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Britische Krankenhäuser vor dem Kollaps: Des Virus Werk – und Frau Thatchers (samt „Erben“) Beitrag

Dossier

Ein Tag ohne uns am Krankenhaus im Londoner East End 20.2.2017„… Chef-Regierungsberater Whitty erkennt zu Recht: „Es wird Todesfälle geben, die vermeidbar gewesen wären.“ Hauptschuldiger ist bei ihm allerdings das Virus, das auf der Suche nach neuen Opfern quasi wie ein moderner Jack the Ripper durch die nebligen Londoner Gassen streift: „Wenn das Virus so weitermacht, werden Krankenhäuser in echten Schwierigkeiten sein, und zwar bald.“ Ein kurzer Blick zurück mit etwas breiterem geistigen Horizont zeigt jedoch, dass die Überraschung nicht nur für diesen Chefberater ganz so groß kaum gewesen sein kann. Vor ziemlich genau drei Jahren brachte beispielsweise das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ am 15.1.2018 einen Artikel zum britischen Gesundheitswesen mit dem Titel: „Eine Grippewelle – und das System wankt“. Der Untertitel kommt einem irgendwie bekannt vor, denn dort heißt es: „Überfüllte Betten, verschobene OP‘s: In englischen Kliniken herrscht Ausnahmezustand – die Rede ist von der schwersten Krise des Gesundheitsdienstes NHS seit Jahrzehnten.“...“ – aus dem Beitrag „Thatcher und der Angriff der Virus-Mutanten“ von einem Mitglied des Gewerkschaftsforums Hannover vom 05. Februar 2021 (wir danken!), den wir hier dokumentieren, und weitere Entwicklung (speziell zum NHS siehe unser Dossier: Der Bankrott der britischen Neoliberalen: 17.000 Betten weniger und Mangel an Beatmungsgeräten im Nationalen Gesundheitsdienst (NHS)):

  • Pförtner und Reinigungskräfte der Firma Serco in Londoner NHS-Krankenhäusern seit 2.2.22 im mehrwöchigen Streik gegen Lohndiskriminierung und für Insourcing – einer einstweiligen Verfügung gegen Protestaktivitäten zum Trotz New
    Das Sicherheitspersonal befindet sich seit dem 2. Februar im Streik und fordert den gleichen Jahresurlaub, die gleiche Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und den gleichen beruflichen Aufstieg wie die Beschäftigten des NHS. Als ausgelagerte Arbeitskräfte, die bei einem Drittunternehmen, Carlisle Support Services (Carlisle), beschäftigt sind, erhalten sie diese Leistungen nicht. Der Streik ist für sechs Wochen geplant, was ihn zu einer der längsten Arbeitsniederlegungen in der Geschichte des Gesundheitswesens machen würde. Die Reinigungskräfte verklagen gleichzeititg das „Great Ormond Street Hospital“ wegen rassistischer Diskriminierung und ungleicher Bezahlung – alle Aktionen finden breite Unterstützung und werden als Teil des Kampfes um den NHS begroffen (siehe dazu unser Dossier: Der Bankrott der britischen Neoliberalen: 17.000 Betten weniger und Mangel an Beatmungsgeräten im Nationalen Gesundheitsdienst (NHS)):

