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#BeLikeNina: Der Kampf gegen das kapitalistische Gesundheitswesen in der Ukraine wächst

Dossier

Der Kampf gegen das mörderische kapitalistische Gesundheitswesen in der Ukraine wächstIn der Ukraine hat die Regierung trotz Corona und jetzt auch noch Kriegsangriff aus Russland den Gesundheitsbereich seit 2018 enorm zusammengekürzt. Privatisierungen, Lohnsenkungen, Fallpauschalensystem sorgen für große Probleme in der Versorgung der Patient:innen. Das Monatsgehalt von Ärzt:innen und Pflegekräften liegt unter dem Mindestlohn. Unter anderem hat sich dagegen die Kampagne „Mach es wie Nina“ gegründet, in der vor allem Pflegekräfte für den Ausbau von Krankenhäusern und Verbesserungen von Arbeitsbedingungen kämpfen. Siehe dazu auch den Bericht „Ukraine: Pflegepersonal fordert bessere Arbeitsbedingungen“ am 09. Januar 2021 bei der Anarchistischen Föderation externer Link (Übersetzung eines Beitrags der französischen CNT über den Kampf in der Ukraine). Siehe dazu weitere Texte zum Kampf der Pfleger:innen und Ärzt:innen in der Ukraine:

  • Konferenz des Gesundheitspersonals in Ukraine berichtet über Hindernisse und Herausforderungen für den Gesundheitssektor in Kriegszeiten New
    Kurzbericht über die Konferenz des Gesundheitspersonals, die am 10. Mai 2024 in Kiew, Ukraine, stattfand
    Die Konferenz wurde von der medizinischen Bewegung „Be Like Nina“ organisiert und ihr Datum stand im Zusammenhang mit dem Internationalen Tag der Krankenschwestern (12. Mai). Sie fand im Konferenzraum der nationalen ukrainischen Nachrichtenagentur (Ukrinform) statt und wurde sowohl auf Be Like Nina als auch auf Ukrinform live übertragen. Mehr als 20 Personen aus der ganzen Ukraine nahmen daran teil, und zwischen 20 und 30 Personen beteiligten sich zu verschiedenen Zeiten online. Bei den Teilnehmern handelte es sich hauptsächlich um Krankenschwestern (aus Kliniken und Krankenhäusern sowie Schulen und Kindergärten). Außerdem waren zwei Militärsanitäter (ein in Erster Hilfe und taktischer Medizin ausgebildeter Soldat und ein Neurologe, der derzeit in der Armee dient) und ein Chirurg aus einem zivilen Krankenhaus anwesend. Vitali Dudin von Sotsialnyi Rukh war als Experte für Arbeitsrecht eingeladen, und einige andere Personen von Sotsialnyi Rukh waren im Publikum. Ignacy Jóźwiak (von der Gewerkschaft Inicjatywa Pracownicza – Polnische Arbeitnehmerinitiative) war als Delegierter des Internationalen Gewerkschaftsnetzwerks von Solidarität und Kampf eingeladen und hielt eine kurze Rede. Auf der Website von Be Like Nina ist zu lesen:
    Die Veranstaltung bot militärischen und zivilen Ärzten die Möglichkeit, ihre Probleme und ihre Vorstellungen von deren Lösung zu teilen. So sprachen beispielsweise Iryna Prykhodko und Ilya Gorodchykov über das Engagement der freiwilligen Ärzte an der Front, wiesen aber darauf hin, dass die Versorgung manchmal unzureichend ist. Die Kampfmediziner sprachen auch ausführlich über die Besonderheiten der taktischen Medizin, einer Spezialisierung, die gesondert studiert werden sollte. Ihre zivilen Kollegen, darunter die Vorsitzende des Verbandes, Oksana Slobodiana, wiesen darauf hin, dass eine solche Ausbildung im Rahmen des Krankenpflegestudiums besser geeignet wäre als die Programme in ihrer derzeitigen Form. […] Eine Kindergärtnerin, Oksana Danilova, und ihre Kolleginnen und Kollegen aus den Schulen warfen die Frage des Lohngefälles für Gesundheitspersonal in Bildungseinrichtungen auf. In diesem Fall, in der Region Lemberg, ist es den Ärzten gelungen, ihre Gehälter in Form von verschiedenen Prämien zu erhöhen. Sie liegen jedoch immer noch knapp über dem Mindestlohn und erreichen nicht die 13 500 ukrainischen Griwna, die allen Krankenschwestern garantiert werden. Vitali Dudin, Anwalt der Vereinigung und Aktivist der NRO Social Movement, wies darauf hin, dass dieses Lohngefälle einen Verstoß gegen internationale Standards darstellt, die gleichen Lohn für gleiche Arbeit garantieren. Dasselbe gilt für die Resolution 28, die es den Krankenhausverwaltungen erlaubt, die Zahlungen an das Personal zu kürzen, wenn sie die Kosten als zu hoch erachten. Die Ärzte sprachen auch von Problemen bei der Zertifizierung gefährlicher Arbeitsplätze. [Antonina Shatsylo wies insbesondere auf die Verletzung von Sicherheitsstandards durch Mitarbeiter in Röntgenräumen hin. Sie sprach auch über die Trägheit der Arbeitsinspektionen. Die Ärzte betonten, dass die Arbeitsbelastung der Krankenschwestern und -pfleger ständig zunehme, da die unzureichenden Arbeitsbedingungen die Menschen dazu veranlassten, den medizinischen Bereich zu verlassen [nicht genug Leute zum Arbeiten – Anm. d. Übersetzers]. Und dennoch führt der Staat keine garantierten und angemessenen Gehälter ein, die mehr Ärzte dazu bewegen würden, zu arbeiten. Abschließend wiesen die Teilnehmer darauf hin, dass die ukrainische Zivil- und Militärmedizin bisher auf dem Engagement und der Aufopferung der Ärzte beruhte. Der Staat muss jedoch systemische Entscheidungen treffen, um nicht nur diesen für das Leben und die Gesundheit der Menschen wichtigen Bereich zu verbessern, sondern auch den künftigen Sieg und die nachhaltige Entwicklung.
