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Nach einem Monat Kampf der Bauern gegen die neuen Agrargesetze der Modi-Regierung: Die Belagerung von Delhi erhält „Verstärkung“ aus dem ganzen Land – in weiteren Bundesstaaten wird mobilisiert

Während die indische rechtsradikale BJP-Regierung ihren doppelten Kurs weiter fährt – auf der einen Seite mit vielen kleineren repressiven Maßnahmen die Einschüchterung versuchen, andererseits immer neue Verhandlungsangebote unterbreiten – haben die zahlreichen und unterschiedlich orientierten Bauernorganisationen bisher ihren einheitlichen Kurs beibehalten: Es wird mobilisiert, bis die drei neuen Agrargesetze zurück genommen worden sind, so weiterhin die gemeinsame Position. Die keineswegs selbstverständlich ist, nicht nur, weil es Spaltungsversuche von Seiten der Regierung und der sie tragenden Parteien gibt, sondern auch, weil die Interessen der protestierenden Zehntausenden eben durchaus unterschiedlich sind, je nach Region und Betriebsgröße beispielsweise – aber auch, weil auch Bäuerinnen und LandarbeiterInnen in großer Zahl an den Protesten beteiligt sind. Wenn jetzt auch eine große Karawane aus dem Bundesstaat Maharashtra sich auf den Weg nach Delhi gemacht hat und gleichzeitig gemeldet wird, dass in mehreren Bundesstaaten jeweils zentrale Aktionen begonnen haben, so ist dies ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Mobilisierungsfähigkeit des Protestes noch längst nicht am Ende angekommen ist. Siehe dazu unsere kleine aktuelle Materialsammlung „Im Kampf gegen die rechtsradikalen Neoliberalen: Der Widerstand der indischen Bauern wächst weiter“ vom 22. Dezember 2020

„Im Kampf gegen die rechtsradikalen Neoliberalen:
Der Widerstand der indischen Bauern wächst weiter“

(22. Dezember 2020)

„Bauernproteste gehen weiter“ von Thomas Berger am 22. Dezember 2020 in der jungen welt externer Link zur aktuellen Entwicklung unter anderem: „… Am vergangenen Montag appellierte Verteidigungsminister Rajnath Singh, einer der wichtigsten Politiker der BJP-Führungsriege, an alle Beteiligten, erneut in Verhandlungen zu treten. Dabei sprach er auch von der Wichtigkeit des Agrarsektors. Zudem versuchen Regierungsstellen, die Bewegung zu spalten und wenigstens einzelne Wortführer der zahlreichen Bauerngewerkschaften zum Dialog zu bewegen – bisher erfolglos. Noch hat sich die breite Front, an der auch die kommunistischen Dachverbände aus dem Agrarsektor beteiligt sind, nicht zersplittern lassen. Dafür macht die Protestbewegung ihrerseits Druck auf die beiden der Regierungspartei BJP nahestehenden Bauernverbände, sich eindeutig zu positionieren. Sie stehen gewissermaßen zwischen Baum und Borke. Die Protestbewegung hat ihren Fokus auf Delhi und Umgebung, existiert aber in nahezu allen Landesteilen. Rund ein Dutzend Oppositionsparteien stehen hinter ihr...“

„Thousands of Maharashtra Farmers Begin Historic Vehicle March to Delhi“ von Amey Tirodkar am 21. Dezember 2020 bei NewsClick externer Link berichtet vom Aufbruch eines Konvois Tausender Bauern aus dem Bundesstaat Maharashtra am Vortag in Richtung Delhi, zu dem mehr als 40 Organisationen der Bauern, LandarbeiterInnen und andere ländliche Vereinigungen aufgerufen haben.

„Farmers’ Movement Spreads to Over 300 Protest Sites in Telugu States“ von Prudhviraj Rupavath ebenfalls am 21. Dezember 2020 bei NewsClick externer Link meldet neue landeszentrale Aktionen zahlreicher Bauernverbände in den beiden Bundesstaaten Andhra Pradesh und Telangana, die ebenfalls massive Mobilisierungserfolge verzeichnen.

„After Bank Seeks Details of Foreign Donations, Farmers‘ Union Accuses Govt of ‚Intimidation’“ am 21. Dezember 2020 bei The Wire externer Link berichtet von einer der „kleinen“ Methoden der versuchten Einschüchterung: Spendengelder auf die Konten der zentral am Protest beteiligten Bharatiya Kisan Union sollten von der Bank überprüft werden (wozu es gehört, dass eine der Propaganda-Linien der BJP gegen die Bauern es ist, in die Welt zu setzen, sie seien „vom Ausland gesteuert“).

