Verleihung der deutschen BigBrotherAwards 2021 am Freitag, 11. Juni

BigBrotherAwards 2017: „Oscars für Datenkraken“. Grafik von Heiko SakureiAm Freitag, 11. Juni 2021 verleihen Digitalcourage und andere Bürgerrechtsorganisationen die diesjährigen BigBrotherAwards. Die BigBrotherAwards – die „Oscars für Datenkraken“ – sind ein Datenschutz-Negativpreis, der seit dem Jahr 2000 jährlich an Firmen, Politiker, Institutionen oder auch Technologien geht, die Grundrechte und Datenschutz verletzt haben. Wir geben ihnen durch die Preisverleihung, was sie in dem Fall gar nicht mögen: Das Licht der Öffentlichkeit. Die Verleihungsgala findet in der Hechelei in Bielefeld statt. Die gesamte Gala wird als interaktiver Livestream im Internet übertragen – in deutscher Sprache und für das internationale Publikum zusätzlich in englischer Simultanübersetzung. Siehe alle Infos auf der Aktionsseite externer Link und nun die „Geehrten“:

  • BigBrotherAwards 2021 für Doctolib, Google und Proctorio sowie die  Europäische Kommission u.a. New
    • Der BigBrotherAward 2021 in der Kategorie Bildung: Proctorio GmbH
      Der BigBrotherAward 2021 in der Kategorie Hochschulen geht an die Proctorio GmbH in München-Unterföhring für ihre KI-basierte Prüfungssoftware, die auch Proctorio heißt. Der Name Proctorio leitet sich aus dem englischen Wort „Proctoring“ ab, das sich mit „beaufsichtigen“ übersetzen lässt. Proctorio geht es um „Online-Proctoring“, das heißt um die Beaufsichtigung von Prüflingen im Hochschulbereich per Internet. Mit Blick auf dieses Geschäftsmodell war der Ausbruch der Corona-Pandemie Anfang 2020 für die Firma aus Marketingsicht ein absoluter Glücksfall (…) Die Software Proctorio greift tief in die Integrität der privaten Geräte der Studierenden ein. Um an Prüfungen teilnehmen zu können, müssen sie die Software auf ihren Computern installieren und Proctorio für die Dauer einer Prüfung die Kontrolle über ihr Gerät überlassen. Die Verwendung von Proctorio setzt zudem voraus, dass auf den Computern der Studierenden Google Chrome als Browser installiert ist. Dort werden von der Proctorio-Software zudem Drittanbieter-Cookies aktiviert, „um einen proaktiven Chat-Support“ anbieten zu können – über die US-amerikanische Firma OLARK. An einer Onlineprüfung teilnehmen kann nur, wer Proctorio den Zugriff auf seine Videokamera ermöglicht. Diese muss während der gesamten Prüfungszeit eingeschaltet sein. Prüfende können entscheiden, ob sie Studierende während der Prüfung persönlich beobachten, oder ob die Software dies für sie erledigt. Und die Prüfenden können Proctorio den Start von Anwendungen und Downloads blockieren lassen oder Erweiterungen und individuelle Einstellungen sperren. Sogar „Copy and Paste“ kann grundsätzlich unterbunden werden. Und wenn Prüfende das wollen, muss zu Beginn der Prüfung ein „Raum-Scan“ durchgeführt werden, bei dem Prüflinge der Videokamera ihren gesamten Arbeitsraum vorführen müssen. Dieser „Raum-Scan“ muss auf Aufforderung während der Prüfung wiederholt werden. Und es kommt noch schlimmer: Hochschulen und Lehrende als potentielle Kunden werden von Proctorio mit dem Argument umworben, dass bei der Klausurdurchführung eine „vollautomatische Kontrolle“ möglich ist. Die Software wertet dafür die eingehenden Videoinformationen mit künstlicher Intelligenz aus und soll auf dieser Grundlage erkennen können, ob sich eine weitere Person im Raum aufhält. Hinzu kommt eine von Proctorio als „Gesichtserkennung“ bezeichnete Analyse der Augenbewegungen…“ Laudatio von Peter Wedde externer Link
    • Der BigBrotherAward 2021 in der Kategorie Gesundheit: Doctolib