    • Pförtner und Reinigungskräfte in Londoner NHS-Krankenhäusern beginnen zweiwöchigen Streik
      Barts, Royal London und Whipps Cross: Hunderte von Serco-Mitarbeitern streiken wegen der Bezahlung. Hunderte Beschäftigte von NHS-Krankenhäusern in London, darunter Pförtner, Reinigungskräfte und Catering-Personal, werden ab Montag im Rahmen eines Lohnstreits in den Streik treten. Die Mitarbeiter des Outsourcing-Unternehmens Serco im St. Bartholomew’s, im Royal London und im Whipps Cross werden für zwei Wochen in den Ausstand treten.
      Sie sind Mitglieder der Gewerkschaft Unite, die behauptet, dass vor allem Schwarze, Asiaten und Angehörige ethnischer Minderheiten bis zu 15 % weniger Lohn erhalten als direkt angestellte NHS-Mitarbeiter.
      Sharon Graham, die Generalsekretärin von Unite, sagte: „Die NHS-Beschäftigten, die streiken, haben die uneingeschränkte Unterstützung ihrer Gewerkschaft. Sie sind den gleichen Risiken ausgesetzt wie die NHS-Beschäftigten. Warum um alles in der Welt werden sie deutlich schlechter bezahlt und gleichzeitig schändlich behandelt? „Es ist an der Zeit, diese Ungerechtigkeit zu beenden. Es ist an der Zeit, diese Arbeiter, die bei Serco und nicht beim NHS angestellt sind, wieder in den NHS einzugliedern.“ Für Montag sind Kundgebungen vor dem Royal London Hospital und später in der Woche vor Barts und Whipps Cross geplant. Peter Kavanagh, regionaler Sekretär von Unite, sagte: „Unsere Mitglieder haben während der Pandemie unermüdlich gearbeitet, sie haben etwas Besseres verdient. Serco und Barts müssen eine Lohnerhöhung vorlegen, die die schlechte Bezahlung und die ungleiche Behandlung im Vergleich zu direkt angestellten NHS-Mitarbeitern in anderen Londoner Krankenhäusern angeht.“…“ Maschinenübersetzung des (engl.) Artikels von Haroon Siddique vom 31.1.2022 in the Guardian externer Link („Porters and cleaners at London NHS hospitals begin two-week strike“)
       
    • High Court verbietet streikenden Krankenhausmitarbeitern das „Schwenken von Transparenten“ und „jeglichen lauten Lärm
      Das Great Ormond Street Hospital beantragte die einstweilige Verfügung mit der Begründung, der „übermäßige Lärm“ der Demonstranten habe „Kinder zu Tränen gerührt“. Die Gewerkschaft bezeichnete dies als einen „Vorgeschmack“ darauf, wie das Polizeigesetz der Regierung Proteste unterdrücken wird. Demonstranten und streikenden Sicherheitskräften in der Great Ormond Street ist es untersagt worden, vor dem berühmten Kinderkrankenhaus Transparente zu schwenken, „kräftig zu tanzen“, zu schreien und „jeden anderen lauten Lärm“ zu machen. Der High Court hat der Gewerkschaft United Voices of the World (UVW) eine einstweilige Verfügung zugestellt, nachdem das Krankenhaus beantragt hatte, dass „übermäßiger Lärm und Störungen“ seit Beginn des Streiks „Kinder zu Tränen gerührt“ und die Ärzte daran gehindert hätten, ihre Arbeit ordnungsgemäß zu erledigen. Die gerichtliche Verfügung verbietet der Gewerkschaft, ihrem Geschäftsführer Petros Elia und „unbekannten Personen“ auch das Abspielen von Musik, das Fotografieren von Personen, die das Krankenhaus betreten oder verlassen, das Blockieren von Zugängen und Verhaltensweisen, die „objektiv betrachtet“ wahrscheinlich alarmierend, einschüchternd oder beunruhigend sind...“ Maschinenübersetzung des (engl.) Artikels von Evie Breese vom 14.2.2022 in The Big Issue externer Link

