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(„Berichte aus Brasilia“, Ausgabe 2) Brasilien nach dem Kollaps

Brasiliens Präsident Bolsonaro in Galauniform: Zur Feier des Jahrestag des Militärputsches 1964, die er angeordnet hatGesundheitsexperten hatten schon seit Wochen davor gewarnt: Anfang März 2021 brach das brasilianische Gesundheitssystem unter der Last einer landesweiten Häufung von COVID-19-Infektionen zusammen, und die Krankenhäuser waren nicht in der Lage, alle Patienten zu versorgen, die eine Behandlung benötigten. Ende März warteten in ganz Brasilien mehr als 6000 Menschen auf ein Bett auf der Intensivstation, die meisten von ihnen in überfüllten Gesundheitsposten und Notfallstationen ohne die notwendige Ausrüstung und das Personal für die Behandlung. Parallel dazu erodierten die Machtgrundlagen der Präsidentschaft Bolsonaros in rasanter Weise, nachdem er Anfang Februar mit der Wahl seiner Lieblingskandidaten in die mächtigen Positionen des Präsidenten des Parlaments und des Senats seine Macht gefestigt zu haben schien. (…) Ein weiteres Ereignis, das wie eine Bombe in die politische Szene Brasiliens einschlug und den Druck auf Bolsonaro erhöhte, war die Entscheidung des Richters des Obersten Gerichtshofes Edson Fachin, am 8. März alle Anklagen gegen den ehemaligen Präsidenten Lula aufzuheben, was ihn sofort wieder für politische Wahlen wählbar machte…“ Bericht von Jörg Nowak, Dozent an der Universität Brasilia, vom 4. April 2021 – wir danken!

Brasilien nach dem Kollaps

Gesundheitsexperten hatten schon seit Wochen davor gewarnt: Anfang März 2021 brach das brasilianische Gesundheitssystem unter der Last einer landesweiten Häufung von COVID-19-Infektionen zusammen, und die Krankenhäuser waren nicht in der Lage, alle Patienten zu versorgen, die eine Behandlung benötigten. Ende März warteten in ganz Brasilien mehr als 6000 Menschen auf ein Bett auf der Intensivstation, die meisten von ihnen in überfüllten Gesundheitsposten und Notfallstationen ohne die notwendige Ausrüstung und das Personal für die Behandlung. Parallel dazu erodierten die Machtgrundlagen der Präsidentschaft Bolsonaros in rasanter Weise, nachdem er Anfang Februar mit der Wahl seiner Lieblingskandidaten in die mächtigen Positionen des Präsidenten des Parlaments und des Senats seine Macht gefestigt zu haben schien.

Das Jahr begann in Brasilien mit dem Zusammenbruch des Gesundheitssystems in den Bundesstaaten Amazonas und Roraima im Norden Brasiliens, wo die neue und ansteckendere Variante P1 des Coronavirus ihren Ursprung hat. Der Gesundheitsminister Eduardo Pazuello hatte bereits Ende Dezember 2020 Warnungen erhalten, dass es Mitte Januar 2021 zu einem Sauerstoffmangel im Bundesstaat Amazonas kommen könnte, handelte aber erst, als der Sauerstoffmangel bereits am 11. Januar zu Todesfällen in der Hauptstadt Manaus führte. Stattdessen hatte er Tausende Tabletten des Anti-Malaria-Medikaments Chloroquin nach Manaus geschickt, das keine nachgewiesene Wirksamkeit gegen COVID-19 hat.

Der außergewöhnliche Anstieg der Infektionen und Todesfälle im Bundesstaat Amazonas ließ bei Gesundheitsexperten im ganzen Land die Alarmglocken läuten, doch die Bundesregierung ignorierte alle Warnungen. Stattdessen landete Bolsonaro inmitten eines Popularitätsrückgangs aufgrund der Gesundheitskrise einen Coup bei den Wahlen zum Sprecher des Parlaments und des Senats Anfang Februar. Gemäßigte Kandidaten, die in Opposition zu Bolsonaro standen, waren zunächst die Favoriten für diese Wahlen, aber Bolsonaro verteilte vor den Wahlen Millionen von Real an die Munizipien von bestimmten Abgeordneten und seine Kandidaten gewannen beide Posten: Rodrigo Pacheco von der Partei Demokraten für den Senat und Arturo Lima von der Partei Progressistas für das Parlament. Dieses Manöver ermöglichte der Regierung Bolsonaro eine Annäherung an die klientelistischen Parteien des Centrão als Basis für Gesetzesvorhaben, da sie über keine eigene Mehrheit verfügt. Die Wahl der Parlaments- und Senatspräsidenten führte auch zu einer Spaltung der beiden Mitte-Rechts-Parteien Demokraten und PSDB, die für die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2022 eigene Kandidaten aufstellen wollten, doch etwa die Hälfte der Parlamentsabgeordneten jeder Partei schloss sich bei diesen Wahlen der Regierung Bolsonaro an, was zu Querelen in beiden Parteien führte. Der frühere Parlamentspräsident Rodrigo Maia verließ als Konsequenz sogar seine Partei, die Demokraten.

