stärksten Preistreiber – Haushaltsenergie und Lebensmittel – bei den Einkäufen von Haushalten mit niedrigen bis mittleren Einkommen einen größeren Anteil ausmachen als bei wohlhabenden. Die zweithöchste Inflationsbelastung trugen mit 11,3 Prozent Alleinlebende mit niedrigen Einkommen, deren Inflationsrate gegenüber Oktober kaum gesunken ist. Auch Alleinerziehende und Familien mit jeweils mittleren Einkommen hatten mit 10,5 Prozent bzw. 10,2 Prozent etwas überdurchschnittliche Teuerungsraten zu tragen, während Alleinlebende und Paarhaushalte ohne Kinder mit jeweils mittleren Einkommen mit 10,0 bzw. 9,8 Prozent im oder nahe am allgemeinen Durchschnitt lagen. Alleinlebende und Familien mit jeweils höheren Einkommen wiesen unterdurchschnittliche Raten von 9,6 bzw. 9,3 Prozent auf. Das ergibt der IMK Inflationsmonitor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, der monatlich die spezifischen Teuerungsraten für neun repräsentative Haushaltstypen liefert. (…) Das Problem, dass Haushalte mit niedrigem bis mittlerem Einkommen aktuell auch besonders hohe Inflationsbelastungen tragen, wird dadurch verschärft, dass vor allem Ärmere grundsätzlich besonders unter starker Teuerung leiden, unterstreichen der Wissenschaftliche Direktor des IMK, Prof. Dr. Sebastian Dullien, und Tober: Die Alltagsgüter, die sie vor allem kaufen, sind kaum zu ersetzen. Zudem besitzen diese Haushalte kaum Spielräume, ihr Konsumniveau durch Rückgriff auf Erspartes aufrecht zu erhalten…“ Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung vom 19. Dezember 2022 externer Link
  • Inflation oder Trittbrettfahrer: Preissteigerung nur wegen der Energiekrise? 
    „Die Preissteigerung bei Lebensmitteln wird meist mit der Energiekrise begründet. Dabei fällt kaum auf, wenn Trittbrettfahrer, wie Finanzinstitutionen und multinationale Agrar- und Lebensmittelkonzerne, dieses Argument ausnutzen, um höhere Profite zu erzielen. (…) Als Ursache für die Preissteigerungen werden u.a. die gestiegenen Energiekosten für Dünge- und Futtermittel auf verschiedenen Ebenen der Verarbeitungs- und Vermarktungsebene in Folge des Ukrainekrieges identifiziert. Gewerkschaften hegen jedoch den Verdacht, dass viele Preissteigerungen zwar mit dem Anstieg der Energiekosten begründet werden, diese aber auch als Vorwand dienen, um noch höhere Preise zu lukrieren. Im Folgenden wollen wir daher den Bereich der Agrar- Düngemittel- und Lebensmittelbranche näher betrachten. So stiegen beispielsweise die Getreide- und Milchpreise bereits vor dem Krieg stark an, in einer Zeit also, in der sich die Strompreise auf Normalniveau bewegten. Grund dafür war die hohe Preisnotierung an den Rohstoffbörsen. Das spiegelt sich im Fall der spezialisierten Getreidebauern mit einem zu 40 Prozent gestiegenen Einkommen im Jahr 2021 im Vergleich zum Vorjahr wider. Insgesamt stiegen die landwirtschaftlichen Einkommen um durchschnittlich 15 Prozent, da die Agrarpreise bereits im 2. Halbjahr 2021 kräftig anzogen. (…) Um das zu erklären, bedarf es eines Blickes auf die Rohstoffbörsen. (…) Finanzmarktakteure beteiligen sich in großem Format als Zwischenhändler an den Rohstoffbörsen. (…) Aus der Unsicherheit der Finanzakteure und den realwirtschaftlichen Angebotsschocks schlagen die dominierenden Rohstoffhändler im Agrarbereich, die sogenannte ABCD Group (ADM, Bunge, Cargill and Louis Dreyfus), die 70 bis 90 Prozent des globalen Getreidehandels abdecken, ihren Profit. So konnte ADM ihren Gewinn im Vergleich zum Vorjahr um über 20 Prozent, Cargill um knapp 30 Prozent steigern und entlang der gesamten Lebensmittellieferketten expandieren. (…) Aber auch große Nahrungsmittelverarbeiter spielen eine zentrale Rolle im System, wobei besonders Nestlé, Unilever und CocaCola eine starke Position haben. Nestlé verzeichnete 2022 in den neun Monaten bis Ende September 2022 ein Wachstum von 8,5 Prozent. Dies gelang durch seine Kunst des richtigen „Pricing“ – die für den Unternehmenserfolg optimale Preissetzung (…) Die aufgezeigte Konzentration im Agrar- und Lebensmittelsektor zeigt, dass die Unternehmen ihre Oligopol- bzw. Monopolstellung nutzen, um aus der daraus resultierenden Abhängigkeit Profit zu schlagen. (…) Gewerkschaften fordern eine rasche Umsetzung in Form einer Übergewinnsteuer sowie die Einführung einer Antiteuerungskommission, die regelmäßig Preise und Preiserhöhungen auf ihre volkswirtschaftliche Rechtfertigung prüft und gegebenenfalls Preisprüfungsanträge nach dem Preisgesetz einfordert. Nur so kann vermieden werden, dass Oligopole ihre marktmächtige Stellung zu Lasten der Beschäftigten und Konsument*innen ausnutzen.“ WSI-Beitrag von Kaoutar Haddouti und Susanne Wixforth am 12. Dezember 2022 externer Link – Trittbrettfahrer? Oder ganz „normaler“ kapitalistischer Wahnsinn? Die beiden Autoren*innen schwanken hier offensichtlich zwischen ganz legalem und moralisch verwerflichen Verhalten – ohne die Systemursache zu kapieren. Allerdings verstehen die Wenigsten wie der Kapitalismus wirklich aktuell läuft…
  • Acht Minuten Arbeit für ein halbes Pfund Butter: Inflation schrumpft Reallöhne um fast sechs Prozent 
    Die Preise steigen in Deutschland derzeit deutlich schneller als die Löhne. Zwischen Juli und September schrumpften die Reallöhne dadurch um 5,7 Prozent – der höchste Verlust seit Beginn der Erhebung. Die anhaltend hohe Inflation entwertet die Gehälter der Menschen in Deutschland zunehmend. Im dritten Quartal lagen sie zwar nominal 2,3 Prozent höher als im Vorjahreszeitraum, wurden aber von den um 8,4 Prozent gestiegenen Verbraucherpreisen mehr als aufgezehrt. Daraus ergibt sich nach weiteren Berechnungen des Statistischen Bundesamts  ein realer, also um die Preisentwicklung bereinigter Lohnverlust von 5,7 Prozent. Dies ist der höchste Verlust seit Einführung der Statistik im Jahr 2008, berichtet die Behörde. (…) Für ein genaueres Bild der derzeitigen Lage hatte das Institut der deutschen Wirtschaft vor wenigen Tagen eine andere, anschauliche Rechnung aufgemacht: Wie lange muss man arbeiten, um sich bestimmte Dinge des Alltags leisten zu können? Und wie hat sich diese Arbeitszeit in der Krise verändert? Für ihre Antworten greifen die Forscher auf Durchschnittswerte des Statistischen Bundesamts zurück. Besonders unschön fielen die Ergebnisse demnach bei Lebensmitteln aus. Musste ein Verbraucher 2019 für ein halbes Pfund Markenbutter noch sechs Minuten arbeiten, waren es im Oktober schon acht Minuten – ein Anstieg um ein Drittel. Für zehn Eier muss ein Viertel mehr Arbeitszeit investiert werden als 2019, beim Brot sind es zwölf Prozent mehr…“ Meldung vom 29.11.2022 im Spiegel online externer Link, siehe auch

  • DGB: Kein Entgeltausfall in der Krise – für ein umfassendes Lohnsicherungskonzept! 
    „… Mit dem umfassenden Konzept zur Lohnsicherung wollen der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften einen Beitrag zur Absicherung von Arbeitnehmer*innen in Zeiten von Krisen leisten. Der Fokus liegt auf den Fragen: Was ist eigentlich, wenn der Arbeitgeber das Entgelt nicht zahlt oder – im schlimmsten Fall – sogar insolvent geht? In den aktuellen Krisenzeiten zeigt sich das ohnehin bestehende Ungleichgewicht zwischen zahlungsunfähigen bzw. -unwilligen Arbeitgebern und Arbeitnehmer*innen umso deutlicher, die bei den steigenden Energie- und Lebenserhaltungskosten umso mehr auf ihren Lohn angewiesen sind. Deswegen haben der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften einen umfassenden Maßnahmenkatalog entwickelt. Mit den Vorschlägen soll zum einen die Zahlungsmoral von Arbeitgebern verbessert werden, zum anderen aber auch Arbeitnehmer*innen für den Fall des Lohnausfalls besser absichert werden. (…) Das Arbeitsverhältnis ist ein Austauschverhältnis und beruht auf Leistung und Gegenleistung. Die Arbeitnehmer*innen sind hierbei durch die Ausübung ihrer Tätigkeit zur Vorleistung verpflichtet, was sie abhängig macht von der Zahlungsmoral ihres Vertragspartners, dem Arbeitgeber, der ihnen das Entgelt erst im Nachhinein auszahlt. Obwohl Arbeitnehmer*innen ihren Lebensunterhalt mit der erarbeiteten Vergütung bestreiten, sind die Durchsetzungsinstrumente im Wesentlichen auf Zahlungsklagen begrenzt. Das reicht aber nicht, um der Machtasymmetrie im Arbeitsverhältnis zu begegnen. Ein Zahlungsausfall bedeutet für Arbeitnehmer*innen unter Umständen kein Geld für Nahrungsmittel und die Miete zu haben, Arbeitgeber hingegen haben die Geldmittel länger zur Verfügung und sie treffen nur sehr geringe Zinsforderungen bei Zahlungsverzug. Das ist eine Schieflage, die mittels der nun vorliegenden Vorschläge des DGB besser in Ausgleich gebracht werden soll. Die Ideen sind da, jetzt ist eine schnelle Umsetzung gefragt…“ DGB-Forderung vom 16. November 2022 externer Link

    • Zu den wichtigsten Details der DGB-Forderungen vom 7. November 2022 externer Link gehören: „… 1. Zurückbehaltungsrecht bei Lohnvorenthaltung (…) 2. Gleichwohlgewährung und Anspruchsdauerminderung des Arbeitslosengelds. Wenn das Zurückbehaltungsrecht durch berechtigte Leistungsverweigerung ausgeübt wird, besteht ein Anspruch auf Arbeitslosengeld I im Wege der „Gleichwohlgewährung“. (…) 3. 40 € Verzugspauschale (…) 4. Recht zur außerordentlichen Kündigung bei Lohnvorenthaltung (…) 5. Ausschluss der Insolvenzanfechtung für Arbeitslohn (…) Arbeitnehmer*innen befinden sich in einer eklatanten Schutzlücke, wenn das geflossene Entgelt zurückgezahlt werden muss. (…) 6. Ausweitung / Erhöhung Insolvenzgeld (…) 7. Neue insolvenzunabhängige Sozialleistungen bei Lohnrückstand (Krisengeld) Auch für andere Fälle als die Insolvenz sind Arbeitnehmer*innen durch die sozialen Sicherungssysteme gegen Zahlungsausfälle abzusichern. (…) 8. Insolvenzsicherung von Entgelt (…) 9. Verbandsklage (…) Dieses Verbandsklagerecht soll tariffähigen Vereinigungen zustehen bei systematischen Verstößen gegen tarifliche Bestimmungen und gesetzliche Mindestbestimmungen.“
  • Die Preis-Lohn-Spirale der „Zombiewirtschaft“ 
    Die Inflation droht außer Kontrolle zu geraten, denn die Inflationsbremsen sind kaputt. Wir brauchen nichts Geringeres als eine Kehrtwende in der Wirtschafts- und Geldpolitik.  (…) nicht nur bei den Löhnen und Gehältern, sondern in allen Wertschöpfungsketten gibt es die gefürchteten Zweitrundeneffekte. Weder die Unternehmen noch die Erwerbstätigen können den enormen Preisanstieg durch Sparmaßnahmen ausgleichen, ohne dass es auf die Profitabilität beziehungsweise den Lebensstandard durchschlägt. Um ihre Profitabilität zu bewahren, sind die Unternehmen gezwungen, ihre steigenden Kosten in den Wertschöpfungsketten weiterzugeben und überwälzen diese – sofern sie die Möglichkeit haben – auf die Verbraucher. Diese wiederum können den innerhalb der letzten zwei Jahre erlittenen Kaufkraftverlust infolge des Verbraucherpreisanstiegs von inzwischen mehr als 15 Prozent ebenfalls nicht wegstecken. In den Tarifverhandlungen, so der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, gehe es letztlich um nichts anderes als darum, zwischen den Tarifpartnern die „Verluste zu verteilen“ externer Link. (…) Ab dem Beginn der 2000er Jahre hat die rückläufige Investitionsneigung der Unternehmen sogar dazu geführt, dass der Unternehmenssektor zunehmend größere Finanzierungsüberschüsse erzielt. Die Unternehmen funktionieren seitdem wie Banken, die dem Kapitalmarkt freie Mittel zur Verfügung stellen, weil sie für die von ihnen erzielten Gewinne keine eigene profitable Verwendung sehen. Rückläufige Investitionen in den technologischen Fortschritt haben sich, da sie die Kosten senken, sogar zu einem bedeutenden Treiber für hohe Dividenden entwickelt, was wiederum hohe Unternehmensbewertungen rechtfertigt. Obwohl rückläufige Investitionen ursächlich sind, wurde das Anschwellen der Kapitalmärkte durch den stetigen Zufluss von immer mehr freien Mitteln von Ökonomen-Seite aus nicht als Investitionsschwäche, sondern als globale „Sparschwemme“ interpretiert. (…) Diese, von den Zentralbanken abgesicherte, Finanzialisierung, hat den Trend noch verstärkt, Kapital in die Finanzmärkte zu pumpen und auf Papiergewinne zu setzen, anstatt in neue Unternehmenstechnologie zu investieren und darüber Gewinne einzustreichen. (…) Faktisch hat die EZB während ihrer Mini-Zinsschritte genau darauf geachtet, dass sie gefährdete Schuldner mit noch mehr billigem Geld als zuvor versorgt und das Zinsniveau weit, weit unterhalb der Inflationsrate bleibt. Die geldpolitische Inflationsbremse ist völlig zerstört. Aber auch die durch die Steigerung der Arbeitsproduktivität wirkende Inflationsbremse ist kaputt. Denn weil die Unternehmen nur noch wenig in die Verbesserung ihrer Produkte und Prozesse investieren, sind sie wegen ausbleibender Produktivitätsgewinne kaum noch in der Lage, die Gesamtkosten zu senken und Kostensteigerungen aufzufangen. (…) Die nun von der Corona-Krise wie auch vom Ukraine-Krieg ausgehenden inflationären Effekte, treffen in den entwickelten Ländern auf eine gelähmte Wirtschaft, die auch auf längere Sicht nicht mehr die Kapazitäten hat, einer in Gang gekommenen Inflation entgegenzuwirken. (…) Das Schüren von Ängsten vor einer Lohn-Preis-Spirale, mit der versucht wird, den Erwerbstätigen die Schuld an einer Inflation zu geben, die außer Kontrolle zu geraten droht, ist starker Tobak. Verantwortlich für diese Inflationskrise ist eine verfehlte Wirtschafts-, Geld- und Klimapolitik, die, anstatt die Inflation zu bremsen, diese sogar noch befeuert. Die akute Gefahr, dass inflationäre Schübe außer Kontrolle geraten können und zu wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen führen, die selbst wirtschaftlich kerngesunde Unternehmen mit ihrer Existenz bezahlen und die Bürger mit Wohlstandseinbrüchen, wird solange bestehen bleiben, bis die Inflationsbremsen wieder in Stand gesetzt sind. Dazu braucht es aber zunächst das Eingeständnis, dass die Wirtschafts- und Geldpolitik der letzten Jahrzehnte die realwirtschaftlichen Probleme, die sich in der Stagnation der Arbeitsproduktivität manifestieren, mit viel Geld zu übertünchen versucht hat, anstatt diese Probleme zu adressieren. (…) Bis sich diese Realitätswahrnehmung ändert, sollten die Erwerbstätigen der Empfehlung des Ifo-Präsidenten Fuest folgen und zusehen, dass sie beim nun anstehenden „Verluste verteilen“ möglichst gut wegkommen, indem sie nicht in Zweitrunden der Inflation hinterherrennen, sondern selbst vor die Welle kommen…“ Gastbeitrag von Alexander Horn vom 18. Oktober 2022 in Telepolis externer Link
  • Vergiftetes Geschenk: Die sogenannte Inflationsprämie kommt nicht bei denen an, die sie brauchen – aber schwächt Tarifverhandlungen 
    Das sogenannte dritte Entlastungspaket der Bundesregierung soll unter anderem eine »Inflationsprämie« ermöglichen, eine steuer- und abgabenfreie Einmalzahlung der Unternehmen an ihre Beschäftigten. Diese könnte die anstehenden Tarifverhandlungen unterminieren, dabei dürften nur wenige Beschäftigte überhaupt davon profitieren. (…) Der Zuspruch aus dem Lager der großen Konzerne kommt nicht von ungefähr. Die Metall- und Elektroindustrie als deutsche Leitbranche befindet sich derzeit in Tarifverhandlungen mit der IG Metall, und auch in der Chemieindustrie wird im Herbst über höhere Löhne verhandelt. Ein Instrument, mit dem sich drohende Streiks abwenden und die Beschäftigten mit einer einmaligen steuerfreien Prämie abspeisen ließen, kommt für die Unternehmen da genau zur richtigen Zeit. Für das Kapital sind Einmalzahlungen ein relativ günstiges Mittel, um dauerhafte Lohnerhöhungen zu vermeiden. Für die Lohnabhängigen ist die »Inflationsprämie«, sofern sie auf Kosten tariflicher Entgelterhöhungen geht, entsprechend ein vergiftetes Geschenk, denn sollten die Preise nicht wieder sinken – wovon kaum auszugehen ist –, nehmen sie dafür im Endeffekt eine dauerhafte Senkung ihrer Reallöhne in Kauf. (…) Die Gewerkschaften erklären zwar unisono, dass Einmalzahlungen kein Ersatz für dauerhafte Lohnerhöhungen seien. Dennoch werden sie sich dem Druck, ihre prozentualen Forderungen zurückzuschrauben, sofern sich die Arbeitgeberverbände zu Prämienzahlungen bereit erklären, wohl kaum entziehen können. Zudem dürften in manchen Bereichen die Unternehmen die Prämie auch dafür nutzen, Arbeitskämpfe zu unterlaufen. Wenn der Chef gerade erst einige Hundert oder gar Tausend Euro zusätzlich überwiesen hat, ist es erfahrungsgemäß schwer, zum Streik für eine weitere Lohnerhöhung zu mobilisieren. Die »Inflationsprämie« dürften also vor allem Beschäftigte in Unternehmen erhalten, die sich davon einen Vorteil versprechen. Insbesondere Beschäftigte in der Dienstleistungsbranche, in kleineren Unternehmen und in Bereichen ohne starke gewerkschaftliche Organisierung und betriebliche Interessenvertretungen dürften nicht einmal in den Genuss der Einmalzahlung kommen. (…) . In der Praxis dürfte die Einmalzahlung, wo sie überhaupt geleistet wird, daher weit unter dem Höchstbetrag von 3 000 Euro bleiben und vor allem hochqualifizierten Beschäftigtengruppen zugute kommen, um diese an das Unternehmen zu binden. Leer ausgehen werden hingegen wohl gerade Beschäftigte mit geringen Einkommen und niedriger Qualifikation, deren Verhandlungsmacht entsprechend gering ausfällt…“ Kommentar von Stefan Dietl in der Jungle World vom 06.10.2022 externer Link
  • Kritik an Entlastungspaket: Länderchefs empört über Kostenverteilung, DGB fordert andere Schwerpunkte
    In den Ländern gibt es anhaltenden Unmut über das von der Bundesregierung geplante Entlastungspaket. Mehrere Länderchefs wollen die Zustimmung verweigern. Auch Gewerkschaften fordern Änderungen. Gegen das von der Ampelkoalition geplante dritte Entlastungspaket formiert sich Widerstand im Bundesrat. Kritisiert wird vor allem eine fehlende Abstimmung des Bundes mit den Ländern bei der Finanzierung der einzelnen Entlastungsmaßnahmen. (…) Am 28. September ist eine Sonderkonferenz der Länderchefs mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geplant, bei der die Streitpunkte aus dem Weg geräumt werden sollen. (…) Die Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Yasmin Fahimi, forderte eine andere Schwerpunktsetzung. „Die Ampelkoalition wäre besser beraten, sich auf einige wenige, dafür aber auf umso umfangreichere Maßnahmen zu verständigen“, sagte sie der „Welt am Sonntag“. Auch sollte sich die Regierung stärker darauf konzentrieren, was private Haushalte und Betriebe mittelfristig brauchen, um über einen längeren Zeitraum durch die Krise zu kommen. Fahimi forderte einen Gaspreisdeckel und kurzfristig eine weitere Energiepreispauschale in Höhe von 500 Euro pro Person, plus 100 Euro für jedes Kind. Für Empfänger von Sozialleistungen seien weitere Hilfen nötig, für Mieter mehr Schutz bei Zahlungsausfällen.“ Meldung vom 17.09.2022 in tagesschau.de externer Link
  • Infektion, Invasion, Inflation: Die Armen im Ausnahmezustand
