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Solidarität mit Hanna! Über ein neues akademisches Klassenbewusstsein
„… Derzeit entlädt sich der Frust und die Wut vieler Nachwuchswissenschaftler*innen unter dem Hashtag #ichbinhanna. Worum geht es dabei? (…) Wütend waren diejenigen, deren Beschäftigungsverhältnisse gemeint sind: Der akademischen „Nachwuchs“. Um Missverständnissen vorzubeugen: Im deutschen Wissenschaftssystem werden nicht Studierende oder gar Schüler*innen als Nachwuchs gesehen, sondern alle wissenschaftlich Beschäftigten unterhalb der Professur. (…) Dahinter steckt die Idee, dass Innovation und Qualität durch Konkurrenz und einen hohen Durchlauf unterschiedlicher Personen gefördert werden. Erfahrungen, Wissensweitergabe und Kooperation dagegen zählen in dieser Sicht wenig bis gar nichts. Ein Schlag ins Gesicht für diejenigen, die die tendenziell eher wenig glamourösen Tätigkeiten von Lehre, Beratung und Verwaltung der Universität leisten. (…) Dass sie die strukturellen Rahmenbedingungen dessen zur Debatte stellen und benennen, welche psychischen und sozialen Folgen ein solches Verständnis von Arbeit hat, deutet auf ein neues Bewusstsein unter Akademiker*innen hin, im Rahmen dessen diese endlich nicht als Expert*innen im Elfenbeinturm auftreten – sondern als lohnabhängig Beschäftigte…“ Kommentar von Antonia Puck vom 14.5.2021 – wir danken!
Solidarität mit Hanna! Über ein neues akademisches Klassenbewusstsein
Es ist ein Rätsel, warum das BMBF glaubt, hochqualifizierte und medial versierte Akademiker*innen seien nicht in der Lage, seine in Kindersprache formulierten Erklärungen zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz richtig zu verstehen, kritisch zu analysieren und eine eigene Haltung hierzu einzunehmen. Gut, das Video über die fiktive befristet beschäftigte Wissenschaftlerin Hanna wurde bereits 2018 veröffentlicht (und inzwischen von der Homepage des BMBF entfernt, daher hier eine archivierte Version . Derzeit entlädt sich der Frust und die Wut vieler Nachwuchswissenschaftler*innen unter dem Hashtag #ichbinhanna . Worum geht es dabei?
Bereits im Dezember 2020 erntete das BMBF eine Menge Wut und Spott für einen Tweet, in dem es erklärte, warum „a certain degree of flexibility“ notwendig sei, um die Innovationsfähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems zu erhalten (siehe auch die Stellungnahme zur aktuellen Kontroverse vom 13.06.2021). Wütend waren diejenigen, deren Beschäftigungsverhältnisse gemeint sind: Der akademischen „Nachwuchs“.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Im deutschen Wissenschaftssystem werden nicht Studierende oder gar Schüler*innen als Nachwuchs gesehen, sondern alle wissenschaftlich Beschäftigten unterhalb der Professur. Diese Arbeit könnte gewürdigt werden, weil es im gesellschaftlichen Interesse liegt, dass Studierende gut ausgebildet werden oder relevante Forschung geleistet wird. Man könnte all dies außerdem für Daueraufgaben halten, die auch dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse (im Sinne von Entfristungen) fordert. Aber nein: An den Unis gilt all diese Arbeit skurrilerweise als Ausbildungsverhältnis. Sie wird wesentlich als (nur für Einige gangbarer) Weg zur Professur verstanden. Und um zu verhindern, dass nicht einzelne Personen diesen Weg „verstopfen“ (sprich längere Zeit auf einer Stelle arbeiten!) ist im Wissenschaftszeitvertragsgesetz ein komplexes System der Befristungsregelungen festgehalten, welches im Wesentlichen die Möglichkeit der Arbeit auf Qualifikationsstellen auf insgesamt 12 Jahre begrenzt (jeweils 6 Jahre für Promotion und Habilitation). Dies führt dazu, dass insgesamt etwa 80 Prozent der Wissenschaftler*innen in Deutschland befristet beschäftigt sind. Sie leisten einen Großteil der Arbeiten, die in Universitäten anfallen: Lehren, forschen, publizieren betreuen. Und sie beraten Studierende, arbeiten in der akademischen Selbstverwaltung, konzipieren und beantragen Forschungsprojekte.
Ein System, welches übrigens auch Vorgesetzte und Universitätsverwaltungen regelmäßig an die Grenzen des Machbaren bringt, unter anderem weil es für eine starke Diskontinuität sowie für eine Überlastung dauerhaft Beschäftigter sorgt. Vor allem aber bedeutete es, dass die Beschäftigung von Wissenschaftler*innen einer wahnwitzigen Idee von ‚Karriere‘ untergeordnet wird, deren Ausgang aufgrund vor Kettenbefristung um Kettenbefristung teils Jahrzehnte lang unsicher bleibt und denen alle anderen persönlichen Pläne untergeordnet werden sollen (während es faktisch nur eine kleine Minderheit am Ende auf die Professur schafft).