Das Angebot von Pacheco und Lima an Bolsonaro war, dass sie Mehrheiten für Gesetzesvorhaben der Bundesregierung im Parlament organisieren würden, im Gegenzug für eine Politik mit größerer Anziehungskraft, die beide an ihre Wählerschaft verkaufen könnten. Dieses Arrangement hätte Bolsonaro in Form einer stabileren Machtbasis im Parlament und in der Gesellschaft sowie einer Professionalisierung der Regierungspolitik gedient. Es hätte auch Pacheco und Lima in ihrer Rolle gedient, Bolsonaro zu domestizieren und ihr Führungspotenzial zu demonstrieren, da beide Politiker noch den größten Teil ihrer Karriere vor sich haben. Mit anderen Worten: Dieses Arrangement war das perfekte Angebot an Bolsonaro, um das Vertrauen der Gesellschaft zurückzugewinnen und ihm den Weg zur Wiederwahl im Jahr 2022 zu ebnen.

Aber das Arrangement hat nicht gehalten, da dieselbe Person, die am meisten davon profitiert hätte, an ihrer erratischen Politik festhielt und so in die politische Isolation geriet: Der/die Leser/in wird bereits erraten, dass es sich bei dieser Person um Bundespräsident Jair Messias Bolsonaro handelt. Im Zentrum der zunehmenden Isolation des Präsidenten steht seine mangelnde Bereitschaft, den offensichtlichsten Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie öffentlich zuzustimmen: Lockdowns, Ausgangssperren, soziale Distanzierung, Tragen von Masken. Bolsonaros Förderung der Verbreitung des Virus hat zu enormer Frustration und Verärgerung in der Armee geführt, und auch im Unternehmenssektor, der nach längere Zeit schließlich begriffen hat, dass jede Verlängerung einer unkontrollierten Pandemie die Gewinne schmälert. Aber es gab noch einen zweiten Grund, warum sich die Unternehmenswelt mit Bolsonaro überwarf, was in einem am 22. März veröffentlichten Brief von 300 Unternehmensführern und Ökonomen gipfelte, in dem eine nationale Politik gegen die Pandemie gefordert wird, die sich auf die Wissenschaft stützt. Der Brief wurde von vier ehemaligen Finanzministern, fünf ehemaligen Präsidenten der brasilianischen Zentralbank und der nationalen Entwicklungsbank BNDES, den beiden Co-Vorsitzenden der größten Privatbank Itáu Unibanco und dem Präsidenten der Credit Suisse in Brasilien unterzeichnet.

Diesem Brief, der eine tiefe Unzufriedenheit in der Unternehmens- und Finanzwelt mit dem Präsidenten symbolisiert, war die Absetzung des marktfreundlichen Präsidenten des Staatsunternehmens Petrobras durch Bolsonaro am 19. Februar vorausgegangen. Der staatliche Ölkonzern Petrobras stand im Zentrum der Amtsenthebung von Dilma Rousseff und des Urteils gegen Ex-Präsident Lula. Im entscheidenden Machtkampf zwischen der sozialdemokratischen Arbeiterpartei (PT) und den Mitte-Rechts Parteien ging es immer um die Strategie in Bezug den Ölkonzern, der über eine sehr avancierte Technologie zur Ölförderung verfügt und Zugang zu einem der größten Ölfelder der Erde hat, das in den 2000er Jahren entdeckt wurde. Dieser Kampf dreht sich um zwei alternative Strategien: Die sozialdemokratische Strategie der PT zielt auf eine nationale Entwicklungsstrategie mit einem gewissen Maß an Kontrolle der Benzinpreise für die nationalen Verbraucher, sowohl für die Unternehmen als auch für die privaten Verbraucher. Die Mitte-Rechts-Strategie zielt darauf ab, den Ölgiganten aus Europa und den USA Zugang zu den Ölfeldern in den brasilianischen Meeren zu gewähren, Petrobras zu privatisieren und Benzinpreise zu etablieren, die sich eng an den Weltmarktpreisen orientieren. Beide Strategien repräsentieren die klassischen Alternativen zwischen einer nationalen Bourgeoisie, die versucht, sich mit einer bestimmten nationalen Strategie auf dem Weltmarkt zu etablieren und als subimperialistische Macht in Lateinamerika zu agieren, und der Strategie der Kompradorenbourgeoisie, die sich unmittelbar den Kapitalisten in Europa und Nordamerika unterordnet.