      • Was von deren Gewerkschaft United Voices of the World (UVW) natürlich als eine Einschränkung des Streikrechts verstanden wird, wobei sie breit unterstützt wird: Über 180 AkademikerInnen haben einen offenen Brief externer Link verfasst, in dem sie ihre Solidarität mit dem streikenden Sicherheitspersonal des Great Ormond Street Hospital zum Ausdruck bringen und die Aufhebung der vom Krankenhaus erlassenen einstweiligen Verfügung fordern. Siehe auch den Aufruf:
      • Das Sicherheitspersonal des GOSH ruft die Gewerkschaftsbewegung auf, ihr Recht auf Streikposten zu unterstützen, das durch eine einstweilige Verfügung bedroht ist
        Wir rufen alle Menschen aus der Arbeiterklasse und alle Gewerkschafter dazu auf, sich die Hände zu reichen, denn wir sehen einen Versuch, die Stimmen der arbeitenden Menschen zu ersticken und die Bewegung der Gewerkschaften zu unterdrücken…“
        (engl.) Aufruf von Sam Awittor externer Link, einer der streikenden Sicherheitskräfte im GOSH, dukumentiert am 14.2.2022 bei UVW (samt Video)
    • Reinigungskräfte verklagen Great Ormond Street Hospital wegen rassistischer Diskriminierung und ungleicher Bezahlung
      „“Das GOSH hat uns lange Zeit ausgeraubt und Ausreden gefunden, um uns nicht fair zu behandeln. Es soll sich um uns kümmern, aber es hat uns in die Hände privater Unternehmen gegeben, die uns schikaniert und uns unser Recht auf NHS-Lohn und andere Leistungen verweigert haben. GOSH wusste davon und hat nichts unternommen. Also müssen wir sie vor Gericht bringen, um Gerechtigkeit zu erlangen. Und Gerechtigkeit werden wir bekommen.“  Memuna Kabia, Reinigungskraft für GOSH und Mitglied von United Voices of the World
      Eine Gruppe von Reinigungskräften des Great Ormond Street Children’s Hospital (GOSH) und UVW-Mitglieder verklagen das Krankenhaus wegen mittelbarer Rassendiskriminierung im Nationalen Gesundheitsdienst (NHS). Die 83 Reinigungskräfte, bei denen es sich überwiegend um schwarze, braune und zugewanderte Arbeitnehmer handelt, fordern die gleiche Bezahlung und die gleichen Arbeitsbedingungen wie das übrige Personal, das überwiegend weiß ist.
      Die Reinigungskräfte des GOSH haben im vergangenen Sommer einen Kampf gegen die Auslagerung gewonnen, als sie das Krankenhaus dazu zwangen, den privaten Auftragnehmer OCS Group UK Ltd. zu verlassen und ihre Verträge intern zu übertragen. Sie erwarteten, dass ihre Arbeitsbedingungen automatisch an die NHS-Verträge angepasst würden, die durch die Agenda für den Wandel (AfC) von 2004 geregelt werden, aber zu ihrer Überraschung dauert es lange, bis sich etwas ändert. Gemäß der AfC-Vereinbarung sollten sie dieselben Gehälter und Leistungen erhalten wie das übrige Personal. Jetzt wollen sie nicht nur, dass ihre Bedingungen denen ihrer Kollegen entsprechen, sondern auch eine Entschädigung für die Jahre, in denen sie privat zu schlechteren Bedingungen beschäftigt waren…“ Maschinenübersetzung der (engl.) Meldung vom 26.1.22 bei UVW externer Link
  •  „Sind im Krisenzustand“: Britische Kliniken rufen Katastrophenfall wegen Omikron aus
