(Rassistischer) Polizeiübergriff in Singen: Kind nach anlassloser Personenkontrolle in Handschellen
„Am 6. Februar 2021 wurde um ca. 16:30 Uhr ein elfjähriges Kind nach einer anlasslosen Personenkontrolle in Handschellen abgeführt und auf das Polizeirevier in Singen gebracht. (…) Zum Hintergrund: Mehrere Kinder spielten vor dem Wohnort ihrer Großmutter. Zwei Polizeibeamte führten bei ihnen eine Personenkontrolle durch. Das elfjährige Kind, das später in Handschellen auf das Polizeirevier gebracht wurde, gab den Beamten der Singener Polizei sein Alter an. Die Beamten zogen darauf hin ab. Kurze Zeit später erschienen zwei weitere Polizeibeamte und führten erneut eine Personenkontrolle durch. Einer der zwei Beamten sprach das Kind in gebrochenem Romanes an. Bereits aus diesem Umstand wird deutlich, dass die Beamten das Kind der Minderheit der Sinti und Roma zuordneten. Hierbei wurde das Kind sinngemäß mit den Worten „Einer von den Zigeunern, die kennen wir ja“, „Du kommst eine Nacht hinter Gittern“ und „Der Tod kommt dich holen“ bedroht. Die Polizeibeamten durchsuchten das elfjährige Kind und fanden ein kleines Klappmesser. (…) Erst als ein weiterer Beamter hinzu kam, wurden dem Kind die Handschellen abgenommen. Das Kind wurde 30 Minuten in einem Verhörzimmer festgehalten und schließlich freigelassen. Es lief vollkommen verängstigt alleine nach Hause und überquerte dabei eine viel befahrene Schnellstraße, auf der das Kind im Jahr zuvor von einem Auto angefahren worden war…“ Aus der Pressemitteilung vom 10. Februar 2021 beim Verband Deutscher Sinti und Roma Landesverband Baden-Württemberg , siehe dazu weitere Informationen:
- „Halt die Schnauze“ – Roma-Verband kritisiert Polizeiübergriff auf Elfjährigen in Singen
„Der Landesverband Deutscher Sinti und Roma in Baden-Württemberg hat schwere Vorwürfe gegen die Polizei in Singen erhoben. Die Beamten hätten am vergangenen Samstag einen elfjährigen Jungen vor dem Wohnhaus seiner Großmutter kontrolliert, bedroht und in Handschellen aufs Polizeirevier gebracht, teilte der Landesverband am Mittwoch in Mannheim mit. Er forderte Innenminister Thomas Strobl (CDU) auf, den Vorfall aufzuklären. Zudem habe die Familie Strafanzeige gestellt. Vor dem Wohnhaus der Großmutter hätten zwei Polizeibeamte spielende Kinder kontrolliert und dabei den Sinto in gebrochenem Romanes sinngemäß mit Worten wie „Einer von den Zigeunern, die kennen wir ja“, „Du kommst eine Nacht hinter Gittern“ und „Der Tod kommt dich holen“ bedroht. Nachdem sie bei dem Elfjährigen ein kleines Klappmesser fanden, hätten sie ihn gefesselt zur Polizeiwache gebracht. Dem Jungen sei nicht erlaubt worden, seine Eltern zu verständigen, kritisierte der Verband. Nach Darstellung des Verbands flehte das Kind die Beamten an, seine Mutter benachrichtigen zu dürfen. Weiter heißt es in der Stellungnahme: „Es wies die Beamten auch darauf hin, dass es wegen eines kurz zuvor erlittenen Unfalls drei angebrochene Rippen hätte und an Asthma leide. Das Kind wurde dennoch mit körperlicher Gewalt auf den Rücksitz des Einsatzwagens verbracht. Im Auto wiederholte es, dass es an Asthma leide und die Fesselung ihm Atemprobleme bereite. Als Reaktion sagte