Zurück zu den Ereignissen vom Februar 2021 rund um Petrobras: Am 1. Februar 2021 hatten brasilianische LKW-Fahrer, die lange als Verbündete Bolsonaros galten, aber auch zunehmend frustriert über seine Regierung waren, wegen der gestiegenen Dieselpreise mit einem größeren Streik gedroht. Der Streik scheiterte an der Uneinigkeit der Trucker, veranlasste Bolsonaro aber dennoch, eine andere Preispolitik von Petrobras in Betracht zu ziehen. Aus diesem Grund griff er in das Unternehmen ein und ersetzte den marktfreundlichen Roberto Castello Branco durch einen Armeegeneral. Bis heute ist völlig unklar, ob es eine andere Preispolitik von Petrobras geben wird und wie diese aussehen wird, aber das Manöver des staatlichen Eingriffs um den umkämpften Ölgiganten reichte aus, um die Unternehmenswelt mit Bolsonaro ernsthaft in Konflikt zu bringen.

Die eskalierende Gesundheitskrise und die schwindende Unterstützung der Unternehmens- und Finanzeliten für Bolsonaro führten zu einer Neuordnung der politischen Kräfte. Seit Anfang März 2021 steigen die Zahlen der Infektionen und Todesfälle aufgrund von COVID-19 in ganz Brasilien rapide an. In den meisten Bundesstaaten gibt es überlastete Intensivstationen. Am 22. März waren im Bundesstaat São Paulo mit 45 Millionen Einwohnern 30.000 Menschen wegen COVID-19 im Krankenhaus, davon 12.000 in Intensivbetten. Zum Vergleich: Deutschland hat 80 Millionen Einwohner und eine Kapazität von 10.000 Intensivbetten für COVID-19-Patienten, also nur halb so viel Kapazität pro Person wie der Bundesstaat São Paulo. Während die Gesundheitskrise weiter wütet, spricht sich Bolsonaro weiterhin gegen Lockdowns und Ausgangssperren aus. Er ging am 19. März sogar mit einer einstweiligen Verfügung zum Obersten Gerichtshof, um zu verbieten, dass Gouverneure und Bürgermeister über Abriegelungen und Ausgangssperren entscheiden können, was vom Gericht abgelehnt wurde, da die Unterschrift des Bundesstaatsanwalts fehlte – es stellte sich heraus, dass er die Unterschrift verweigert hatte.

Lira, Pacheco und der Centrão trieben nun die Gegenleistung für den Deal mit Bolsonaro ein: Sie forderten einen Wechsel im Gesundheitsministerium. Pazuello war im Mai 2020 als Interimslösung Gesundheitsminister geworden, nachdem Nelson Teich nach weniger als einem Monat den Job aufgegeben hatte. Normalerweise ist der Gesundheitsminister in Brasilien ein Mediziner, und Pazuello ist ein Militär ohne medizinische Fachkenntnisse. In seinen 10 Monaten im Amt blieb er Bolsonaro untertänig und behinderte jede systematische Koordination von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Die etablierten regelmäßigen Treffen zwischen den Gouverneuren der Bundesstaaten und dem Bundespräsidenten hatten seit 10 Monaten nicht mehr stattgefunden, was allein schon Bände spricht. Pazuello wurde schließlich am 23. März 2021 durch den Kardiologen Marcelo Queiroga ersetzt, der sofort zu sozialer Distanzierung und zum Tragen von Masken aufrief und einen nationalen Krisenstab zur Eindämmung der Pandemie installierte – besser spät als nie. Er sprach sich gegen einen nationalen Lockdown aus, aber offensichtlich stellen seine Positionen eine große Verbesserung im Vergleich zu denen von Pazuello dar, der weiterhin Chloroquin als Mittel gegen COVID-19 propagierte. Gleich nach der ersten Sitzung dieses Krisenstabs, der von Queiroga, Lima und Pacheco geleitet wird, gaben sie eine gemeinsame Erklärung ab, während Bolsonaro separat eine eigene Erklärung abgab, in der er einmal mehr gegen Maßnahmen yur sozialen Distanzierung wetterte. Der Kontrast hätte nicht größer sein können.