    Die Veranstaltung begann mit einer Schweigeminute zu Ehren der im Dienst getöteten Ärzte, gefolgt von der Nationalhymne der Ukraine. Die Konferenz gliederte sich in drei thematische Teile: Militärärzte und ihre Arbeit an der Front, zivile Gesundheitseinrichtungen sowie eine allgemeine Diskussion über die Probleme, mit denen Militär- und Zivilärzte konfrontiert sind, und mögliche Lösungsansätze.
    In ihrer Einführungsrede beschrieb Ruslana Mazurenko (Krankenschwester), wie die Covid-19-Pandemie und später der große Krieg das medizinische Personal ins Rampenlicht rückten und wie diese unglücklichen Ereignisse die Bedeutung des medizinischen Personals deutlich machten. Sie ging kurz auf die Geschichte der Militär- und Kampfmedizin in der Ukraine ein und wie sie sich nach den Ereignissen von 2014 und darüber hinaus entwickelt hat. Er erwähnte auch die Probleme, mit denen das medizinische Personal konfrontiert ist: Arbeitsbelastung, Lohnkürzungen, Schikanen und vor allem der Krieg.
    Militärsanitäter
    Illia, ein Militärsanitäter, sprach über die Evakuierung von Verwundeten an der Front. Seine Arbeit hängt sehr stark von der Situation an der Front und der Taktik des Feindes ab (nach seinen Worten hält sich Russland nicht an internationale Konventionen über bewaffnete Konflikte). Er betont, wie wichtig eine gute Ausbildung ist, denn die meisten Militärsanitäter, darunter auch er selbst, sind weder Ärzte noch professionelle Krankenpfleger. Illia war 2014 Soldat, kehrte 2022 zu den Streitkräften zurück und wurde erst dann, nach einer kurzen Grundausbildung, mit medizinischen Aufgaben betraut. Auf seine Rede folgten Kommentare aus dem Publikum, dass Ärzte und Krankenschwestern zwar jahrelang studieren, aber weder fachlich noch geistig auf den Krieg und die Situation an der Front vorbereitet sind. Iryna, eine professionelle Militärärztin mit Erfahrung in einem zivilen Krankenhaus, berichtete ebenfalls über ihre Erfahrungen. Illia und Iryna wiesen darauf hin, wie wichtig die psychische Gesundheit und die psychosozialen Dienste für die Ärzte selbst sind. Psychologische Hilfe für Patienten ist in der Ukraine relativ neu, und es gibt keine strukturierten psychologischen Hilfsprogramme für Ärzte. Was das Militär betrifft, so gibt es zwar einige Psychologen an der Front, aber keine strukturelle Unterstützung an der Front. Sie erwähnten auch den ständigen Bedarf an technischen Hilfsmitteln wie Fahrzeugen (die auf den holprigen Straßen und unter Beschuss immer wieder kaputt gehen) für die Evakuierung der Verwundeten und die Stromversorgung (Generatoren und Kraftwerke), da es an der Front keinen Strom gibt, nicht einmal in bebauten Gebieten.
    Maria Trufen, eine Aktivistin, die die Militärsanitäter unterstützt, berichtete von ihren Erfahrungen bei der Beschaffung der notwendigen Hilfsmittel. Neben dem Kauf ist es oft möglich, in einigen Krankenhäusern und Kliniken einige gebrauchte Geräte kostenlos zu finden. Am häufigsten werden jedoch Aderendhülsen, spezielle Verbände und andere Gegenstände zum Stillen von Blutungen angefordert. Illia behauptet, dass seine Militäreinheit sowohl vom Staat als auch von Freiwilligen gut ausgestattet ist und dass sie manchmal ihre medizinische Ausrüstung mit anderen Einheiten teilen. Er räumte jedoch ein, dass vieles von der jeweiligen Einheit und den persönlichen und sozialen Netzwerken der Soldaten abhängt. Er räumte auch ein, dass die Menschen auf jeden Fall Geld für Fahrzeuge aufbringen. Die Debatte drehte sich dann um staatliche Unterstützung und Finanzen im Vergleich zu Freiwilligenarbeit, persönlichen Spenden und öffentlichem Fundraising. Trotz der besonderen Kriegssteuer (1,5 %) und der allgegenwärtigen Sammlungen ist immer noch nicht genug Geld für Ausrüstung und Gehälter vorhanden.
