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[Am Bsp. Spanien] Pflegekräfte in der Pandemie: »Wir fühlen uns wie Nummern«

Dossier

Streikwelle in Spanien im Oktober 2020: Gesundheitswesen, Universitäten – und Widerstand gegen EntlassungspläneDie Situation von Pflegekräften sowohl in Krankenhäusern als auch in der Heim- oder Privatpflege war bereits vor der Pandemie prekär. Die Bezahlung, die Arbeitsbedingungen und insbesondere der fehlende Gesundheitsschutz unterlaufen die eigentlich notwendigen Maßnahmen, um schutzbedürftige Menschen würdevoll zu begleiten. Seit der ersten Welle der Pandemie hat der Spanische Staat trotz der Zunahme von Aufgaben und Problemen weiter eingespart und privatisiert. Privatkonzerne machen Gewinne, während Menschen durch die Einsparungen nicht versorgt werden können und ums Leben kommen. Dagegen wehren sich die Pflegekräfte und rufen immer wieder zu Protesten und Streiks auf. Aber auch die Angehörigen der vernachlässigten Pflegebedürftigen machen mobil. Sie fordern Aufklärung über die Bedingungen unter denen ihre Familienmitglieder in Heimen und Wohnungen verstarben. Hierzu beleuchten wir weitere Hintergründe:

  • Die Konsequenzen der spanischen Pandemiepolitik: Die Bewegung Residencias y SAD kämpft für die Offenlegung der Vernachlässigung und fahrlässigen Tötung tausender schutzbedürftiger MenschenNew
    • „… Die Bewegung „Residencias y SAD“ Katalonien haben ‚alle Bürger:innen zur Teilnahme an der Kundgebung und der anschließenden Pressekonferenz vor der Staatsanwaltschaft des Obersten Gerichtshofs von Katalonien‘ aufgerufen. Die Sitzung findet am 14. Juli um 11.30 Uhr statt. (…)
      Sie prangern die ‚Kommerzialisierung sozialer Rechte durch die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen wie Wohnheime und den häuslichen Pflegedienst (SAD) an, in denen private Unternehmen auf Kosten der Bedürfnisse von Menschen in einer Situation der Abhängigkeit Geschäfte machen, und dies alles mit öffentlichen Geldern, was abhängige Menschen, ausgebeutete Arbeitnehmer:innen und ihre jeweiligen Familien betrifft“(…)
      ‚Wir haben es satt, sehr satt, eine Verwaltung und Politiker zu sehen, die schutzbedürftigen Menschen den Rücken zukehren, die sie nicht als die Bürger:innen behandeln, die sie sind. Wir fordern Gerechtigkeit und eine Untersuchung der Geschehnisse während der ersten Welle der Pandemie, insbesondere als uns der Zugang zu den Wohnungen verwehrt wurde. Man muss wissen, unter welchen Umständen unsere Verwandten leben mussten, die, wie wir erfahren haben, zwischen Leichen leben mussten, Menschen, die von Vernachlässigung und Misshandlung berichtet haben. (…) ‚Meine Mutter starb zu Beginn der Pandemie, im April, in einem Pflegeheim in der Stadt Sant Joan Despí, als jeden Tag viele ältere Menschen starben. Meine Mutter war nur ein weiteres Opfer, wie so viele ältere Menschen. Sie wurde nicht medizinisch versorgt, sie wurde nicht in ein Krankenhaus überwiesen‘. Sie meldete der Staatsanwaltschaft eine Reihe von Tatsachen, die sie als Vernachlässigung, Vernachlässigung und sogar Misshandlung ihrer Mutter ansah. Die Staatsanwaltschaft hat die Beschwerden eingestellt. Ihre Mutter starb ‚allein und verlassen‘.
      Enriqueta López erzählt, dass ihre Mutter in einem Pflegeheim in La Barceloneta starb: ‚Meine Mutter ertrank in ihrem eigenen Erbrochenen, weil die Leute, die sich um sie kümmern sollten, nicht da waren, um sich um sie zu kümmern. Ich habe drei Anträge an die Staatsanwaltschaft gestellt, um den Fall meiner Mutter zu überprüfen, da wir glauben, dass sie von den Personen, die sich im Heim um sie kümmern sollten, vernachlässigt und im Stich gelassen wurde. Alle drei Beschwerden sind eingereicht worden. Die Staatsanwaltschaft hat uns nie um einen Bericht gebeten und wollte auch nicht wissen, wie wir den Sachverhalt sehen oder was wir in dieser Angelegenheit zu sagen haben. Wir wollen Gerechtigkeit und fühlen uns seitens der Staatsanwaltschaft hilflos: Wir müssen die Wahrheit erfahren, unter welchen Bedingungen und warum meine Mutter gestorben ist und was die Verantwortlichen getan haben. Diese Informationen und Aufmerksamkeit werden uns seit mehr als zwei Jahren vorenthalten. Wir fordern, dass unsere Stimmen gehört werden und dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird.
      Javier Garzón erklärt: „Das Traurigste ist zu wissen, dass viele dieser Todesfälle hätten vermieden werden können, und auch das Leid vieler Menschen hätte vermieden werden können. Dies wurde bereits vor der Pandemie angeprangert, und niemand hat etwas unternommen…“ Artikel von Beatriz Talegón, erschienen am 11. Juli 2022 in Diario16 externer Link („El Movimiento de Residencias y SAD hace un llamamiento para exigir a la fiscalía que investigue lo sucedido con sus familiares”).