Ein weiteres Ereignis, das wie eine Bombe in die politische Szene Brasiliens einschlug und den Druck auf Bolsonaro erhöhte, war die Entscheidung des Richters des Obersten Gerichtshofes Edson Fachin, am 8. März alle Anklagen gegen den ehemaligen Präsidenten Lula aufzuheben, was ihn sofort wieder für politische Wahlen wählbar machte. Lula war in zwei separaten Gerichtsverfahren zu Gefängnisstrafen verurteilt worden. Fachin hatte in Übereinstimmung mit früheren Entscheidungen geurteilt, dass das Gericht in Curitiba, dem der spätere Justizminister Sergio Moro vorstand, rechtlich nicht befugt sei, über die Fälle zu urteilen, da sie nicht unmittelbar mit dem Staatsunternehmen Petrobras verbunden seien. Das bedeutet, dass ein Gericht in Brasilia erneut über die beiden Fälle entscheiden wird, und dieses Gericht kann auch beschließen, sie fallen zu lassen. Die Entscheidung von Fachin wurde allgemein als durch zwei Punkte motiviert angesehen: 1. Fachin wollte die Ermittlungen gegen Sergio Moro beenden, dass Moro in den Urteilen gegen Lula unparteiisch gewesen sei. Es war in der Tat Teil der Entscheidung Fachins, dass die Ermittlungen gegen Moro eingestellt werden müssen, da die Urteile für nichtig erklärt wurden. Falls dies die Absicht Fachins war, ist er damit gescheitert. 2. Die Verärgerung des Obersten Gerichtshofs über Bolsonaro wurde so enorm, dass beschlossen wurde, die Urteile gegen Lula aufzuheben.

Später im März entschied der Oberste Gerichtshof offiziell, dass Moro unter dem Verdacht steht, bei der Verurteilung Lulas unparteiisch gewesen zu sein, was bedeutet, dass das neue Gericht in Brasilia neue Beweise für die Fälle sammeln muss und nicht in der Lage ist, Ermittlungsergebnisse aus den bisherigen Verfahren zu verwenden, was es unwahrscheinlich macht, dass Lula vor den nächsten Präsidentschaftswahlen erneut verurteilt wird.

In diesem Sinne war die Entscheidung, die Urteile gegen Lula aufzuheben und sie an ein neues Gericht zu verlegen, ebenso eine politische Entscheidung, die von der politischen Konjunktur geprägt war, wie die früheren Urteile gegen ihn. Während die Richter früher die PT loswerden wollten, wollen sie jetzt Bolsonaro loswerden. Dieselben Richter hatten schon mehrmals über dieselben Fragen entschieden, und die Entscheidung über Moros Verdacht auf Unparteilichkeit kam zustande, weil eine Richterin des Obersten Gerichtshofs, Carmen Lucia, ihre Meinung über die Frage änderte und ihr früheres Votum aufhob, indem sie neue Fakten vorbrachte, die ihr angeblich vorher nicht bekannt waren, wie die Tatsache, dass Lulas Anwälte illegal von Staatsanwälten abgehört worden waren.

Lula hielt zwei Tage nach der Annullierung der Urteile gegen ihn eine fulminante Rede, in der er seine Fähigkeit unter Beweis stellte, ein breites Publikum zu erreichen, und seine Behauptung wiederholte, er sei der erste brasilianische Präsident, der ein Bündnis zwischen Arbeit und Kapital geschlossen habe.