    Die Omikron-Variante setzt das britische Gesundheitssystem unter Druck. Wegen Personalausfällen mussten mehrere Kliniken den Katastrophenfall ausrufen. Auch in anderen Bereichen hinterlässt die hohe Zahl der Ansteckungen bereits Spuren. (…) Mindestens sechs Krankenhausstiftungen, zu denen teilweise mehrere Kliniken gehören, haben sich angesichts der heftigen Corona-Welle bereits zu diesem Schritt entschieden, wie die BBC am Dienstag berichtete. Krankenhäuser rufen den Katastrophenfall aus, wenn die Verantwortlichen der Ansicht sind, dass sie notwendige Behandlungen nicht mehr gewährleisten können. Der Chef der NHS Confederation, in der Organisationen des nationalen Gesundheitsdienstes zusammengeschlossen sind, Matthew Taylor, schrieb der BBC zufolge in einem Beitrag, „in vielen Teilen des Gesundheitssystems sind wir aktuell im Krisenzustand“. In einigen Krankenhäusern würden Beschäftigte bereits gebeten, freie Tage aufzugeben, damit der Betrieb aufrechterhalten werden könne. Premierminister Boris Johnson gestand ein, dass der Druck auf das Gesundheitssystem voraussichtlich noch mehrere Wochen anhalten wird. Bislang wehrt sich die britische Regierung jedoch trotz Rekord-Neuinfektionszahlen, schärfere Maßnahmen einzuführen…“ Beitrag vom 04.01.2022 bei RND externer Link, siehe dazu:
  • Pflegerinnen und Pfleger in Großbritannien verurteilen Untätigkeit der Regierung angesichts der Omikron-Welle
    „Angestellte des britischen National Health Service (NHS, staatlicher Gesundheitsdienst) aus dem ganzen Land haben gegenüber NHS FightBack ihre Wut über die Johnson-Regierung geäußert, die das volle Ausmaß der Krise durch die Omikron-Welle nicht einmal anerkennt, geschweige denn etwas dagegen unternimmt. Während jeder Tag neue Rekordwerte bei Infektionen und Hospitalisierungen bringt, sind die wiederholten Versprechen, die Überlastung des NHS zu verhindern, längst in Vergessenheit geraten. (…) Laut den jüngsten verfügbaren Daten von NHS England vom 19. Dezember fehlten in den Intensivmedizin-Einrichtungen des NHS 18.829 Beschäftigte wegen Covid-19, was eine Steigerung um 54 Prozent im Vergleich zur Vorwoche (12.240 Beschäftigte) bedeutet. Die Krankenhäuser wurden obendrein angewiesen, ihre Leichenhallen zu überprüfen. Ein NHS-Pfleger aus Nordwestengland erklärte, wie Stress und Ermüdung den Ausfall von Arbeitern weiter erhöht: „Alle sind nur müde und ausgelaugt. Die Belastung, in einer Covid-Station zu arbeiten – und dass das mit Omikron wieder passieren wird und es diesmal möglicherweise schlimmer werden kann, zermürbt die Leute. Einige von uns haben sich im Laufe dieses Jahres aufgrund von Stress freinehmen müssen. Fast alle von uns hatten Covid in unterschiedlichem Ausmaß. Ich habe mit Beratern, Ärzten und Pflegern gesprochen, die alle sagten, dass sie, als sie durch das Virus krank wurden, glaubten, sie müssten sterben.“ (…) Eine junge Pflegerin aus London erklärte gegenüber der Nursing Times: „Mehrere Mitglieder meines Teams haben sich krankgemeldet, nachdem sie mit Covid-Fällen in Kontakt gekommen sind oder selbst positiv getestet wurden. Die Folge ist, dass die Dienstälteren unter größerem Druck stehen, um die Arbeit mit einer schwindende Personaldecke und erhöhtem Tempo für die verbleibenden Mitarbeiter zu organisieren.“ Sie erklärte, die Lage fühle sich an wie „ein Rückfall in den März 2020, nur dass ich damals mehr Hoffnung hatte als jetzt“…“ Beitrag von Richard Tyler vom 3. Januar 2022 bei wsws.org externer Link

  • Großbritannien: Der Markt regelt das (nicht). Personalvermittler für Pflegekräfte treiben ihre Preise für den Verleih von Pflegekräften nach oben 
    „… Personalvermittlungsagenturen verdreifachen die Tarife, während Pflegeheime und der NHS um Pflegekräfte kämpfen: Der Mangel an Pflegekräften ermöglicht es gewinnorientierten Personalvermittlungsagenturen, ihre Preise zu verdreifachen. Dadurch steigt das Risiko, dass schutzbedürftige Patienten gezwungen sind, in ein anderes Pflegeheim umzuziehen, und die Belastung für den staatlichen Gesundheitsdienst steigt. Das berichtet James Tapper in seinem Artikel Staffing agencies triple rates as care homes and NHS fight over nurses externer Link. Dort findet man nicht nur ein englisches Pendant zur deutschen Debatte über Leiharbeit in der Pflege, sondern auch einige aufschlussreiche Zahlen, einschließlich der Folgen der Corona-Pandemie, die dem schon vorher auch im Vereinigten Königreich vorhandenen Mangel an Pflegekräften einen weiteren Schub gegeben haben. Tapper berichtet: Die Personalkrise zwingt einige Pflegeheime dazu, sich zu „standard residential care homes“ herunterzustufen, ohne eine pflegerische Unterstützung für entsprechend pflegebedürftige Menschen. Das wiederum hat Folgen in den Krankenhäusern, denn für die wird es schwieriger, pflegebedürftige Patienten zu entlassen, da die Kapazitäten im Pflegeheimbereich verringert werden.
    Einige Krankenhäuser haben ihr eigenes Personal in Pflegeheime verlagert, um Betten in Krankenhäusern freizumachen. An anderen Orten konkurrieren die regionalen Ableger des National Health Service (NHS) mit Pflegeanbietern um Personal. (…) Der NHS müsse für die Kliniken selbst auf die Agenturen zurückgreifen. »Der NHS bietet also gegen uns, was die Preise in die Höhe treibt, und das Ganze hat sich zu einer völlig verrückten Spirale entwickelt. Die Agenturen ziehen daraus einen riesigen Profit.«
    „Wir müssen das vorhandene Personal bitten, mehr Schichten zu übernehmen und mit Leiharbeitern aufzufüllen. Wir versuchen, einen Weg zu finden, Leute aus dem Ausland anzuwerben, aber das dauert“, so Geoff Butcher von der Blackadder Corporation. (…) Nadra Ahmed, die Vorsitzende der National Care Association, wird mit den Worten zitiert: „Ich denke, die Agenturen haben die Gelegenheit genutzt, um ihre Preise in die Höhe zu treiben. Das ist der Effekt der Marktkräfte, und das ist wirklich besorgniserregend. Das ist Geschäftemacherei. Die Regierung muss eingreifen und das Geschehen eindämmen.“ Aber auch Nadra Ahmed von der National Care Association sieht die Ambivalenz der Flucht eines Teils der Pflegekräfte in die Leiharbeit: „You have an exhausted workforce, having come through Covid, when they were pretty much left on their own, and they have the option not to do it any more. They can choose not to work on Saturdays, or on nights. Agencies are aggressively recruiting and making money out of this, but you can see that some people do want a work-life balance.“ [„Sie haben eine erschöpfte Belegschaft, die durch Covid gekommen ist, als sie so gut wie auf sich allein gestellt war, und sie haben die Möglichkeit, dies nicht mehr zu tun. Sie können sich dafür entscheiden, nicht an Samstagen oder nachts zu arbeiten. Die Agenturen werben aggressiv um Mitarbeiter und verdienen damit Geld, aber man kann sehen, dass einige Leute ein Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben wünschen.“] (…) Die Personalnot wird auch auf der Insel durch Corona immer größer: Aus Daten von Skills for Care geht hervor, dass in den letzten zwölf Monaten 410.000 Menschen ihren Arbeitsplatz in der Pflege aufgegeben haben, ein gewaltiger Aderlass. Pflegeanbieter sagen, dass sie nicht in der Lage sind, die Löhne zu erhöhen, um mit Einzelhändlern wie Amazon zu konkurrieren, da die Finanzierung für viele Menschen in der Pflege von der Regierung kommt. Das kennen wir aus Deutschland auch – mit den öffentlichen Mitteln, die den Pflegebedürftigen gewährt werden, können die höheren Kosten nicht refinanziert werden. (…) Und die auf dem „Markt“ verlangten Preise sind auch das Resultat des Wettbewerbs um das knappe Gut Pflegekräfte: „Ein verstecktes Problem ist die Abwerbung von Pflegekräften durch den NHS, entweder durch subtile Ermutigung oder durch offene Anwerbung“, so Eddy McDowall. „Eine wachsende Zahl von Pflegeheimen berichtet, dass Pflegekräfte aller Ebenen einfach kündigen und zu Akutkrankenhäusern gehen, die sie einstellen.“ Das nun ist ein Phänomen, das auch aus Deutschland berichtet wird, vor allem, seitdem die Kliniken jede zusätzliche Pflegekraft, die sie einstellen (können), auch voll gegenfinanziert bekommen (können)...“ Beitrag vom 14. November 2021 von und bei Stefan Sell externer Link – siehe auch unser Dossier: Überlastung treibt Krankenpflegekräfte in die Leiharbeit (in Deutschland)
  • Health Workers United zum Aktionstag am 3. Juli: Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitswesen – „Wir müssen diesen Kampf in unsere eigenen Hände nehmen“
    „… Wir müssen Euch nichts Neues über die Situation erzählen. Wir alle haben seit 2010 real 10% Lohn verloren, das Angebot von 1% oder gar 4% ist eine Schande, die Inflation steigt. Es ist genug Geld im Umlauf, aber es landet in den falschen Taschen, bei diesem oder jenem CEO oder Investor oder Freund von No.10 (gemeint ist Downing Street 10, Sitz des PM, d.Ü.). Wo das Geld landet, ob in unserer oder deren Tasche, ist eine Frage der Macht. Wie können wir unsere Macht ausbauen? Macht ist etwas anderes als Appellieren oder Lobbyarbeit. Sie werden uns nicht mehr Geld geben, weil wir während der Pandemie einen großartigen Job gemacht haben und die Leute für uns geklatscht haben. Sie werden uns nicht bezahlen, weil wir freundliche und sanfte Seelen sind. Sie werden uns nicht bezahlen, weil dieser oder jener Abgeordnete ein Wort für uns einlegt oder wir 100.000 Follower auf Twitter haben. Sie werden nicht genug Druck verspüren, wenn wir nur auf einen weiteren eintägigen Protestmarsch gehen. Die einzige Chance, die wir haben, ist, echten Druck auszuüben. Eine Menge Arbeit, die wir machen, schafft Gewinne für Trusts und auf Umwegen für ausgelagerte Unternehmen. Wir können streiken, andere Beschäftigte im Gesundheitswesen auf der ganzen Welt tun das jeden Tag, ohne das Leben der Patienten zu gefährden. Es stimmt, wir arbeiten nicht in einer Autofabrik oder in einem Callcenter einer Bank, wir kümmern uns um kranke Menschen. Aber wir wissen selbst am besten, welche Arbeit unmittelbar notwendig ist, um Leben zu retten, und welche nicht. (…) Es geht nicht nur um das Geld, es geht darum, wie wir arbeiten und unser Leben leben! Der ständige Stress und die Hetze, weil es zu viel Arbeit gibt. Die Hierarchien, die uns daran hindern, wirklich zusammenzuarbeiten. Die Art und Weise, wie uns das selbst krank macht. Die Tatsache, dass mit all dem gestressten Gesundheitspersonal und den gekürzten Geldern Krankenhäuser zu Orten werden, an denen die Patienten kränker werden, statt gesünder. Wir können sehen, dass die meisten Patienten durch diese gestresste, deprimierende Gesellschaft krank geworden sind, in der es eher darum geht, sich gegenseitig zu fressen, als miteinander zu leben. Krankenhäuser und Kliniken werden wie die Mülltonnen für diese Gesellschaft behandelt. Das alles können wir gemeinsam mit den Patienten aufheben!…“ Aktionsaufruf in Sūnzǐ Bīngfǎ Nr. #25 vom 28. Juni 2021 externer Link, es ist eine Übersetzung des Flugblatts der Health Workers United vom 21.6.2021 externer Link – siehe im Beitrag unten auch Berichte von kleinen und großen Aktionen, die von Mitarbeitern des Gesundheitswesens durchgeführt wurden