    Arbeitsbedingungen in Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens
    Krankenschwestern und Krankenpfleger in Schulen und Kindergärten („Erziehungsschwestern“ – osvitni medsistry auf Ukrainisch) beschrieben ihre besondere Situation, da sie nicht dem Gesundheitsministerium unterstehen und das Bildungsministerium auch keine Verantwortung für ihre Arbeitsstandards übernimmt und niemand genau weiß, wie ihre Gehälter berechnet werden. Tetiana Hnativ, eine Schulkrankenschwester aus der Stadt Chervonohrad (einer Bergbaustadt in der Westukraine), berichtete von ihren Erfahrungen im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen, bei dem sie nicht nur bei ihren direkten Arbeitgebern, sondern auch bei den örtlichen Behörden Lobbyarbeit geleistet hat. Derzeit verdient eine Schulkrankenschwester mit weniger Berufserfahrung 7.500 ukrainische Grivnas. Sie unterstehen nicht dem regionalen Superintendenten und haben niemanden, an den sie sich wenden können, und niemanden, der auf regionaler Ebene die Verantwortung für ihre Arbeit und die Arbeitsstandards übernimmt (wie dies bei Lehrern der Fall ist). Ihre medizinischen Einrichtungen sind personell unterbesetzt und schlecht ausgestattet, und außerdem dürfen sie bestimmte medizinische Verfahren nicht durchführen oder bestimmte Medikamente nicht verwenden (im Allgemeinen haben sie nur begrenzte Kapazitäten, auch wenn sie über die entsprechenden Fähigkeiten verfügen). Tetiana hat auch eine Ausbildung in taktischer Medizin und ist Teil der lokalen Basisbewegung zur Unterstützung der Militärsanitäter. Eine ihrer Aktivitäten bestand darin, einheimische Männer zu schulen, bevor sie in die Armee eintraten. Dies zeigt, dass es eine Verbindung zwischen Militärärzten und Zivilisten gibt und dass diese beiden Gruppen nicht in völlig unterschiedlichen Welten operieren.
    Aleksii Turpyna, Chirurg im Zivilkrankenhaus, weist darauf hin, dass die Tarifverträge, wenn es sie denn gibt, veraltet sind und eine veraltete Bezahlung vorsehen. Die Gehälter sind nicht nur niedrig, sondern auch ungleich zwischen den verschiedenen Beschäftigten. Er selbst verdient zum Beispiel 16.200 ukrainische Griwna, während die Krankenschwestern im selben Krankenhaus 10.200 verdienen. Es gibt keine Anreize oder Dienstalterszulagen (weder für Ärzte noch für Krankenschwestern). Von Zeit zu Zeit müssen die Ärzte auch an bezahlten Fortbildungen teilnehmen (die von privaten Unternehmen organisiert werden), um ihr Wissen auf den neuesten Stand zu bringen. Diese Fortbildung ist obligatorisch, wenn sie ihren Arbeitsplatz behalten wollen. Die Krankenhäuser bezahlen auch private Unternehmen für die von ihnen genutzte Software und Online-Plattformen.
    Svitlana Sydorenko (Krankenschwester in einer Klinik) erzählte, wie ihr Arbeitgeber verschiedene rechtliche Tricks anwandte, um eine Lohnerhöhung zu verhindern. Nachdem sie den Betrieb der Klinik eingestellt und einige Mitarbeiter entlassen hatte, gründete sie eine Privatklinik und gab ihre Stelle in der öffentlichen Klinik auf. Gegenwärtig werden sie dazu angehalten, in eine Teilzeitbeschäftigung zu wechseln, und die örtliche Verwaltung weigert sich, mit ihnen zu sprechen. Sie unterbreiteten den örtlichen Behörden Vorschläge, um das Zentrum umzugestalten und funktioneller zu machen, aber es gab kein Interesse. Jetzt befinden sie sich vor Gericht, und die örtlichen Behörden verwenden öffentliche Gelder, um ihre Anwälte zu bezahlen.
    Vitali Dudin von der NRO Sotsialnyi Rukh (Soziale Bewegung) sprach über die laufenden Änderungen im Arbeitsrecht und wies darauf hin, wie sie sich auf medizinisches Personal auswirken. Er betonte auch die Notwendigkeit, sich gewerkschaftlich zu organisieren, andere Berufsgruppen in ihren Kämpfen zu unterstützen und den neoliberalen Status quo zu überwinden.
    Ignacy Jóźwiak begrüßte die Anwesenden im Namen des Internationalen Netzwerks der Arbeitersolidarität und des Kampfes. In seiner kurzen Rede verwies er auf unsere fruchtbare Zusammenarbeit mit Be Like Nina im letzten Jahr, die materielle und symbolische Unterstützung sowie die Teilnahme von Delegierten der Bewegung an verschiedenen Veranstaltungen in der ganzen Welt und im Internet umfasste. Er wies auch darauf hin, dass das Problem der niedrigen Löhne und der Arbeitsbelastung auch typisch für medizinisches Personal in anderen Ländern ist, ebenso wie die Probleme im Zusammenhang mit der Privatisierung und Kommerzialisierung des Gesundheitswesens sowie der Zusammenlegung verschiedener Institutionen und Einrichtungen, die häufig zu Entlassungen und einer schlechteren Patientenversorgung führen. Noch wichtiger ist, dass diese Probleme viele andere Berufsgruppen betreffen und von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen in der ganzen Welt bekämpft werden.
    Zum Schluss verlas Oksana Slobodiana ihre Erklärung in Form eines, wie sie es ausdrückte, „Briefes 101“ an die ukrainischen Behörden. In der Erklärung werden die wichtigsten Probleme aufgezeigt und bestimmte Maßnahmen zu deren Lösung empfohlen. Sie verlas auch einen Brief eines Sanitäters, der sich derzeit an der Front befindet (einer der drei zentralen Briefe, die kürzlich von den Mitgliedsorganisationen des Internationalen Gewerkschaftsnetzwerks für Solidarität und Kämpfe übermittelt wurden, wurde ihr übergeben).
    Im Anschluss an das Treffen fanden informelle Gespräche und Networking statt.