In diesem Kontext verlangten Lira, Pacheco und der Centrão weitere Veränderungen von Bolsonaro, und diesmal war es die Entfernung seines Außenministers Ernesto Araújo, einer der wirrsten rechten Fanatiker in der Regierung. Ihm wurde vor allem vorgeworfen, dass er durch seine ständigen Angriffe gegen China verhindert hat, dass Inputs für Impfstoffe Brasilien in ausreichender Menge erreichen. Bolsonaro hat wiederholt die Fähigkeit gezeigt, Momente der Schwäche zu kontern, indem er in die Offensive ging, und dies hat er auch dieses Mal versucht. Araújo verließ den Posten am 29. März unter allgemeinem Druck, und Bolsonaro nutzte die Gelegenheit, um fünf weitere Minister auszutauschen. Die bedeutendste Änderung war die Entlassung des Verteidigungsministers. Fernando Azevedo e Silva hatte die Streitkräfte vor der von Bolsonaro gewünschten Politisierung geschützt. Die Streitkräfte führen ein strenges Protokoll in den eigenen Reihen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, was bisher zu einer geringen Todesrate in ihren Reihen geführt hat. Das Oberkommando der Armee war mit Pazuellos Rolle als Gesundheitsminister unzufrieden, da es einen negativen Einfluss auf das Ansehen der Streitkräfte befürchtete. Die Absetzung von Azevedo e Silva führte dazu, dass die drei Kommandeure des Heeres, der Marine und der Luftwaffe aus Solidarität mit dem entlassenen Minister gemeinsam ihre Ämter zur Verfügung stellten, ein noch nie dagewesener Vorgang. Diese Aktionen demonstrierten die Einigkeit der Streitkräfte gegen jegliche Ideen, sie in ein Lieblingsprojekt Bolsonaros zu verwandeln, das er zur Einschüchterung politischer Gegner nutzen kann. Obwohl als Überraschungsaktion mit der Drohung eines Putsches im Hintergrund gedacht, wird Bolsonaros Schritt weithin so bewertet, dass er die Feindseligkeit gegen ihn im Oberkommando des Militärs verstärkt hat.

Auf diese Weise hat Bolsonaro entscheidende Unterstützung bei den klientelistischen Parteien des Centrão, bei den Streitkräften und bei der Unternehmens- und Finanzelite verloren. Während die Unterstützung der Bevölkerung für seine Präsidentschaft laut einer zwischen dem 29. und 31. März von Poderdata durchgeführten Umfrage mit 33 Prozent noch stabil ist, ist die Ablehnung auf 59 Prozent gestiegen, und nur 8 Prozent halten seine Regierung für durchschnittlich. Poderdata führte die gleiche Umfrage Anfang Februar durch, und damals lehnten 41 Prozent die Regierung Bolsonaro ab, 22 Prozent empfanden die Regierung als durchschnittlich, und 33 Prozent unterstützten sie. Das zeigt, dass es trotz aller Krisen und Misserfolge einen harten Kern von Anhängern des Präsidenten gibt. Für eine Wiederwahl könnte das aber nicht reichen, wenn es einen starken Gegenkandidaten gibt. Lula hat noch nicht angekündigt, ob er 2022 als Präsident kandidieren wird, aber seine Rede nach der Annullierung der Urteile gegen ihn war eindeutig eine präsidiale.

In den ersten Apriltagen hat die Zahl der COVID-19-Infektionen mit etwa 80.000 neuen Fällen pro Tag ein Plateau erreicht, und die Zahl der Todesfälle steigt weiter an und hat einen wöchentlichen Mittelwert von 2700 pro Tag erreicht. Allein im März 2021 starben in Brasilien mehr als 66.000 Menschen an COVID-19. Die Impfzahlen ziehen endlich an, inzwischen haben 9 Prozent der Bevölkerung eine erste Dosis erhalten, und der neue Gesundheitsminister verspricht, im April täglich 1 Million Menschen zu impfen. Experten warnen, dass eine neue Krise entstehen könnte, wenn die Friedhöfe überlastet werden, was eine Reihe von bakteriellen Infektionen verursachen kann. Im Bundesstaat São Paulo werden auf den Friedhöfen bereits rund um die Uhr Bestattungen durchgeführt, da sie sonst nicht in der Lage wären, die Toten zu beerdigen, ohne dass neue Gesundheitsrisiken entstehen. Gleichzeitig verspottet Präsident Bolsonaro Fernsehsender, die über die Pandemie berichten, als „Friedhofsfernsehen“.

Bericht von Jörg Nowak, Dozent an der Universität Brasilia, vom 4. April 2021 – wir danken!

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