Dahinter steckt die Idee, dass Innovation und Qualität durch Konkurrenz und einen hohen Durchlauf unterschiedlicher Personen gefördert werden. Erfahrungen, Wissensweitergabe und Kooperation dagegen zählen in dieser Sicht wenig bis gar nichts. Ein Schlag ins Gesicht für diejenigen, die die tendenziell eher wenig glamourösen Tätigkeiten von Lehre, Beratung und Verwaltung der Universität leisten. Oder diejenigen, die nach Möglichkeiten wohlüberlegter und kritischer Forschung suchen, anstatt kurzfristige Debattentrends zu bedienen. Und ebenso ein Schlag ins Gesicht für all diejenigen, die durch diese Lebensphase navigieren in dem Glauben, sie könnten, wenn sie ‚alles richtig‘ machten, auch eine langfristige Beschäftigungsperspektive in ihrem Beruf finden. Und die nach häufigen Umzügen, langjähriger entgrenzter Arbeit, Krankheiten und aufgeschobenen Kinderwünschen feststellen, dass individuelle ‚Karrieren‘ in einem solchen Kontext nicht planbar sind.
Genau diesen Schlag ins Gesicht fasste das BMBF-Erklärvideo auf so prägnante Weise zusammen, dass tausende Wissenschaftler*innen sich dazu ermutigt fühlten, ihre eigenen Geschichten zu teilen. Geschichten von Gefühlen des Scheiterns, der traurigen Abkehr aus dem Beruf, von Unsicherheiten, Wut und Ängsten. Dabei werden auch Abhängigkeitsverhältnisse durchleuchtet, ebenso wie Rassismus und Sexismus in der Akademie und die Schwierigkeiten, sich angesichts der eigenen prekären Position dagegen zu wehren. (Für einen Überblick siehe Artikel bei jetzt.de vom 11.06.2021 und im Tagesspiegel vom 11.06.2021 ) Alles Fragen übrigens, die nicht erst seit gestern im Raum stehen, sondern seit Jahren durch lokale Mittelbauinitiativen (beispielsweise in Göttingen , Kassel oder Hamburg , die Basisgewerkschaft unter_bau in Frankfurt, Zusammenschlüsse studentischer Beschäftigter wie in der Kampagne TVStud , durch ver.di und GEW sowie das bundesweite Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft NGAWiss thematisiert werden. (Siehe hierzu auch das Dossier zur Kampagne „Frist ist Frust“)
Nun könnte man diese Debatte als das Jammern einer hochgradig privilegierten Beschäftigtengruppe abtun. Von gut ausgebildeten jungen Menschen, die auch außerhalb der Wissenschaft oder im Ausland gut entlohnte Beschäftigung finden. Damit würde man aber den Kern verkennen. Denn hier äußern sich Menschen, die gelernt haben, ihre Arbeit unter den Bedingungen von Konkurrenz und Unterordnung als individuelle Karriereleistung zu verstehen. Dass sie die strukturellen Rahmenbedingungen dessen zur Debatte stellen und benennen, welche psychischen und sozialen Folgen ein solches Verständnis von Arbeit hat, deutet auf ein neues Bewusstsein unter Akademiker*innen hin, im Rahmen dessen diese endlich nicht als Expert*innen im Elfenbeinturm auftreten – sondern als lohnabhängig Beschäftigte.
Natürlich liegt es in der Dynamik befristeter Beschäftigung, dass es eher schädlich ist, sich in der Öffentlichkeit kritisch über die eigenen Beschäftigungsbedingungen zu äußern, eigene Zweifel und Verletzlichkeiten offen zu legen. Dass im Rahmen des Hashtags #ichbinHanna so viele Personen bereit sind, genau diesen Bann zu brechen zeigt einerseits, wie groß der Frust ist. Andererseits zeigt es auch, dass es das Sprechen hierüber eben doch möglich ist – dann, wenn individuelle Probleme nicht als solche wahrgenommen werden, sondern als gemeinsame Erfahrung erscheinen.
Aus dieser Position heraus geht es um mehr, als eine Neusortierung der Privilegien und Karriereplanungen wie sie zum Beispiel durch neue Nachwuchsförderungsprogramme oder Tenure-Track-Verfahren geleistet werden könnte. Zur Debatte stehen dagegen die Bedingungen (und damit immer auch um die Inhalte!) von Forschung und Lehre als gesellschaftlich relevante Tätigkeiten. Das Thematisieren der eigenen Arbeitsbedingungen ist zudem immer auch ein möglicher Startpunkt für die Solidarisierung mit anderen Beschäftigtengruppen, zum Beispiel dem technisch-administrativen Personal und studentischen Hilfskräften. Dies in Kombination mit aktuellen Sparprogrammen führt dazu, dass sich an einigen Universitäten bereits ein „heißer Herbst “ (siehe Artikel im ND vom 12.06.2021) abzeichnet.
Kommentar von Antonia Puck vom 14.5.2021 – wir danken!
- Siehe zum Hintergrund unser Dossier: Kampagnen für Entfristung im Hochschulwesen: Frist ist Frust
- und das Dossier: Entfristen! Bildungsgewerkschaft präsentiert Gesetzentwurf zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz