[Delmenhorst] Todesfall in Polizeigewahrsam: In der Zelle kollabiert – Polizei setzte Pfefferspray ein
Dossier
„In Delmenhorst ist ein 19-Jähriger nach einer Polizeikontrolle gestorben. Polizei spricht von tragischem Unglücksfall, aber es gibt Zweifel. Am Freitagabend ist ein 19-jähriger in einer Zelle des Polizeireviers Delmenhorst kollabiert und später im Krankenhaus verstorben. Qosay K. war zuvor in einem Park nach einer Kontrolle von der Polizei festgenommen worden. Kommentare in einer lokalen Facebookgruppe werfen Fragen an der Darstellung der Polizei auf. Laut einer Pressemitteilung der Polizei Oldenburg kontrollierten am Freitagabend gegen 18:30 Uhr zwei Zivilpolizist*innen Qosay K. und einen Freund im Wollepark im Zentrum der niedersächsischen Kleinstadt. Mutmaßlich sollen die zwei jungen Männer Betäubungsmittel konsumiert haben. Als der 19-Jährige Qosay K. weggerannt sei, sei es zu einem Handgemenge und dem Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei gekommen. Von der Polizei heißt es, Qosay K. habe einem Beamten mit der Faust gegen den Kopf geschlagen und sei erst mit dem Eintreffen eines zweiten Beamten überwältigt und fixiert worden. Von hinzugerufenen Sanitäter*innen habe er nicht behandelt werden wollen. In einer Gewahrsamszelle soll er dann gegen 20 Uhr, als er auf eine richterlich angeordnete Blutentnahme gewartet habe, das Bewusstsein verloren haben. (…) Die Todesursache ist noch ungeklärt. Eine Obduktion ist angeordnet und soll in den kommenden Tagen durchgeführt werden…“ Artikel von Michael Trammer vom 7.3.2021 in der taz online
– butenunbinnen.de vermeldet Pfeffersprayeinsatz der Polizei
– siehe dazu:
- Qosay K.: Generalstaatsanwaltschaft lehnt Beschwerden endgültig ab – Bündnis kritisiert Verfahrensende
„Die Generalstaatsanwaltschaft Oldenburg hat am Freitag entschieden, dass zum Tod von Qosay K. im Delmenhorster Polizeigewahrsam nicht weiter ermittelt werden muss. Das „Bündnis in Erinnerung an Qosay“ übt harsche Kritik…“ Artikel von Sonia Voigt vom 2.8.2021 in der Osnabrücker Zeitung online– ab hier im Abo, siehe dafür das Bündnis „In Erinnerung an Qosay“ auf Twitter
und v.a. den Thread vom 2.8.
: „Die Generalstaatsanwaltschaft erklärt das Ermittlungsverfahren gegen die involvierten Polizeibeamten und Rettungskräfte für beendet. Die Aufklärung des Mordes an Qosay wird so aktiv verhindert!…“ samt deren Pressemitteilung als Grafikdatei
- Tod nach Polizei-Einsatz: 19-Jähriger aus Delmenhorst stirbt nach Festnahme: Familie fordert Aufklärung
„… Während die Polizei von einem tragischen Unglücksfall spricht, erheben Freunde und Familie des Toten schwere Vorwürfe gegen die Einsatzkräfte. „Die Strafanzeige im Namen der Eltern basiert darauf, dass es bisher keinen Anhaltspunkt dafür gibt, warum der junge Mann gestorben ist – außer den Polizeieinsatz“, sagt die Anwältin der Familie, Lea Voigt. Die Familie hat sämtliche an dem Einsatz beteiligte Polizisten und Rettungskräfte angezeigt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und der unterlassenen Hilfeleistung. (…) Ein Gutachten des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, das im Auftrag der Familie des Verstorbenen verfasst worden ist, wirft ein anderes Bild auf den Fall. Darin ist die Rede von „Zeichen stumpfer und schürfender Gewalt“. Voigt kritisierte, dass Polizei und Rettungsdienst direkt öffentlich von einem Unglücksfall sprachen, obwohl die Hintergründe völlig unklar waren. „Das lässt auf eine bestimmte Haltung, auf einen Mangel an Fehlerkultur und Aufklärungsinteresse schließen.