    Das Gesundheitsministerium war zu der Konferenz eingeladen, nahm aber nicht teil.“ Bericht von Ignacy Jozwiak (Inicjatywa Pracownicza) vom 15. Mai 2024 am 21.5.24 auf Spansich dokumentiert beim International Labour Network of Solidarity and Struggles externer Link (maschinenübersetzt)
  • CareRevolution lädt am 11. April online ein: #BeLikeNina: Pflegekräfte in der Ukraine kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen
    Nicht nur in Deutschland führt die Unterfinanzierung des öffentlichen Gesundheitswesens zu Mangel- bzw. Fehlversorgung der Bevölkerung und zu inakzeptablen Arbeitsbedingungen. Hierzulande sind es vor allem Beschäftigte in den Krankenhäusern, die nicht mehr bereit sind, Überlastung und Unterbezahlung hinzunehmen, und sich zur Wehr setzen.
    Auch in der Ukraine beginnt der Widerstand im Jahr 2019 in einem Krankenhaus: Das Einkommen von Pflegefachkräften reicht nicht einmal für die Miete, geschweige denn zum Leben. Aus dieser Not heraus macht Nina Kozlovska ihre Situation öffentlich. Weitere Pflegekräfte greifen diese Initiative auf. Unter #BeLikeNina entsteht eine Protestbewegung und aus der Bewegung eine Gewerkschaft für Pflegekräfte.
    Schon kurz nach der Entstehung von #BeLikeNina sind die Aktiven mit den zusätzlichen Belastungen durch die Corona-Pandemie konfrontiert, und seit Februar 2022 arbeiten sie unter den Bedingungen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Ungeachtet dessen sind sie gewachsen und haben bessere Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte erkämpfen können.
    Wir haben zwei der Initiator*innen von #BeLikeNina , Nina Kozlovska und Oksana Slobodyana, eingeladen, um mehr darüber zu erfahren. Sie sprechen ukrainisch, ihre Beiträge werden auf deutsch übersetzt.
    Einladung beim Netzwerk Care Revolution externer Link zur Online-Veranstaltung am Donnerstag, 11. April, 18:00 Uhr bis 20:00 Uhr  (Ihr müsst euch zur Veranstaltung anmelden mit einer Mail an: careveranstaltung@posteo.de, Stichwort „#BeLikeNina“, dann bekommt ihr den Link mitgeteilt)
  • Ukraine: Die vielen Erfolge der medizinischen Bewegung „Be Like Nina“? (Mach es wie Nina)
    Die medizinische Bewegung „Be Like Nina“ ist die einzige Massenorganisation in der Ukraine, die im Kampf für die Rechte der Beschäftigten im Gesundheitswesen bereit ist, sich mit den Behörden und der Krankenhausverwaltung, mit Gerichtsverfahren und bürokratischen Streitigkeiten, mit groß angelegten Aktionen und mit wirksamen Maßnahmen auseinanderzusetzen. In der Praxis kämpft die Bewegung für die Gleichstellung der Geschlechter und fordert angemessene Löhne in einem fast ausschließlich weiblichen Bereich, insbesondere bei Krankenschwestern und Nachwuchskräften. Und auch ihre Anführer und ihr wichtigster Aktivposten sind überwiegend Frauen. Be like Nina hat Siege errungen, die sowohl symbolisch als auch sehr konkret sind. Wir haben die Aktivistinnen der Bewegung gebeten, uns die Beispiele zu nennen, die ihnen am aufschlussreichsten erschienen.
    Den Krankenschwestern eine Stimme geben
    Eine der wichtigsten Errungenschaften von Sois comme Nina wurde von den Teilnehmern als „Herausholen der Krankenschwestern aus dem Schatten“ bezeichnet. Der Bewegung gelang es, die Aufmerksamkeit des Gesundheitsministeriums auf die Verletzung der Bürgerrechte und die Arbeit der Krankenschwestern zu lenken.
    Das Gesetz über die Erhöhung der Gehälter der Beschäftigten im Gesundheitswesen wurde verabschiedet, nachdem wir unseren Appell mit Vorschlägen an den Präsidenten, das Gesundheitsministerium und das Ministerkabinett geschickt hatten, so die Aktivisten. Im Januar 2022 wurden die Gehälter der Krankenschwestern auf 13.500 Griwna [349 Euro] erhöht.
    Wir haben das Problem der beruflichen und sexistischen Belästigung in der Medizin angesprochen. Wie Sie wissen, ist im Dezember 2022 ein Gesetz in Kraft getreten.
    Dank des Aufrufs der örtlichen Krankenschwestern hat die Bewegung beispielsweise die Entlassung des gesamten Personals eines Altenheims in der Region Dnipropetrowsk angeprangert, während dieses Thema von den Medien ignoriert wurde.
    Wir prangerten die Gehaltskürzungen in Saporoschje an, woraufhin die Beschäftigten im Gesundheitswesen die entsprechenden Zahlungen erhielten.
    Schaffung einer Plattform zur Vereinheitlichung der Beschäftigten im Gesundheitswesen
    Eine weitere wichtige Errungenschaft der Teilnehmer von Sois comme Nina ist „die Schaffung einer Plattform für Kommunikation, Freundschaft und die Vereinigung des Landes“, auf der Ärzte, Krankenschwestern und junges medizinisches Personal  gemeinsam über ihre Probleme sprechen. Pflegekräfte aus verschiedenen Regionen, Städten und Dörfern waren sich noch nie so nahe, haben noch nie Neuigkeiten und Probleme in einer Gruppe ausgetauscht. Derzeit hat die Facebook-Gruppe 85.000 Mitglieder, und die Aktivisten betonen, dass sie sich ohne eine politische Komponente oder sonstige externe Unterstützung organisiert haben. Letztendlich hat unsere Bewegung Menschen mit einem gemeinsamen Beruf zusammengeführt und wurde zu einem einzigartigen modernen Beispiel für den Schutz ihrer Rechte.