      Der BigBrotherAward in der Kategorie „Gesundheit“ geht an die Firma Doctolib in Berlin für ihr Terminvermittlungsportal für Ärzte. Doctolib verarbeitet mit diesem Portal unter Missachtung der ärztlichen Vertraulichkeit die Daten von zigtausenden Patient.innen. Das Angebot für Gesundheitsfachkräfte, also vor allem für Ärzte, und deren Patienten, ist genial: Die Ärzte schließen einen Vertrag mit Doctolib ab, erteilen Zugriff auf ihre Patientendaten und können dann über eine Internetseite Behandlungs-, Beratungs- oder Impftermine verbindlich verabreden lassen. Und schon können die Patient.innen online Termine buchen. (…) In der Realität sollten Ärzt.innen schnell stutzig werden, denn wenn ein Arzt Doctolib für seine Praxis in Anspruch nehmen will, erscheint ein Mitarbeiter des Unternehmens und bittet zunächst einmal um Zugriff auf den gesamten im Arztinformationssystem gespeicherten Patientenstammdatensatz. Und damit nicht genug: Nach dem Import der Patientenliste ist ein regelmäßiger Datenabgleich der Termintabelle des Arztsystems mit dem Vermittlungssystem von Doctolib nötig. (…) Verwirrend ist zunächst die Vielzahl der Dokumente: Während es bei anderen Diensten einmal Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) gibt, gibt es hiervon bei Doctolib ein Dutzend (…) Unsere Nachfragen beim Unternehmen wegen des millionenfachen Herunterladens von Patientendaten, zur Mandantentrennung und vieles mehr, blieben unbeantwortet. Uns bleiben insofern nur Spekulationen, was auf den Servern von Doctolib und AWS passiert…“ Laudatio von Dr. Thilo Weichert externer Link
    • BigBrotherAward 2021 in der Kategorie Verkehr: die Europäische Kommission
      Der BigBrotherAward 2021 in der Kategorie Verkehr geht an die Europäische Kommission für die Einführung des „On-Board Fuel Consumption Meter“ (OBFCM). (…) Die Hersteller sind immer noch im Boot. Mehr noch: Sie bekommen die umfangreichen individuellen Telemetriedaten frei Haus geliefert, die sie sonst nur mit ausdrücklicher Einwilligung des Halters erheben dürften. Und nicht nur das, sondern darüber hinaus nicht genauer von der Verordnung spezifizierte „weitere Parameter“. Eine höchst willkommene weitere Datenquelle für die Hersteller. Zwar steht in der EU-Verordnung, dass die Fahrzeug-Identifizierungsnummern „lediglich für die Zwecke dieser Datenverarbeitung verwendet und nicht länger als dafür notwendig gespeichert“ werden sollen, aber wie lange das ist, da möchte sich lieber niemand so genau festlegen. Fest steht: So lange die Motordaten mit der Fahrzeug-ID verknüpft bleiben, sind auf jeden Fall umfangreiche Einblicke in das individuelle Fahrverhalten möglich. (…) Mit der elektronischen Verbrauchsdatenerfassung und -übermittlung (die englische Abkürzung dieses Verfahrens ist „OBFCM“) wird ein weiteres Mosaiksteinchen in Richtung gläserne Autofahrer.innen gelegt, obwohl dies gar nicht notwendig wäre. Wir sehen mit Sorge, wie Telematikdienste ihren Weg in die Autos finden und der Datenschutz dabei auf der Strecke bleibt…“ Laudatio von Frank Rosengart externer Link
    • BigBrotherAward 2021 in der Kategorie „Was mich wirklich wütend macht“: Google
      „… Also: Was mich wirklich wütend macht: Cookiebanner! Diese Pest! Sie kennen das: Sie rufen eine Webseite auf und – zack! – schon schiebt sich dieser Kasten mit unsäglich schlechtem Design über das, was Sie eigentlich sehen wollen. Dann müssen Sie sich entscheiden: Wollen Sie einfach nur schnell an die gewünschte Webseite, dann klicken Sie einfach auf den großen bunten Button „Okay“. Doch wenn Sie das mit Ihren Rechten ernst nehmen, dann wird es kompliziert. Augen zusammenkneifen, kleine graue Schrift auf weißem Grund lesen, und minutenlang alles einzeln wegklicken, was Sie nicht wollen. Und das ist verdammt viel: bis zu 470 Tracker zum Beispiel alleine bei der Süddeutschen Zeitung. „Will ich alles nicht!“ wird Ihnen gar nicht erst angeboten. Und wenn Sie alle Tracker einzeln in mühsamer Handarbeit weggeklickt haben, dann passen Sie bloß auf, denn der nächste freundlich-bunte Button heißt „Alles zulassen“ und nicht „Meine Auswahl abspeichern“. Der ist grau. Aber Vorsicht – auch da sollten Sie nicht draufklicken. Denn vorher müssen Sie noch die meist gut verborgene Kategorie „Berechtigtes Interesse“ finden. Dort steht nämlich auch alles auf „aktiviert“, und Sie müssen es wegklicken. Haben Sie’s gewusst? Was mich daran wirklich wütend macht: Diese Cookie-Dialoge sind nach den neuesten Erkenntnissen über menschliche Wahrnehmung, Psychologie und Webdesign für ergonomisch ansprechende Webseiten gestaltet. (…) Diese Art der Trickserei