“ Der Freund des Opfers berichtet dagegen, der Festgenommene habe gesagt, dass ihm schlecht und schwindelig sei, dass er schwer Luft bekomme. „Warum ist er nicht untersucht worden?“, fragt die Anwältin. „Warum hat ihn kein Arzt gesehen?“ Die Beamten brachten den Mann in eine Gewahrsamszelle, wo er zusammenbrach. Er kam ins Krankenhaus und starb. Voigt fordert eine restlose Aufklärung. (…) Der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert neben der lückenlosen Aufklärung einen Struktur- und Mentalitätswandel in der Polizei. „Tag für Tag werden Menschen mit einer – oft auch nur angenommenen – Flucht- oder Migrationsgeschichte von der Polizei kontrolliert und eingeschüchtert“, sagt der Referent der Geschäftsführung, Sascha Schießl…“ Beitrag vom 22.04.2021 in der Kreiszeitung online - Ermittlungen in Delmenhorst: Warum starb ein 19-Jähriger im Polizeigewahrsam? Die Ermittler sehen kein Fremdverschulden. Ein Gutachten und Zeugenaussagen werfen jedoch Fragen auf
„… Das NDR-Politikmagazin Panorama 3 hat Aussagen von Augenzeugen zusammengetragen und Einblick in ein rechtsmedizinisches Gutachten erhalten. Die Recherchen werfen ein neues Licht auf das Geschehen. (…) Der Zugriff erfolgte in einem Wohnviertel. Ein Anwohner hörte „laute Schmerzensschreie“ und ging auf die Straße, wie er gegenüber Panorama 3 schilderte. „Ein Mann kniete auf dem Rücken des Jungen und hielt ihn mit beiden Händen am Kragen“, berichtet dieser Augenzeuge. Der junge Mann habe „fertig“ ausgesehen. Speichel sei ihm aus dem Mund gelaufen. Er habe fortdauernd vor Schmerzen geschrien. Der Anwohner berichtet, er sei dann von einer Polizeibeamtin weggeschickt worden. Auch der Freund des Gestorbenen, Hamudi, der mit ihm im Park gekifft hatte, äußerte sich im Interview mit dem NDR. Nachdem Hamudi zunächst von einem Polizisten an der Parkbank festgekettet worden sei, sei er an die Stelle in dem Wohnviertel geführt worden, an der sein Kumpel bäuchlings auf dem Boden fixiert worden war. „Qosay hat den Polizisten gesagt, dass er keine Luft bekomme und dass er sich hinsetzen möchte,“ berichtet dieser Zeuge. Das sei ihm erlaubt worden. Kh. habe die Beamten um Wasser gebeten, aber keines bekommen. (…) Die Rettungskräfte hätten weder Blutdruck noch Puls gemessen. „Sie haben ihn überhaupt nicht behandelt.“ Weder Polizei noch Rettungskräfte noch Staatsanwaltschaft wollten auf NDR-Anfrage die Zeugenaussagen kommentieren. Dass der Festgenommene von den Sanitätern nicht versorgt wurde, bestätigen sowohl Polizei als auch die Stadt Delmenhorst, die Dienstherrin des Rettungsdienstes. Beide begründen dies damit, dass der junge Mann eine Behandlung verweigert habe. Die Aussage, dem 19-Jährigen sei kein Wasser gegeben worden, sei „aus dem Zusammenhang gerissen.“ (…) Der Zeuge Hamudi widerspricht der Darstellung, dass sein Freund eine Behandlung abgelehnt habe. „Er wollte behandelt werden“, sagt er. Der Freund habe zunächst den Polizisten und dann den Sanitätern „ganz klar gesagt“, dass er Atemnot habe… „ Beitrag von Stefan Buchen, Reiko Pinkert und Sulaiman Tadmory vom 13. April 2021 bei tagesschau.de, siehe auch:
- Fall Qosay K.: Tod in Gewahrsam