    Wer mit Gas heizt, kann sich auf einen harten Winter gefasst machen. Denn es kommen erhebliche Mehrkosten auf ihn oder sie zu. Um Pleiten bei den Versorgern zu verhindern, wird ab Oktober eine Umlage von rund 2,4 Cent pro Kilowattstunde Gas erhoben. Damit entstehen etwa für einen Vierpersonen-Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 20 000 Kilowattstunden Mehrausgaben in Höhe von 480 Euro – zusätzlich zu den extrem ansteigenden Gaspreisen. Mit den rasant wachsenden Energiekosten droht zudem ein erneuter Anstieg der ohnehin hohen Inflationsrate – hauptsächlich zulasten von Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Das reiht sich ein in die Entwicklungen der jüngsten Zeit: Seit dem Frühjahr 2020 haben sich die Lebensbedingungen vieler Millionen Menschen in Deutschland zum Teil drastisch verschlechtert, weil sich die gesellschaftlichen Krisen häuften und gleichzeitig verschärften. Dies gilt besonders für einkommensarme und armutsgefährdete Gruppen, weil ihnen im Unterschied zu wohlhabenden Bevölkerungskreisen keine finanziellen Rücklagen zur Verfügung stehen. Die inflationären Tendenzen setzten mit der Covid-19-Pandemie und dem ersten bundesweiten Lockdown ein und verschärften sich mit Russlands Invasion der Ukraine sowie den westlichen Wirtschaftssanktionen gegen Moskau. Nahrungsmittel, Strom und Heizenergie waren dabei die Hauptpreistreiber. (…) In dieser Situation verstärkt nun die höchste Inflationsrate seit Jahrzehnten die ohnehin deutlich ausgeprägten Polarisierungseffekte und Spaltungstendenzen – die Zerklüftung der Gesellschaft schreitet weiter voran. Und obwohl auf der Hand liegt, dass Menschen mit wenig Geld von steigenden Kosten für den Lebensunterhalt besonders betroffen sind, versuchte das ifo-Institut im Spätherbst 2021, als die Geldentwertung medial erstmals hohe Wellen schlug, mit einer Studie zu belegen, dass reichere Haushalte von der Inflation stärker getroffen würden als ärmere. (…)
    Die verteilungspolitische Schlagseite der bisherigen Entlastungspakete des Bundes ist unübersehbar. Sie kommen nur teilweise Privathaushalten zugute und unter diesen vornehmlich den einkommensstarken: Mehr als die Hälfte des Entlastungsvolumens ist für Erwerbstätige reserviert, die von Steuerermäßigungen profitieren. (…)
    Die amtierende Bundesregierung nimmt jedoch mit FDP-Finanzminister Lindner eine weitere Spaltung des Landes bewusst in Kauf: Anstatt für die von Corona bis zu den negativen Folgen des Ukraine-Krieges angehäuften Krisenkosten endlich jene in die Pflicht zu nehmen, die profitiert haben und nach wie vor fernab von Existenzsorgen im Überfluss leben, tragen die ungedeckelten, durch die beschlossene Gasumlage weiter steigenden Energiekosten alle Haushalte – ganz egal, ob ihnen 700 oder 7000 Euro im Monat zur Verfügung stehen. Hieran muss sich dringend etwas ändern, damit sich die sozioökonomische Ungleichheit verringert und niemand mehr in Existenznot gerät. Andernfalls riskiert die rot-grün-gelbe Koalition soziale Verwerfungen mit unabsehbaren Konsequenzen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ Artikel von Christoph Butterwegge in „Blätter“ vom September 2022 externer Link
  • Die soziale Krise sollte alle Alarmglocken läuten lassen 
    „Die Bundesregierung versucht mit Heftpflastern, die Bürger:innen zu besänftigen. Doch die soziale Krise reicht viel tiefer. Sie droht außer Kontrolle zu geraten, wenn nicht vehement gegengesteuert wird. (…) Die Reallöhne sind in diesem Jahr deutlich gesunken und bisher ist keine Kehrwende in Sicht. Vor allem die unteren und mittleren Schichten leiden unter der schrumpfenden Kaufkraft. Da viele Haushalte durch eine bereits seit Jahrzehnten stagnierende bis sinkende Kaufkraft Einbußen in der Lebensqualität und gesellschaftlicher Teilhabe hinnehmen mussten – verstärkt in den letzten Jahren durch die Folgen der Pandemie und Mietexplosionen in vielen Städten –, wirkt die fossile Energie- und Teuerungskrise im Moment wie ein Brandbeschleuniger. Vor diesem Hintergrund irritiert die politische Antwort der Ampel-Koalition auf die drohenden sozialen Belastungen, um es moderat auszudrücken. Bei der Gasumlage, an der Energiekonzerne mitgefeilt haben sollen, werden erneut Unternehmen mit Steuergeld vor einer Notlage geschützt, selbst wenn sie gar nicht von einer Insolvenz bedroht sind. Soweit zu den Spielregeln von freier Marktwirtschaft und Kapitalismus. Gleichzeitig wurde insbesondere von der FDP blockiert, die Rekord-Profite von Unternehmen im Zuge steigender Preise für Gas und Öl für die Krisenbewältigung abzuschöpfen, wie u.a. vom grünen Koalitionspartner verlangt. Im August legte Finanzminister Christian Lindner (FDP) dem gegenüber einen Plan für eine Steuerreform vor, der bei der SPD-Führung und bei Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf grundsätzliche Zustimmung stieß. Die „Wirtschaftsweise“ Veronika Grimm kommentierte: „Eine Reform, bei der nominal die Besserverdienenden mehr gewinnen, kommt einfach zum falschen Zeitpunkt.“ Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Marcel Fratzscher nannte die Pläne als „sehr unausgewogen“. „70 Prozent davon kommen den 30 Prozent mit den höchsten Einkommen zugute. … Menschen mit geringen Einkommen, die keine oder wenig Einkommensteuer zahlen, bekommen praktisch gar nichts davon.“ (…) Die Bundesregierung wäre gut beraten, sich nicht dem Glauben hinzugeben, dass die Proteste ein Randphänomen bleiben und mit weiteren Minipaketen besänftigt werden können. Die soziale Krise in Deutschland reicht deutlich tiefer, als dass sie mit 300 Euro brutto Energiepauschale aus der Welt geschaffen werden kann.“ Kommentar von David Goeßmann vom 12. September 2022 bei Telepolis externer Link
  • Preistreiberei und Inflation: Ursachenfundiert gegen die neuen Triebkräfte der sozialen Spaltung 
    „… Der anhaltende Inflationssprung seit dem vergangenen Jahr hat viele Ursachen. Einfluss haben nicht nur die steuerpolitischen und ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie. Die Inflation wird durch längerfristig angelegte Krisenherde der Globalisierung wie die Lieferkettenprobleme sowie durch die monopolistische Preissetzung durch Megakonzerne und Spekulationsgeschäfte mit lebensnotwendigen Gütern vorangetrieben. Aber auch die notwendige Anpassung bisheriger Billigpreise an ökologische und soziale Standards in der internationalen Wertschöpfungskette kommen hinzu. Schließlich werden die Preise für fossile Energie und wichtige Nahrungsmittel durch Putins Krieg gegen die Ukraine zu Treibern der Gesamtinflation. Mit der hier vorgelegten Erklärung der wichtigsten Ursachen lassen sich Ansatzpunkte zum Abbau dieser Inflationskräfte spezifizieren. Deutlich wird dabei auch, dass gegenüber dieser importierten Angebotsinflation die Europäische Zentralbank mit ihrer makroökonomischen Geldmengenpolitik keinen ausreichenden Einfluss hat. (…) Es bleibt dabei: Die zum Ausgleich der Energiekostensprünge subjektiv zurechenbaren öffentlichen Hilfen stehen im Zentrum. Hierfür steht beispielhaft der Vorschlag eines Gaspreisdeckels, den Sebastian Dullien und Isabella Weber unterbreitet haben. Denn der Gaspreis treibt zusammen mit der Gaspreisumlage die Inflation nach oben. Der Vorschlag zur Deckelung des Gaspreises lautet: Ausgegangen wird mit dem Sockel 8.000 kWh pro Jahr von der Hälfte des Gasverbrauchs für eine 100- m 2 -Wohnung. Für diesen Sockel gilt der Höchstpreis von 7,5 Cent/kWh (entspricht etwa dem Preis Ende des Jahres 2021). Für größere Haushalte könnte der Sockelbetrag auch variieren. Im Vergleich zum vorgeschlagenen Basispreis wurden im Januar 2022 für Neuverträge bereits über 12 Cent/kWh bezahlt. Der Bund subventioniert die Differenz zwischen dem Großhandelspreis und einer Pauschale für die Verteilung gegenüber dem Sockelpreis. Die mehrfachen Vorteile liegen auf der Hand: Vorübergehend entlastet werden private Haushalte mit kleineren Wohnungen bei geringem Verbrauch. Insgesamt wird die Inflationsrate reduziert. Der Preisdeckel für den Sockelbetrag schafft Anreize, den Gasverbrauch insgesamt zu reduzieren. Ein weiterer Vorteil sollte auch bei allen anderen Maßnahmen berücksichtigt werden: Dieser Gaspreisdeckel entlastet die Tarifparteien bei der Lohnfindung. Grundsätzlich reduzieren gezielte politische Maßnahmen zum sozialen Ausgleich für die Inflation den bei Tarifverhandlungen erforderlichen Ausgleich für die Kerninflation zur Reallohnsicherung. Wenn dann noch die staatlichen Ausgleichsbeiträge mit der Sondersteuer aus den krisenbedingten Übergewinnen der Energiekonzerne finanziert werden, ist die soziale Antwort auf die Inflation auch in der Arbeitswelt perfekt.“ Aus der 16-seitigen Untersuchung von Rudolf Hickel vom 4. September 2022 externer Link herausgegeben von Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik und attac Deutschland
  • Mehrheit der Bevölkerung ist für Energiepreisdeckel und Übergewinnsteuer – und bekommt ein 3. „Entlastungspaket“, das offenbar nur die loben, die es nicht brauchen 
    • Ampel auf Gelb: Mit Wumms in die Wirtschaftskrise
      Mit 65 Milliarden Euro sollen die Bürger entlasten werden. Doch das Paket ist halbgar. Die Regierung gibt gerade so viel aus, dass es nicht allzu viele gleich zum Protest auf die Straße treibt
      Ein „wuchtiges“ Entlastungspaket hatten sie versprochen, Kanzler Olaf Scholz und die Vorsitzenden der Regierungsparteien, Christian Lindner auch, und der ist nun gleich beides, Chef der Liberalen und Bundesminister der Finanzen. Lindner setzte ein Grinsen auf, als er dieser Tage zur Vorstellung dieses Entlastungspakets schritt. In der Tat klingen 65 Milliarden Euro wuchtig. Man darf sich aber vom Ton des Kanzlers nicht einschläfern lassen, will man verstehen, was hinter diesem Paket steckt: Viele kleine Päckchen, die kein grundlegendes Problem wirklich anpacken. Nicht einmal der Regierungssprecher konnte später erklären, wie die Koalition auf die Summe von 65 Milliarden kommt. Die größte Farce aber ist das Fortbestehen der Gasumlage. Der für sie verantwortliche grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck tauchte bei der Vorstellung des Pakets nicht einmal auf. Eine Steuer auf die Übergewinne der Krisenprofiteure – Achtung, die heißen jetzt „Zufallsgewinne“, denn das klingt für die FDP schöner – soll erst einmal die europäische Ebene diskutieren. Dabei gibt es längst eine Empfehlung der EU-Kommission für solch eine Abgabe, und etliche Mitgliedsstaaten erheben sie längst. Selbst FDP-Wähler sprechen sich mehrheitlich für eine Übergewinnsteuer aus. Das sozial und ökologisch offensichtlich vorteilhafte Modell eines Preisdeckels für Gas wiederum verlagert die Ampelkoalition in eine Expertenkommission. So viel Zeit muss sein. Einmalzahlungen an Rentnerinnen und Studierende sowie ein Bürgergeld in Höhe von 500 Euro werden schlicht nicht ausreichen, um die immensen Preissteigerungen zu kompensieren. Es wird hier und da ein bisschen verteilt, doch nirgends ist wirklich eine Grenze eingezogen. Die Wucht kommt bei den Einzelnen nicht an. Die Regierung gibt gerade so viel, dass es nicht allzu viele gleich zum Protest auf die Straße treibt. Dass die FDP und ihr Finanzminister knausern würden, war klar. Auch, dass jede neue Steuer Gift für die liberale Ideologie ist. Niemand rechnet damit, dass Lindner plötzlich ein Herz für die Armen hat. Doch er betreibt jetzt Politik sogar gegen die eigene Klientel, denn er lässt Solo-Selbstständige, kleine Betriebe und Dienstleister im Stich. Der Konsum wird in die Knie gezwungen. Der einzige Wumms ist der, mit dem das Land in die Wirtschaftskrise rauscht…“ Artikel von Ines Schwerdtner vom 07.09.2022 im Freitag online externer Link
    • Ist das gerecht?
      Mit einem milliardenschweren Entlastungspaket reagiert die Koalition auf die steigenden Energiepreise. Exklusive Berechnungen für die ZEIT zeigen, wer davon profitiert – und wer nicht…“ Artikel von Marcus Gatzke und Mark Schieritz am 7. September 2022 in der Zeit online externer Link
    • Es geht um die Menschenwürde. Einmalzahlungen sind nicht ausreichend
      Es gibt ein Existenzminimum; ein Mindestmaß an Einkommen, was jeder und jedem zusteht, um ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Dieses zu gewährleisten ist zentraler Leitpunkt des Grundgesetzes, Ausgangspunkt sämtlichen staatlichen Handelns. So das Idealbild. Schon das vom Bundesverfassungsgericht als noch zulässig erachtete Minimum dessen, was einer Person im Monat zustehen muss, ermöglicht in der Praxis nur schwer ein menschenwürdiges Leben. Eine Vielzahl der Einkommen – Hartz IV, Mindestlöhne, Renten, Asylbewerberleistungen, BAföG – werden bei den jetzigen Preissteigerungen und den kommenden Gas-, Energie- und Heizkostenrechnungen das Minimum, das allen zusteht, nicht mehr gewährleisten. Es geht um die Existenz (…) Millionen haben kein Vermögen, keine Rücklagen, die angezapft werden können, um Engpässe zu überbrücken. Für sie geht es um die Existenz.
      Es geht um Gerechtigkeit
      Das menschenwürdige Existenzminimum ist nicht verhandelbar. Es steht nicht zur Disposition der Regierung. Es stellt eine Grenze dar, die nicht unterschritten werden kann. Diese Grenze, das Mindeste, was der Staat zu gewährleisten hat, diese Grenze wird gerade massiv unterschritten – für einen immer größeren Teil der Bevölkerung. Sämtliche Maßnahmen, die auf Einmalzahlungen hinauslaufen oder auf die Deckelung bestimmter Kosten, wie bspw. bei Energie und Gas, können nur Teile der Last minimieren und auch nur für einen bestimmten Zeitraum. (…) Der Übergewinn muss – wie es auch in anderen Ländern passiert – abgeschöpft und zur Finanzierung von Ausgleichmaßnahmen herangezogen werden. Die Notlage tritt nicht erst ein, wenn die Energierechnungen kommen, die Notlage ist schon jetzt da. Die Inflation macht für viele schon jetzt ein Leben in Würde unmöglich. Anpassender Maßnahmen bedarf es jetzt und nicht erst im Herbst…“ Stellungnahme des RAV vom 7.9.2022 externer Link
    • Die Armut der Mitte – Drittes Entlastungspaket offenbar Resultat stark divergierender Wunschvorstellungen. Heraus kam ein unsystematisch wirkendes Sammelsurium.
      „… Das dritte Entlastungspaket ist ein wegen offenbar stark divergierender Wunschvorstellungen der Koalitionspartner unsystematisch zusammengestoppelt wirkendes Sammelsurium aus sinnvollen und unsinnigen Maßnahmen. Zu den Ersteren gehören die nachträgliche Berücksichtigung von Rentner(inne)n, Auszubildenden und Studierenden bei der Energiepreispauschale, die Verankerung einer Heizkostenkomponente im Wohngeld und die Ausweitung seines Empfängerkreises sowie die überproportionale Anhebung der Regelbedarfe von Transferleistungsbezieher(inne)n beim Bürgergeld, die allerdings mit ca. 50 Euro pro Monat für Alleinstehende zum 1. Januar 2023 viel zu gering ausfällt – es müssten wenigstens 150 Euro mehr sein. Zu den Letzteren zählt die (Rechts-)Verschiebung der Tarifeckwerte im Einkommensteuertarif zum Ausgleich der „kalten Progression“ sowie die stärkere Belastung der Sozialversicherung durch die Befreiung von Prämien der Unternehmen und die Anhebung der Höchsteinkommensgrenze von Midijobs. Von Christian Lindners „Inflationsausgleichsgesetz“ haben Porschefahrer sehr viel mehr als Paketboten, denn Niedriglöhner werden nur um ein paar Euro entlastet, Besserverdienende aber immerhin um rund 500 Euro. Auch zahlreiche Vergünstigungen für Unternehmen fallen ins Auge – von einer Verlängerung der günstigeren Kurzarbeiterregelungen auch für hochprofitable Konzerne bis zur Gasbeschaffungsumlage als Umverteilung von unten nach oben, die durch Senkung der Umsatzsteuer auf Gas noch verstärkt wird, weil Villenbesitzer so mehr sparen als Mieter von Kleinstwohnungen. Arme können sich das Deutschlandticket für 49 Euro gar nicht leisten, weil im Regelbedarf nur 40 Euro monatlich für Verkehr vorgesehen sind. Steuersenkungen nützen vor allem Spitzenverdienern, Geringverdiener:innen hingegen wenig und Transferleistungsbezieher:innen gar nichts, weil sie kaum bzw. gar keine Einkommensteuer zahlen. Vergleichbares gilt für eine Senkung der Mehrwertsteuer, sei es auf Gas oder Lebensmittel, sofern sie überhaupt an die Verbraucher:innen weitergegeben wird. Nominal profitieren finanzkräftige Haushalte stärker, die viel konsumieren. Auch breit streuende Pro-Kopf-Zahlungen an einen großen Personenkreis sind wenig hilfreich, weil nicht passgenau. Transfers für bedürftige Haushalte oder Einmalzahlungen für Personen in der Grundsicherung sind gleichfalls nur begrenzt geeignet, die Hauptbetroffenen zu entlasten. Denn sie doktern an Symptomen herum, beseitigen jedoch nicht die Ursachen.  (…) Energiearmut, von der man spricht, wenn die Kosten für Haushaltsenergie mehr als zehn Prozent des Nettoeinkommens verschlingen, wird sich bis in die Mitte der Gesellschaft ausbreiten. Die regressive Belastungswirkung der galoppierenden Energiekosten zementiert die materielle Ungleichheit in Deutschland, was durch die Entlastungspakete des Bundes nicht ansatzweise kompensiert wird. Vielmehr ist zu befürchten, dass sich Wohn-, Energie- und Ernährungsarmut zur neuen Sozialen Frage der Bundesrepublik entwickeln. Zwar können Liquiditätshilfen und Entlastungspakete zur Bewältigung akuter Notlagen während einer Wirtschaftskrise, einer Pandemie oder einer Inflation beitragen, aber nicht für immer verhindern, dass finanzschwache Bevölkerungsgruppen in Schwierigkeiten geraten. Deshalb müssten die bestehenden Wirtschaftsstrukturen, Eigentumsverhältnisse und Verteilungsmechanismen angetastet werden, damit sich die sozioökonomische Ungleichheit verringert und niemand mehr in Existenznot gerät.“ Beitrag von Christoph Butterwegge vom 5. September 2022 bei Telepolis externer Link
    • Tacheles zum sog. „3. Entlastungspaket“ der Bundesregierung
      Das 3. Entlastungspaket ist enttäuschend und entlastet die, die es am Nötigsten haben, nicht. So wird zum Beispiel die Kindergelderhöhung um 18 EUR bei den Sozialleistungsbeziehenden gar nicht ankommen, da Kindergeld dort voll als Einkommen angerechnet wird. Ein Ticket zum Preis von 49 – 69 EUR im Monat trifft auch in keiner Weise die Lebenssituation von einkommensschwachen Menschen. Im Regelsatz wurden lediglich 40,27 EUR für Aufwendungen im Bereich Verkehr veranschlagt. Eine Entlastung wäre es, wenn das Ticket 10 € kostet. Ein weiterer Schlag ins Gesicht ist, dass die Regelleistungen im SGB II/SGB XII auf „etwa“ 500 € angehoben werden sollen. Bei diesem Betrag handelt es sich grade mal um die Inflationsrate und somit die Umsetzung dessen, was laut Bundesverfassungsgericht zeitnah umgesetzt werden müsste:„Ergibt sich eine offensichtliche und erhebliche Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Preisentwicklung und der bei der Fortschreibung der Regelbedarfsstufen berücksichtigten Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter, muss der Gesetzgeber zeitnah darauf reagieren […] der Gesetzgeber dabei nicht auf die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten“ (Beschluss des BVerfG vom 23.07.2014 – 1 BvL10/12, Rn. 144).
