Schutz vor Sozialdumping: Rechte von ausländischen LeiharbeiterInnen
Dossier
„Ein Leiharbeiter aus Bulgarien wurde monatelang einem Betrieb in Deutschland überlassen. Dass für ihn nur bulgarische Sozialversicherungsstandards gelten sollen, sieht der EuGH kritisch. Ende 2020 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits entschieden, dass EU-Bürger, die vorübergehend in einem anderen EU-Land arbeiten, dort ebenso entlohnt werden müssen wie Einheimische. Dies gilt dem Gericht zufolge grundsätzlich auch bezüglich der Sozialversicherungsvorschriften, so das Urteil des EuGH nun in einem anderen Fall. Es stärkt damit konkret die Sozialrechte von ausländischen Leiharbeitern in Deutschland. (…) Weil die Leiharbeitsfirma nach Ansicht der Stadt Varna jedoch keine »nennenswerte Tätigkeit« in Bulgarien ausübte, verweigerte sie einen Antrag, der bescheinigen sollte, dass die bulgarischen Sozialstandards angewendet werden könnten. Die Leiharbeitsfirma stellte daraufhin einen Antrag beim örtlichen Verwaltungsgericht, das sich entschloss, den EuGH um eine Stellungnahme zu bitten…“ Meldung vom 03.06.2021 beim Spiegel online („Schutz vor Sozialdumping: EuGH stärkt Rechte von ausländischen Leiharbeitern“) und mehr zum Thema:
- Bundesarbeitsgericht begrenzt Rechte ausländischer Leiharbeiter
„… Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die Rechte von Leiharbeitnehmern begrenzt. So führe die fehlende deutsche Genehmigung zur Arbeitnehmerüberlassung einer ausländischen Leiharbeitsfirma nicht – wie bei Leiharbeitsfirmen in Deutschland – automatisch zu einem Arbeitsvertrag zwischen Leiharbeitnehmer und der deutschen Entleihfirma, urteilte am Dienstag das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt (AZ: 9 AZR 228/21). Auch wenn die fehlende Genehmigung eine Ordnungswidrigkeit darstellt, begründe dies noch keinen Arbeitsvertrag mit dem deutschen Entleiher. Geklagt hatte eine Französin, die ursprünglich als Fachberaterin und Ingenieurin in einem französischen Technologieberatungskonzern arbeitete. Sie wurde von ihrem französischen Arbeitgeber ab Oktober 2014 an eine deutsche Firma „verliehen“. Die deutsche Firma plante eine umfassende Umstellung ihres EDV-Systems. Als der französische Konzern der Frau nach eineinhalb Jahren kündigte, meinte sie, dass ein Arbeitsvertrag mit der deutschen Entleihfirma zustande gekommen sei. Sie verwies auf das deutsche Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Danach komme automatisch ein Arbeitsvertrag mit dem Entleiher zustande, wenn die Leiharbeitsfirma über keine Genehmigung zur Arbeitnehmerüberlassung verfüge. (…) Das Landesarbeitsgericht Stuttgart gab der Klägerin noch recht. Die ausgeliehene Frau sei umfassend in die Arbeitsabläufe der deutschen Firma eingegliedert gewesen. Doch das BAG gab der deutschen Entleihfirma recht. Zwar sehe das Gesetz durchaus vor, dass der Leiharbeitsvertrag bei einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung zwischen Leiharbeiter und Verleiher unwirksam ist und damit ein Arbeitgeberwechsel zum Entleiher begründet werde. Diese deutsche Bestimmung greife aber nicht für Leiharbeitsfirmen aus dem EU-Ausland, „wenn das Leiharbeitsverhältnis dem Recht eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union unterliegt“, so das BAG.“ Meldung vom 27. April 2022 bei MiGAZIN - Sozialdumping durch den Import von Leiharbeitern aus anderen EU-Ländern: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) bremst darauf spezialisierte Geschäftsmodelle aus