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Thatcher und der Angriff der Virus-Mutanten

Die aktuelle Corona-Berichterstattung der bürgerlichen Medien mit ihren „Experten“ gleicht häufig drittklassigen Horrorfilmen. Ganz besonders gilt das für die Covid-19-Mutation aus Großbritannien. Ein Beispiel dafür lieferte am 21.Januar 2021 der Chef des Verbandes der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands, Michael Weber, mit seiner Aussage in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“: „Wenn die Mutation so schlimm ist, wie Angaben aus England es vermuten lassen, dann gnade uns Gott.“

SPD-„Gesundheitsexperte“ Karl Lauterbach warnt in diesem Zusammenhang vor einem „Teufelskreis“ und sieht uns schon „vor einer neuen Pandemie“ stehen. Eine Pandemie ist für einen Mann wie Lauterbach einfach zu wenig.

Bevor dieser führende Sozialdemokrat gleich noch die Triple- oder Quattro-Pandemie kreiert, lohnt sich ein Blick über den Virologen-Tellerrand und das Kurzzeitgedächtnis bürgerlicher Journalisten bei ihrer Jagd nach höheren Auflagen und Einschaltquoten dank immer neuer Panikmache.

Die ZDF-Nachrichtensendung „heute“ sah am 10.Januar 2021 unter Berufung auf den medizinischen Chefberater der Tory-Regierung Chris Whitty, „Britisches Gesundheitssystem vor dem Kollaps“. Für den Großraum London war bereits „wegen der hohen Auslastung der Krankenhäuser“ der „Katastrophenfall“ ausgerufen worden. Zur Veranschaulichung der dramatischen Lage heißt es im Beitrag weiter: „Vor den Notaufnahmen stauen sich schon jetzt die Rettungswagen. (…) Das Verhältnis von Krankenhauspersonal zu Patienten werde inakzeptabel werden.“

Chef-Regierungsberater Whitty erkennt zu Recht: „Es wird Todesfälle geben, die vermeidbar gewesen wären.“ Hauptschuldiger ist bei ihm allerdings das Virus, das auf der Suche nach neuen Opfern quasi wie ein moderner Jack the Ripper durch die nebligen Londoner Gassen streift: „Wenn das Virus so weitermacht, werden Krankenhäuser in echten Schwierigkeiten sein, und zwar bald.“

Ein kurzer Blick zurück mit etwas breiterem geistigen Horizont zeigt jedoch, dass die Überraschung nicht nur für diesen Chefberater ganz so groß kaum gewesen sein kann. Vor ziemlich genau drei Jahren brachte beispielsweise das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ am 15.1.2018 einen Artikel zum britischen Gesundheitswesen mit dem Titel: „Eine Grippewelle – und das System wankt“. Der Untertitel kommt einem irgendwie bekannt vor, denn dort heißt es: „Überfüllte Betten, verschobene OP‘s: In englischen Kliniken herrscht Ausnahmezustand – die Rede ist von der schwersten Krise des Gesundheitsdienstes NHS seit Jahrzehnten.“

Der Autor Sascha Zastiral beobachtete bereits vor drei Jahren etwas, das uns nun als ganz neue Weltsensation präsentiert wird, die angeblich auf die „hochansteckende Virusmutation B 1.1.7“ zurückzuführen ist: „Immer wieder müssen Patienten vor Krankenhäusern in Rettungswagen warten, weil in den Notaufnahmen kein Platz ist.“
Damals schrieben 68 Leiter von britischen Notaufnahmen einen Offenen Brief an die seinerzeitige konservative Premierministerin Theresa May, in dem sie massive Verbesserungen forderten und sie darauf hinwiesen: „In den Fluren der Krankenhäuser stürben die Patienten.“

Spiegel-Redakteur Zastiral stellte damals fest: „Kritiker haben schon lange vor Zuständen wie diesen gewarnt – und wurden ignoriert. Der NHS kämpft seit Jahren mit massiven Finanzierungsproblemen und Personalmangel. Die Konservativen Regierungen von David Cameron und Theresa May haben seit 2010 Gelder gekürzt. Inzwischen ist das NHS-Budget zwar wieder jährlich um etwa ein Prozent erhöht worden. Das reicht aber nicht aus, um mit dem Bedarf mitzuhalten.“
Auch Anna Lawin-O‘Brian, Chefärztin für Geburtshilfe an einem Londoner NHS-Hospital, diagnostizierte Anfang 2018 treffend: „Die Kernursache für die gegenwärtige Krise ist, dass die Regierung zu wenig Geld für den NHS bereitstellt.“ Es müssten vier Prozent mehr pro Jahr sein. Faktisch gab es in den Jahren zuvor aber nur Erhöhungen des Budgets zum Ausgleich der Inflation.

Die Website heartbeat-med.com liefert für das Jahr 2015 anschauliche Zahlen dazu:
Demzufolge gab Großbritannien 2015 nur 9,9% seines Bruttoinlandsproduktes für das Gesundheitswesen aus. In Deutschland waren es 11,3%. Je Einwohner bedeutete dies auf der Insel 3.857 Euro und in der BRD 4.184 Euro. Bei uns also 327 Euro jährlich mehr pro Kopf. Infolgedessen kam im Vereinigten Königreich ein Arzt auf 277 Einwohner und in der Bundesrepublik 1 Mediziner auf 217 Einwohner. Seitdem hat sich die Lage zumindest in punkto Intensivtherapie aber offenkundig nochmals verschlimmert: Laut dem aktuellen Premierminister Boris Johnson verfügt GB aktuell nur über 6,6 Intensivbetten je 100.000 Einwohner, während es in Deutschland 29,2 und in den USA sogar 34,7 Betten sind.
Diese ökonomischen, politischen und sozialen Tatsachen finden derzeit allerdings wenig bis keine Erwähnung. Das könnte damit zusammenhängen, dass auch in Deutschland, zum Beispiel von der Bertelsmann-Stiftung sowie den Chefs der AOK und der Techniker-Krankenkasse, inmitten der zweiten Corona-Welle, skrupellos Druck für massive Kürzungen der Bettenzahl in den Krankenhäusern und zum Teil sogar für die Schließung diverser Kliniken gemacht wird. Übrigens ohne dass es großen Protest gibt — weder vonseiten der Gewerkschaften, noch von der Masse der Lohnabhängigen noch von den viel zitieren „Experten“, wie den Herren Wieler, Drosten, Lauterbach & Co.
Die Profitmaximierung der Krankenhauskonzerne auf unserem Rücken dank Rationalisierung, erhöhtem Arbeitsstress, möglichst geringer Arbeitssicherheit, Outsourcing etc.  soll offenbar trotz der aktuellen Erfahrungen fröhlich so weitergehen. Das ist Sozialdarwinismus in Reinkultur.