„“Es ist eine Torheit der faschistischen Modi-Regierung, zu denken, diese Bewegung könne unterdrückt werden““ am 18. Dezember 2020 bei den Rote Fahne News externer Link zu den Gründen für die bisher vergeblichen Repressionsmaßnahmen: „… Zeitgleich zu den arbeiterfeindlichen Beschlüssen drückte die Regierung im September unter Ausnutzung der Covid-Pandemie auch drei „schwarze Gesetze“ gegen die Masse der Bauern durch. Deshalb verbanden sich zum Jahresende die Kämpfe der Bauernschaft mit denen der Arbeiterklasse. Sie bekommen so den Charakter eines breiten Bündnisses der indischen Arbeiterklasse mit den Bauern im Kampf gegen die arbeiter- und bauernfeindliche Regierung. Die Kämpfe der Bauern richten sich 1. Gegen die Aufhebung der bisher garantierten Mindestpreise für landwirtschaftliche Erzeugnisse. 2. Gegen die Erlaubnis der Verlängerung der Lagerzeit von Getreide etc. für Agrarmonopole. Die bisher kürzere Lagerzeit erhöhte die Einkaufspreise für die Agrarmonopole. 3. Dagegen, dass Konzerne anstelle der Bauern entscheiden sollen, was angebaut wird. 4. Dagegen, dass Bauern nicht mehr selbst gegen Konzerne gerichtlich klagen dürfen sondern nur noch über Vermittler. Die Bauernproteste sind auch ein Ausdruck einer Abrechnung mit der Modi-Regierung. 2014 hatte Modi den Bauern noch Mindestpreise über dem eineinhalbfachen der Erzeugerpreise versprochen. Dafür wurde er von nicht wenigen Bauern gewählt. Aber die Versprechen wurden nicht eingehalten. Und die indischen Klein- und Mittelbauern haben Durchaltevermögen: Sie waren nicht nur am eintägigen Generalstreik, sondern sie sind seit Wochen bis heute hart und verzweifelt, aber auch entschlossen, auf der Straße und auf ihren Blockaden. Das sich entwickelnde Bündnis mit der indischen Arbeiterklasse entspricht auch dem, dass es durch die Förderung internationaler Agrarkonzerne zu Massenentlassungen von Millionen Arbeiterinnen und Arbeitern in Indien kommen wird.  KN Ramachandran von der CPI (ML) Red Star schreibt zu diesem Kampf: „Was hier geschieht, ist ein Massenaufstand der Bauern gegen die Organisierung der Landwirtschaft im Dienst von Kapitalisten wie Ambani und Adani. Die Bauern haben beschlossen, den Kampf fortzusetzen, bereit, alle Konsequenzen zu tragen...“

„Massen gegen Marktmacht“ von Aju John, Mihir Sharma und Nikita Jain am 15. Dezember 2020 in analyse&kritik externer Link (Ausgabe 666) zu den Zusammenhängen insbesondere für die LandarbeiterInnen unter anderem: „… Während Haryana eine lange Grenze mit Delhi teilt, sind die meisten Dörfer im Punjab zwischen vier und neun Stunden von der Blockade entfernt. Viele Bäuerinnen und Bauern wechseln alle paar Tage mit ihren Verwandten ab und kehren mit neuen Vorräten zurück, um die Blockade zu verstärken. Auch Bäuerinnen und Bauern aus anderen nördlichen Bundesstaaten wie Rajasthan und Uttar Pradesh haben sich den Protesten angeschlossen, in südlichen Bundesstaaten wie Karnataka und Tamil Nadu gibt es Solidaritätsaktionen. Obwohl die meisten Landwirt*innen, die die Hauptstadt belagern, relativ wohlhabend sind und größere Landparzellen bewirtschaften, werden die Auswirkungen der Gesetze, um die es geht, für landlose Landarbeiter*innen und Randbäuer*innen, von denen viele Dalits sind, am härtesten sein. (…) Die protestierenden Landwirt*innen befürchten auch, dass die Schaffung privater Märkte ein erster Schritt zur Abschaffung der Mindestpreise ist. Zweimal im Jahr verkündet die indische Zentralregierung den Garantiepreis, zu dem sie verschiedene Feldfrüchte von den Landwirt*innen beziehen wird. Das soll bei starken Marktschwankungen einen Mindestgewinn für deren Ernte sichern. Die Veröffentlichung dieses Mindestpreises (Minimum Support Price, MSP) vor der Aussaat beeinflusst die Investitionsentscheidungen der Landwirt*innen, aber seine Stabilitätsgarantie ist vielleicht noch wichtiger. Der MSP trägt zudem zur Nahrungsmittelsicherheit durch die Schaffung von Pufferbeständen und eines öffentlichen Verteilungssystems bei. Den Mindestpreis zu erhalten ist eine zentrale Forderung des Protestes. Die Regierung hat zwar versichert, dass der MSP-Mechanismus beibehalten wird, aber es herrscht Misstrauen. »Die Sorgen der Bauern beziehen sich weniger auf das, was in den Gesetzestexten steht, als auf das, was dort nicht steht«, erklärt Ankur Sarin, Professor für öffentliche Politik am Indian Institute of Management, Ahmedabad, gegenüber ak und verweist auf die fehlenden Aussagen zu den MSP in den Gesetzestexten. »Die Bauern haben ihre Schlüsse gezogen.«…“