die Polizeibeamtin: ‚Halt die Schnauze‘“. Erst nach 30 Minuten im Polizeipräsidium sollen dem Kind die Handschellen abgenommen worden sein. Danach sei der Junge verängstigt und alleine nach Hause gegangen, so der Verband weiter. Weder der Mutter noch dem Kind sei das Vorgehen erläutert worden. Daniel Strauß, Vorstandsvorsitzender des Landesverbands Deutscher Sinti und Roma in Baden-Württemberg erklärt: „Dieser Fall fügt sich in eine Reihe von aktuellen Vorkommnissen von Polizeigewalt gegen unsere Minderheit ein, wie 2016 in Heidelberg und 2020 in Freiburg und auch in Singen“. Der Verband vertritt die Interessen der betroffenen Familie. Sie hat Strafanzeige gestellt und wird anwaltlich von Mehmet Daimagüler vertreten, der Nebenklagevertreter im „NSU-Prozess“ war…“ Meldung vom 11. Februar 2021 von und bei MiGAZIN - Vorwürfe gegen Polizei: Elfjähriges Kind in Handschellen
„… „Ein Kind festzunehmen, ist eindeutig rechtswidrig“, sagte Daniel Strauß, Vorsitzender des Landesverbands der Sinti und Roma, der Süddeutschen Zeitung. Er weist auf besondere Umstände hin, die offenbar mit der Herkunft des in Deutschland geborenen und einen deutschen Pass besitzenden Kindes zu tun hätten. (…) Kinder unter 14 Jahren sind nach deutschem Recht nicht strafmündig. Auch gelten zum Schutz von Jugendlichen und Heranwachsenden besondere Vorschriften, nicht zuletzt das Recht der Eltern auf Anwesenheit bei polizeilichen Vernehmungen. „Ein Kind kann sich noch weniger als ein schon älterer Jugendlicher gegen Willkürmaßnahmen schützen“, so Daniel Strauß vom Landesverband der Sinti und Roma. Die Familie von Tiziano L. hat nun Strafanzeige gegen die beteiligten Polizisten erstattet, die Vorwürfe lauten Freiheitsberaubung und Nötigung im Amt. Das Kind ist weder besonders groß für sein Alter, noch – so heißt es aus der Familie – sei es der Polizei durch früheres Fehlverhalten bekannt gewesen. (…) Ähnliche Vorwürfe der polizeilichen Diskriminierung gegen Sinti und Roma haben sich in Baden-Württemberg in letzter Zeit gehäuft. So laufen derzeit noch Ermittlungen wegen eines Polizeieinsatzes in Freiburg Ende April 2020. Dort waren Angehörige einer Roma-Familie zum Teil schwer verletzt worden, ein 48-jähriger Familienvater trug schwere Verwundungen durch Bisse eines Polizeihundes davon, zwei Frauen und ein weiterer Mann berichteten von Schlägen. Anlass für den Polizeieinsatz sei eine Bagatelle gewesen. Die Polizei erklärte damals, dass es zu Widerstandshandlungen gekommen sei, die Betroffenen gehen dagegen weiterhin juristisch vor. (…)Dass die Polizei mit großer Einsatzstärke ausrückt, wenn es um Sinti und Roma geht, beobachtet der Landesverband immer wieder. In Heidelberg rückten die Beamten 2016 wegen einer Ruhestörung bei einer Geburtstagsfeier an – mit zwei Mannschaftswagen, etwa zwölf Autos und fünf Hunden. Nach Angabe der Betroffenen hätten die Beamten unverhältnismäßig Gewalt angewendet. Das Innenministerium habe damals eine interne Untersuchung zu dem Einsatz eingeleitet, sagt eine Sprecherin des Landesverbands. „Die Ergebnisse liegen uns nicht vor.“…“ Beitrag von Claudia Henzler und Ronen Steinke vom 10. Februar 2021 bei der Süddeutschen Zeitung online