„Ein 19-Jähriger läuft vor einer Polizeikontrolle davon, die Beamten holen ihn ein, überwältigen ihn, nehmen ihn mit auf die Wache. Am nächsten Tag ist Qosay K. tot. Ein Unglück? Zweifel sind angebracht. Sie saßen auf einer Parkbank in Delmenhorst, sie rauchten einen Joint. Zwei Polizisten in Zivil tauchten auf, einer der beiden jungen Männer lief davon und wurde rasch gestellt. Ein Beamter zwang ihn zu Boden, versprühte Pfefferspray, legte ihm Handschellen an, die Polizei nahm ihn mit auf die Wache. Der Abend des 5. März 2021, ein Freitag. Tags darauf, am 6. März 2021, war Qosay K. tot. Von einem „Unglücksfall“ schrieb die Polizeiinspektion Oldenburg in ihrer Pressemitteilung. Der 19-Jährige sei „im Gewahrsamsbereich der Polizei Delmenhorst kollabiert“ und in einem Oldenburger Krankenhaus verstorben. Doch Freunde und Angehörige des Toten möchten wissen, warum ein Mann im Alter von 19 Jahren starb, nachdem er wegen eines Bagatelldelikts kontrolliert und verhaftet worden war. Dem NDR-Magazin „Panorama 3“ und der Süddeutschen Zeitung liegen Dokumente und Aussagen vor, die Zweifel an der Version eines tragischen Unglücks erlauben. Die Eltern des Opfers stellten über ihre Anwälte Strafantrag gegen die beteiligten Polizeibeamten und Rettungssanitäter, wegen Körperverletzung mit Todesfolge und anderer möglicher Straftaten. „Da ist etwas massiv schiefgelaufen“, sagt die Anwältin Lea Voigt, die Qosay Ks. Familie vertritt. Es gehe „um einen Jugendlichen, der gesund war, bevor er in polizeilichen Gewahrsam genommen wurde. Und danach war er tot“. (…) Qosay K., erzählt der Freund, ergriff die Flucht und wurde von einem Beamten verfolgt. Der andere Beamte fesselte ihn, den Zeugen, zunächst mit Handschellen an die Parkbank. Später habe er gesehen, wie Qosay K. vor einem Hauseingang lag, auf dem Bauch, einen Polizisten auf dem Rücken. Zu den zwei Polizisten in Zivil sind demnach im Laufe des Einsatzes vier Polizisten in Uniform hinzugekommen. Ein Rettungswagen traf ein, wegen des Pfeffersprays routinemäßig alarmiert, so die Polizei; „eine Behandlung durch Rettungskräfte lehnte der 19-Jährige jedoch ab“. Dem widerspricht der Zeuge, seine Erinnerungen sind detailliert. Qosay K. habe Polizei und Sanitäter um Wasser gebeten. „Sehe ich aus wie ein Getränkemarkt?“, habe ihm ein Polizist geantwortet. Er bekam kein Wasser. Auch keine Flüssigkeit, um das aggressive Pfefferspray auszuspülen. „Bevor wir anfangen“, soll ein Sanitäter zu Qosay K. gesagt haben: „Ich möchte nicht angespuckt, geschlagen oder getreten werden.“ Ihm sei schlecht, sagte Qosay K. dem Zeugen zufolge, er bekomme sehr schwer Luft. Er sei am Schauspielern, habe der Sanitäter erwidert. Er habe Qosay K. nicht abgehört, nicht den Puls gemessen, nicht die Sauerstoffsättigung, nicht den Blutdruck. Es wurde kein Arzt verständigt. Der Sanitäter habe gesagt, Qosay K. sei transportbereit, die Polizei könne ihn mitnehmen. Qosay K. sei ins Auto geschleift worden, so der Freund. Er habe keine Kraft mehr gehabt, um aufzustehen. (…) Auch die Anwältin Voigt fragt sich, wieso Qosay K. nicht untersucht und weshalb er auf die Polizeiwache gebracht wurde. Eine Bereitschaftsrichterin ordnete dort die Entnahme einer Blutprobe an. In der Zelle brach Qosay K. zusammen. Ein Notarzt wurde gerufen, man fuhr ihn in eine Oldenburger Klinik, wo Qosay K. verstarb. (…) In einem Gutachten, das die Familie von Qosay K. in Auftrag