    Vereinigung von kämpferischen Gewerkschaften und Gründung neuer Gewerkschaften
    Die Ärztebewegung Be Like Nina bringt aktive unabhängige Gewerkschaften zusammen und arbeitet an der Gründung einer unabhängigen gesamtukrainischen Gewerkschaft. Zu den Aktivisten gehören derzeit der Vorsitzende der Unabhängigen Gewerkschaft Myrhorod, Oleksiy Chuprina, der auch Mitbegründer der Bewegung ist, und die Vorsitzende der Unabhängigen Gewerkschaft Nizhyn, Olga Turochka, die die Gewerkschaft trotz des Drucks der örtlichen Behörden anführen konnte. Die Bewegung trug zur Gründung einer Gewerkschaft in der Entbindungsstation 3 des städtischen Krankenhauses in Lviv bei. Oksana Slobodyana, Direktorin von Be Like Nina, leitet die regionale Gewerkschaft der medizinischen Angestellten und des medizinischen Personals in Lviv.
    Nach der Gesundheitsreform hat die Bedeutung der Gewerkschaften des medizinischen Personals zugenommen, da von ihnen die Annahme des Tarifvertrags abhängt, in dem die Höhe der Gehälter, Prämien, Arbeitszeiten, Arbeitsbelastung und andere wichtige Punkte festgelegt werden. Leider sind die Gewerkschaften in der Praxis oft inaktiv oder stellen sich auf die Seite des Arbeitgebers. Be Like Nina erinnert uns jedoch daran, warum es Gewerkschaften eigentlich geben sollte: um die Arbeitsrechte ihrer Mitglieder zu schützen und ihnen in schwierigen Lebenssituationen zu helfen. Die Bewegung unterstützte auch Pflegerinnen und Pfleger, die in Nizhyn, Pryluky, Zaporizhzhia und vielen anderen Städten gegen Kürzungen und die Nichtzahlung von Gehältern kämpfen.
    Internationale Zusammenarbeit
    Die Be Like Nina-Bewegung ist bereits in der ganzen Welt bekannt und arbeitet mit befreundeten internationalen Organisationen zusammen. So nahmen Aktivisten der Bewegung an einer Schulung in Polen teil, die von der Organisation Unions Help Refugees organisiert wurde, und tauschten sich dort mit lokalen Aktivisten aus, die im Pflegebereich tätig sind und ebenfalls für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. Die Präsidentin von Be Like Nina, Oksana Slobodyana, nahm an der internationalen Gewerkschaftskonferenz CSP-Conlutas in Brasilien [und an einem Treffen des internationalen Netzwerks für Gewerkschaftssolidarität und -kampf] teil, wo sie den Standpunkt der ukrainischen Beschäftigten im Gesundheitswesen zu dem russischen Angriff und dem Kampf des ukrainischen Volkes für Freiheit und ein Leben in Würde darlegte.“ engl. Bericht vom 3. November 2023 beim International Labour Network of Solidarity and Struggle externer Link („What are the victories of the Be Like Nina medical movement?“, maschinenübersetzt)
  • Ukraine, Feministinnen in Alarmbereitschaft. Nach dem Krieg besteht die Gefahr eines Abtreibungsverbots
    Die Veteranin Marta Chumalo spricht: Ukraine in der demografischen Krise, möglicher Aufschwung der radikalen Rechten. Dieser Krieg ist wie eine Linse, die das Beste und das Schlimmste im menschlichen Verhalten vergrößert. In einem Zug, der Vertriebene aus der Ukraine befördert, kann man sehen, wie sich Menschen gegenseitig um einen Sitzplatz drängen, und andere bieten am Bahnhof heiße Getränke an, ohne eine Gegenleistung zu verlangen“. Diese Worte, die mit ruhiger Resignation und einem sanften Lächeln ausgesprochen werden, stammen von Marta Chumalo, einer der Gründerinnen des Zentrums „Frauenperspektiven“ in Lemberg. Marta Chumalo ist Psychologin, Expertin für Geschlechterfragen und die erste ukrainische Frau, die den angesehenen Olof-Palme-Preis erhielt, eine internationale Auszeichnung für Personen, die sich um den Schutz der Menschenrechte verdient gemacht haben, die sie in einem traditionellen, mit Blumenmotiven bestickten Wischwanka-Hemd entgegennahm. (…) In Lemberg, wo das tägliche Leben während der rund 500 Kriegstage relativ ungestört geblieben ist, vor allem im Vergleich zu Kiew und Odessa, haben sich viele Frauen aller Altersgruppen aus den verschiedensten Ecken des Landes wieder eingelebt, haben eine befristete Arbeit gefunden oder ihre Kinder in der Schule angemeldet. Doch nachdem sie in diesem besonders nationalistischen Zentrum der Ukraine gearbeitet hatte, wurde Chumalo klar, dass eine weitere Gefahr auf Kämpferinnen wie sie lauert: „Nach den nächsten Wahlen wird es ein Parlament geben, das mit Männern aus der Armee, dem Militär, Veteranen und der radikalen Rechten besetzt ist“, erklärt sie. „Und das gefährdet die ukrainische Demokratie und vor allem die Frauen.“ (…) Sie befürchtet ein Szenario im Stil von Handmaid’s Tale, egal wie dieser Konflikt ausgeht: Ich glaube wirklich, dass die Politik versuchen wird, die Abtreibung zu verbieten“, sagt sie. „Wir haben in diesen Tagen bereits Anzeichen dafür gehabt. Es liegen ungesunde Ideen in der Luft. Zum Beispiel die, die besagt, dass die ukrainische Nation sich entvölkert, dass sie stirbt und dass Frauen Kinder gebären müssen, ohne einen Pieps zu sagen.