      Diese fällige Erhöhung in Höhe der Inflation hätte schon seit langem erfolgen müssen! Es handelt sich hierbei definitiv nicht um die Überwindung von Harzt IV. Denn dass der Regelsatz schon seit Jahren nicht bedarfsdeckend war, ist allgemein bekannt. Auch der Punkt, dass die Umsatzsteuer für Bewirtungskosten in der Gastronomie wird weiterhin auf 7 % gesenkt bleibt, hat so gut wie keine positiven Auswirkungen auf Sozialleistungsbeziehende, da es sich diese sowieso nicht erlauben können, in die Kneipe zu gehen. So ließe sich jeder einzelne Punkt des Pakets bearbeiten. Alle zentralen Forderungen, wie eine sachgerechte Regelleistungserhöhung, Stromkosten aus den Regelleistungen zu nehmen, oder ein Sofortzuschlag von mindestens 100 EUR im Monat sind nicht enthalten. Das bedeutet für Betroffene die Zementierung von Armut und ein „lebenslang“ in Armut. Mit der geplanten Beibehaltung von Sanktionen wird eben Hartz IV nicht überwunden. Das Entlastungspaket verfestigt weiter soziale Ungerechtigkeit. Es ist wuchtig im, teilweisen sinnlosen, Geldverprassen, anstatt konkret notwendige Hilfen zu leisten. Genaugenommen ist es zum Teil ganz schön erbärmlich, denn ein Rentner mit 4000 EUR Rente braucht keinen Heizkostenzuschlag. Ich kann dazu nur sagen: es ist die Zeit auf die Straße zu gehen, ganz klar NEIN zu sagen zu der Umverteilung von unten nach oben und für Menschenrecht und -würde einzutreten. Zum Menschenrecht gehört das Recht auf soziokulturelle Teilhabe…“ Aus dem Thomé Newsletter 34/2022 vom 05.09.2022 externer Link

      • Auch die Armutskonferenz kritisiert 3. Entlastungspaket als völlig unzureichend und fordert deutlich höhere Sozialleistungen und regelmäßige Krisenzuschläge anstatt des „Prinzips der Gießkanne“
    • Drittes Entlastungspaket: Strompreisbremse, Einmalzahlungen für RentnerInnen und StudentInnen, Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger und Bürgergeld bei 500 Euro, Nahverkehrsticket ab 49 Euro etc
      Die Spitzen der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP haben ein drittes Entlastungspaket vereinbart. „Wir werden als Land durch diese schwierige Zeit kommen“, sagte Kanzler Olaf Scholz bei der Vorstellung. Das Volumen des Pakets betrage mehr als 65 Milliarden Euro. Dies stelle eine konservative Schätzung dar, so Finanzminister Christian Lindner. Es handele sich um ein Paket, das Solidarität mit Leistungsgerechtigkeit und Solidität verbinde. Diese Maßnahmen wurden beschlossen: Strompreisbremse: Die Ampel-Koalition will eine Strompreisbremse für den Basisverbrauch einführen. Einmalzahlungen für Rentnerinnen und Rentner: Sie sollen zum 1. Dezember 2022 eine Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro erhalten. Die Auszahlung erfolgt über die Deutsche Rentenversicherung. Erhöhung des Kindergelds: Das Kindergeld wird zum 1. Januar für das erste und zweite Kind um 18 Euro angehoben. Erhöhung des Kinderzuschlags: Der Kinderzuschlag wird zum 1. Januar 2023 nochmals erhöht und auf 250 Euro im Monat angehoben. Entlastung von Studenten und Fachschülern: Sie erhalten eine Einmalzahlung in Höhe von 200 Euro. (…) Wohngeldreform: Der Kreis der Wohngeldberechtigten wird auf zwei Millionen Bürgerinnen und Bürger erweitert. Das Wohngeld soll zudem eine dauerhafte Klimakomponente und eine dauerhafte Heizkostenkomponente enthalten. Als kurzfristige Maßnahme für die Heizperiode wird zudem von September bis Dezember 2022 einmalig ein weiterer Heizkostenzuschuss an Bezieherinnen und Bezieher gezahlt: 415 Euro für einen 1-Personen-Haushalt, 540 Euro für zwei Personen; für jede weitere Person gibt es zusätzliche 100 Euro. Umsatzsteuer auf Gas: Als Ausgleich für die Gasumlage wird die Umsatzsteuer auf den gesamten Gasverbrauch bis Ende März 2024 von 19 auf sieben Prozent gesenkt. (…) Einführung Bürgergeld: Die Empfängerinnen und Empfänger des neuen Bürgergelds sollen ab dem Jahreswechsel rund 500 Euro im Monat bekommen. Der Betrag soll damit deutlich über dem aktuellen Hartz-IV-Regelsatz von 449 Euro für Alleinstehende ohne Kinder liegen; die Ampel will Hartz IV vom 1. Januar 2023 an durch das neue Bürgergeld ablösen. Nahverkehrsticket: Die Koalition will eine Nachfolgeregelung für das 9-Euro-Ticket erreichen. Ziel sei ein Ticket im Rahmen von etwa 49 bis 69 Euro pro Monat…“ Meldung vom 04.09.2022 in tagesschau.de externer Link („Die Maßnahmen im Überblick“) und im Wortlaut Drittes Entlastungspaket: Ergebnis des Koalitionsausschusses vom 3. September 2022 externer Link – siehe erste Bewertungen und die Erwartungen zuvor:
    • Der Herbst bleibt heiß. Das neue Entlastungspaket der Bundesregierung wird eine soziale Notlage nicht verhindern können.
      „… Die schiere Anzahl an Interventionen ist so groß, dass sich damit zwar gut Polit-PR machen lässt, aber niemand außerhalb der Berliner Politikblase derzeit wirklich den Überblick behalten kann, vor allem nicht die Erwerbstätigen und Studierenden, denen die Entlastungen zugutekommen sollen. Lindners Vorschlag zur Dämpfung der kalten Progression, das sogenannte Inflationsausgleichsgesetz, hat überlebt, ebenso die Fortführung der Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie. Eine echte Übergewinnsteuer ist hingegen abgewendet worden. Alle Energiekonzerne dürfen ihre fetten Gewinne behalten. Lediglich am Strommarkt will die Ampel eingreifen und eine Erlösobergrenze einführen. Gewinne über der Grenze sollen abgeschöpft werden, allerdings nicht rückwirkend, sondern nur in Zukunft. Wo die Grenze liegen und ab wann sie gelten soll, bleibt unklar. Um diese Details auszuarbeiten, haben die 22 Stunden Verhandlungen nicht ausgereicht. Die Einnahmen sollen für eine Strompreisbremse genutzt werden, die einen vergünstigten Basisverbrauch ermöglichen soll. Aber ab wann und zu welchem Preis greift dieses Grundkontingent? Auch das bleibt offen. Die Idee einer umgekehrten EEG-Umlage, also einer Abgabe der Stromerzeuger an die Verbraucher, ist grundsätzlich gut. Wie viel sie hilft, steht aber in den Sternen, da zu viele Einzelheiten noch unklar sind. An einen Preisdeckel für den Basisverbrauch von Gas hat sich die Ampel hingegen nicht herangetraut. Mit dieser Frage soll sich stattdessen eine Expertenkommission beschäftigen – ein durchsichtiges Manöver, um der Auseinandersetzung darüber aus dem Weg zu gehen. Rentner und Studierende wurden beim zweiten Entlastungspaket noch vergessen, werden jetzt aber mitbedacht. Zum 1. Dezember fließen 300 Euro Energiepreispauschale an Rentner, 200 Euro an Studierende. Warum erhalten Studierende 100 Euro weniger? Warum gibt es keine erneute Zahlung für alle, auch Berufstätige? Die Antwort auf diese Fragen bleibt die Ampel schuldig. (…) Das Gesamtpaket wird von der Regierung mit 65 Milliarden Euro beziffert, doch es enthält eine Strompreisbremse, die es noch nicht gibt, und ein Bürgergeld, ein Inflationsausgleichsgesetz sowie eine Umsatzsteuersenkung für die Gastronomie, die schon längst beschlossen waren. Besonders pikant am Inflationsausgleichsgesetz ist, dass es Spitzenverdiener in absoluten Beträgen betrachtet am meisten entlastet. Doch damit nicht genug: Die 65 Milliarden seien die »gesamtstaatliche« Wirkung des Entlastungspakets, so Lindner auf Nachfrage in der Pressekonferenz. Rechnerisch sind also Milliardenbeiträge von den Ländern und Kommunen schon enthalten. Der Bund besteht weiter darauf, keine neuen Schulden zu machen. (…) Stattdessen müsste man bei jeder großen Maßnahme nachlegen. Es bräuchte einen Preisdeckel bei Strom und Gas, damit der Winter wirtschaftlich planbar bleibt. Es bräuchte ein Wintergeld für alle, damit die anfallenden Rechnungen beglichen werden können. Es bräuchte einen Sozialstaat, der die Schwächsten dauerhaft vor Armut schützt. Es bräuchte eine Verlängerung des 9-Euro-Tickets und das Aussetzen der Schuldenbremse. Nichts davon ist im jetzt beschlossenen Entlastungspaket enthalten. Ein Winter der sozialen Kälte steht uns weiterhin bevor.“ Artikel von Lukas Scholle und Maurice Höfgen vom 04. September 2022 in Jacobin.de externer Link
    • [DGB] „Ein beeindruckendes Paket in einer Zeit beispielloser historischer Herausforderungen“. Maßnahmenkatalog trägt soziale Handschrift
      Die Bundesregierung hat sich auf einen Maßnahmenkatalog für ein drittes Entlastungspaket geeinigt. Die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi lobt die soziale Handschrift der Einigung. Nun komme es aber darauf an, die guten Absichten zügig in konkrete und überzeugende Gesetzgebung zu überführen. Nur so werde es gelingen, die angespannte gesellschaftliche Lage zu beruhigen und den Menschen Sicherheit zu geben…“ DGB-Meldung vom 05.09.2022 externer Link – wer mehr will, muss selbst reingucken. Ähnlich IG BCE: „Starkes Angebot an die Tarifpartner“ externer Link
    • Die IG Metall externer Linkbegrüßt das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung als wirksam [!] für niedrige Einkommen. Aber: Durchschnittshaushalte werden zu wenig enlastet. Die Strompreisbremse ist ein wichtiger Schritt, muss aber um einen Gaspreisdeckel ergänzt werden. Insgesamt bleibt zu viel im Ungefähren…“
    • IG BAU externer Link: „Insgesamt ist das Entlastungspaket ein wirkungsvolles, effektives Instrument, um die Menschen zu unterstützen – um Deutschland besser durch den drohenden Krisenwinter zu bringen. Es ist ein ordentliches Paket und kein Päckchen. Die Koalition hat damit bewiesen, dass sie liefern kann…“
    • ver.di ist etwas differenzierter: In der Erklärung des ver.di-Vorsitzenden Frank Werneke zum dritten Entlastungspaket am 04.09.2022 externer Link heißt es: “ „Die Parteien der Ampelkoalition haben hat mit dem jetzt vorgelegten dritten Entlastungspaket einige der Forderungen von ver.di aufgegriffen, das ist ein Erfolg. So ist es richtig, allerdings auch überfällig, dass jetzt auch Rentner*innen und Studierende eine Einmalzahlungen von 300 Euro beziehungsweise 200 Euro erhalten sollen. Ein höherer Wohngeldzuschuss ist richtig – es ist aber keine angemessene Lösung, Beschäftigte mit eher geringen Einkommen regelmäßig zu Wohngeldempfängern zu machen. In dem Maßnahmenpaket fehlen daher weitere direkte Zahlungen für Menschen mit mittleren und eher niedrigen Einkommen. Hochverdiener werden durch die Steuerpläne stattdessen mit bis zu 1.000 Euro entlastet. Auch die Forderung von ver.di nach einer Strompreisbremse für den Basisverbrauch von Haushalten findet sich in der Einigung wieder. Allerdings bleibt offen, bis zu welcher Höhe und zu welchem Preis diese umgesetzt werden soll. Auf die gestiegenen Gaspreise bleibt die Ampelkoaltion eine Antwort schuldig. Erfreulich ist, dass der Bundesfinanzminister plötzlich neue Spielräume in Milliardenhöhe im Bundeshaushalt entdeckt hat – am Fetisch der Schuldenbremse festzuhalten, ist dennoch völlig unverständlich. Keinesfalls darf daraus eine Belastung für die Sozialversicherungen entstehen. Die geplante Anhebung der Midi-Job-Grenze auf 2.000 Euro führt zu geringeren Sozialabgaben – diese müssen aus dem Bundeshaushalt ausgeglichen werden. Die geplante Einführung eines preiswerten bundesweiten Nahverkehrstickets kann nur dann erfolgreich gelingen, wenn gleichzeitig massive Investitionen in die Ertüchtigung und den Ausbau des ÖPNV stattfinden. Dazu gehört auch mehr und besser bezahltes Personal. Wenn Arbeitgeber auf Grundlage der von den Ampelparteien jetzt vorgesehenen Steuerbefreiung Energiekostenzuschüsse bezahlen, dann ist das angesichts der akuten Kostenbelastung, unter der viele Beschäftigte derzeit leiden, angemessen und zu begrüßen. Das ändert allerdings nichts daran, dass in den stattfindenden und bevorstehenden Tarifrunden mit tabellenwirksamen Tariflohnsteigerungen auf die hohe Inflation geantwortet werden muss. Wir haben es leider mit dauerhaft steigenden Preisen zu tun, diese erfordern nachhaltig wirkende Entgelterhöhungen. Insgesamt sind die jetzt vorgelegten Eckpunkte für ein Entlastungspaket nur ein halber Schritt, in der Umsetzung ist insbesondere eine wirksame Preisbremse für Strom und Gas wesentlich. Daran werden wir als ver.di. die Koalition messen.“
    • Und selbst SoVD ist sehr moderat: Entlastungspaket: Vieles richtig, aber an einigen Stellen zu kurz gesprungen externer Link. Siehe demgegenüer die Erwartungen an das Notwendige:
    • Mehrheit für Energiepreisdeckel und Übergewinnsteuer. Halbherziges Entlastungspaket der Bundesregierung entspricht nicht den Erwartungen
      Die Mehrheit der Bevölkerung ist für die Einführung eines Energiepreisdeckels und einer Übergewinnsteuer. Das ist das Ergebnis einer bundesweiten repräsentativen Umfrage (1048 Befragte), die das Meinungsforschungsinstitut Kantar im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung durchgeführt hat. Mehr als die Hälfte der Befragten (56 Prozent) spricht sich für die Deckelung der Energiepreise und deutlich günstigere Kosten für den Grundverbrauch der Privathaushalte an Strom und Gas aus. Nur 39 Prozent sind dagegen. Befürworter eines derartigen Energiepreisdeckels finden sich dabei unter Anhänger*innen fast aller Parteien mit Ausnahme der AfD.  Am stärksten sprechen sich dafür die Anhänger*innen der LINKEN (85 Prozent) aus. Doch selbst unter den FDP-Anhänger*innen favorisieren mehr als 60 Prozent ein solches Modell. Noch höher sind die Zustimmungswerte für eine sogenannte Übergewinnsteuer. Damit sollen Unternehmen, die von der gegenwärtigen Krise stark profitieren, stärker besteuert werden. Knapp drei Viertel (72 Prozent) aller Befragten sind dafür, nur 21 Prozent dagegen. Auch hier ist die Zustimmung am stärksten bei Anhänger*innen der LINKEN (96 Prozent). Aber auch Anhänger*innen der FDP können sich mehrheitlich damit anfreunden (53 Prozent). „Die Erwartung in der Bevölkerung für die Einführung eines Energiepreisdeckels und einer Übergewinnsteuer spiegelt sich nicht in der Politik der Ampelregierung wieder“, sagt Daniela Trochowski, Geschäftsführerin der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Das jetzige Maßnahmenpaket sei halbherzig. „Statt endlich die Krisengewinner zur Kasse zu bitte, werden neue Schulden aufgenommen. SPD und GRÜNE ducken sich bei diesem Thema weg und verstecken sich hinter der FDP.“ Punktuelle Maßnahmen wie eine „Strompreisbremse“ oder die Abschöpfung von „Zufallsgewinnen“ bei Unternehmen aufgrund der hohen Energiepreise blieben eher vage. Offenbar wolle die Regierungskoalition die Worte „Deckel“ und „Steuer“ vermeiden…“ RLS-Meldung vom 5.9.2022 zur repräsentativen Befragung von Mario Candeias, Eva Völpel und Uwe Witt externer Link, siehe zu den Erwartungen auch:
    • Aktuelle Umfrage des WSI-Portals Lohnspiegel.de zu Energiepreisen: Beschäftigte wünschen sich Unterstützung für Geringverdienende und einen Preisdeckel für den Grundbedarf
      „Eine gezielte Unterstützung von Menschen mit geringem Einkommen sowie ein Preisdeckel für den Grundbedarf an Energie: Diese beiden Maßnahmen stoßen unter Beschäftigten angesichts der hohen Energiepreise auf breite Zustimmung. Jeweils etwa ein Drittel (32 bzw. 33 Prozent) entscheidet sich in einer aktuellen Umfrage des Portals Lohnspiegel.de unter mehr als 9.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern für eine dieser beiden Optionen. Auf deutlich weniger Zuspruch stößt hingegen eine generelle Subventionierung des gesamten Verbrauchs von Energie (9 Prozent) sowie der Vorschlag, in erster Linie Berufspendler zu unterstützen (5 Prozent). Nur 2 Prozent der Befragten halten eine Entlastung für nicht notwendig, während 20 Prozent keine Meinung zu der Frage hatten. Lohnspiegel.de ist ein Angebot des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. (…) Die Umfrageergebnisse bestätigen zudem, welche soziale Brisanz die jüngste Entwicklung der Energiepreise hat. So gaben von den Beschäftigten mit einem Bruttoeinkommen von unter 2.300 Euro jeweils 22 bis 27 Prozent an, dass sie die gestiegenen Kosten für Heizung, Motorkraftstoffe und Strom in große finanzielle Schwierigkeiten bringen. Weitere 46 bis 51 Prozent der Befragten mit niedrigem Einkommen können die gestiegenen Preise je nach Energieart nach eigenen Angaben nur bezahlen, wenn sie auf andere Dinge verzichten. Unter den Befragten mit mehr als 4.000 Euro Bruttomonatseinkommen gaben jeweils 45 bis 53 Prozent an, sich die gestiegenen Energiekosten aufgrund ihres Einkommens bislang noch „ganz gut leisten“ zu können. Allerdings berichtet selbst in dieser höheren Einkommensgruppe rund ein Viertel von notwendigen Einschränkungen bei anderen Ausgaben, weitere rund vier Prozent von großen finanziellen Problemen. Zudem rechnen Fachleute mit weiteren kräftigen Preissprüngen in nächster Zeit. Quer durch alle Verdienstklassen gab jeweils nur eine Minderheit an, von den Preissteigerungen nicht betroffen zu sein, weil sie beispielweise kein Auto mit Verbrennungsmotor besitzen oder zum Befragungszeitpunkt noch keine Tariferhöhung für Strom und Heizung erhalten hatten.“ Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung vom 2. September 2022 externer Link
  • Weg vom Gießkannenprinzip: DIW Econ-Studie plädiert bei Entlastungen für Gaspreisdeckel, Energiepauschale, Heizkostenzuschuss und Mobilitätsgeld etc.
    „Auf ein drittes Paket, um Haushalten in der Energiekrise zu helfen, konnte sich die Bundesregierung immer noch nicht einigen. (…) Zwei bisherige Maßnahmen fallen für eine Neuauflage weg: die einfache Erhöhung der Pendlerpauschale und der Tankrabatt. Beides habe die Dekarbonisierung in Deutschland zurückgeworfen, bilanzierte Maximilian Priem von DIW Econ, der Beratungsfirma des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, am Donnerstag in Berlin. (…) Im Auftrag der Klima-Allianz hat DIW Econ eine Studie ausgearbeitet, in der vor allem fünf Maßnahmen gegen die Energiepreisexplosion näher angeschaut wurden. Dazu gehören ein Gaspreisdeckel bei 7,5 Cent pro Kilowattstunde für einen Grundbedarf von 8000 Kilowattstunden, eine soziale Energiepauschale als bedarfsorientierter Heizkostenzuschuss für Wohngeldberechtigte, ein dauerhaftes 29-Euro-Ticket für den ÖPNV in ganz Deutschland, das Ersetzen der Pendlerpauschale durch ein Mobilitätsgeld von zehn Cent pro Kilometer sowie eine Mehrwertsteuersenkung für pflanzliche Grundnahrungsmittel wie Obst, Gemüse und Getreideerzeugnisse. Im Ergebnis präferiert die Studie drei Maßnahmen: den Heizkostenzuschuss, das 29-Euro-Ticket und das Mobilitätsgeld. Diese Ideen erfüllen laut DIW Econ mehrere Vorgaben. Sie sind kurzfristig umsetzbar, setzen die richtigen ökologischen Anreize und sind vor allem sozial zielgerichtet. Man komme weg vom Gießkannenprinzip, betonte Priem. »Wir können nicht mehr alle entlasten – man sollte deswegen diejenigen entlasten, die es ohnehin nicht einfach haben.« Von einem Gaspreisdeckel würden indes alle Haushalte profitieren, erläuterte Priem, auch solche in den oberen Einkommensbereichen. Diese hätten aber jetzt schon meist gut isolierte Häuser und verbrauchten daher nicht so viel Gas. Haushalte im mittleren und unteren Einkommensbereich hätten meist keine Chance, über die Dämmung ihrer Wohnungen selbst zu entscheiden. Zudem würde der Preisdeckel nichts an der Gasknappheit ändern. Auch einer Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel steht DIW Econ skeptisch gegenüber. Es frage sich, ob diese weitergegeben werde. Zum anderen werde die Steuersenkung von den Menschen nicht mehr als solche wahrgenommen, wenn die Lebensmittelpreise weiter steigen. Erfüllt werden die Anforderungen für Priem von einem bundesweiten 29-Euro-Ticket, von dem gerade finanzschwächere Haushalte profitieren würden. Der Wissenschaftler hält ein durchgängiges 29-Euro-Angebot auch für ein gutes Argument, vom Auto dauerhaft auf den öffentlichen Verkehr umzusteigen. Umsetzbar sei das Ticket ebenfalls. Bund und Länder müssten sich dazu an einen Tisch setzen…“ Artikel von Jörg Staude vom 2. September 2022 in neues Deutschland online externer Link („Weg vom Gießkannenprinzip: Studie plädiert bei Entlastungen für Heizkostenzuschuss, 29-Euro-Ticket und Mobilitätsgeld“), siehe bei DIW Econ: Zielgerichtet, ökologisch und sozial? Bewertung energiepolitischer Entlastungsmaßnahmen externer Link
  • Warum steigen die Preise? Wieder wird die Nebelkerze »Lohn-Preis-Spirale« in der Teuerungsdebatte gezündet. Was aber ist mit der Gewinninflation? 