      • Siehe dazu auch: #ElSilencioCreaCómplices #ResidenciasAbandonadas #ResidenciasAlLimite #SOSResidències
  • Streiks gegen Gesundheitsnotstand. Baskenland: Beschäftigte kämpfen gegen Rückbau des öffentlichen Gesundheitsdienstes
    Nach den Mobilisierungen im Februar organisierten die Gewerkschaften ELA, LAB, SATSE, ESK, sowie CCOO und UGT am vergangenen Freitag erneut einen eintägigen Ausstand der Beschäftigten bei Osakidetza, dem Gesundheitsdienst der Autonomen Gemeinschaft Baskenland.
    Der Schwerpunkt lag im Bereich der Primärversorgung. Laut Angaben der aufrufenden Gewerkschaften beteiligten sich mehr als fünfzig Prozent der Beschäftigten an den Protesten in den drei baskischen Provinzhauptstädten. Unterstützt wurden die Streikenden wieder von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis, wie beispielsweise der Bewegung der Rentnerinnen und Rentner. (…) Die derzeitige Zahl der Ärzte reiche nicht aus: In einigen Ambulanzen seien nur 25 Prozent der zugelassenen Arztstellen tatsächlich besetzt. Jedes Jahr gingen 2.200 Mitarbeiter in den Ruhestand – und es werden keine neuen Ärzte eingestellt. Diese Situation sei unerträglich für Beschäftigte wie für Patienten. (…) Ana Vázquez, Vertreterin der Gewerkschaft UGT, entwarf ein düsteres Bild der näheren Zukunft: Osakidetza habe seine Probleme jahrelang geleugnet. Ein weiteres Jahr werde der Gesundheitsdienst im Sommer seine Öffnungszeiten einschränken müssen. Statt den öffentlichen Gesundheitsdienst weiter kaputtzusparen und immer mehr Bereiche zu privatisieren, forderte sie, unverzüglich mehr Personal einzustellen und mehr finanzielle Mittel, um den Gesundheitsdienst besser ausstatten zu können. Alle gewerkschaftlichen Vertreterinnen und Vertreter forderten die Verantwortlichen von Osakidetza auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Diese hätten nach den Streiks im Februar nicht einmal die Bereitschaft gezeigt, über die Art und Weise von Verhandlungen mit den Arbeiterorganisationen zu sprechen. Die Leitung von Osakidetza sei nicht bereit zu verhandeln, sondern mache nur Propaganda, so Saavedra im Gespräch mit Berria. Die Gewerkschaftsvertreterinnen verlangten konkrete Schritte von der Politik sowie den sofortigen Rücktritt von Gesundheitsministerin Gotzone Sagardui von der christdemokratischen PNV. (…) Die Arbeitervertreter verwiesen auch auf Streiks in den kommmenden Wochen. So soll am 16. Mai in weiteren Bereichen des Gesundheitsdienstes gestreikt werden. Ana Tere Álvarez von LAB erinnerte daran, dass die Reinigungskräfte von Osakidetza in diesen Tagen ebenfalls gegen die Privatisierung ihres Bereichs streiken…“ Artikel von Jan Tillmanns in der jungen Welt vom 12.04.2022 externer Link