Das Beispiel Großbritannien lehrt allerdings im Zusammenhang mit der aktuellen Pandemie noch etwas ganz  entscheidendes, was die beschränkte Virologensichtweise nicht zu erfassen vermag, weil es nichts mit Mikroben, dafür aber viel mit den Auswirkungen der neoliberalen Politik der Thatcher-Regierungen und ihrer Nachfolger auf die Arbeits- und Lebensbedingungen in Britannien zu tun hat.

In einer seltenen Ausnahme von der Schmalspurberichterstattung zur britischen Corona-Mutation B 117 brachte der Fernsehsender “n-tv“ am 22.1.2021 auf seiner Website einen Artikel, der spannende Fakten zusammenfasst, die die progressive britische Tageszeitung „Guardian“ aus internen Regierungsdokumenten erfahren hatte.
„Viele Menschen in Großbritannien halten sich aus Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes nicht an Quarantäne-Regeln.(…) Demnach lassen sich nur 17 Prozent der Bürger mit Corona-Symptomen überhaupt testen.“ 15 Prozent (also jeder siebte) der positiv auf Corona Getesteten geht weiter zur Arbeit, weil „sie befürchten, andernfalls ihren Job zu verlieren“. Und: „Nur jeder vierte positiv Getestete hält sich anschließend an die Vorschriften und bleibt zehn Tage in Quarantäne.“

Weniger als die Lust auf „Orgien“ oder „Halligalli“, wie von hiesigen Lockdown-Fans immer wieder beklagt, dürfte dabei die materielle Situation die entscheidende Rolle spielen. Neben der durch die thatcheristische Politik massiv vorangetriebenen Atomisierung der Gesellschaft geht es einmal mehr ums Geld fürs Überleben: „Die britische Regierung wies unterdessen Medienberichte zurück, denen zufolge alle positiv auf Corona getesteten Menschen in England je 500 Pfund (gut 560 Euro) erhalten sollen. Es sei keine Ausweitung der Sonderzahlung geplant, sagte ein Sprecher des Premierministers Boris Johnson am Nachmittag.“ Eine Ausweitung würde bis zu 453 Millionen Pfund Sterling in der Woche kosten. Das sei dem Finanzministerium einfach zu viel.

Da bekommt der Begriff „Kaputtsparen“ eine noch krassere, greifbarere Bedeutung, die den bürgerlichen Talkshow-Dauergästen und Dampfplauderern und ihren pseudo-linken Nachplapperern mit schöner Regelmäßigkeit entgeht. Dabei wäre ohne die weitgehende Einknastung der Bevölkerung mit Kontaktsperre, „gesteuerter Informationspolitik“ (wie sie der stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes stolz reklamierte), der Suspendierung diverser Grundrechte, der weiteren massiven Aushöhlung der bürgerlichen Demokratie, der Ruinierung ganzer Wirtschaftszweige mitsamt dem Verlust Hunderttausender Arbeitsplätze und der Etablierung eines repressiven Nachtwächterstaates ein wesentlich wirksamerer Gesundheitsschutz auch mit mutierten Viren durchaus möglich.

Ohne Klassenkampf (für den es Entschlossenheit, Selbstbewusstsein, Bewegungsfreiheit, Kollektivität und Zivilcourage braucht) und ohne eigenständiges, kritisches Denken wird das aber nichts werden.

Ein Mitglied des Gewerkschaftsforums Hannover am 5.2.2021 – wir danken!

Siehe zur Lage im Großbritannien im LabourNet Germany u.a.:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=186210
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