    „Diese Sorgen möchte man haben: Im Februar scherzte der Finanzvorstand des britischen Mineralölkonzerns bp, Murray Auchincloss, er wisse gar nicht, was er mit dem ganzen Geld anfangen soll, das sein Konzern verdiene. In der Tat sprudeln nicht nur die Gewinne der Energiekonzerne, auch andere Unternehmen melden Rekordumsätze und Profite. So haben die deutschen börsennotierten Konzerne im ersten Quartal so viel wie noch nie verdient. »Allein die 40 Dax-Konzerne kamen auf einen Gewinn vor Steuern und Zinsen von 52,4 Milliarden Euro, das waren gut 20 Prozent mehr als im starken Vorjahr«, stellt das Handelsblatt fest. In dem Bericht heißt es weiter: Dank eines hohen Auftragsbestands und einer immer noch starken Nachfrage gelinge es den meisten Firmen, die höheren Preise mehr als nur weiterzureichen – und rasant steigende Gewinne einzustreichen. Eine bemerkenswerte Aussage. Denn hier wird im Klartext ausgesprochen, dass die großen Konzerne die bereits seit 2021 ansteigenden Preise nutzen, um ihre Profite zu erhöhen. Darauf hatte die Bundesbank bereits im Dezember 2021 aufmerksam gemacht: Höhere Kosten aufgrund der Liefer- und Transportengpässe würden auf die Verbraucher*innen überwälzt und die Gewinnmargen bei starker Nachfrage ausgeweitet. (…) Anstatt über eine Lohn-Preis-Spirale zu reden, wäre es angebracht, über eine Gewinn-Preis-Spirale oder eine Gewinninflation zu reden. In den USA ist schon vor wenigen Monaten eine Debatte über die Rolle der großen Konzerne bei den Preissteigerungen entbrannt. Es wurde sogar ein neues Wort dafür erfunden: Greedflation, abgeleitet vom englischen greed = Gier. (…) In den USA haben die Unternehmen laut Spiegel-Autor Thomas Fricke im zweiten Halbjahr 2021 mit fast 15 Prozent Gewinnquote nach Steuern so viel Profit gemacht wie seit Anfang der Fünfzigerjahre nicht. »Nach Berechnungen des Economic Policy Institutes ist mehr als die Hälfte des Anstiegs der Preise in den USA auf eine Ausweitung der Profite in den Unternehmen zurückzuführen. Heißt: Hätten die Firmen ihre Gewinne nicht ausgeweitet, wäre die Inflation rein rechnerisch nicht einmal halb so hoch ausgefallen.« Diese lag zuletzt bei 9,1 Prozent. Und in Europa? Nach Schätzungen der EZB kam auch im Euroraum der größte Beitrag zur Inflation Ende 2021 vom Hochschnellen der Unternehmensprofite, so Fricke. (…) Die Frage ist: Warum betreiben die politischen und ökonomischen Eliten eine Politik, die in einer Rezession enden könnte und mehr Armut in Kauf nimmt? Es könnte sein, dass sie wie in den 1970er Jahren die Inflation ausnutzen wollen, um eine Rezession herbeizuführen und die Arbeitslosigkeit in die Höhe zu treiben. Damit könnten sie einer gestiegenen Verhandlungsmacht der Beschäftigten im Voraus begegnen. So die Vermutung von Thomas Fazi (makroskop.eu, 22.6.2022), einem italienischen Schriftsteller und Journalisten. Ein neuer neoliberaler Rollback also. Gegenargument: Die Arbeiter*innenschaft ist doch ohnehin geschwächt, die Tarifbindung in Deutschland liegt unter 50 Prozent, in den 1970er Jahren waren es mehr als 70 Prozent. Doch, so Fazi, es zeichne sich nicht zuletzt aufgrund der Überalterung ein Fachkräftemangel ab, der die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften stärken dürfte. Zudem lassen die Tendenzen hin zur De-Globalisierung und Rückverlagerungen von Produktionsstandorten den Arbeitskräftebedarf steigen. Das sind nicht die schlechtesten Voraussetzungen für eine Revitalisierung gewerkschaftlicher Kämpfe.“ Artikel von Guido Speckmann aus ak684 vom 16. August 2022 externer Link
  • Kommt ein heißer Herbst? Die Preise steigen, die kommenden Tarifrunden können aber nur als Motor einer breiten sozialen Bewegung dagegen angehen 
    „… Kann die Tarifpolitik der Gewerkschaften darauf eine angemessene Antwort geben? In welchem Maße kann sie dem Teuerungsschub für die Haushalte von Lohnabhängigen etwas entgegensetzen? Und könnten die anstehenden gewerkschaftlichen Entgeltrunden mit ihren erwartbaren Warn- und womöglich auch Erzwingungsstreiks so etwas wie der Motor oder Kristallisationskern einer breiteren Bewegung von Sozialprotesten sein?
    Insgesamt standen und stehen in diesem Jahr Entgeltverhandlungen für knapp zehn Millionen Beschäftigte an. Das ist etwa die normale Größenordnung jährlicher Tarifverhandlungen. Im vergangenen Jahr waren es rund zwölf Millionen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten insgesamt liegt rund dreimal so hoch – aktuell bei 34,3 Millionen. Gewerkschaftliche Tarifverhandlungen erfassen in diesem wie in jedem Jahr nur eine Minderheit der Lohnabhängigen – anders als die Preissteigerungen, von denen alle betroffen sind.
    Für die überwiegende Mehrheit ist also in diesem Jahr tarifpolitisch nichts zu holen. Das soll kein Argument gegen gewerkschaftliche Aktion sein – es ist zunächst einfach mal Fakt. Ein Grund dafür ist, dass in diesem Jahr einige große Branchen in der Friedenspflicht sind. Ihre Tarifverträge laufen noch mindestens bis zum Jahresende oder darüber hinaus. Das gilt etwa für die 2,7 Millionen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen, 633.000 Beschäftigte im Bauhauptgewerbe, einige Hunderttausend im Einzelhandel und einige Zehntausend im Kfz-Handwerk, genau wie für 152.000 private Wachschutzleute und 140.000 Postbeschäftigte. Viel schwerwiegender als die Friedenspflicht wiegt aber ein anderes Problem, nämlich die seit Jahrzehnten sinkende Tarifbindung. (…)
    Zeigen die bisherigen Abschlüsse des Jahres eine Tendenz auf? Wenn, dann besteht sie wohl darin, dass die Gewerkschaften nach zwei Jahren Verzicht überhaupt wieder auf Erhöhungen in den Lohntabellen setzen. Während der zwei Pandemiejahre hatte es in vielen Branchen einen Schwenk zu Einmalzahlungen (»Corona-Prämien«) gegeben, die eine tolle Sache gewesen wären, hätte man sie »on top« vereinbart. Stattdessen flankierten und kaschierten sie aber in weiten Teilen die mehr oder weniger erzwungene Lohnzurückhaltung. Es liegt auf der Hand, dass Einmalzahlungen allenfalls kurzfristige Mehrbelastungen ausgleichen können, aber angesichts dauerhaft steigender Lebenshaltungskosten praktisch nichts bringen. Dieses Jahr gab es bereits ein paar Abschlüsse, die eine Kurskorrektur andeuten. (…)
    Die wichtigste Tarifrunde überhaupt steht in diesem Herbst allerdings noch ins Haus, und hier reden wir sozusagen von der Champions League der Tarifpolitik. Es geht um die rund 3,8 Millionen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie – mit hoch organisierten Automobilfabriken einschließlich ihrer Zulieferer und dem für die deutsche Volkswirtschaft strategisch wichtigen Maschinen- und Anlagenbau. 8,0 Prozent fordert die IG Metall. Was in »normalen« Zeiten offensiv geklungen hätte, kann 2022 bestenfalls auf einen Inflationsausgleich hinauslaufen. Aber immerhin, auch der wird niemandem geschenkt und muss erkämpft werden. Damit ist in der Tat auch zu rechnen, denn wie eine im Frühsommer angeschobene Beschäftigtenumfrage zeigt, ist die Stimmung in den Betrieben der Branche durchaus kämpferisch. Was kein Wunder ist, denn die letzte Tabellenerhöhung für die Metaller*innen gab es, sage und schreibe, im April 2018. (…)
    Die heiße Phase der Metall-Tarifrunde fällt  im Oktober/November in den Beginn der Heizperiode. Ob das etwas zu bedeuten hat, wird sich zeigen. Kommt es zu Straßenprotesten gegen die steigenden Energiepreise, hat die IG Metall die Chance, die Legitimität solcher Proteste zu verteidigen und sie womöglich mit ihrer eigenen Tarifbewegung zu verbinden. Was ja nahe liegt, denn Automobilarbeiter*innen und Ingenieur*innen müssen heizen wie andere auch. Und zugleich würde die Gewerkschaft damit auch ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung als demokratische Massenorganisation gerecht werden, denn wo sie das organisierende Zentrum des Protests wäre, hätten Verschwörungsfans und Rechte deutlich weniger zu melden…“ Artikel von Jörn Boewe vom 16. August 2022 aus dem ak 684 externer Link

  • An der Heimatfront – die Reihen fest geschlossen! Wachsende Armut in Deutschland wird angesagt, geleugnet und gleichzeitig als epochale Herausforderung ins Bedrohungsszenario vom bösen Putin eingebaut 
    „… „Russlands Machthaber Wladimir Putin will die westlichen Demokratien destabilisieren und spalten. Wir rufen alle Bürgerinnen und Bürger auf: Treten wir dieser zerstörerischen Strategie durch unseren Zusammenhalt gemeinsam entgegen!“ Das kommt nicht vom Verteidigungsministerium, so heißt es vielmehr im neuesten Aufruf „Für Solidarität und Zusammenhalt jetzt!“, initiiert von der DGB-Gewerkschaft Verdi. Mit drastischen Worten benennt der Arbeitnehmerverein die „gewaltigen Aufgaben, vor denen die Menschheit derzeit steht“, und fordert entsprechende Konsequenzen. (…) An wen richtet sich der Aufruf eigentlich? An uns alle, das liegt auf der Hand! Aber ist das die Aufgabe einer Gewerkschaft, sich allgemein an ein Publikum zu wenden und zu guten Taten zu ermuntern? War da nicht etwas Spezielles mit dieser Organisation – mit einem Zusammenschluss, der einst mit kämpferischem Elan als Interessenvertretung für bestimmte Leute gegründet wurde, deren Interessen regelmäßig unter die Räder kommen? Selbst das DGB-Grundsatzprogramm weiß in seiner Präambel noch etwas von der Notwendigkeit zu vermelden, dass „man durch Zusammenhalt wirksame Gegenmacht gegen Arbeitgeber- und Kapitalmacht zu schaffen“ habe. (…) Aber bei der Beschwörung eines gemeinschaftlichen Geistes, einer völkischen Gemeinschaft, die in Opferbereitschaft zutiefst verbunden ist (solange es nur gerecht zugeht!), bleibt es nicht. Der neue Aufruf weiß schon noch von einem Gegensatz, den es auf dem Globus gibt. Nein, natürlich nicht den von Kapital und Arbeit, von oben und unten, von nationalen Führungen und ihrem Fußvolk, sondern den von guten und schlechten Nationen bzw. ihren Führern. Hier redet der Aufruf Klartext: Wir müssen zusammenstehen, um der „zerstörerischen Strategie“ Putins entgegenzutreten. Das ist die Parole fürs Hinterland. Durchhalten ist jetzt angesagt, um Deutschland in seinem Wirtschaftskrieg zu unterstützen, der laut Außenministerin Baerbock darauf angelegt ist, Russland zu „ruinieren“. Wachstumseinbruch, Produktionsausfälle, Entlassungen, Verarmung – dass soll drüben beim Iwan passieren, je mehr um so besser. Das müssen „wir“ konsequent weiter verfolgen. Eventuelle Schäden, die hier bei uns anfallen, sind der Preis, der dafür zu zahlen ist. Die deutsche Bevölkerung muss die Lektion lernen, dass sie die Heimatfront in diesem Kriegsgeschehen stellt. Und was in Russland gerade passieren soll, dass die Folgen des westlichen Sanktionsregimes die politische Herrschaft destabilisieren und spalten, darf auf keinen Fall bei uns eintreten. (…) Man soll die wachsende Armut eben nicht als Produkt dieser Gesellschaft, sondern als Ergebnis einer nationalen Notlage betrachten. Das deutsche Volk soll – wie im Steckrübenwinter des Ersten und im Winterhilfswerk des Zweiten Weltkriegs – das Hungern und Frieren als Herausforderung ans Gemeinschaftsgefühl nehmen und nur noch den Feind im Äußern kennen! Es soll unabhängig von der sozialen Stellung zusammenstehen und Verzicht üben. Und wer das noch nicht aus den Nachrichten wusste und die Reden von Scholz oder Habeck verpasst hat, bekommt es jetzt noch mal schriftlich von der Gewerkschaft und darf, wenn er einen Namen hat, unterschreiben.“ Beitrag von Johannes Schillo vom 5. August 2022 beim Overton Magazin externer Link
  • Schluss mit Klassenkampf: Die »Konzertierte Aktion« soll kaschieren, dass sich der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit verschärft 
    „»Gemeinsam durch die Krise!« Dies war das Motto der IG Metall während der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09. Zum einen hieß das: (…) Dabei war die »Sozialpartnerschaft« wenige Jahre zuvor eigentlich schon für beerdigt erklärt worden. Vor allem nach dem verlorenen IG-Metall-Streik im Osten 2003 und dem Bruch einheitlicher Tarifverträge im öffentlichen Dienst 2005 hatten die deutschen Eliten die Gewerkschaftsvertreter maximal noch am Katzentisch Platz nehmen lassen. (…) Nun ist erneut Krise – und auch Merkels Nachfolger Olaf Scholz (SPD) setzt auf die Einbindung der Gewerkschaftsspitzen. Dass er diese und die Unternehmerverbände erstmals Anfang Juli ausgerechnet unter der Überschrift »Konzertierte Aktion« ins Kanzleramt bat, soll wohl die große Bedeutung der Treffen unterstreichen. Auf Gewerkschaftsseite weckt der Titel allerdings eher ungute Erinnerungen. Denn die vom damaligen SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller 1967 angestoßene »Konzertierte Aktion« führte vor allem dazu, dass sich die Beschäftigtenorganisationen bei ihren Lohnforderungen mäßigten. (…) Auch heute bewegen sich die Gewerkschaften in einem Spannungsfeld, indem sie einerseits bei der »Konzertierten Aktion« mit Scholz und den Arbeitgebern an einem Tisch sitzen, andererseits es aber ihr Job ist, die Interessen der Arbeiter zu vertreten. So verwies kürzlich auch IG-Metall-Chef Jörg Hofmann in einem Interview mit der »Süddeutschen Zeitung« auf die Erfahrungen mit dem historischen Vorläufer: »Weil sich die Arbeitnehmer angesichts der hohen Inflation von den Gewerkschaften nicht mehr vertreten fühlten, kam es ab 1969 zu wilden Streiks. Als Reaktion forderten die IG Metall und andere Gewerkschaften zweistellige Lohnerhöhungen. Daran sehen Sie: Eine zu moderate Lohnpolitik ist falsch, weil das Pendel danach zu stark in die andere Richtung ausschlägt.« In der Neuauflage der »Konzertierten Aktion« solle daher nicht über Lohnpolitik gesprochen werden. (…) Wahrscheinlich hat Kanzler Scholz die »Konzertierte Aktion« nicht vor allem deshalb ausgerufen, um die Gewerkschaften zu Zugeständnissen zu bewegen. Sie ist vielmehr ein ideologisches Instrument, mit dem behauptet wird, Kapital und Arbeit hätten in der Krise dieselben Interessen. (…) Schluss mit Klassenkampf, soll das heißen. Gemeint ist allerdings nur eine Seite: die der Beschäftigten. Die Kapitalseite nutzt stattdessen die Krise, um soziale Errungenschaften zu attackieren. So zum Beispiel Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger, der die Deckelung der Sozialbeiträge, die »Dynamisierung« – sprich: Erhöhung – des Rentenalters und die »Reform« – sprich: den Abbau – der Sozialsysteme fordert. Oder der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Siegfried Russwurm, der, unterstützt vom ehemaligen SPD-Bundesarbeitsminister Sigmar Gabriel, längere Wochenarbeitszeiten verlangt. Der Interessengegensatz zwischen Unternehmern und Beschäftigten ist in der Krise nämlich nicht aufgehoben. Ganz im Gegenteil: Der Verteilungskonflikt verschärft sich. Die »Konzertierte Aktion« dient dazu, das zu kaschieren. Die Gewerkschaften sollten dabei nicht mitmachen.“ Artikel von Daniel Behruzi vom 1. August 2022 in neues Deutschland online externer Link
  • Aufruf von Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden etc. für ein „zielgenaues und wirksames Entlastungspaket“: „Für Solidarität und Zusammenhalt jetzt!“ 
    Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, Deutschland und Europa stehen vor einer historischen Bewährungsprobe. Der brutale Angriffskrieg auf die Ukraine, der Klimawandel und das Artensterben, der Hunger in vielen Ländern des Südens, Covid-19 und weltweit gestörte Lieferketten – diese enormen Herausforderungen können wir nur gemeinsam bewältigen. Eine der Folgen der vielen Krisen ist eine Inflation mit dramatisch steigenden Preisen für Energie und Lebensmittel und höchst unsozialen Folgen. Für den Zusammenhalt in unserem Land kommt es jetzt darauf an, zuerst die in den Blick zu nehmen, die auf Solidarität angewiesen sind: Menschen mit geringen bis durchschnittlichen Einkommen, Rentnerinnen und Bezieherinnen von Transferleistungen. Sie brauchen nun umgehend eine Entlastung von der Inflation und den aus dem Ruder gelaufenen Energiekosten. Dabei sind besonders diejenigen in Mitverantwortung zu nehmen, die über große Einkommen und Vermögen verfügen…“ Aufruf vom 01. August 2022 auf der Aktionsseite externer Link – bei „Solidarität“ zuckt mensch aus Gewohnheit etwas zusammen… Der Aufruf ist da auch sehr ungenau, die NGG fordert in der PM dazu externer Link immerhin eine Vermögensabgabe
  • [Sogar] Kapital-Ökonom Rürup: Gewerkschaften nehmen “erheblichen Reallohnverlust wissentlich in Kauf“ 
    „… Am Freitag haben sich nun der ehemalige Chef der “Wirtschaftsweisen”, Bert Rürup, sowie der Direktor des kapitalnahen “Instituts der deutschen Wirtschaft”, Prof. Michael Hüther, erfreut über die Haltung der DGB-Gewerkschaften in der Krise gezeigt. Lobend erwähnt wurde dabei die Forderung der IG Metall-Gewerkschaft in den derzeitigen Metall-Tarifverhandlungen. 8 Prozent Lohnerhöhung auf 12 Monate seien ein “Friedensangebot”, so Rürup. Denn das heiße im “Klartext”, dass die Gewerkschaften bereit seien, sich auf tatsächliche 5 Prozent einzulassen. Dies bedeute, dass man “einen erheblichen Realeinkommensverlust” akzeptiere. Die Teuerungsrate wird auf das Jahr 2022 gerechnet voraussichtlich 7 Prozent betragen. Trotz Inflation und steigender Preise für Benzin, Lebensmittel und Miete würden erhebliche Realeinkommensverluste der Arbeiter:Innen mit Rücksicht auf die Unternehmen somit „wissentlich in Kauf genommen“, so Rürup. Auch die Aussage des IG Metall-Chefs Jörg Hoffmann, dass sie “mit der Sicherung der Kaufkraft überfordert” seien, wurde von Michael Hüther lobend erwähnt. (…) Die Haltung der Gewerkschaften sei ein gutes Beispiel für die “ausgleichende Politik” der sozialen Marktwirtschaft, so Hüther weiter, die von „einer Friedensidee“ her gedacht sei. Kritisch gesehen wurde hingegen der Streik der Hafenarbeiter:Innen, der letzte Woche stattfand, gerade auch weil er von der versöhnlichen Politik anderer Gewerkschaften abweiche. Bei dem größten Streik an deutschen Häfen seit 40 Jahren war es auch zu Angriffen der Polizei gekommen. Ver.di ließ sich später auf eine 6-wöchige Friedenspflicht ein.“ Meldung vom 18. Juli 2022 von und bei Perspektive Online externer Link – normalerweise würden wir Rürup nicht zitieren. In diesem Fall jedoch könnte dessen Meinung zur gewerkschaftlichen Tarifpolitik bei manchem Gewerkschafter vielleicht die Zweifel an der Führung und den Willen zum Widerstand sogar stärken. 8 Prozent sind zu wenig, ein Klassenkompromiss.
  • Inflationsmonitor des IMK für verschiedene Haushalte: Einkommensschwache Haushalte auch im Juni besonders stark belastet
    „Trotz insgesamt leicht sinkender Inflationsrate: Für Familien mit geringem Einkommen fällt die Inflationsbelastung weiterhin am stärksten aus, für Alleinlebende mit hohem Einkommen am schwächsten. Gemessen an den für diese Haushaltstypen repräsentativen Warenkörben sind die Preise im Juni 2022 um 8,5 Prozent bzw. um 6,3 Prozent gestiegen, während der Wert über alle Haushalte hinweg bei 7,6 Prozent lag. Auch für Alleinlebende mit höheren und mit mittleren oder niedrigen Einkommen lagen die Raten mit 7,5 bzw. 7,4 Prozent im Juni etwas unterhalb der allgemeinen Preissteigerung. Alleinerziehende sowie Familien mit zwei Kindern und jeweils mittleren Einkommen sind leicht überdurchschnittlich von der Teuerung belastet: Für diese Haushalte betrug die Inflationsrate im Juni 8,1 Prozent. Bei Familien mit höherem Einkommen verteuerte sich der haushaltsspezifische Warenkorb weniger stark – um 7,5 Prozent. Die haushaltsspezifische Inflationsrate für kinderlose Paare mit mittlerem Einkommen liegt aktuell bei 8,0 Prozent und damit über dem Durchschnitt (…). Das ergibt der IMK Inflationsmonitor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, der monatlich die spezifischen Teuerungsraten für neun repräsentative Haushaltstypen beziffert. (…) „Da bei Haushalten mit geringen Einkommen kaum Spielräume bestehen, das Konsumniveau durch den Rückgriff auf Erspartes aufrecht zu erhalten, wäre die Inflationsbelastung für Haushalte mit geringem Nettoeinkommen zudem selbst bei gleicher haushaltsspezifischer Inflationsrate höher als für einkommensstarke Haushalte, da sie gegebenenfalls den Konsum insgesamt einschränken müssen“, erläutert Inflationsexpertin Dr. Silke Tober. Der IMK Inflationsmonitor zeigt aber auch, dass der sich infolge des 9-Euro-Tickets stark verbilligte Personen- und Güterbeförderung – mit 29,5 Prozent um fast ein Drittel – Haushalte mit geringeren Einkommen besonders deutlich entlastet. „Das 9-Euro-Ticket und die verringerte Energiesteuer auf Kraftstoffe haben verhindert, dass die merklich stärker steigenden Preise für Haushaltsenergie und Nahrungsmittel die Inflation im Juni weiter nach oben getrieben haben“, schreibt die Forscherin. Weiterhin belaste aber der Preisanstieg bei Wohnenergie Haushalte mit geringeren Einkommen überproportional. Auch die Verteuerung der Nahrungsmittel schlage sich hier stärker nieder…“ Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung vom 15. Juli 2022 externer Link
  • Der Mythos der Lohn-Preis-Spirale – oder: warum alles teurer wird 
    Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale ist real“, sagte gerade erst der Finanzminister Christian Lindner. Was er meint, ist einfach erklärt: Nun, wo die Benzin- und Ölpreise steigen, beinahe schon unbemerkt auch die Preise für Brot und allerlei andere Lebensmittel und Konsumgüter, würden wir Gefahr laufen, dass Menschen auf Grund dieser Entwicklung höhere Löhne fordern (und sie auch bekommen) – was die Preise nur weiter ansteigen lassen würde; dadurch würde die Inflation vorangetrieben und schlussendlich der Euro entwertet. Da kommen Bilder aus der Weimarer Republik vor dem inneren Auge auf, wo ein Laib Brot an einem Tag 1000 und am nächsten 10.000 Reichsmark kostete. Es ist also durchaus ein beunruhigendes Szenario, das uns Lindner da ausmalt. Wesentlich beunruhigender als den Gürtel – in Solidarität mit der Ukraine – zumindest eine Weile etwas enger zu schnallen. Der Markt regelt das schon und irgendwann (so zumindest das unausgesprochene Versprechen der bürgerlichen Ideologie) würden die Preise wieder sinken. Doch was ist dran an dem Versprechen oder überhaupt an der Vorstellung einer Lohn-Preis-Spirale? Steigen die Preise wirklich weiter, wenn wir einfordern, unseren Lebensstandard zu halten? Sind wir dann egoistisch, sollten wir uns nicht zurücknehmen – immerhin sind wir nicht in der Ukraine, also nicht im Kriegsgebiet? Ist nicht genau jetzt die Zeit, um zusammenzustehen und diese schwere Zeit gemeinsam durchzuhalten, hindern uns nicht diese egoistischen Forderungen nach höheren Löhnen und Entlastungen genau daran? Egal ob es der Krieg in der Ukraine ist oder irgendeine andere Krise oder Katastrophe – nahezu alles, was zu irgendeiner – und sei es nur vorübergehenden – Knappheit irgendwelcher Güter führen könnte, lässt die Preise steigen. Ist die Krise dann vorüber, haben wir es also kollektiv durchgestanden, sinken sie trotzdem nicht wieder auf das ursprüngliche Niveau. Das liegt nicht daran, dass Lohnerhöhungen die Preise der Güter in die Höhe treiben würden – einzig das Profitstreben der Konzerne ist es…“ Artikel von Frederik Fuss vom 11.7.2022 bei anarchismus.de externer Link – altes Wissen schön lesbar erklärt – schön darin auch:

    • „… Ich arbeite in einem Krankenhaus, also einem Ort, an dem schlechte Löhne, hohe Arbeitsbelastung und schlechte Arbeitsbedingungen ohnehin an der Tagesordnung sind. Nachdem sich vermehrt Unmut – vor allem über die steigenden Benzinpreise – breit machte, besonders in der Pflege, konnte die MitarbeiterInnenvertretung dazu bewegt werden, einen offenen Brief (den jede im Krankenhaus beschäftigte Person per Mail erhielt) an die Geschäftsleitung zu schicken, in dem diese dazu aufgefordert wurde, die steigenden Lebenshaltungskosten mit steuerfreien Sachmittelgutscheinen (also für Benzin und/oder Lebensmittel) zu kompensieren. Die Geschäftsleitung reagierte überhaupt nicht auf dieses Schreiben. Sehr viele KollegInnen (wieder vor allem aus der Pflege) fanden die Idee allerdings sehr gut. Lediglich aus Berufsgruppen mit einem besonders hohem Einkommen gab es negatives Feedback: Wir sollten alle mal froh sein, dass wir nicht in der Ukraine seien. So wird die Solidarität mit Menschen im Kriegsgebiet gegen die Interessen der ArbeiterInnenklasse ausgespielt – ganz so wie die mit moralischem Druck angereicherte Propaganda und verbreitete Angst vor der Lohn-Preis-Spirale es auch soll…“
  • [Gleitende Lohnskala] Inflation: Welche Gegenwehr? 
    In den Texten dieses Dossiers geht es zentral um die „Gleitende Lohnskala“ als strategische Orientierung im Kampf gegen die Folgen der Teuerung. Dabei erläutern wir, was unter der Gleitenden Lohnskala zu verstehen ist und welche Logik damit verknüpft ist. Am Beispiel Italiens wird deutlich, wie sehr die Gleitende Lohnskala den Herrschenden ein Dorn im Auge ist und die Angriffe von Regierenden und Unternehmen Ausdruck klassenpolitischer Kräfteverhältnisse sind. Ein Text aus Luxemburg zeigt, was die Luxemburger Gewerkschaften zu verteidigen haben und was gleichzeitig für uns eine Orientierung sein sollte. In einer aufschlussreichen Darstellung der Lohnindexierung in Belgien wird deutlich, dass Gleitende Lohnskala nicht gleich Gleitende Lohnskala ist. Auf die konkreten Umsetzungsmechanismen kommt es an, wenn es – vor allem bei hohen Inflationsraten – keine Einkommensverluste geben soll. Abschließend fassen wir zusammen, was im Kampf gegen die Folgen der Teuerung außer dem Ziel einer Gleitenden Lohnskala sonst noch im Focus stehen sollte…“ Einleitung zum Dossier bei inprekorr.de externer Link
  • Zur „konzertierten Aktion“: Kurzstudie beleuchtet gesellschaftliche Situation und aktuelle Entlastungsvorschläge
    Beim Treffen der so genannten „konzertierten Aktion“ wollen sich am Montag Bundesregierung und Sozialpartner über die aktuelle Entwicklung von Konjunktur und Inflation austauschen. Eine Forderung ist es, dabei über weitere finanzpolitische Entlastungsmaßnahmen für Privathaushalte zu sprechen. Das ist richtig, da die Rekordinflation Haushalte bis in die Mitte der Einkommensverteilung hinein unter Druck setzt. Dieser Druck führt zu einer tiefen Verunsicherung der Gesellschaft, die durch die Corona-Pandemie bereits erschöpft ist. Vermieden werden sollten aber teure Entlastungen mit verteilungspolitisch fragwürdigen Folgen wie etwa eine allgemeine Absenkung der Einkommensteuer. Zu diesen Ergebnissen kommen Prof. Dr. Bettina Kohlrausch und Prof. Dr. Sebastian Dullien in einer neuen Kurzstudie. (…) Die Belastungen sind ungleich verteilt, wobei sich stark verteuerte Lebensmittel und gestiegene Energiepreise unterschiedlich auswirken: Während die Energiepreise Haushalte mit niedrigen bis mittleren Einkommen beinahe gleich stark treffen, belasten die teureren Lebensmittel die unteren Einkommen deutlich stärker als die mittleren und oberen Einkommen. (…) „Es geht bei der Umsetzung zielgenauer Entlastung somit nicht nur um schnelle und dringend notwendige Hilfen für untere und mittlere Einkommen, sondern auch um den Beweis der Handlungsfähigkeit des Staates beziehungsweise der Bundesregierung sowie den Nachweis, dass es gelingt diese Krise gerecht und mit Respekt vor den Schwächsten der Gesellschaft zu bewältigen“, lautet ihr Fazit zum aktuellen gesellschaftlichen Klima. Damit müssten sich auch potenzielle Maßnahmen zur weiteren Entlastung der Privathaushalte daran messen lassen, ob sie geeignet sind, die besonders belasteten unteren und mittleren Einkommen zu unterstützen, und gleichzeitig als „sozial gerecht” wahrgenommen werden, schreiben Kohlrausch und Dullien. Exemplarisch beleuchten sie sechs aktuelle Vorschläge…“ Böckler-Pressemitteilung vom 01.07.2022 externer Link zur Studie von Sebastian Dullien und Bettina Kohlrausch externer Link : Konzertierte Aktion: Weitere Entlastungen für Privathaushalte nötig (IMK Kommentar Nr. 7, Juli 2022)
  • Krisenprofite heizen die Inflation an – nicht höhere Löhne („Einmalzahlung: Ein vergiftetes Geschenk“)
    Um wirksame Lohnerhöhungen auszuschlagen, will Olaf Scholz die Gewerkschaften mit einer Einmalzahlung ruhigstellen. Dieses Angebot haben sie zurecht ausgeschlagen. Denn der Inflationstreiber sind vor allem wachsende Profite. (…) Die Preise werden dieses Jahr vermutlich über 6 Prozent steigen. Das ist die stärkste Teuerung seit vierzig Jahren. Die Tariflöhne stiegen letztes Jahr um nur 1,7 Prozent. Bei einer Inflation von 3,1 Prozent bedeutete das für die Beschäftigten einen heftigen Reallohnverlust von 1,4 Prozent. Das geringe Lohnplus war der kriselnden Wirtschaft während der Pandemie geschuldet. Millionenfache Kurzarbeit, wachsende Arbeitslosigkeit und unsichere wirtschaftliche Zukunftsaussichten schwächten die gewerkschaftliche Verhandlungsmacht. In einigen Branchen konnten die Gewerkschaften die sinkende Kaufkraft durch steuer- und abgabenfreie Corona-Prämien ausgleichen. Das war kurzfristig hilfreich, sichert den Realwert der Löhne und Gehälter aber nicht dauerhaft. (…)
    Olaf Scholz setzt auf einen kooperativen Kapitalismus. Der rote Kanzler [sic!] ruft jetzt Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, die Bundesbank, den Finanzminister und den Arbeitsminister an einen Tisch. Ein Bündnis aus Arbeit, Kapital und Staat soll den Ausweg aus der Krise finden. Mit der sogenannten »Konzertierten Aktion« will Scholz das ökonomische Verhalten aller Beteiligten so abstimmen, dass die Inflation nicht außer Kontrolle gerät. Kurz gesagt: Die Interessengegensätze zwischen Arbeit, Kapital und Staat sollen in einem institutionalisierten Rahmen versachlicht werden. Dieser Krisen-Korporatismus hat hierzulande eine lange Tradition. (…)
    Der Ampel-Chef will den Verteilungskonflikt entschärfen. Deshalb hat er angeboten, Einmalzahlungen von Steuern und Abgaben zu befreien. Im Gegenzug sollen die Gewerkschaften weniger Lohnprozente fordern. Dieser Vorschlag ist jedoch ein vergiftetes Geschenk. Denn Einmalzahlungen erhöhen das Lohnniveau zwar kurzfristig, doch wenn die Sonderzahlung wegfällt, sinken die Preise nicht. Im besten Fall fällt der Preisimpuls schwächer aus als im Vorjahr. Hinzu kommt, dass die nächste Tariflohnsteigerung auf dem Lohnniveau aufsetzt, das vor der Einmalzahlung erreicht wurde. Um in der nächsten Tarifrunde dann Reallohneinbußen zu verhindern, müssten sehr hohe Abschlüsse erzielt werden. Kurzum: Vor anhaltender Inflation schützen nur tabellenwirksame Lohnerhöhungen, nicht aber Einmalzahlungen. Deswegen haben die Vorsitzenden der beiden größten Gewerkschaften vor dem ersten Sozialpakttreffen klar gemacht, dass sie dieses Angebot ablehnen. Das ist auch ökonomisch sinnvoll. Die angeblich drohende Lohn-Preis-Spirale ist nur ein Schreckgespenst wirtschaftsliberaler Ökonominnen und Ökonomen. Von der schwachen Lohnentwicklung geht überhaupt kein Preisdruck aus. Zudem ist der Begriff der Lohn-Preis-Spirale irreführend. Einen Automatismus zwischen steigenden Löhnen und Preisen gibt es nicht. Für die Preise sind allein die Unternehmen verantwortlich. Wenn Löhne und somit Arbeitskosten steigen, erhöhen einige Firmen ihre Preise – vorausgesetzt der Wettbewerb lässt das zu –, um zu verhindern, dass ihre Gewinnmarge schrumpft. (…)
    Dennoch gibt es in Scholz’ Amtsstube viel zu besprechen. Gewerkschaften, Arbeitgeber und Regierung sollten sich auf ein drittes großes Entlastungspaket verständigen. Denn Tarifpolitik allein kann die steigenden Lebenshaltungskosten nicht ausgleichen. Deswegen muss Berlin stark belastete Bevölkerungsgruppen vor weiter steigenden Energiepreisen schützen. (…) Die Ampel-Regierung sollte zudem Vorschläge auf den Tisch legen, um die Preistreiberei der Großunternehmen zu unterbinden. Die jüngste Initiative Robert Habecks, das Kartellrecht zu verschärfen, ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, greift aber kurzfristig nicht. Deswegen sollten die milliardenschweren Krisenprofite jetzt durch eine Übergewinnsteuer abschöpft werden. Dafür sollte sich die Koalition zunächst die Mineralölindustrie vorknöpfen. Dort fielen die höchsten Krisengewinne an. Mit den Einnahmen könnten dann Entlastungspakete für Gering- und Normalverdienende finanziert werden. Gesprächsbedarf gibt es auch zur Schuldenbremse…“ Artikel von Dierk Hirschel vom 01.07.2022 in Jacobin.de externer Link
  • Rekord-Inflation: Scholz-Vorschlag stößt auf Widerspruch bei Gewerkschaften
    „… Um Arbeitnehmende zu entlasten, schlägt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine Einmalzahlung von Arbeitgebenden vor, wie verschiedene Nachrichtenagenturen berichten. Das ganze solle steuerfrei sein. Der Politiker der SPD, jener Partei, die sich seit jeher auf die Fahnen schreibt, für die Arbeitenden einzustehen, will im Gegenzug Gewerkschaften zum Verzicht in Tarif-Verhandlungen überreden. Gegen diesen Vorstoß regt sich nun Widerstand. Aus den Reihen der Gewerkschaften verdi, IG Metall und GdP kommen neben Widerworten auch Vorschläge. Die größte Gewerkschaft in Deutschland, die IG Metall, verzeichnet über zwei Millionen Mitglieder. Sie ist damit auch die größte Arbeitnehmervertretung weltweit. Bei den Tarif-Verhandlungen für die Metall- und Elektroindustrie vertreten sie 3,8 Millionen Beschäftigte. Den Vorstoß von Scholz lehnt die Gewerkschaft ab (…) Als Gegenvorschlag zu der Idee von Olaf Scholz (SPD), hat Hofmann für eine Abschöpfung von Spekulationsgewinnen geworben. Außerdem appellierte er für weitere Entlastungsschritte, die den Bürgerinnen und Bürgern bei der Bewältigung der aktuellen Teuerung helfen könnten. Ab September 2022 gehen die Tarif-Verhandlungen für die IG Metall los. Erklärtes Ziel ist eine starke Steigerung in den dauerhaften Lohntabellen.Auch bei der vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di heimst Olaf Scholz keinen Ruhm für seinen Vorschlag ein. „Einmalzahlungen bringen uns da nicht weiter“, so der Vorsitzende Frank Werneke am Montag (27. Juni) gegenüber Bayern 2…“ Artikel von Lucas Maier vom 27.06.2022 in der FR online externer Link
  • Gewerkschaftliche Beschlüsse zu Preisobergrenzen und Inflation 
    Die Mitgliederversammlung der Fachgruppe DVPI von verdi Berlin-Brandenburg hat Preisobergrenzen für Energie und Lebensmittel gefordert sowie Tarifabschlüsse über der Inflationsrate mit maximalen Laufzeiten von 12 Monaten, Kampf für gemeinsame Flächentarife, Reintegration von Betrieben in Flächentarife, Allgemeinverbindlichkeitserklärung, Koordination von Tarifkämpfen mit gemeinsamen Streikkundgebungen, -tage und -versammlungen, Demonstrationen usw…“ Der Beschluss dokumentiert am 30. Juni 2022 bei VKG externer Link – Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften – als Anregung empfohlen
  • DGB gegen Einmalzahlung: „Wir brauchen jetzt Lösungen, die die Preisschocks bei Energie und Lebensmitteln dauerhaft dämpfen“
    „… Die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi betont zum Vorschlag einer steuerfreien Einmalzahlung durch die Arbeitgeber: „Die Menschen leiden bereits an realen Einschränkungen. Jetzt muss alles dafür getan werden, dauerhafte Schäden für Beschäftigung und Kaufkraft abzuwenden. Die Gewerkschaften werden auch in dieser Krise ihre Aufgabe für eine verantwortliche Tarifpolitik wahrnehmen. Und zwar dort, wo sie hingehört: am Verhandlungstisch mit den Arbeitgebern. Die Frage, ob Einmalzahlungen in den laufenden bzw. kommenden Tarifrunden ein sinnvoll einzusetzendes Instrument sein können, werden die Tarifparteien beantworten. Das kann nicht von Seiten der Bundesregierung vorgegeben werden. Fest steht: Wir brauchen jetzt Lösungen, die die Preisschocks bei Energie und Lebensmitteln dauerhaft dämpfen. Langfristig können nur höhere Entgelte und die gezielte Unterstützung von Menschen ohne Arbeit sinnvolle Instrumente gegen höhere Lebenshaltungskosten sein.“ DGB-Statement vom 28. Juni 2022 externer Link („DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi fordert langfristige Lösungen“)
  • 8,9 Prozent Inflationsrate: Familien mit niedrigem Einkommen aktuell am stärksten belastet – soziale Schere geht weiter auf 
    „Familien mit niedrigem Einkommen tragen aktuell die höchste Inflationsbelastung, Alleinlebende mit hohem Einkommen die geringste – und die Schere bei den Belastungen hat sich noch einmal deutlich geöffnet: Gemessen an den für diese Haushaltstypen repräsentativen Warenkörben sind die Preise im Mai 2022 um 8,9 Prozent bzw. um 6,5 Prozent gestiegen, während der Wert über alle Haushalte hinweg bei 7,9 Prozent lag. Auch für Alleinlebende mit höheren und mit mittleren Einkommen lagen die Raten mit 7,6 und 7,7 Prozent im Mai leicht unterhalb der allgemeinen Preissteigerung. Die Preissteigerung bei Alleinlebenden mit niedrigem Einkommen lag mit 7,8 Prozent nahe am Durchschnitt. Dagegen sind auch Alleinerziehende und Familien mit zwei Kindern und jeweils mittleren Einkommen etwas überdurchschnittlich von der Teuerung belastet: Für diese Haushalte betrug die Inflationsrate im Mai 8,2 Prozent. Bei Familien mit höherem Einkommen verteuerte sich der haushaltsspezifische Warenkorb weniger stark – um 7,6 Prozent. Die haushaltsspezifische Inflationsrate für kinderlose Paare mit mittlerem Einkommen liegt aktuell bei 7,9 Prozent. Das ergibt der IMK Inflationsmonitor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, der monatlich die spezifischen Teuerungsraten für neun repräsentative Haushaltstypen liefert. In Folge des Ukrainekriegs und von weiterhin durch die Corona-Pandemie angespannten Lieferketten stiegen die Verbraucherpreise für alle Haushalte im Mai so stark wie seit der Ölkrise der 1970er Jahre nicht mehr. Dabei sind die Unterschiede je nach Haushaltskonstellation und Einkommen erheblich und sozial hoch problematisch, zeigt der IMK Inflationsmonitor: Mit 2,4 Prozentpunkten zwischen ärmeren Familien und wohlhabenden Alleinlebenden war die Differenz im Mai deutlich größer als in den Vormonaten und dreimal so hoch wie im Februar. Das liegt daran, dass die stärksten Preistreiber – Haushaltsenergie, Kraftstoffe und zunehmend Lebensmittel – unterschiedlich stark durchschlagen: Bei Familien mit zwei Kindern und niedrigem Einkommen machen diese drei Komponenten 6,6 Prozentpunkte der haushaltsspezifischen Inflationsrate von 8,9 Prozent aus. Bei Alleinstehenden mit hohem Einkommen entfallen darauf hingegen 3,5 Prozentpunkte von insgesamt 6,5 Prozent haushaltsspezifischer Teuerung…“ Pressemitteilung vom 27. Juni 2022 der Hans-Böckler-Stiftung externer Link zum IMK Inflationsmonitor Mai 2022 externer Link von Sebastian Dullien und Silke Tober
  • Preissteigerungen als Herausforderung für gewerkschaftliche Lohnpolitik: Warnungen vor einer Lohn-Preis-Spirale unbegründet 
    „… Steigende Verbraucherpreise werden zu einer Herausforderung für die Gewerkschaften. In ihrer Lohnpolitik können sie nicht ignorieren, dass die abhängig Beschäftigten im Zuge steigender Lebensmittel- und Energiepreise sowie einer moderaten, beschäftigungs- wie stabilitätsorientierten Lohnpolitik der vergangenen Jahre von Reallohnverlusten betroffen sind. Gewerkschaftlich organisierte Lohnabhängige erwarten von den kommenden Tarifrunden einen Schutz vor Einkommensverlusten und eine Sicherung ihrer Kaufkraft. Ebenso müssen die Gewerkschaften zur Kenntnis nehmen, dass viele Unternehmen trotz Krise und Unsicherheit wirtschaftlich noch immer sehr gut dastehen. Analysten prognostizieren für das abgelaufene Wirtschaftsjahr 2021 eine Rekord-Dividendenausschüttung durch die im DAX gelisteten Unternehmen in Höhe von 60,6 Mrd. Euro. Rund 40% mehr an Dividenden als im Jahr zuvor sollen Schätzungen zufolge an die Anleger*innen gehen. Zu den Großzahlern im Jahr 2022 gehören u. a. Mercedes-Benz (5,35 Mrd. Euro), Allianz (4,41 Mrd. Euro) und BMW (3,82 Mrd. Euro). 33 von 40 DAX-Mitgliedern zahlen mehr als im Vorjahr, Kürzungen gibt es 2022 keine. Trotz guter Gründe für kräftige Lohnforderungen zum Ausgleich für die Inflation warnen Arbeitgeber, Ökonomen und Kommentatoren der Wirtschaftspresse vor hohen Lohn- und Gehaltssteigerungen und der damit verbundenen Gefahr einer drohenden »Lohn-Preis-Spirale«. Nicht überraschend stieß die von Bundeskanzler Scholz angekündigte »gezielte Kraftanstrengung in einer außergewöhnlichen Situation, […] eine konzertierte Aktion gegen den Preisdruck« bei den Arbeitgebern auf umgehende Zustimmung. Aber ist eine solche Warnung begründet? (…) Seit dem COVID-Schock im Jahr 2020 machen die Löhne [laut Economic Policy Institute] weniger als 8% des Preisanstiegs in den USA aus, während gestiegene Unternehmensgewinne für mehr als die Hälfte des Preisanstiegs verantwortlich sind (ca. 54%). Auf andere Inputkosten, vor allem Energie, entfielen 38%. (…) In der Eurozone zeigt sich ein ähnliches Bild. Auch hier sind die abhängig Beschäftigten mit Reallohnverlusten konfrontiert. Wie auch in den USA haben in der Euro-Zone steigende Stückgewinne seit 2021 einen weitaus größeren Beitrag zum Preisanstieg – der sich seit dem dritten Quartal 2021 in Europa massiv beschleunigte – geleistet als die Lohnstückkosten (gemessen am BIP-Inflator)…“ Beitrag von Roland Schneider vom 22. Juni 2022 bei Sozialismus.de externer Link

    • Anm.: Auch wenn Roland Schneider die Theorie einer Lohn-Preis-Spirale nicht ganz verwirft, bringt er doch wichtige Argumente gegen Lohnverzicht, und gibt damit denen etwas an die Hand, die mit dieser Theorie praktisch konfrontiert werden. Leider dreht er das Ganze nicht in eine Profit-Preis-Spirale um, obwohl vom Tenor her es schon in diese Richtung geht…
  • „Lohnverhandlungen sind nicht Sache der Politik“ – ver.di gegen Lohnzurückhaltung und für dauerhaft wirkende Tariflohnsteigerungen 
    Vom „Tisch der gesellschaftlichen Vernunft“ war die Rede, als 1967 der damalige Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) Vertreter von Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden zu einer „Konzertierten Aktion“ einlud. Zu einer solchen Aktion ruft nun auch der amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen sowie den Präsidenten der Bundesbank und einen der Wirtschaftsweisen am 4. Juli zusammen. Mit am Tisch werden auch sitzen: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Heute wie 1967 schwächelt die Wirtschaft und ruft nach Lohnzurückhaltung, viele Preise sind aber bereits so stark gestiegen, dass es für viele Menschen immer schwieriger wird, bis zum Ende des Monats noch mit ihren Einkommen durchzukommen. Nicht nur ver.di fordert deshalb Lohnerhöhungen, die den gestiegenen Preisen gerecht werden. (…) Dauerhaft wirkende Festbeträge seien eine Lösung. Aktuell fordert ver.di in der Tarifrunde für die rund 20.000 Beschäftigten der Lufthansa einen Festbetrag von mindestens 350 Euro im Monat. Und obwohl Scholz im Vorfeld der Konzertierten Aktion klargestellt hat, dass sich die Politik selbstverständlich nicht in Lohnverhandlungen einmischen wolle, klingt sein Aktionsziel genau danach. „Gemeinsam mit den Sozialpartnern wollen wir diskutieren, wie wir mit der aktuellen Preisentwicklung umgehen“, erklärte er, als er seine Einladung aussprach. Zum Ziel der Beratungen mahnt Frank Werneke an, dass es keinesfalls um Lohnverhandlungen gehen könne: „Die Politik sollte sich aus diesen Dingen heraushalten.“