“ Ist dies eine mögliche Dystopie in einem zunehmend martialischen Land, in dem Propagandaplakate wie aus einer Videospielwerbung aussehen und die Fernsehinformationen weiterhin auf einen einzigen regierungsfreundlichen Sender konzentriert sind, oder ist es die Paranoia eines Militanten, dem eine uniformierte Gesellschaft missfällt? Heute weiß man, dass 90 Prozent der ukrainischen Emigranten nach der Invasion Frauen und Kinder sind, und Millionen von ihnen werden nicht zurückkehren. Die Kinder müssen zur Schule gehen, die Frauen werden Arbeit suchen, vor allem, wenn sie ihre Heimat in der Ukraine verloren haben“, erklärt Chumalo. Ein Land, das nach der Unabhängigkeit 1991 50 Millionen Einwohner hatte und jetzt ein Drittel weniger, wird mit einem dramatischen Problem der Überalterung, Entvölkerung und des Mangels an qualifizierten Arbeitskräften konfrontiert sein. Die chauvinistische Wut mag einigen primitive Lösungen vorschlagen. „Nicht nur die radikale Rechte wird die Abtreibung verbieten wollen, sondern auch der Klerus, der schon immer im Parlament vertreten war“, sagt Chumalo und denkt dabei an den Pan-Ukrainischen Kirchenrat, eine mächtige Kongregation, die christliche Kirchen verschiedener Konfessionen, aber auch verschiedene religiöse Organisationen umfasst und seit Jahren viel vehementer als Papa Bergoglio gegen die Gender-Ideologie und die Rückbesinnung auf die traditionelle Familie kämpft. Und natürlich gegen die Abtreibung. Sie kämpfte auch gegen die Ratifizierung der Istanbul-Konvention, die Gewalt gegen Frauen als sehr schwere Menschenrechtsverletzung definiert und den Kontext zugunsten der Überlebenden verschiebt, durch Zelenskys Ukraine im Jahr 2022…“ engl. Interview von Paolo Mossetti vom 17.8.2023 bei ukraine-solidarity.eu externer Link („Ukraine, feminists on the alert. After the war, there is a risk of a ban on abortion“, maschinenübersetzt)
  • [„Mach es wie Nina“] Ukraine: „Wir bilden unabhängige Gewerkschaften in Krankenhäusern“ 
    In Kiew, Lemberg und anderen Städten machen Krankenhausbeschäftigte, insbesondere Krankenschwestern und -pfleger, seit mehreren Monaten mobil, um ihre Rechte zu verteidigen. Die wichtigsten Themen sind nicht gezahlte Gehälter, Arbeitsbedingungen und Krankenhausschließungen. Es haben sich unabhängige Basisgewerkschaften gebildet. Oksana Slobodiana von der Bewegung „Be like Nina“ war so freundlich, unsere Fragen zu dieser Situation zu beantworten. (…) Unsere Bewegung entstand aus einer Basisinitiative von Beschäftigten des Gesundheitswesens (Krankenschwestern) im Jahr 2019. Seitdem schützen wir die Rechte der Beschäftigten im Gesundheitswesen. Wenn wir Probleme nicht im Dialog lösen können, veranstalten wir Demonstrationen. Unsere Hauptaufgabe ist es, die Arbeits- und Ausbildungsbedingungen der Beschäftigten im Gesundheitswesen zu verbessern. Dazu nutzen wir alle Methoden, natürlich im Rahmen der Gesetze. Der Name der Bewegung „Be like Nina“ geht auf den Namen der Initiatorin der ersten Krankenschwesterdemonstration, Nina Bondar, zurück. Nina, die in einem Kiewer Krankenhaus arbeitete, beschloss eines Nachts, ihrer Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen, der Bezahlung und der Haltung der Geschäftsführung gegenüber den Krankenschwestern Ausdruck zu verleihen. Sie postete diese Nachricht – ein Schrei aus tiefstem Herzen – auf Facebook. Über Nacht hatte sie mehr als 20.000 Aufrufe. Seitdem haben sich die Beschäftigten des Gesundheitswesens zusammengeschlossen, um ihre beruflichen Rechte zu verteidigen. Wie Nina wollen sie alle, dass die Verletzungen, denen sie am Arbeitsplatz ausgesetzt sind, nicht länger ignoriert werden. (…) Seit 2018 führt die Ukraine eine Gesundheitsreform durch. Seitdem werden regelmäßig medizinische Einrichtungen geschlossen, Krankenhäuser werden optimiert und zusammengelegt. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Beschäftigten des Gesundheitswesens, die ihren Arbeitsplatz verlieren. Dieser Prozess hat auch während des Krieges nicht aufgehört. Die Situation hat sich erheblich verschlechtert: Viele medizinische Einrichtungen wurden infolge von Bombardierungen und Artilleriebeschuss geschlossen. An diesem Punkt wäre es sinnvoll, dieser so genannten „Optimierung“ ein Ende zu setzen. Der größte Fehler der Reform war jedoch die Entscheidung, die Verwaltung des Gesundheitswesens den lokalen Behörden zu übertragen. Heute sind es die lokalen Beamten, die entscheiden, ob eine Gesundheitseinrichtung benötigt wird oder nicht. Die kommunalen Behörden sind de facto zu Eigentümern von Krankenhäusern geworden. Menschen, die keine spezielle Ausbildung haben, die nicht verstehen, wie es in der Praxis funktioniert, entscheiden über das Schicksal der medizinischen Einrichtungen und gleichzeitig über deren Mitarbeiter und Patienten. (…) Demonstrationen sind in der Ukraine wegen des „Kriegsrechts“ verboten. Die Beschäftigten des Gesundheitswesens ruhen