„Wieder einmal erreicht uns eine sozialpolitisch bedeutsame Entscheidung aus dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). (…) Mehr Schutz für ausländische Leiharbeiter: »Der EuGH stärkt die Rechte ausländischer Leiharbeiter in Deutschland. Demnach müssen sie nach deutschem Recht sozialversichert werden, wenn ihr Arbeitgeber nur formell im Ausland sitzt. Praktiken mit Briefkastenfirmen könnten nun enden.« Und weiter erfahren wir: »Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Leiharbeitsfirmen bei der Überlassung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in andere EU-Länder Grenzen gesetzt. Wenn eine Leiharbeitsfirma hauptsächlich Arbeitskräfte ins EU-Ausland vermittelt, kann sie nicht einfach Sozialversicherungsvorschriften des Firmensitzlandes anwenden. Die grenzüberschreitende Praxis könnte dazu führen, dass die Firmen sich extra in Ländern mit niedrigen Sozialstandards niederlassen, erklärte der EuGH. Die Leiharbeitsfirma muss dem Urteil zufolge einen nennenswerten Teil der Überlassung von Leiharbeitern an Unternehmen im Inland tätigen, damit auch für ihre Leiharbeiter im Ausland die Sozialstandards des eigenen Landes gelten.« Der EuGH hat das Urteil in der Rechtssache C-784/19 unter dieser Überschrift bekannt gegeben: „Um als in einem Mitgliedstaat „gewöhnlich tätig“ angesehen werden zu können, muss ein Leiharbeitsunternehmen einen nennenswerten Teil seiner Tätigkeit der Überlassung von Arbeitnehmern für entleihende Unternehmen verrichten, die im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats niedergelassen und dort tätig sind“ (Gerichtshof der Europäischen Union, Pressemitteilung Nr. 92/21, Luxemburg, den 3. Juni 2021). (…) Und mit Blick auf das Geschäftsmodell, extra Leiharbeitsfirmen in EU-Staaten mit einem deutlich geringeren Sozialschutz zu gründen mit dem Ziel, dann gezielt Leiharbeiter in die „teureren“ Länder zu entsenden, führt der EuGH ausdrücklich aus, dass die Ausnahme, die einen Vorteil für Unternehmen darstellt, die von der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs Gebrauch machen, nicht von Leiharbeitsunternehmen beansprucht werden kann, die ihre Tätigkeiten der Überlassung von Leiharbeitnehmern ausschließlich oder hauptsächlich auf einen oder mehrere andere Mitgliedstaaten als den ihres Sitzes ausrichten. (…) Aber man muss natürlich darauf hinweisen, dass das nun nicht bedeutet, dass alle entsandten Arbeitnehmer aus den Billig-Ländern der EU nun nach den deutschen Sozialvorschriften abgesichert werden müssen. Denn wenn das Leiharbeitsunternehmen in seinem Heimatland die Arbeitnehmerüberlassung auch an Unternehmen vor Ort in einem nennenswerten Umfang betreibt, könnte es bei entsandten Arbeitnehmern durchaus die Ausnahmeregelung in Anspruch nehmen…“ Beitrag von Stefan Sell vom 5. Juni 2021 auf seiner Homepage , siehe auch: - IG BAU begrüßt EuGH-Urteil zu mehr Rechten für ausländische Leiharbeiter – und fordert Ende von Briefkastenfirmen
„… „Ich freue mich über dieses Urteil außerordentlich, ich hoffe, dass das das Ende von einschlägigen Briefkastenfirmen ist“, sagt Robert Feiger, Bundesvorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). Er fordert, dass nun schnelle Konsequenzen aus dem Urteil gezogen werden. „Es braucht mehr Kontrollen in Deutschland und eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Behörden in der EU. Sollten solche Scheinfirmen ausfindig gemacht werden, muss es schnelle Verfahren geben, die dazu führen, dass entsandte Beschäftigte in Deutschland voll sozialversichert werden.“ Das Urteil könne auch Auswirkungen auf entsandte Arbeitnehmer*innen haben. Gerade in der Bauwirtschaft habe man es regelmäßig mit Unternehmen zu tun, die in ihren Heimatländern, wie beispielsweise Slowenien, überhaupt keine Bauaufträge ausführen. Sie stellten Beschäftigte nur mit dem Ziel ein, sie nach Deutschland zu entsenden. Die Beschäftigten seien dann gar nicht oder nur unzureichend krankenversichert und würden oftmals nicht einmal Rentenansprüche erwerben. Nach den aktuellen Zahlen von SOKA-BAU, der gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien der Bauwirtschaft, werden jährlich mehr als 80 000 Arbeitnehmer*innen auf Baustellen nach Deutschland entsandt. Bei vielen diesen Entsendunternehmen bestehen erhebliche Zweifel, dass sie in ihren Heimatländern einer nennenswerten Tätigkeit nachgehen. „Das ist Lohndumping auf dem Rücken der Beschäftigten, außerdem entsteht den deutschen Sozialversicherungen erheblicher Schaden“, sagt Feiger…“ Pressemitteilung der IG Bau vom 25. Juni 2021