gegeben hatte, wurde sauerstoffmangelbedingtes Herz-Kreislauf-Versagen als Todesursache festgestellt. Man fand auch Zeichen von Gewalteinwirkung, eine unmittelbare tödliche Verletzung oder eine relevante Vorerkrankung wurden nicht entdeckt. In der Blutprobe sollen sich keine Spuren harter Drogen gefunden haben, nur etwas THC, wie es in Cannabis vorkommt, das wäre nicht einmal strafbar gewesen. Die Staatsanwaltschaft äußert sich zur Blutprobe nicht. Ein tödlicher Kollaps in Polizeigewahrsam? „Muss untersucht werden“, sagt die Anwältin Voigt, die Ermittlungen laufen. Meistens werden die Ermittlungen in solchen Fällen eingestellt, so war es zum Beispiel bei Aman Alizada aus Afghanistan. Ein Polizist erschoss ihn 2019 in einer Flüchtlingsunterkunft in Stade. Am Ostersamstag fand auf dem Delmenhorster Rathausplatz eine Gedenkveranstaltung für Qosay K. statt. „Das war kein Einzelfall“, stand auf einem Plakat. „Justice for Qosay“ auf einem anderen. „Das fühlt sich an wie ein Albtraum“, sagt sein Freund, der Zeuge. „Weil er ist nicht natürlich gestorben. Wir saßen noch hier auf der Bank. Die Polizei hat ihn mitgenommen.“ Artikel von Stefan Buchen, Peter Burghardt, Reiko Pinkert und Sulaiman Tadmory vom 13. April 2021 in der Süddeutschen Zeitung online
- Fall Qosay K.: Tod in Gewahrsam
- Tod im Polizeigewahrsam in Delmenhorst: Qosay K. bekam keine Luft – Die Eltern von Qosay Khalaf fordern öffentlich Aufklärung
„… Auch einen Monat nachdem der 19-jährige Qosay Sadam Khalaf in Delmenhorst im Polizeigewahrsam kollabiert und später gestorben ist, sind viele Fragen offen. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat Ermittlungen aufgenommen. Für die Hinterbliebenen stellen sich Fragen: Woran starb Qosay Khalaf? Wie ist der Polizeieinsatz abgelaufen? Wurde Qosay Khalaf ärztliche Hilfe verweigert? Was geschah im Polizeigewahrsam und warum wurde der 19-Jährige überhaupt dorthin gebracht? Etwa 250 Menschen folgten am Ostersamstag dem Aufruf des „Bündnis in Erinnerung an Qosay – Solidarisch gegen Polizeigewalt!“ auf den Rathausplatz von Delmenhorst. Sie forderten Erinnerung und Gerechtigkeit. Zum ersten Mal äußerten sich die Eltern und ein Cousin öffentlich. Bisher hatten die Hinterbliebenen ihr Vertrauen in die Behörden bekräftigt und darum gebeten, von Demonstrationen abzusehen – nun geht auch die Familie auf die Straße. (…) Zunächst hatte es keine Ermittlungen gegen die eingesetzten Polizist*innen gegeben. Doch die Anwält*innen der Familie stellten Strafantrag. Nun werde „wegen aller in Betracht kommender Straftaten“ gegen die eingesetzten Polizist*innen und Rettungssanitäter*innen ermittelt, teilt die Staatsanwaltschaft Oldenburg mit. Diese seien noch nicht namentlich bekannt. Das Ergebnis einer toxikologischen Untersuchung fehlt ebenfalls immer noch. Das Anwält*innen-Team der Familie wartet momentan noch auf Akteneinsicht. Es sei aber klar, sagt Voigt, dass der Sohn ihrer Mandant*innen gesund war und im Zuge des Polizeieinsatzes so schweren gesundheitlichen Schaden nahm, dass er starb. „Laut dem Obduktionsgutachten, welches die Familie in Auftrag gegeben hat, starb Qosay K. an einem sauerstoffmangelbedingten Herz-Kreislauf-Versagen“, so die Anwältin…“ Artikel von Michael Trammer vom 6. April 2021 in der taz online - Siehe auch unser Dossier Die Polizei und ihre Chemiewaffen: Tödliche Waffen! Diesmal: Pfefferspray