sich jedoch nicht auf ihren Lorbeeren aus und beginnen, vor Ort unabhängige Gewerkschaften zu gründen. Bis dahin gab es in den medizinischen Einrichtungen „Staatsgewerkschaften“, die mit „administrativen“ Mitteln unterstützt wurden und die Ansichten und Interessen ihrer Mitglieder ignorierten. Heute ist alles im Umbruch. Die Beschäftigten schließen sich zusammen, um ihre beruflichen Rechte zu verteidigen. In der Vergangenheit gab es diese unabhängigen Gewerkschaften nur in den Großstädten, aber jetzt helfen wir ihnen, auch in Kleinstädten und Dörfern zu erscheinen. Auch die Arbeitnehmer in kleinen Städten und Dörfern müssen sich geschützt fühlen…“ engl. Interview von Patrick Le Tréhondat vom 3.4.2023 bei laboursolidarity externer Link („“We form independent unions in hospitals“, maschinenübersetzt)

  • Ukrainische Krankenpfleger:innen stehen vor einem brutalen Winter, weil Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen mit Krieg kollidieren
    „Seit Februar hat die Weltgesundheitsorganisation 703 russische Angriffe auf ukrainische Gesundheitseinrichtungen gezählt. Die Arbeitenden im ukrainischen Gesundheitswesen werden nicht bezahlt, da die Auswirkungen der Gesundheitsreform aus der Vorkriegszeit die Löhne und die Arbeitsplatzsicherheit in einer von der russischen Invasion verwüsteten Wirtschaft beeinträchtigen. Medizinisches Personal im ganzen Land hat openDemocracy berichtet, dass sie in den letzten Monaten keine Löhne erhalten haben – das Ergebnis einer Binnenmarktreform, die 2018 begann. Im Juli beschloss das ukrainische Gesundheitsministerium, dass Krankenhäuser außerhalb der Konfliktgebiete nur noch für die Leistungen bezahlt werden, die sie für die Patientinnen und Patienten erbringen – und setzte damit die unmittelbar nach der russischen Invasion gegebene Garantie außer Kraft, dass die Krankenhäuser jeden Monat ein Zwölftel ihres Jahreseinkommens erhalten würden. Nach dem neuen ukrainischen Gesundheitssystem wählt ein Patient aus, wo er behandelt werden möchte, und der Staat bezahlt dann über den Nationalen Gesundheitsdienst der Ukraine das ausgewählte Krankenhaus für die erbrachten Leistungen. Mit anderen Worten: Die ukrainischen Krankenhäuser müssen Geld verdienen, indem sie mehr Patienten anziehen. Die Regierung erklärte, dass die Rückkehr zum Binnenmarkt eine „effektivere“ Verwendung der öffentlichen Mittel für die von der Invasion betroffenen Krankenhäuser an der Front bedeuten würde. Da der russische Krieg jedoch die ukrainischen Staatsfinanzen belastet, hat dieses „Geld folgt dem Patienten“-System dazu geführt, dass mindestens ein Dutzend Krankenhäuser und Kliniken mit Budgetproblemen zu kämpfen haben, die Löhne ihrer Angestellten nicht zahlen können oder sich auf die Schließung ihrer Einrichtungen vorbereiten, wie Arbeitende im Gesundheitswesen der Ukraine gegenüber openDemocracy erklärten. Für die unverzichtbaren Arbeitenden in den ukrainischen Krankenhäusern bedeutet das, dass sie kämpfen müssen, um über die Runden zu kommen. Einige Krankenhäuser haben die Lohnzahlungen an Krankenpfleger:innen und anderes Gesundheitspersonal eingestellt – und das bei gleichzeitig höheren Alltagskosten aufgrund der Währungsabwertung und einer Inflationsrate von 30 %, die durch die russische Invasion verursacht wurde.
    Kampf um Löhne
    In der Westukraine hat das medizinische Personal des Ivano-Frankivsk Regional Infectious Diseases Clinical Hospital seit August nicht mehr pünktlich den vollen Lohn erhalten. Am 7. November hatten einige Mitarbeiter:innen seit drei Monaten keinen Lohn mehr erhalten und fast 80 Arbeitende protestierten vor dem Krankenhaus und forderten von der Geschäftsführung die Auszahlung ihrer Gehälter. Alina*, eine Krankenpflegerin der Klinik, die aus Angst um ihren Arbeitsplatz ungenannt bleiben möchte, erzählte openDemocracy, dass die Krankenpfleger:innen für November einen Vorschuss von 200 Griwna (etwa 4 Pfund) erhalten hatten und die Rückstände für Oktober immer noch nicht bezahlt wurden. Das Durchschnittsgehalt für Krankenpfleger:innen in der Ukraine liegt zwischen 10.000 und 13.000 Griwna pro Monat (230 bis 300 Pfund). Aus Frustration sagte Alina, dass die Krankenpfleger:innen ihres Krankenhauses oft darum kämpfen mussten, dass ihre Löhne pünktlich ausgezahlt wurden – auch während der Pandemie, als das Krankenhaus eine große Anzahl von Covid-Patient:innen behandelte und die Ärzt:innen höhere Gehälter als üblich erhielten. Nach ihrem Protest im November haben Alina und ihre Kolleg:innen ihr Gehalt für August und September erhalten, sagt sie. (…) Unbezahlte Löhne sind ein langfristiges Problem in der Ukraine. Zwischen Januar und Oktober 2022 beliefen sich die Lohnschulden der Arbeitenden nach Angaben des ukrainischen Gewerkschaftsbundes auf insgesamt eine Milliarde Griwna (22,3 Mio. £) – allerdings wurden schließlich 402,8 Mio. Griwna (9 Mio. £) ausgezahlt. Das ukrainische Gesundheitsministerium