  • Widerstand gegen Ausverkauf: Massenmobilisierung gegen den Zusammenbruch des baskischen Gesundheitswesens. Breites Bündnis fordert sofortige Erhöhung der Personaldecke
    Sie haben die Schnauze voll: Am Wochenende demonstrierten mehrere tausend Menschen in den drei baskischen Provinzhauptstädten Bilbao, Donostia-San Sebastian und Vitoria-Gasteiz gegen die gegenwärtigen desolaten Zustände im baskischen Gesundheitswesen und gegen den bevorstehenden Rückbau der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Zu den Protesten aufgerufen hatte ein breites Bündnis aus Gewerkschaften unterschiedlicher politischer Couleur. Dabei waren die zur linken baskischen Unabhängigkeitsbewegung gehörenden bzw. ihr nahestehenden Arbeiterorganisationen LAB (Langile Abertzalean Batzordeak) und ELA (Eusko Langileen Alkartasuna) sowie die beiden größten spanischen Gewerkschaften CCOO (Comisiones Obreras) und die sozialdemokratische UGT (Unión general de trabajadores). Unterstützt wurden die Proteste von einer Vielzahl politischer Parteien, Nachbarschaftskomitees, der Bewegung der Rentner und Fachverbänden der Berufsgruppen aus dem Sorgebereich.
    »Der Zusammenbruch von Osakidetza (das baskische Gesundheitswesen, jW) ist ein offenes Geheimnis, und die Probleme sind auch nicht neu, sie haben nicht mit der Pandemie begonnen«, äußerten Teilnehmende der Demonstration ihren Unmut über die katastrophalen Zustände gegenüber der Zeitung Gara. Osakidetza leide unter Unzulänglichkeiten, die sich nicht nur auf die Verringerung des Personalbestands, sondern auch auf die Qualität der Pflege selbst auswirke, die unter den derzeitigen Bedingungen nicht gewährleistet werden könne, so die Demonstrierenden weiter. (…) Die Gewerkschaftsvertreterin Amaia Mayor erklärte in einem Gespräch mit der baskischen Zeitung Berria vor der Demonstration, dass der Zustand der medizinischen Grundversorgung unerträglich sei. Nach zwei Jahren Pandemie seien die Beschäftigten psychisch erschöpft. Viele Pflegende müssten Überstunden machen, um den täglichen Personalbedarf zu decken. Strukturelle Probleme würden auf diese Weise durch den persönlichen Einsatz der Fachkräfte von Osakidetza gelöst, so Mayor weiter.
    In Bilbao betonten die Gewerkschaftsverbände, dass die Situation, in der sich das öffentliche Gesundheitssystem in der Baskischen Autonomen Gemeinschaft aktuell befindet, kein Zufall sei. Vielmehr sei sie das Ergebnis einer kalkulierten Strategie, die die öffentliche gesundheitliche Primärversorgung zurückbauen wolle, während zugleich der privatwirtschaftliche Gesundheitsmarkt Rekordumsätze erreiche. Anstatt eine »garantierende« Politik zu betreiben, habe man beschlossen »zu kürzen« und »zu sparen«.
    Es sei unverständlich, dass bei rekordverdächtigen Infektionszahlen Dienstpläne eingeschränkt würden, Krankheits- oder Urlaubszeiten nicht ersetzt und zeitweise nur vier Ärzte im Einsatz sind, wo eigentlich elf sein sollten. Die Gewerkschaftsvertreter forderten sofortige Maßnahmen zur Behebung der desolaten Zustände. Als zeitnahe Schritte zur Sicherung der medizinischen Grundversorgung forderten sie eine sofortige Erhöhung der Personaldecke in allen Bereichen, Verbesserung der Arbeitsbedingungen sowie eine Stärkung der Finanzierung von Osakidetza…“ Artikel von Jan Tillmanns in der jungen Welt vom 25.01.2022 externer Link – siehe dazu auch einen aktuellen Beitrag bei der ELA externer Link (spanisch) und #osakidetza 
  • Pflegekräfte in ganz Europa arbeiten schon lange am Limit. Sie klagen über Kündigungen per SMS, Wochenverträge, schlechte Bezahlung und psychische Probleme. Die Delta-Welle könnte die Situation nun weiter zuspitzen. (…) In Spanien wurden bereits im Mai Pflegekräfte per SMS und WhatsApp-Nachricht darüber informiert, dass ihre Verträge kurzfristig nicht verlängert würden. Die Regionalregierung von Valencia hatte die Stellen erst zu Beginn der Pandemie neu besetzt, doch jetzt, zum Ende der dritten Welle, wurden sie wieder eingespart. »Wir rechnen damit, dass es auch in anderen Regionen solche Pläne gibt«, schreibt Manuel Cascos, Vorsitzender der Gewerkschaft SATSE (…) Tatsächlich ist die Situation in Spanien besonders prekär. Das Gesetz erlaubt Arbeitsverträge, die auf wenige Tage oder Wochen beschränkt sind. Im Gesundheitsbereich hatten im vergangenen Jahr 42 Prozent aller Angestellten bloß einen Zeitvertrag. (…) »Wir sind mit 5,9 Pflegekräften auf 1000 Einwohner das Schlusslicht in Europa…“ Artikel von Jan Petter vom 17.07.2021 im Spiegel online externer Link

Siehe auch im LabourNet:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=191893
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