    Yasmin Fahimi, Anfang Mai zur neuen Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) gewählt, sagte kurz darauf im Bezug auf die Preisentwicklungen, die Gewerkschaften ließen sich „diesen Unsinn einer Lohn-Preis-Spirale wegen der grassierenden Inflation nicht aufquatschen“. Steigende Löhne hätten nicht zwangsläufig steigende Preise zur Folge. Wer daher jetzt von Lohnzurückhaltung rede, wolle wieder einmal die Kosten der Krise allein auf dem Rücken der Beschäftigten abladen. Der ver.di-Vorsitzende drückt es so aus: „Unser Kurs ist ganz klar: Dauerhaft steigende Preise müssen durch dauerhaft wirkende Tariflohnsteigerungen vollumfänglich ausgeglichen werden.“ Und das gelte in der Folge auch für Rentenanpassungen und den Mindestlohn. (…)
    Auf eine konzertierte Aktion à la 1967 gibt der ver.di-Vorsitzende allerdings nicht viel: „Es ist ein unglücklich gewählter Begriff. Wenn man einen Blick in die Geschichtsbücher wirft, dann weiß man, dass die konzertierte Aktion Ende der 60er Jahre grandios gescheitert ist.“ Auch der Revival-Versuch unter der Überschrift „Bündnis für Arbeit“ sei in den 90er Jahren misslungen…“ Themen-Beitrag vom 23.06.2022 bei ver.di externer Link („Lohnverhandlungen sind nicht Sache der Politik“)
  • Wie Unternehmen die Inflation nutzen, um Ihr Geld zu stehlen 
    „… Die Inflation ist ein Deckmantel, den die Unternehmen benutzen, um mehr Geld aus Ihnen herauszupressen. Aber wie ich erklären werde, gibt es fünf Dinge, die wir tun können, um uns zu wehren. Die Unternehmen nutzen die Inflation als Vorwand, um ihre Preise zu erhöhen, was Arbeitnehmern und Verbrauchern schadet, während sie gleichzeitig Rekordgewinne einfahren. Die Preise steigen – aber um es klar zu sagen: Die Unternehmen erhöhen die Preise nicht einfach nur wegen der steigenden Kosten für Material und Arbeit. Sie könnten diese höheren Kosten leicht auffangen, aber stattdessen geben sie sie an die Verbraucher weiter und erhöhen die Preise sogar noch stärker als diese Kostensteigerungen. Was machen die Unternehmen also mit ihren Rekordgewinnen? Sie nutzen sie, um die Aktienkurse in die Höhe zu treiben, indem sie eine Rekordmenge ihrer eigenen Aktien zurückkaufen. Die Unternehmen kommen damit durch, weil sie kaum oder gar nicht im Wettbewerb stehen. Wären die Märkte wettbewerbsorientiert, würden die Unternehmen ihre Preise niedrig halten, um zu verhindern, dass die Konkurrenten ihnen die Kunden wegschnappen. Aber auf einem Markt mit nur wenigen Wettbewerbern, die ihre Preise abstimmen können, haben die Verbraucher keine wirkliche Wahl. Infolgedessen fahren die Unternehmen die höchsten Gewinne seit 70 Jahren ein. Verwenden sie diese Rekordgewinne, um die Reallöhne ihrer Arbeitnehmer zu erhöhen? Nein. Mit der einen Hand geben sie magere Lohnerhöhungen aus, um Arbeitskräfte zu gewinnen oder zu halten, mit der anderen Hand machen sie diese Lohnerhöhungen durch Preiserhöhungen wieder zunichte. (…) Was ist also die wirkliche Lösung? Erstens eine strengere Durchsetzung des Kartellrechts, um der zunehmenden Konzentration der Wirtschaft in den Händen einiger weniger riesiger Konzerne entgegenzuwirken. (…) Zweitens eine befristete Steuer auf unerwartete Gewinne, die die Rekordgewinne der Unternehmen auffängt und als Direktzahlungen an die Bürger verteilt, die mit den steigenden Preisen zu kämpfen haben. Drittens: ein Verbot von Aktienrückkäufen durch Unternehmen. (…) Viertens: Höhere Steuern für Wohlhabende und Unternehmen. (…) Und schließlich: stärkere Gewerkschaften. Während die Macht der Unternehmen gewachsen ist, ist die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder zurückgegangen und die wirtschaftliche Ungleichheit hat zugenommen – der Grund, warum die meisten Arbeitnehmer seit 40 Jahren keine echte Lohnerhöhung erhalten haben. Alle Arbeitnehmer verdienen das Recht auf Tarifverhandlungen für höhere Löhne und bessere Leistungen. Kurz gesagt, das eigentliche Problem ist nicht die Inflation. Das eigentliche Problem ist die Zunahme der Macht der Unternehmen und der Rückgang der Macht der Arbeitnehmer in den letzten 40 Jahren…“ Gastbeitrag von Robert Reich am 20. Juni 2022 bei Telepolis externer Link (Robert Reich ist Professor of Public Policy an der University of California, Berkeley)
  • [VKG] Den Kampf gegen Reallohnsenkungen und Sozialabbau auf die Tagesordnung setzen! Preissteigerungen nicht auf unserem Rücken! Gewerkschaftliche Gegenwehr jetzt! 
    Ganz offensichtlich sehen die Regierenden die Gefahr, dass die rapid steigenden Lebenshaltungskosten zu sozialer Unruhe führen, die nur schwer einzufangen ist. Deshalb bringen sie eine Reihe von vorübergehenden Entlastungsmaßnahmen auf den Weg: 300 Euro für alle Beschäftigten (von dem nach Abzug der Steuern und Sozialabgaben viel weniger übrig bleibt), Vorziehen der Erhöhung der Pendlerpauschale, 9-Euro-Ticket für drei Monate, befristete Senkung der MwSt auf Sprit, einmaliger Zuschuss für Hartz-IV-EmpfängerInnen… Damit wird aber nur ein kleiner Teil des Anstiegs der Lebenshaltungskosten ausgeglichen und vor allem nur befristet. Die abhängig Beschäftigten erleben – je nach Branche ‒ seit Mitte/Ende 2021 einen deutlichen Reallohnverlust, der sich im Laufe dieses Jahres (2022) noch verstärkt hat. Auf die Regierenden können wir uns nicht verlassen, wenn es um die Sicherung unserer Einkommen geht. Umso wichtiger also, dass wir gewerkschaftliche Kraft in die Waagschale werfen. Dabei sollten wir uns nicht vom Gejammere der Kapitaleigner*innen irreführen oder beeindrucken lassen. Denn selbst während der Pandemie sind die Reichen noch reicher geworden, streichen große Konzerne auf unsere Kosten massive Gewinne ein, wie man gut am Beispiel der Energiekonzerne sehen kann! Drei Achsen im Kampf zur Verteidigung des Lebensstandards der lohnabhängigen Bevölkerung: 1.) Tarifauseinandersetzungen (…) Lohnanpassung an Preissteigerungen (…) 3.) Preiskontrollen und Armutsbekämpfung…“ Aufruf der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften vom 15. Juni 2022 externer Link – dort auch als Flyer zum Herunterladen
  • Scholz-Plan für „konzertierte Aktion“ geht von einer Lohn-Preis-Spirale aus und „konstruktiven“ Gewerkschaften – das Erstere ist nicht gesichert…
    • „Konzertierte Aktion“: Scholz‘ Rückgriff auf die 1960er-Jahre
      Kanzler Scholz will mit Arbeitgebern und Gewerkschaften über ein Vorgehen gegen die hohe Inflation beraten – in einer „Konzertierten Aktion“. Die Grenzen dieses Modells zeigten sich aber schon vor Jahrzehnten.
      Die Inflation bei fast acht Prozent, Preis-Ärger an Tankstellen und in Lebensmittelgeschäften, sinkende Kaufkraft beim Ersparten – dass die Politik handeln muss, weiß Bundeskanzler Olaf Scholz. In der Generaldebatte im Bundestag verweist er auf die Entlastungspakete und macht darüber hinaus einen Vorschlag: „Gemeinsam mit den Sozialpartnern wollen wir diskutieren, wie wir mit der aktuellen Preisentwicklung umgehen.“ Eine „Konzertierte Aktion“ könnte das sein, so Scholz. (…) In der Bundestagsdebatte wird deutlich: Scholz will unbedingt den Eindruck vermeiden, er wolle den Tarifparteien Vorgaben machen. Zugleich weiß er, dass die kommenden Tarifverhandlungen mitentscheidend dafür sind, wie es mit der Inflation weitergeht. So lobt er die Tarifpartner der Chemischen Industrie, die mit einer einmaligen Sonderzahlung für die Beschäftigten einen „interessanten Weg“ gewählt hätten. Einmalzahlungen können Kaufkraftverluste durch die Inflation ausgleichen, belasten aber nicht dauerhaft die Kosten der Unternehmen. Vielleicht reagierten gerade aus diesem Grund die Arbeitgeber recht positiv auf den Vorschlag von Scholz. „Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften haben in den bisherigen Krisen immer konstruktiv an Lösungen mitgearbeitet“, erklärt BDA-Präsident Rainer Dulger. „Wir werden es auch diesmal tun.“ Von Yasmin Fahimi, der neuen Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), kommen zwar ebenfalls positive Signale. „Ziel einer konzertierten Aktion muss es sein, die derzeitigen Belastungen für Privathaushalte und Wirtschaft zu mindern sowie eine widerstandsfähigere und nachhaltigere Wirtschaft auszubauen“, sagt Fahimi. Sie fügt aber einschränkend hinzu: Tarifverhandlungen würden „nicht im Kanzleramt geführt„…“ Beitrag von Hans-Joachim Vieweger, ARD-Hauptstadtstudio, vom 01.06.2022 bei tagesschau.de externer Link – ganz der Ideologie einer Lohn-Preis-Spirale verhaftet – siehe daher ungern auch:
    • Scholz-Plan für „konzertierte Aktion“: Vom Damals lernen
      Scholz will in einer „konzertierten Aktion“ mit Staat, Arbeitgebern und Gewerkschaften die Inflation bekämpfen. Doch wie 1967 kann dabei viel schief gehen. (…) Das Ergebnis war, dass die Gewerkschaften 1967 auf höhere Löhne verzichteten, um Arbeitsplätze zu retten. Im Gegenzug versprach Schiller „soziale Symmetrie“: Sobald die Konjunktur wieder lief, sollten Löhne und Gewinne im Gleichklang steigen. Bald mussten die Gewerkschaften jedoch feststellen, dass die soziale Symmetrie ausblieb. Das Wachstum kehrte viel schneller zurück, als es prognostiziert worden war, sodass die Firmengewinne geradezu explodierten. Die Profite der Unternehmer stiegen 1968 um satte 17,5 Prozent, während sich die Beschäftigten mit einem Plus von 6 Prozent bescheiden mussten. Zu diesem Zeitpunkt hätten die Firmenchefs freiwillig nachsteuern müssen, um die soziale Symmetrie zu wahren. Doch stattdessen freute man sich über die eigenen Sondergewinne. Dieser rabiate Egoismus erwies sich als fatal. Die Arbeitnehmer fühlten sich betrogen, auch von ihren eigenen Gewerkschaften. Also griffen sie zur Selbsthilfe: Im September 1969 kam es bundesweit zu wilden Streiks. Die Beschäftigten machten sich nicht einmal die Mühe, ihre Gewerkschaften vorab zu informieren, dass ein Ausstand geplant war, sodass die hauptamtlichen Funktionäre genauso überrascht wurden wie die Firmenchefs. Die Gewerkschaften waren schockiert, dass sie so plötzlich den Einfluss auf ihre Mitglieder verloren hatten. „Das geht uns an die Nieren“, räumte DGB-Chef Heinz Oskar Vetter wenig später ein, „dass das explosive Aufbegehren der Arbeitnehmer von uns nicht vorausgesehen worden ist.“ Die wilden Streiks lohnten sich, denn die betroffenen Betriebe gewährten durchweg ein zweistelliges Lohnplus. Durch das Wachstum herrschte wieder Vollbeschäftigung, und die Firmen waren auf ihre Angestellten angewiesen. Um die Rebellion einzudämmen, wurde schließlich ein allgemeiner Tarifvertrag geschlossen, bei dem die IG Metall eine Gehaltserhöhung von 11 Prozent aushandelte. Doch ihren angestammten Einfluss konnten die Gewerkschaften trotzdem nicht mehr zurückgewinnen, weil viele Beschäftigte ihre Funktionäre für allzu zahm hielten. (…)
      Es ist tragisch, dass die Gewerkschaften damals auf hohen Löhnen beharrten, weil sie damit ihren eigenen Niedergang provozierten. Denn eine galoppierende Inflation lässt sich nicht ignorieren, und es war abzusehen, dass die Bundesbank die Zinsen energisch nach oben treiben würde. Die Folgen waren ebenso klar: Die Wirtschaft würde schrumpfen, die Arbeitslosigkeit stark steigen – und die Macht der Gewerkschaften schwinden. (…)
      Heute könnten die Gewerkschaften erneut versucht sein, ihre Fehler aus den frühen 1970ern zu wiederholen. Wieder sorgen hohe Ölpreise für eine rapide Inflation, und wieder herrscht fast Vollbeschäftigung, sodass sich höhere Gehälter leicht durchsetzen lassen. Aber das Ergebnis wäre, wie in den 1970ern, eine Lohn-Preis-Spirale. Die Inflation würde außer Kontrolle geraten. Eine konzertierte Aktion ist daher richtig, bei der sich Staat, Arbeitgeber und Gewerkschaften einigten, wie sich die Inflation eindämmen ließe. Eine gute Idee wären Einmalzahlungen: Sie würden den Angestellten helfen, ohne dauerhaft das Lohngefüge zu belasten. Aber die Arbeitgeber sollten sich hüten, Zugeständnisse der Gewerkschaften auszunutzen. Sonst wäre das Verhältnis bleibend vergiftet wie in den Zeiten nach 1968.“ Kolumne von Ulrike Herrmann vom 3.6.2022 in der taz online externer Link, siehe daher:
    • Was tun gegen hohe Inflation – helfen Methoden von vor mehr als 50 Jahren?
      Wenn Bundeskanzler Scholz die konzertierte Aktion der Wirtschaft wiederholen will, könnten die Lohnabhängigen sich die Septemberstreiks von 1969 zum Vorbild nehmen…“ Beitrag von Peter Nowak vom 07. Juni 2022 in Telepolis externer Link
  • Die angebliche Preis-Lohn-Preis-Spirale ist nicht das Problem – die langen Laufzeiten der Tarifverträge schon…
    „In vielen Artikeln in der Wirtschaftspresse wird immer wieder das Gespenst einer „Lohn-Preis-Spirale“ an die Wand geworfen (korrekterweise wäre eher der Terminus Preis-Lohn-Preis-Spirale zu verwenden, wenn es die denn geben sollte). Also die Gewerkschaften setzen sehr hohe Lohnforderungen durch und die stark steigenden Personalkosten führen zu einem weiteren Inflationsschub in der Volkswirtschaft. Nun ist es zumindest in Deutschland eben nicht so, dass permanent Lohnverhandlungen geführt werde (können) und die bisher vorliegenden aktuelle Lohnabschlüsse sind doch eher überschaubar, teilweise sind die Tarifabschlüsse mit sehr langen Laufzeiten versehen. Die meisten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in unserem Land haben ganz andere Sorgen, folgt man den Daten des Statistischen Bundesamtes zur Entwicklung der Reallöhne, bei denen die Inflationsentwicklung berücksichtigt wird. (…) »Die hohe Inflation in Deutschland hat im 1. Quartal 2022 zu einem Reallohnrückgang geführt: Zwar war der Nominallohnindex im 1. Quartal 2022 nach ersten und vorläufigen Ergebnissen der neuen Verdiensterhebung um 4,0 % höher als im Vorjahresquartal. Allerdings stiegen die Verbraucherpreise im selben Zeitraum um 5,8 %«, berichtet das Statistische Bundesamt unter der Überschrift Reallöhne im 1. Quartal 2022: -1,8 % gegenüber dem Vorjahresquartal. Für das erste Quartal des Jahres 2022 werden wir also mit einem realen (preisbereinigten) Verdienstrückgang von 1,8 % konfrontiert. Der Preisanstieg hat den nominalen Anstieg der Löhne mehr als aufgezehrt. Und der Sinkflug der Reallöhne wird im laufenden Jahr weiter anhalten (müssen), wenn man die niedrigen Tarifabschlüsse (die erst einmal auch nur für die tarifgebundenen Arbeitnehmer gelten) in Relation setzt zu der bereits realisierten Inflationsrate und vor allem zu dem, was da an der Preisfront noch auf uns zukommen wird. (…) Kurz nach der Veröffentlichung des Beitrags hat das Statistische Bundesamt eine weitere Pressemitteilung mit der vorläufigen Inflationsrate für den Monat Mai 2022 herausgegeben: Inflationsrate im Mai 2022 voraussichtlich +7,9 %…“ Beitrag von Stefan Sell vom 30. Mai 2022 auf seiner Homepage externer Link („Die Reallöhne schmelzen wie Butter in der Sonne und die nächste teuerungsbedingte Hitzewelle ist auf dem Weg“) – nicht unwichtig ist die Frage, wie die Gewerkschaften aus Tarifverträgen wieder herauskommen, die bes. bei der Laufzeit von einer unrealistischen Preisentwicklung ausgegangen sind. Oder anders gesagt: Wie ist es mit der Friedenspflicht, wenn inflationsbedingt gar kein Frieden mit dem AG mehr möglich ist?
  • [IMK Inflationsmonitor] Familien mit niedrigem Einkommen haben aktuell höchste Inflationsrate: 8 Prozent – Kaum Entlastung für Rentnerhaushalte 
    Familien mit niedrigem Einkommen tragen aktuell die höchste Inflationsbelastung, Singles mit hohem Einkommen die geringste – und die Differenz ist weiterhin erheblich: Gemessen an den für diese Haushaltstypen repräsentativen Warenkörben sind die Preise im April 2022 um 8,0 Prozent bzw. um 6,2 Prozent gestiegen, während der Wert über alle Haushalte hinweg bei 7,4 Prozent lag. Auch für Alleinlebende mit niedrigen, höheren und mittleren Einkommen lagen die Raten mit 6,9 bis 7,2 Prozent im April etwas unterhalb der allgemeinen Preissteigerung. Dagegen sind auch Alleinerziehende und Familien mit zwei Kindern und jeweils mittleren Einkommen etwas überdurchschnittlich von der Teuerung belastet: Für diese Haushalte beträgt die Inflationsrate 7,6 bzw. 7,5 Prozent. Bei Familien mit höherem Einkommen verteuerte sich der haushaltsspezifische Warenkorb weniger stark – um 7,1 Prozent. Die haushaltsspezifische Inflationsrate für kinderlose Paare mit mittlerem Einkommen liegt aktuell bei 7,5 Prozent. Das ergibt der IMK Inflationsmonitor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, der monatlich die spezifischen Teuerungsraten für neun repräsentative Haushaltstypen liefert. Die Entlastungspakete der Bundesregierung haben nach Analyse der Forschenden zwar durchaus eine soziale Komponente, aber längst nicht in jeder Konstellation (…) „Die haushaltsspezifischen Inflationsraten zeigen, dass Haushalte mit geringeren Einkommen durch den Preisanstieg bei Haushaltsenergie überproportional belastet sind und sich auch die Verteuerung der Nahrungsmittel stärker niederschlägt“, schreiben IMK-Direktor Dullien und Inflationsexpertin Tober. Dieser Trend könnte sich nach Analyse des IMK in den kommenden Monaten weiter verschärfen, da bisher noch nicht alle Preissteigerungen von Haushaltsenergie im Großhandel an die Privathaushalte weitergegeben wurden. Erschwerend kommt hinzu, dass Gas, Strom, Heizöl und Nahrungsmittel als Waren des Grundbedarfs bei den Ausgaben ärmerer Haushalte sehr stark ins Gewicht fallen, während sie bei Haushalten mit hohem Einkommen und insbesondere bei wohlhabenden Alleinlebenden einen deutlich kleineren Anteil des Warenkorbs ausmachen. Bei Familien mit Kindern und niedrigem bis mittlerem Einkommen schlagen aktuell zudem die hohen Preise für Kraftstoffe relativ stark zu Buche…“ HBS-Pressemitteilung vom 19.05.2022 externer Link zum IMK Inflationsmonitor vom Mai 2022 von Sebastian Dullien und Silke Tober externer Link
  • VKG-Veranstaltung am 11. Mai in Berlin: Inflation und kein Ende – Was tun gegen Preisexplosion und Verteuerung? 