erklärte gegenüber openDemocracy, dass es keine Aufzeichnungen mehr über nicht gezahlte Löhne oder die Anzahl der von der Schließung bedrohten (oder von der Schließung bedrohten) Krankenhäuser führt, da es diese Aufgaben im Rahmen der Gesundheitsreform an die lokalen Behörden delegiert hat. (…) Oksana Slobodiana, die Leiterin der ukrainischen Bewegung der Arbeitenden im Gesundheitswesen „Be like Nina“, sagt, dass Klinikschließungen in das Konzept der ukrainischen Gesundheitsreform aufgenommen wurden. „Soweit ich weiß, ist diese Reform sehr kommerziell ausgerichtet. Ich beobachte, dass sie darauf abzielt, das Gesundheitswesen komplett zu privatisieren“, sagte Slobodiana gegenüber openDemocracy. „[Die ukrainische] Gesundheitsversorgung wurde schon immer vom Staat finanziert. Tatsächlich war das [Gesundheitswesen] 30 Jahre lang unterfinanziert und unterentwickelt. „Und dann kommt die Reform und sagt: Tut mir leid, wenn das Krankenhaus ineffektiv ist, dann hat es kein Recht zu existieren. Wer soll diese Effektivität bestimmen?“ fragt Slobodiana. Obwohl die Covid-Pandemie und die russische Invasion den Prozess der Schließung ukrainischer Krankenhäuser im Rahmen der Gesundheitsreform vorübergehend unterbrochen haben, glaubt Slobodiana, dass die Schließung von Krankenhäusern wieder in Gang kommen könnte – und das, obwohl die ukrainischen Städte und die Infrastruktur unerbittlich von russischen Luftangriffen getroffen werden. „Warum verwandeln wir [diese ineffektiven Krankenhäuser] nicht in Zentren für Rehabilitation, Palliativmedizin oder Altenpflege?“ fragt Slobodiana. „Es ist möglich, diese Probleme im Sinne der Ukrainer:innen zu lösen und nicht im Sinne der Wirtschaft.“…“
    Artikel von Kateryna Semchuk vom 29. November 2022 auf openDemocracy externer Link („Ukraine’s nurses face brutal winter as health austerity collides with war“)
  • Aus „Mach es wie Nina“/#Belikenina erwuchs eine landesweite Bewegung im ukrainischen Gesundheitssektor – was wurde daraus im Krieg?
    „… Oksana ist Krankenpflegerin und Vorsitzende der Lwiwer Sektion der Gewerkschaft des medizinischen Personals. Oksana Slobodiana ist auch in der Bewegung #belikenina aktiv. Die Pflegerin Nina Kozlovska hatte im November 2019 auf Facebook über die schlechten Arbeitsbedingungen im ukrainischen Gesundheitssektor berichtet. Trotz großen Stresses betrage der Durchschnittslohn nur rund 270 Euro im Monat, beklagte sie. Ihr Beitrag wurde von Kolleg*innen rasant geteilt – der Beginn einer Bewegung von Care-Arbeiter*innen. Die Initiative organisierte Proteste: gegen die niedrigen Löhne, die Schließung von Krankenhäusern, den Abbau von Stellen und den neoliberalen Umbau des Gesundheitssektors. In der Facebook-Gruppe der Bewegung #belikenina sind heute rund 81.000 Mitglieder. ‚Die Rede der Regierung von erfolgreichen Reformen ist nicht richtig‘, sagt Oksana Slobodiana. 2021 gründete sich aus den Kämpfen heraus die unabhängige Gewerkschaft für Beschäftigte im Gesundheitsbereich mit Gruppen in mehreren Städten. Streiken sei schwierig, doch man habe Kolleg*innen über ihre Rechte aufgeklärt, sich vernetzt und eine schwarze Liste von Arbeitgeber*innen erstellt – alles ehrenamtlich. ‚Wir waren dabei, eine landesweite Bewegung zu werden, doch dann eskalierte der Krieg‘, sagt Slobodiana. Mit der russischen Invasion habe sich die Lage für Beschäftigte im Gesundheitsbereich drastisch verschlechtert. ‚Viele medizinische Einrichtungen wurden zerstört. Ärzt*innen und Pfleger*innen haben die Folgen des Krieges in besonderem Maße zu tragen‘, so Slobodiana. Oksana Slobodiana wünscht sich von europäischen Gewerkschaften mehr Kooperation mit der ukrainischen Gewerkschaftsbewegung und betont die Notwendigkeit humanitärer Hilfe für die Arbeiter*innen im Land. ‚Wir benötigen jede Art von Unterstützung und Solidarität‘, sagt sie.“ Thread auf Twitter von Analyse und Kritik, veröffentlicht am 30. Mai 2022 externer Link
  • „(Post)pandemic struggles in social reproduction: “Manage somehow”: notes from Ukraine on care labor at a time of local and global crisis2 von Oksana Dutchak am 04. Januar 2021 bei LeftEast externer Link ist ein Beitrag (gemeinsam mit TSS und EAST) über das Sozialwesen in der Ukraine und den allmählich anwachsenden Widerstand der (nahezu ausschließlich) Kolleginnen sowohl i Gesundheitswesen, als auch in Pflegeeinrichtungen und Kinderheimen – befeuert sowohl von der Intensivierung vorhandener Ausbeutungs-Strukturen in Epidemie-Zeiten, als auch durch gebrochene Versprechungen der ukrainischen Regierung.
  • Zum Kampf im Gesundheitswesen der Ukraine siehe auch: „Die so dringend nötige Veränderung des Gesundheitswesens in der Ukraine – kann nur durch selbstorganisierte Aktivität der PflegerInnen kommen: „Mach es, wie Nina““ am 16. Dezember 2020 im LabourNet Germany
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=184819
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