„Agricultural Workers an Integral Part of Ongoing Historic Struggle of Farmers“ von Vikram Singh am 21. Dezember 2020 bei NewsClick externer Link ist ein ausführlicher Beitrag, in dem die Gründe der massiven Beteiligung der LandarbeiterInnen an dem Kampf der Bauern dargelegt werden – vor dem Hintergrund, dass es in einigen der beteiligten Bereichen zuvor des Öfteren Auseinandersetzungen zwischen ihnen gegeben hatte…

„‘Women farmers don’t want the new laws’“ von Vidya Kulkarni am 18. Dezember 2020 bei Rural India online externer Link ist ein Beitrag, in dem ausführlich Bäuerinnen aus Pune zu Wort kommen, die am Kampf gegen die neuen Agrargesetze beteiligt sind – und ihre Gründe für die Teilnahme darlegen.

„Indiens stahlhartes Gehäuse“ von Dalel Benbabaali am 08. März 2018 in Le Monde Diplomatique externer Link war ein Beitrag über die ökonomische und politische Situation diskriminierter Minderheiten, wie unter anderen der Dalits (von denen sehr viele Landarbeiter und Landarbeiterinnen sind): „… Dalit und Adivasi leiden unter dem Wirtschaftsboom in Indien und tragen gleichzeitig zu ihm bei. Die Adivasi („erste Bewohner“) machen 8,6 Prozent der Bevölkerung aus – bei einer Gesamtbevölkerung von 1,3 Milliarden sind das über 110 Millionen Menschen. Und mehr als 200 Millionen Inderinnen und Inder gehören zu den Dalit oder „Unberührbaren“, wie sie früher genannt wurden. Da Indiens Verwaltung die beiden historisch benachteiligten Gruppen als „gelistete Stämme und Kasten“ einstuft, profitieren sie von Quotenregelungen, das heißt, ihrem Bevölkerungsanteil entsprechend haben sie Anspruch auf Plätze in Bildungseinrichtungen, im öffentlichen Dienst und in gewählten Gremien. Diese „positive Diskriminierung“, die in der Verfassung von 1950 verankert ist, sorgte für eine gewisse soziale Mobilität. Da sie aber im Privatsektor nicht gilt, werden die verantwortungsvollen Posten meistens mit Angehörigen hoher Kasten besetzt. Seit der wirtschaftlichen Liberalisierung verzeichnet Indien regelmäßig Rekordwachstumsraten von 6 bis 8 Prozent jährlich. Doch an der elenden Lage der Adivasi und Dalit hat sich seither wenig geändert: 82 Prozent leben unterhalb der international definierten Armutsschwelle und haben weniger als 2 Dollar am Tag zur Verfügung. Unter Einbeziehung anderer Faktoren wie Einkommen, Zugang zu Strom, Trinkwasser, sanitären Einrichtungen und Bildung ergibt sich die gleiche Verteilung: 81,4 Prozent der Adivasi und 65,8 Prozent der Dalit gelten als arm gegenüber 33,3 Prozent bei den höheren Kasten und 55,4 Prozent für den Durchschnitt der Gesamtbevölkerung (zum Vergleich: in China sind nur 12,6 Prozent von Armut betroffen). Um die Situation zu verstehen, muss man die tief verwurzelten Strukturen von Diskriminierung und Unterdrückung in den Blick nehmen, die durch das Zusammenwirken von Kaste, Klasse, Geschlecht und ethnischer oder regionaler Herkunft entstanden sind. Das Gewicht der ererbten Zuschreibung hat sich durch die kapitalistische Modernisierung nicht abgeschwächt, sondern noch verstärkt...“

„»Die Bauern haben sich zusammengetan«“ am 21. Dezember 2020 in der jungen welt externer Link ist ein Interview von Silva Lieberherr und Bhakti G. mit R. Ramakumar (Ökonom, Professor am Tata Institute of Social Sciences in Mumbai), worin dieser unter anderem über jene, die von den Gesetzen der Rechtsradikalen profitieren sagt: „… Die Märkte für Pestizide, Dünger und Bewässerung sind schon seit den 1980er Jahren von großen Konzernen dominiert. Beim Saatgut zum Beispiel ist Monsanto/Bayer sehr präsent. Die neuen Gesetze erlauben es Konzernen nun, bei der Vermarktung von Landwirtschaftsprodukten tätig zu werden. So können Supermärkte direkt von den Bauern kaufen. Eine dieser großen Supermarktketten ist Reliance fresh, die der Familie von Mukesh Ambani gehört, einem der reichsten Inder. Bei den neuen Gesetzen geht es zudem um eine Liberalisierung bei den Lebensmittellagern. Das Unternehmen Adani Logistics, das der Regierungspartei nahesteht, hat kürzlich erhebliche Investitionen in diesem Bereich getätigt. Es kontrolliert 30 bis 50 Prozent der Kühllogistik…“

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=183723
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