    Corona, Wirtschafts-Krise und Ukraine-Krieg haben die Inflation in unser Bewusstsein zurückgebracht. Einige Nahrungsmittel wie Speiseöl sind um einige hundert Prozent teurer als vor wenigen Jahren. Strom-, Gas- und Benzinpreise explodieren. Und es ist kein Ende in Sicht – die Wirtschaft kündigt an, dass sich die Preise auch weiter erhöhen werden. Die Ärmsten werden davon am stärksten getroffen: Hartz IV hat sowieso noch nie gereicht und die laue Steigerung beim Mindestlohn wird in kürzester Zeit wieder aufgefressen. Während einige Konzerne gerade noch zustätzliche Profite unter dem Vorwand der Inflation machen und die meisten Unternehmen die gestiegenen Kosten einfach direkt an Kund:innen und Beschäftigte weitergeben, gibt es diesen Ausweg für uns als Arbeiter:innen nicht.
    Unsere Tarifverträge laufen jahrelang und bescheren uns magere ein bis zwei Prozent mehr Lohn im Jahr – ein Witz, bei diesen Preisen! Jetzt rächt sich, dass die Gewerkschaftsführungen jedes Jahr nur routinierte Tarifrundenrituale durchführen, anstatt für deutliche Verbesserungen zu kämpfen. Und damit wir ja nicht auf „dumme Ideen“ kommen, predigen uns Bosse und Medien schon jetzt, bloß nicht zu viel Lohn zu fordern – sonst seien wir es, die die Preisspirale antreiben! Aber stimmt das?
    Wir wollen zusammen diskutieren: Woher kommt die Preissteigerung? Führt mehr Lohn automatisch zu höheren Preisen? Welche Antworten sollen unsere Gewerkschaften auf Teuerung und Inflation geben? Was fordern wir in den nächsten Tarifrunden – und wie erkämpfen wir es dann tatsächlich? Reichen Tarifrunden überhaupt oder braucht es den gemeinsamen Kampf aller Beschäftigten über einzelne Betriebe und Branchen hinaus?Einladung der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) externer Link dokumentiert bei Klasse gegen Klasse zur Veranstaltung am Mittwoch, 11. Mai 2022, 18.30 Uhr in der ver.di Mediengalerie, Dudenstraße 10, Berlin-Kreuzberg
  • Deutschland: Wir brauchen eine Bewegung gegen den Preisanstieg
    Uns wird das Geld aus der Tasche gezogen – Woche für Woche mehr. Und das wird auch so weitergehen, wenn sich nicht langsam eine Bewegung gegen den Preisanstieg formiert. Lasst uns dieser Entwicklung Kritik von links entgegensetzen und unsere Klasse unterstützen, ihre Stimme zu erheben.
    Das Kapital verschlechtert unsere Lage
    Was das Statistische Bundesamt für April mit einer Inflationsrate von 7,4 Prozent beschreibt, trifft breite Teile der Bevölkerung noch weit härter. Denn die Energiepreise sind viel stärker gestiegen als um „nur“ 7,4 Prozent und genauso die Preise vieler Grundnahrungsmittel: Gurken, Tomaten und pflanzliche Öle sind in den letzten zwei Monaten beispielsweise um jeweils circa 30 Prozent teurer geworden. Und Lebensmittel sind eben das, was wir notwendig zum Leben brauchen und wofür wir schon vorher einen beträchtlichen Teil unseres Einkommens ausgegeben haben – zumindest von dem, was nach der Miete noch übrig bleibt. Die Lage ist ernst für uns und sie wird noch ernster: Die Supermarktkette Aldi hat angekündigt, ihre Lebensmittelpreise in der nächster Zeit um weitere 20 bis 50 Prozent zu erhöhen. Die anderen Supermärkte werden da selbstverständlich mitgehen. Und auch bei den Energiepreise ist keine Normalisierung in Sicht. Wenn man die Berichte großer Medien verfolgt, kann man den Eindruck gewinnen, die Inflation falle vom Himmel oder folge irgendeinem Naturgesetz
    …“ Beitrag von Karanfilli Adam vom 10. Mai 2022 beim lowerclassmag externer Link
  • Von einer „höchst unsozialen Inflation“ bis zur Frage, wie man denn wem wodurch (nicht) helfen kann angesichts der Verfestigung hoher Preissteigerungsraten 
    „Schon immer hat man bei der Behandlung des Problems einer zu hohen Preissteigerungsrate darauf hingewiesen, dass Inflation sozial höchst ungleich ist bei ihren Auswirkungen. (…) »Mit den Energiepreisen und der Inflation, die wir im Augenblick haben, ist das eine höchst unsoziale Inflation, weil Menschen mit geringen Einkommen das Drei-, Vier-, Fünffache ihres monatlichen Einkommens im Vergleich zu gut verdienenden Menschen für Energie und Lebensmittel ausgeben.« So Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in einem Interview mit dem Deutschlandfunk am 19. April 2022 (…) „Menschen gezielt direkt Transfers zu geben“ bezeichnet er als den richtigen Weg – „populistische Maßnahmen wie eine Spritpreisbremse“ seien hingegen der falsche Weg. Damit wirft man letztlich einen großen Teil dieses Geldes noch den Mineralölkonzernen in den Rachen, so der Volkswirt vom DIW. (…) Man sollte sich an dieser Stelle verdeutlichen, was derzeit der Haupttreiber der steigenden Inflationsrate gemessen am Verbraucherpreisindex ist: der Anstieg der Energiepreise. (…) Von der Herstellung von Saatgut für Tierfutter über den Transport im Laster bis hin zur Kühltruhe im Supermarkt – ohne Strom, Gas und Diesel läuft in der Ernährungswirtschaft nichts. Der starke Anstieg der Energiepreise schon im vergangenen Jahr und nun verstärkt durch den Ukrainekrieg trifft die Branche hart, insbesondere, weil rund 80 Prozent der landwirtschaftlichen Erzeugung in Deutschland mit mehr oder weniger energieintensiven Verfahren weiterverarbeitet werden. Nach der Chemiebranche ist die Ernährungs- und Tabakindustrie der zweitgrößte Abnehmer von Erdgas. Auf Platz drei folgt die Verpackungsindustrie, die in der Lebensmittelindustrie ebenfalls eine große Rolle spielt. Erdgas ist zentral in der Lebensmittelherstellung. (…) Ein weiterer Preistreiber: Teure Rohstoffe (…) Und ein dritter Preistreiber: Logistikprobleme (…) Und was für eine Verfestigung der Preissteigerungen nicht nur in den kommenden Monaten, sondern weit darüber hinaus spricht: Strukturelle Preistreiber im Lebensmittelbereich (…) Was bedeutet das jetzt hinsichtlich der möglichen Maßnahmen? Und wo sind die Grenzen? (…) An dieser Stelle bleibt derzeit ein großes Fragezeichen. Zum einen kann und muss man an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es in der vor uns liegenden Zeit entscheidend darauf ankommen wird, ob die Lohnentwicklung die Preissteigerungen kompensieren oder wenigstens annähernd ausgleichen kann. Aber wenn man sich anschaut, was die etablierten Gewerkschaften gerade (nicht) herausholen können für die tarifgebundenen Bereiche, dann ahnt man bereits, dass das in vielen Branchen und Unternehmen, in denen die Niedriglöhne überdurchschnittlich stark vertreten sind, kaum bzw. sicher nicht gelingen wird, was wiederum verdeutlicht, dass wir an dieser Stelle im gesellschaftlichen Gefüge einen erheblichen Unterstützungsbedarf bekommen, der ja auch finanziert werden muss, was wiederum eine generelle Entlastung auch für mittlere und höhere Einkommensgruppen noch fragwürdiger erscheinen lässt. Das Fragezeichen wird mit jedem Absatz größer und größer. Zeitnah realisierbare Antworten werden gesucht…“ Beitrag von Stefan Sell vom 22. April 2022 auf seiner Homepage externer Link
  • [Keine Ausreden!] Mythos Lohn-Preis-Spirale: Wirtschaftswissenschaftlich lässt sich nicht belegen, dass Inflation auf überzogene Tariflohnerhöhungen zurückzuführen ist 
    „Angesichts der anhaltend hohen Teuerungsrate fordern Gewerkschaftsvertreter landauf, landab deutliche Lohnerhöhungen für die Tarifverhandlungen in diesem Jahr. Im krassen Gegensatz dazu tönen Arbeitgebervertreter, es gebe wegen der massiven Energiepreissteigerungen nichts zu verteilen. Ihr Hauptargument ist eine angeblich drohende »Lohn-Preis-Spirale«. Zu hohe Abschlüsse würden die Unternehmen zwingen, wieder ihre Preise anzuheben, wie es beim Mittelstandsverband BVMW heißt. (…) Allerdings handelt es sich hierbei lediglich um eine reine Plausibilitätsannahme, die nicht etwa einem wissenschaftlichen Modell entspringt, sondern der wirtschaftspolitischen Debatte der 1970er Jahre. Letztlich drückt der gängige Begriff aus, dass Lohnerhöhungen die Inflation treiben. Doch ökonomisch begründen lässt sich diese Behauptung nicht. Inflation bedeutet deutlich mehr als Preissteigerung, nämlich eine Ausweitung der Geldmenge insgesamt. Und diese wird letztlich von der Zentralbank gesteuert, die auch die Preisentwicklung mit im Blick hat. Das gilt auch für die Europäische Zentralbank (EZB), die zunächst vorsichtig begonnen hat, die Schleusen etwas zu schließen. Schon theoretisch spricht wenig dafür, doch wie ist es in der Praxis? (…) Auch empirisch lässt sich kein direkter Zusammenhang zwischen Lohn- und Preisentwicklung belegen. (…) Und so tun sich die Verfechter der Lohn-Preis-Spirale schwer, ein Beispiel anzuführen. Wieder einmal muss die Stagflation der 1970er Jahre herhalten. Im Zuge der Ölpreisschocks hätten höhere Löhne zu Inflation, Konjunkturflaute und hoher Arbeitslosigkeit geführt. Dies sei »ein Mythos«, schreibt Marcel Fratzscher, Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), in der »Zeit«. (…) Noch etwas spricht gegen die These einer Lohn-Preis-Spirale: Die starke Teuerung beruht aktuell auf einem externen Schock – dem völlig überzogenen Anstieg der Rohstoffpreise vor allem im Energiebereich. Hier regulierend einzugreifen, wäre naheliegend. Dann würde auch das Inflationsgespenst schnell wieder verschwinden.“ Artikel von Kurt Stenger vom 28. April 2022 in neues Deutschland online externer Link
  • IMK Inflationsmonitor: Familien mit niedrigem Einkommen leiden aktuell am stärksten unter Inflation
    Familien mit niedrigem Einkommen tragen aktuell die höchste Inflationsbelastung, Singles mit hohem Einkommen die geringste – und die Differenz ist deutlich größer als in den Vormonaten: Gemessen an den für diese Haushaltstypen repräsentativen Warenkörben sind die Preise im März 2022 um 7,9 Prozent bzw. um 6,0 Prozent gestiegen, während der Wert über alle Haushalte hinweg bei 7,3 Prozent lag. Auch für Alleinlebende mit niedrigen, höheren und mittleren Einkommen lagen die Raten mit 6,7 bis 7,0 Prozent im März etwas unterhalb der allgemeinen Preissteigerung. Dagegen sind auch Familien und Alleinerziehende mit zwei Kindern und mittleren Einkommen etwas überdurchschnittlich von der Teuerung belastet: Für diese Haushalte beträgt die Inflationsrate je 7,4 Prozent. Bei Familien mit höherem Einkommen verteuerte sich der haushaltsspezifische Warenkorb weniger stark – um 6,8 Prozent. Die haushaltsspezifische Inflationsrate für kinderlose Paare mit mittlerem Einkommen liegt bei 7,2 Prozent (siehe auch die Abbildung in der pdf-Version dieser PM, Link unten, und die Informationen zur Methode). Das ergibt der IMK Inflationsmonitor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Er liefert monatlich die spezifischen Teuerungsraten für neun repräsentative Haushaltstypen, die sich nach Personenzahl und Einkommen unterscheiden. In Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und von weiterhin durch die Corona-Pandemie angespannten Lieferketten stiegen die Verbraucherpreise für alle Haushalte im März so stark wie seit rund 40 Jahren nicht mehr. Der Preisanstieg hat sich zuletzt nicht nur bei den Preistreibern der Vormonate, Haushaltsenergie und Kraftstoffen, sondern  auch bei Nahrungsmitteln spürbar beschleunigt. Dabei sind die Unterschiede je nach Haushaltskonstellation und Einkommen erheblich. (…) Wie aus dem aktuellen Inflationsmonitor nun hervorgeht, steht der Großteil der Belastungen in diesem Jahr den Haushalten noch bevor. Im Januar und Februar waren die Zusatzbelastungen aus gestiegenen Energie- und Nahrungsmittelpreisen noch vergleichsweise gering, sind aber im März deutlich gestiegen. Für die kommenden Monate werden von Dullien und Tober – trotz einer prognostizierten leichten Entspannung bei den Inflationsraten – weiter hohe Zusatzbelastungen erwartet. Trotz der insgesamt positiven Einschätzung der Regierungsbeschlüsse sieht das IMK daher weiteren Handlungsbedarf, insbesondere im Falle weiterer Preisschocks: Bei etlichen Haushalten mit geringeren Einkommen bleibe eine spürbare Lücke, betonen die Forschenden, die Politik müsse deshalb bereit sein, noch mehr zu tun, auch damit die soziale Schere nicht noch weiter auseinandergeht…“ HBS-Pressemitteilung vom 20.04.2022 externer Link zum IMK Inflationsmonitor vom April 2022 externer Link
  • Inflation besonders für Arme ein Problem
    Studie: Folgen von Corona-Pandemie und Krieg belasteten besonders Familien und einkommensschwache Haushalte. Gewerkschaften deshalb für Inflationsausgleich bei Tarifverhandlungen. (…) Einen weiteren Hinweis, dass sich der Trend der steigenden Preise verschärfen könnte, hat am Mittwoch auch das Statistische Bundesamt gegeben. Die Produzentenpreise seien im März im Vergleich zum Vorjahresmonat um 30,9 Prozent gestiegen. Das sei der höchste Anstieg seit Beginn der Erhebung im Jahr 1949. (…) Angesichts der steigenden Preise hatten auch die Gewerkschaften kürzlich ihr Ziel für die nächsten Tarifverhandlungen genannt: Inflationsausgleich. „Dass Preissteigerungen mittelfristig in die Lohnsteigerungen einfließen müssen, ist doch klar“, hatte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, am Wochenende gesagt. Gegenüber den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschlands sagte er weiter: „Wir sehen aktuell, dass die steigenden Preise insbesondere Gering- und Normalverdienende belasten“. Insofern sei es „selbstverständlich und mehr als berechtigt, wenn Gewerkschaften in Tarifrunden auch auf die derzeit hohe Inflation verweisen und auf einen Ausgleich pochen“. Unterstützt wird Hoffmann dabei von Marcel Fratzscher, dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Angesichts der hohen Inflation halte er höhere Löhne für „absolut notwendig“, erklärte der am Dienstag im Deutschlandfunk. Das sei auch wichtig, „damit der Konsum weiterhin aufrechterhalten werden kann„…“ Beitrag von Bernd Müller vom 20. April 2022 in Telepolis externer Link
  • Die Tarifverdienste haben schon im vergangenen Jahr der Inflationsentwicklung hinterhergeschaut. Und 2022 gibt es eine ganz schwierige Tarifrunde für die Gewerkschaften 
    „Nicht nur der Blick auf die (weiter steigenden) Sprit- oder Gaspreise lässt viele derzeit Schlimmes befürchten. Auf breiter Front steigen die Preise und wenn man sich anschaut, mit welchen Preissprüngen die dem Endverbrauch vorgelagerten Produktionsstufen konfrontiert sind, dann kann man sich ausrechnen, was und in welcher Größenordnung in den kommenden Monaten an die Verbraucher weitergegeben wird. (…) Wie dem auch sei – bereits im vergangenen Jahr, das mit einer jahresdurchschnittlichen Preissteigerungsrate von 3,1 Prozent abgeschlossen wurde, hat die Lohnentwicklung in den „besseren Etagen“ – also bei den Tariflöhnen – schlapp gemacht. (…) Was man in aller Deutlichkeit erkennen kann ist der Sinkflug der Tarifverdienste. Und der gleichzeitige starke Anstieg der Inflationsrate. (…) Insgesamt verhandeln die DGB-Gewerkschaften im Jahr 2022 für knapp 10 Millionen Beschäftigte neue Vergütungstarifverträge. Wie gehen die Gewerkschaften mit der mehrfach misslichen Situation um? (…) Auch bei dem ausgewiesenen Tarifexperten Reinhard Bispinck taucht die Begrifflichkeit auf, schon in der Überschrift seines Blog-Beitrags Tarifrunde 2022 zwischen Kaufkraftsteigerung und Preis-Lohn-Spirale. In seinem Text weist er allerdings – jenseits einer reinen Begriffshuberei – richtigerweise darauf hin: »Wenn schon, dann sollte von einer Preis-Lohn-Preisspirale die Rede sein. Immerhin reagieren im Zweifelsfall die Löhne auf die vorangegangene Preisentwicklung. Ignoriert wird im Übrigen, dass Preissteigerungen keineswegs die automatische (!) Folge von (Lohn-)Kostensteigerungen sein müssen. Deren komplette Weitergabe ist kein Naturgesetz und es gibt auch kein Grundrecht auf eine bestimmte Gewinnmarge. Es geht also immer um Löhne, Preise und Profite.« (…) »Tarifpolitik ist immer auch ein Verteilungskampf, dessen Ergebnis auch vom Kräfteverhältnis der Tarifvertragsparteien abhängt«, so Bispinck. Das ist ein wichtiger Punkt. Um wenn geht es denn in der aktuellen Tarifrunde? Und wie sind „die Kräfteverhältnisse“? »Was fordern nun die Gewerkschaften konkret? Bislang bewegen sich die tariflichen Entgeltforderungen zwischen 5 und 6,5 Prozent auf 12 Monate bezogen. Das ist keineswegs dramatisch mehr als in den Vorjahren (2021: 4,0 – 6,0 % | 2020: 4,8 – 6,8 % | 2019: 5,0 – 6,0 %). Nicht alle Gewerkschaften haben ihre Forderungen schon beschlossen. Offen ist zum Beispiel die Situation in der Metallindustrie, wo die Verträge erst Ende September auslaufen.« (…) Man kann es drehen und wenden wie man will – aber die bereits angelaufenen und noch ausstehenden Tarifverhandlungen der Branchen im engeren Sinne (…) betreffen eine überschaubare Zahl an Branchen und in den beiden exportorientierten Schwergewichten, also der chemischen Industrie wie auch der Metallindustrie wird der Spielraum für deutliche Lohnerhöhungen durch die zahlreichen exogenen negativen Einflussfaktoren eingedampft werden. Allein durch den Verweis auf die turbulenten und außergewöhnlichen Entwicklungen wird die andere Verhandlungsseite substanzielle Lohnanhebungen abblocken können, ob einem das gefällt oder nicht.“ Beitrag von Stefan Sell vom 3. März 2022 auf seiner Homepage externer Link
  • Dem Phantom der „Lohn-Preis-Spirale“ entgegentreten! Die anstehenden Tarifverhandlungen müssen die Teuerungsrate berücksichtigen 
    „Ende 2021 wurde deutlich, dass die hohe Teuerungsrate so schnell nicht wieder sinken wird. Die gewerkschaftsoffiziellen Reaktionen auf diese Entwicklung sind extrem leise und haben mit dem Abschluss des Tarifvertrags im Öffentlichen Dienst (Länder) vom November einen traurigen Tiefpunkt erreicht. (…) 2022 stehen Tarifverhandlungen für rund 10 Mio. Beschäftigte an, doch bislang ist nicht zu erkennen, dass die Gewerkschaftsvorstände darauf orientieren, die Verluste der beiden vergangenen Jahre auszugleichen und einem Reallohnverlust im Jahr 2022 tatsächlich vorzubeugen. Die Gegenseite ist da viel besser aufgestellt und aktiviert seit Wochen über diverse Kanäle ihre Propaganda, dass höhere Lohnabschlüsse für die Gesamtbevölkerung sehr schädlich seien, weil damit die Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt werde (…). Da diese Propaganda sogar bis in Gewerkschaftskreise hinein ihre Wirkung entfaltet, ist es angebracht, an ein paar Grunderkenntnisse konsequenter Tarifpolitik zu erinnern. (…) Erstens sind Lohnerhöhungen in einem bestimmten Bereich nur zu einem Bruchteil kostenrelevant (…) und wirken sich nicht automatisch auf alle anderen Bereiche aus. Erst wenn sich diese Entwicklung verallgemeinert hat, steigt das Gesamtlohnniveau und wird dann seine Auswirkung auf die Kostenstruktur haben können. Zweitens hat eine Lohnerhöhung nur dann eine Auswirkung auf die Kostenstruktur des Unternehmens, wenn die Höhe der Gewinne als gegeben und unveränderbar hingenommen wird. Letztlich ist dies der springende Punkt bei der „Lohn-Preis-Spirale“. Sie stimmt dann, wenn wir es als gerechtfertigt ansehen, dass die Eigner der Produktionsmittel weiterhin ungeschmälert ihre Gewinne machen. Bei laufenden Tarifverträgen – erst recht, wenn sie über 24 und noch mehr Monate laufen – kommen die Produktivitätsfortschritte uneingeschränkt der Kapitalseite zugute (in der Chemieindustrie läuft der aktuell noch gültige Tarifvertrag über 29 Monate). Und wenn die Teuerungsrate so groß ist wie zurzeit, dann liegt es an den abhängig Beschäftigten und ihren Gewerkschaften, dieser Entwicklung nicht länger tatenlos zuzuschauen und stattdessen Gegenmaßnahmen zu ergreifen. (…) Wenn nicht die Gewinne der Maßstab sind, sondern die Interessen der abhängig Beschäftigten, dann muss angesichts der laufenden (zum Teil bis 2023 geltenden) Tarifverträge intensiv über einen Nachschlag während der laufenden Tarifverträge diskutiert werden. Das muss in den Betrieben laufen, aber auch auf der überbetrieblichen Ebene. Angesichts der Untätigkeit der Gewerkschaftsvorstände kommt damit einer Koordinierung solcher Diskussionen eine besondere Bedeutung bei. Klinken wir uns also ein und machen wir Mut für eine Bewegung von unten.“ Beitrag von Jakob Schäfer aus der Soz Nr. 02/2022 externer Link