bei der Gestaltung wird „Dark Patterns“ genannt – wörtlich: „dunkle Muster“. Man könnte sie auch „betrügerisch“, „unethisch“ oder „Manipulation by Design“ nennen. (…) Cookie-Banner sind kein Spiel. Sie sind armselig und niederträchtig. Sie klauen mir meine Lebenszeit. Dieses Design will mich ermüden und zermürben. Es will, dass ich aufgebe und schließlich „ok“ drücke. Und jetzt einmal zum Mitschreiben: Nein, der Datenschutz ist nicht schuld! Nein, diese nervenden Abfragen sind vom Gesetz keineswegs so vorgeschrieben – vielmehr ist ein Großteil der Cookiebanner schlicht illegal. (…) Was mich wirklich wütend macht: Wissen Sie, was im Hintergrund passiert, wenn Sie eine Website „betreten“? Während die ersten Teile der Webseite laden, wird im Hintergrund Ihr persönliches Profil auf dem Werbemarkt feilgeboten. (…) Was mich dann noch wirklich wütend macht, … sind die Leute, die rufen: Aber dafür sind doch die ganzen Inhalte gratis. Gratis? Hm – Ausforschung und Manipulation im Netz ist ein ziemlich hoher Preis für dieses „Gratis“, finde ich. Dann wird behauptet: Die Medien, die die interessanten Inhalte produzieren, könnten ohne personalisierte Werbung gar nicht existieren. Das müssten wir doch einsehen und deshalb Tracking und personalisierte Anzeigen akzeptieren. Das ist Quatsch. Medien haben auch früher schon Anzeigenplatz verkauft. Allerdings haben sie dabei bis in die 1990er Jahre den größten Teil der Einnahmen auch tatsächlich selber erhalten und konnten damit Journalisten, Fotografinnen, Zeichner, Rechercheurinnen etc. korrekt bezahlen. (…) Was mich wirklich wütend macht: Nun kommt Google als Ritter auf dem weißen Pferd daher und kündigt an: Chrome, der Google-eigene Browser, wird ab 2022 Third Party Cookies blockieren. Jubel im Netz und in den Medien: Google erlöst uns von den Cookie-Bannern! Doch das Blockieren von Dritt-Partei-Cookies heißt mitnichten, dass das Tracking und die Ausforschung im Netz aufhören würde. Nein, Google will dafür einfach nur eine neue Technik einführen namens „FloC“ – Federated Learning of Cohorts. FLoC bedeutet: Wir werden nach unserem Browsing-Verhalten der letzten Woche einer Gruppe von ein- bis fünftausend Individuen zugeschlagen, die ähnliche Websites besucht haben. Die Zugehörigkeit zu der jeweiligen Kohorte speichert Chrome auf unserem eigenen Rechner. (…) Was mich wirklich wütend macht: Dieses Verfahren hat Google firmenintern „Project Bernanke“ getauft – nach Ben Bernanke, dem ehemaligen Chef der US-Zentralbank. Dieser Codename bedeutet nichts anderes als „Googles Lizenz zum Gelddrucken“. Welch eine Arroganz…“ Laudatio von Rena Tangens externer Link
    • BigBrotherAward in der Kategorie „Public Intellectual“: Prof. Dr. phil. Dr. h. c. Julian Nida-Rümelin
      Der BigBrotherAward in der Kategorie „Public Intellectual“ geht an den Philosophen und stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats, Prof. Dr. phil. Dr. h. c. Julian Nida-Rümelin, für seine öffentlich mehrfach geäußerte unhaltbare Behauptung, dass „der Datenschutz“ die Bekämpfung von Corona erschwert und Tausende von Toten zu verantworten habe. (…) Er sagte und wiederholte die Ansicht, dass (ich fasse da mal zusammen) „in Deutschland der Datenschutz eine vernünftige Warn-App verhindere. Anders als in Südkorea, wo man die Pandemie mit Apps ohne Datenschutz super in den Griff bekommen habe“. (…) Nein, Julian Nida-Rümelin und Ihr anderen „Anti-Datenschutz“-Apologeten: Datenschutz tötet nicht. Datenschutz ist die dünne Membran, die uns alle vor der Barbarei staatlicher und kommerzieller Übergriffigkeiten schützt. (…) Deshalb haben wir auch die Kategorie „Public Intellectual“ eingeführt – weil wir eigentlich so dringend Menschen brauchen, die denken können und anderen damit Wege weisen. Wie bitter, wenn Menschen wie Herr Nida-Rümelin diesen Auftrag so schändlich für billigen Populismus verraten…“ Laudatio von padeluun externer Link
    • Rolf Gössner: Abschied vom BigBrotherAward externer Link
    • Aufzeichnung der Preisverleihungsgala am 11. Juni 2021 externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=190312
nach oben