  • [IMK] „Inflation: Familien und Paare mit mittlerem Einkommen derzeit am stärksten betroffen“ – weil Ärmere sich Vieles ohnehin nicht leisten können 
    Familien mit Kindern und mittlerem Einkommen sowie kinderlose Paare mit mittlerem Einkommen tragen aktuell die höchste Inflationsbelastung: Gemessen an einem für diese Haushaltstypen repräsentativen Warenkorb sind die Preise im Dezember 2021 um 5,5 Prozent gestiegen. Dagegen wiesen Alleinstehende mit niedrigem Einkommen die im Vergleich geringste haushaltsspezifische Teuerungsrate mit 4,4 Prozent auf. Auch für Singles mit hohen und mittleren Einkommen lagen die Raten mit 4,7 bzw. 5,0 Prozent im Dezember etwas unter der allgemeinen Preissteigerung von 5,3 Prozent. Bei Familienhaushalten mit zwei Kindern und niedrigem Einkommen waren es 5,3, bei Familien mit höherem Einkommen 5,4 Prozent. Schaut man auf die Inflationsraten für das gesamte Jahr 2021, zeigt sich ein ähnliches Muster auf deutlich niedrigerem Niveau: Während im deutschen Durchschnitt der Verbraucherpreisindex um 3,1 Prozent stieg, reichten die haushaltsspezifischen Raten von 2,6 Prozent bei Singles mit niedrigem Einkommen bis zu jeweils 3,3 Prozent bei Familien mit zwei Kindern und niedrigem beziehungsweise mittlerem Einkommen. Das ergibt der IMK Inflationsmonitor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Die neue Auswertung liefert künftig monatlich die spezifischen Teuerungsraten für acht repräsentative Haushaltstypen, die sich nach Personenzahl und Einkommen unterscheiden. (…) „Grob zusammengefasst lässt sich schlussfolgern, dass die Inflation gegenwärtig nicht überproportional Haushalte mit geringeren Einkommen trifft“, fasst Tober das aktuell beobachtete Muster zusammen. Allerdings erweist sich etwa die vergleichsweise niedrigere Inflationsrate bei Alleinstehenden mit geringem Einkommen als zweischneidig – auch über das Problem fehlender Rücklagen hinaus. Denn diese Haushalte sind stark von den erheblichen Preisanstiegen bei Lebensmitteln und insbesondere Haushaltsenergie betroffen – Güter des Grundbedarfs, deren Konsum sie kaum reduzieren können. Dass ihre haushaltsspezifische Inflation derzeit unterdurchschnittlich ausfällt, liegt vor allem schlicht daran, dass sie sich andere Waren und Dienstleistungen, deren Preise ebenfalls stark zugelegt haben, ohnehin nicht leisten können. Das gilt vor allem für Benzin und andere Ausgaben fürs Auto sowie beispielsweise für Reisen…“ IMK-Pressemitteilung vom 21.01.2022 externer Link zu Silke Tober: IMK Inflationsmonitor – Haushaltsspezifische Teuerungsraten: Wie stark unterscheidet sich die Belastung durch Inflation? IMK Policy Brief Nr. 114, Januar 2022 externer Link
  • Unsoziale Inflation: Wenn die Verbraucherpreise steigen, trifft das nicht alle Bevölkerungsgruppen gleich
    „Während vor allem Haushalte mit höherem Einkommen in der Corona-Pandemie besonders viel sparen, werden anderswo die Mittel zusehends knapper. So befinden sich in Deutschland aktuell 6,6 Millionen Verbraucher »im Dispo« – jeder zehnte Erwachsene hat also sein Bankkonto überzogen und zahlt teure Zinsen für einen Dispokredit. Mit einem Plus von 17 Prozent sind dies deutlich mehr als vor einem Jahr. Dies ergab eine repräsentative Umfrage für das Kreditportal Smava. Ein Grund für die knappen Kassen ist die Inflation. Im Dezember waren die Verbraucherpreise laut Statistischem Bundesamt um 5,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gestiegen. Das lag sogar etwas über dem Durchschnitt in der Eurozone insgesamt, der 5 Prozent betrug, wie Eurostat am Donnerstag vermeldete. Doch wenn die Preise steigen, trifft es nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen. So ist die Inflationsrate der Haushalte mit einem geringeren Einkommen tendenziell höher als jene der reicheren Haushalte. Schuld sind unterschiedliche Konsummuster. Das industrienahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat die Inflationsraten für verschiedene Haushaltstypen seit Mitte der 90er Jahre ermittelt. Dazu teilten die Forscher die Konsumgüter danach auf, ob sie sich in den vergangenen Jahren stärker, gleichermaßen oder weniger verteuert haben. »Je reicher der Haushalt, desto größer ist der Anteil jener Waren und Dienstleistungen am Gesamtkonsum, deren Preise unterdurchschnittlich gestiegen sind«, schreiben die IW-Experten. Im Ergebnis sei die Inflationsrate der Haushalte umso niedriger, je höher ihr Nettoeinkommen ist. Dies liege unter anderem daran, dass reichere Haushalte einen größeren Anteil ihres Budgets für Elektronikprodukte ausgeben, die seit den 90er Jahren deutlich günstiger geworden sind. In einer durchschnittlichen Fünfjahresperiode im Zeitraum zwischen 1995 und 2021 betrug laut IW die Inflationsrate für Haushalte mit einem monatlichen Nettoeinkommen von weniger als 900 Euro 6,6 Prozent – die Preise des typischen Warenkorbs der Haushalte mit einem Einkommen von mehr als 5000 Euro netto pro Monat stiegen dagegen nur um 5,5 Prozent. Ein ähnlicher Effekt tritt auf, wenn man lediglich das Alter berücksichtigt. So spielen für Haushalte mit zunehmendem Alter ihrer Bewohner jene Waren und Dienstleistungen eine immer größere Rolle, die sich um die Gesundheit drehen. Deren Preise wiederum sind verhältnismäßig stark gestiegen. Nun mögen die Unterschiede in Prozentpunkten auf den ersten Blick nicht allzu gravierend erscheinen. Längerfristig sind die Differenzen jedoch erheblich: In den Haushalten mit den höchsten Einkommen fiel die gesamte Preissteigerung seit 1995 mit 28 Prozent um fast 6 Prozentpunkte geringer aus als in den Haushalten mit den niedrigsten Einkommen. Zwar liegen bislang keine wissenschaftlichen Studien dazu vor, aber aktuell dürften die Auswirkungen der Inflation noch ungleichmäßiger verteilt sein. Das liegt vor allem an der Explosion der Energiepreise…“ Artikel von Hermannus Pfeiffer vom 20. Januar 2022 in neues Deutschland online externer Link
  • Inflation verbieten? Gegen die Teuerung werden staatliche Preiskontrollen ins Spiel gebracht. Sie sind ein zweischneidiges Schwert
    „… Um die Teuerung zu bremsen, fordern die einen staatliches Sparen und ein Ende der Politik des leichten Geldes. Ein neuer Vorschlag geht das Phänomen auf direktem Wege an: Preiskontrollen könnten den Inflationsdruck mindern. Doch dürfte damit das grundsätzliche Problem nicht gelöst werden. (…) Höhere Zinsen dagegen könnten vielerorts die Schuldentragfähigkeit wie auch den Erfolg der Transformation gefährden. An diesem Punkt setzt die Ökonomin Isabella Weber an: In einem weltweit viel beachteten Essay für die britische Zeitung »Guardian« externer Link warnt sie vor Zinserhöhungen und schlägt eine andere Lösung vor: »Wir verfügen über eine wirkungsvolle Waffe im Kampf gegen Inflation: Preiskontrollen. Es ist Zeit, darüber nachzudenken.« Laut Weber ist »ein kritischer Faktor, der die Preise treibt, bislang weitgehend übersehen worden: die Explosion der Profite«. So hätten in den USA die Gewinnspannen 2021 Höhen wie zuletzt nach dem Zweiten Weltkrieg erreicht. Gerade mächtige Unternehmen nutzten Knappheiten und Lieferprobleme im Zuge der Pandemie aus, um ihre Güter zu verteuern und so Extra-Profite einzufahren. In Deutschland wird den 40 Konzernen aus dem Deutschen Aktienindex für 2021 ein Gewinnplus von 50 Prozent prognostiziert. »Den Aktionären winkt daher 2022 ein Dividendenboom«, so die Commerzbank.
    Weber bringt nun »strategische Preiskontrollen« ins Spiel und verweist auf entsprechende Maßnahmen im Zweiten Weltkrieg oder in den 1970er Jahren in den USA, die die Inflation vorübergehend gebremst hätten. (…) Der Einsatz von Preiskontrollen wäre das Eingeständnis einer Regierung, dass der Wert des nationalen Geldes erodiert und dies bloß durch staatliche Preisfestsetzung maskiert kann. Damit sendet eine Regierung laut Smith »das gefährliche Signal an die Öffentlichkeit, dass die Zentralbank gegen die Entwertung nicht angehen wird«. Mit »Öffentlichkeit« sind hier weniger die Lohnabhängigen gemeint, die ihr Geld zum Leben brauchen und die verlangten Preise zahlen müssen. Gemeint sind vor allem die internationalen Investoren an den Finanzmärkten, die ihre Investments in Sicherheit bringen würden. Preiskontrollen sind daher kein Mittel, die Kreditwürdigkeit eines Landes in Zeiten steigender Inflation aufrechtzuerhalten. Und genau diese Kreditwürdigkeit brauchen die großen Industriestaaten in Zukunft, um ihre billionenschweren Ausgabenprogramme zu finanzieren. Preiskontrollen wird es daher kaum geben…“ Artikel von Stephan Kaufmann vom 7. Januar 2022 in neues Deutschland online externer Link – siehe Isabella Weber auf Twitter externer Link
  • Von Tarif- und anderen Löhnen, einer Inflation, die das Land spaltet und dem Schlossgespenst der „Lohn-Preis-Spirale“ 
    „»Derzeit ist viel die Rede von der angeblichen Gefahr einer sogenannten Lohn-Preis-Spirale. Das bedeutet, dass Gewerkschaften aufgrund der Preiserhöhungen höhere Löhne einfordern, was wiederum die Inflationsrate nach oben drückt. Doch tatsächlich ist – bis auf die hohe Teuerungsrate – davon noch nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil: So sind die Tarifabschlüsse dieses Jahr besonders niedrig und bedeuteten für die Beschäftigten letztlich Reallohnverluste«, kann man diesem Artikel entnehmen: Inflation frisst Löhne auf. Die Bedeutung dessen, was da gerade vor unseren Augen abläuft, kann man dieser Formulierung entnehmen: »Wegen der hohen Inflation schrumpfen die Tarifgehälter preisbereinigt um 1,4 Prozent – das gab es seit Jahrzehnten nicht«, so Alexander Hagelüken unter der Überschrift Arbeitnehmer verlieren real Einkommen. Die Gewerkschaften haben sich offensichtlich vor dem Hintergrund der Corona-Krise zurückgehalten: »Vor Abzug der Inflation nahmen die Tarifgehälter bundesweit mit 1,7 Prozent geringer zu als in früheren Jahren – zwischen 2012 und 2019 waren die Löhne nominal immer zwischen 2,4 und 3,1 Prozent gewachsen.« (…) In den vergangenen 20 Jahren gab es nur drei Mal Reallohnverluste, und die waren mit je 0,1 Prozent geringer als dieses Jahr. In den 2010-er Jahren stiegen die Reallöhne durchschnittlich jedes Jahr um 1,4 Prozent.« Und bevor man an dieser Stelle das Original aufruft, dem die Daten entnommen wurden, sei dieser wichtige Hinweis von Hagelüken zur Einordnung der Zahlen zitiert: Sie erfassen »nur die rund 20 Millionen Arbeitnehmer, die nach Tarif bezahlt werden … Wer nicht nach einem gewerkschaftlich ausgehandelten Tarif bezahlt wird, verdient oft weniger – hat also durch die Inflation wahrscheinlich ein noch größeres Problem.« Und man liegt nicht falsch, wenn man hier vermutet, dass die Nicht-Tarifbindung vor allem in den Segmenten des Arbeitsmarktes besonders niedrig ist, wo sowieso bereits niedrige Löhne an sich und dann oftmals auch nicht die anderen, tarifvertraglichen Leistungen gezahlt werden, so dass dort die negative Betroffenheit von höherer Inflation gleichsam gedoppelt wird. (…) Inflation trifft vor allem ärmere Haushalte und Rentner, so das IW unter der Überschrift Inflation: Wer die größte Last trägt (…) »Der höhere Konsum einkommensstarker Haushalte verzerrt die durchschnittliche Statistik in eine Richtung, welche die Lebensrealität vieler Haushalte nicht abbildet. Auf Basis der Konsumerhebung wurde die Verteilung der Inflationsrate über alle Haushalte daher genauer untersucht. Die Ergebnisse sind eindeutig: Die Teuerungsraten waren für verschiedene sozioökonomische Gruppen im Zeitraum 2016–2019 überaus unterschiedlich: Einkommensschwache Haushalte litten unter einer überdurchschnittlichen Teuerung, während Haushalte mit hohen Einkommen unterdurchschnittlich von Inflation betroffen waren.«“ Beitrag von Stefan Sell vom 13. Dezember 2021 auf seiner Homepage externer Link
  • Ein teurer Winter. Die Inflationsrate steigt, und an die abhängig Beschäftigten ergeht der Appell, ihren Kaufkraftverlust hinzunehmen
    Die Inflationsrate in Deutschland ist im November auf 5,2 Prozent gesprungen. Verteuert haben sich vor allem Güter des täglichen Bedarfs: Nahrungsmittel kosteten im Schnitt 4,5 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, Energie sogar 22 Prozent mehr. »Es droht der teuerste Winter seit Jahrzehnten!«, wetterte die »Bild«-Zeitung schon vor Wochen. Olaf Scholz »verhandelt mit Grünen und FDP lieber über die Verteilung der Ministerposten«, anstatt die »Rekord-Preise« zu kommentieren. Dieser Aufforderung kam der künftige Kanzler diese Woche nach: »Wir müssen das ganz, ganz sorgfältig beobachten«, sagte Scholz in Bild-TV. Sollte die Inflationsrate nicht wieder sinken, »müssen wir was tun«. Laut Ökonomen wird die Rate aber bald wieder sinken. (…) Zumindest für die »Bild«-Zeitung steht fest, wer die Verantwortung für die höhere Inflationsrate trägt: Die Europäische Zentralbank (EZB). Von der neuen Regierung fordert das Blatt neben »preußischer Etat-Strenge« und der Einhaltung der Schuldenbremse (…) Wie schon zu früheren Zeiten (Griechenland-Krise, »Butter-Euro«) werden hier die Deutschen als Opfer des Euro-Systems, also letztlich des Auslands vorgeführt. Und wie schon zu früheren Zeiten ist diese Darstellung verkehrt. (…)  Zudem »haben etliche Dienstleister wie Restaurants, Hotels, Friseure, Handwerker seit den Sommermonaten 2021 ihre Preise erhöht, um Umsatzausfälle wettzumachen«, erklärt die Commerzbank. Im Klartext: Im Zuge von Konjunkturaufschwung und steigender Nachfrage haben viele Unternehmen die Gelegenheit genutzt, ihre Preise zu erhöhen, um Umsatz und Gewinn zu steigern. (…) Die abhängig Beschäftigten dagegen erleiden einen Verlust an Kaufkraft – sie werden ärmer. So stiegen die Tarifverdienste in Deutschland im dritten Quartal 2021 um durchschnittlich 0,9 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal, meldete diese Woche das Statistische Bundesamt, das war der geringste Anstieg seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2010. Im gleichen Zeitraum legten die Verbraucherpreise um 3,9 Prozent zu. Für das Gesamtjahr prognostiziert die Commerzbank ein Plus bei der Tarifverdiensten von rund 1,5 Prozent, die Inflationsrate werde etwa doppelt so hoch liegen. (…) An die Beschäftigten und ihre gewerkschaftliche Vertretung ergeht nun die Mahnung, diese Verluste hinzunehmen und sich bei den kommenden Lohnverhandlungen zurückzuhalten. Denn sollten »die Gewerkschaften die Lohnforderungen des nächsten Jahres um die Inflation dieses Jahres erhöhen«, so der Ökonom Hans Werner Sinn, dann »setzt sich eine Lohn-Preis-Spirale in Gang, die sich mehrere Jahre drehen kann«. Im Klartext: Die Beschäftigten dürfen nicht versuchen, ihren Kaufkraftverlust zu kompensieren, weil dann die Unternehmen ihnen die wiedergewonnene Kaufkraft über Preiserhöhungen wieder abnehmen. An dem daraus folgenden Inflationsschub wären laut Ökonomen dann die Gewerkschaften schuld. Die Lohnabhängigen sollen sich also in Verzicht und Bescheidenheit üben. Danach sieht es derzeit auch aus…“ Artikel von Stephan Kaufmann vom 03.12.2021 im ND online externer Link
  • Preisanstieg: Mit ihrer „moderaten Lohnpolitik“ haben die Gewerkschaften sich selbst ins Abseits geschossen 
    Das Statistische Bundesamt hat für den September 2021 eine Steigerung des Verbraucherpreisindex um 4,1 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gemeldet und damit den höchsten Wert seit 1993 markiert. Verantwortlich dafür sind vor allem die Erhöhungen der Energie- und Lebensmittelpreise. Den Gewerkschaften ist ihre moderate Lohnpolitik nun auf die eigenen Füße gefallen. In den vergangenen 20 Jahren haben die Tarifabschlüsse zu keinen Reallohnsteigerungen geführt und bei den nicht tarifgebunden Unternehmen und prekär Beschäftigten sogar zu massive Lohneinbußen, die mit staatlichen Mitteln aufgestockt werden müssen und die Menschen trotz alledem nicht vor Armut schützen. Im Folgenden wird die Komplexität gewerkschaftlicher Lohnpolitik beschrieben, die sich nicht damit begnügen sollte, sich an dem Verbraucherpreisindex zu orientieren und den Unternehmen die hohen Exporterlöse zu garantieren. Das soziale Sicherungssystem ist in Deutschland auf die Lohnarbeit ausgerichtet, egal ob HARTZ-IV-Regelbedarfe mit ihren Lohnabstandsgebot, die Höhe von Alters- oder Erwerbsminderungsrente, Kurzarbeiter-, Insolvenz-, Kranken- oder Arbeitslosengeld, alles richtet sich nach dem Arbeitsentgelt, den Löhnen aus den sozialversichersicherungspflichtigen abhängigen Arbeitsverhältnissen. Wenn aber oben auf der politischen Agenda seit 30 Jahren der Ausbau des Niedriglohnsektors steht und die Reallöhne kontinuierlich gesunken sind, darf man sich nicht wundern, wenn auch die an die Löhne gebundenen Sozialleistungen zu niedrig sind. In der derzeitigen Krise wird der Ruf nach höheren Sozialleistungen als Einmalzahlung oder als zeitlich begrenzte regelmäßige Zahlung wieder lauter, ebenso die Forderung nach einer zurückhaltenden Lohnforderung an die Gewerkschaften – paradox – eigentlich zwei sich gegenseitig ausschließende Sachverhalte. Gewerkschaftliche Lohnpolitik ist mehr als um ein paar Prozentpunkte zu kämpfen…“ Beitrag vom 5. November 2021 von und beim Gewerkschaftsforum externer Link
  • „Unser Geld“, das gibt es nicht. Die Preise steigen steil an, die Gründe dafür sind vielfältig. Bezahlen muss aber vor allem eine Gruppe: die Beschäftigten 
    „Wer im Kapitalismus etwas braucht, muss es kaufen. Vor Genuss oder Verbrauch hat der Markt die Zahlung gesetzt. (…) Wer sich etwas nicht leisten kann, muss halt mehr verdienen. Nur selten werden die Preise zum politischen Thema – wenn sie schneller steigen als gewöhnlich. Dann besteht „Inflationsgefahr“, so wie derzeit, und es wird debattiert, ob die aktuell hohe Inflationsrate vorübergehend oder von Dauer ist, ob die „Mega-Inflation unser Geld“ auffrisst (…) oder nur Teile davon. Bemerkenswert ist, dass unter dem Warnruf „Inflationsgefahr“ vier ganz unterschiedliche Notlagen vermischt werden. Da sind erstens die Konsument:innen, die vom Preisanstieg betroffen sind. Obst, Benzin, Erdgas, Computer – alles wird teurer. Das bedeutet, dass größere Teile des Haushaltsbudgets dafür draufgehen. Inflation macht Verbraucher also zunächst ärmer. Und sie trifft vor allem jene, die ohnehin wenig Geld haben: 34 Millionen Menschen in der Europäischen Union fehlen die Mittel für ausreichend Strom und Heizung. In Deutschland befördert armutsbedingte Mangelernährung die Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen Armen und Reichen. Gelöst werden könnte das Problem steigender Preise dadurch, dass die Konsumentinnen mehr verdienen. Doch das wird zum einen politisch unterbunden – Sozialhilfeempfänger erhalten nächstes Jahr 0,76 Prozent mehr Geld, obwohl die Inflationsrate aktuell mehr als vier Prozent beträgt. Zum anderen wird sogar davor gewarnt, dass die Löhne stark steigen könnten in Zeiten, in denen für die Unternehmen ohnehin alles teurer wird. Damit ist man bei der zweiten Gruppe: den produzierenden Unternehmen, deren Kalkulationen unter steigenden Preisen für Rohstoffe und Vorprodukte leiden. (…) Für die dritte Gruppe ist Inflation eigentlich kein Problem, sondern nur ein Faktor bei der Bewertung von Investitionsalternativen: Finanzanleger reagieren auf dauerhaft höhere Inflation, indem sie höhere Zinsen fordern oder ihre Investitionen in Anlagen mit höheren Renditen – Aktien, Immobilien – umschichten. Auf diese Weise gleichen sie den inflationsbedingten Renditeverlust aus. (…) Grund zur Sorge, darin sind sich derzeit alle Wirtschaftsexperten einig, besteht aber nur, wenn die Geldentwertung dauerhaft hoch bleibt. Das ist aber unwahrscheinlich, solange die Löhne nicht stark steigen, es also keine „Lohn-Preis-Spirale“ gibt. Dass die abhängig Beschäftigten den Kaufkraftverlust durch entsprechende Lohnerhöhungen kompensieren könnten – das scheint derzeit die größte Gefahr für das Weltfinanzsystem und „unser Geld“ zu sein.“ Artikel von Stephan Kaufmann vom 21. Oktober 2021 im Freitag 42/2021 externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=193248
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