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Frankreich: Protestdemonstration als wandernder Polizeikessel

Frankreich: Protestdemonstration am 12.12.2020 in Paris (Foto: Bernard Schmid)Und immer wenn Du glaubst, schlimmer geht’s nicht mehr, kommt der Herr Lallement daher. Bei Monsieur Didier Lallement handelt es sich um den seit März 2019 amtierenden Pariser Polizeipräfekten. Dass dessen Namen oft spöttisch „Lallemand“ (von L’Allemand, also „Der Deutsche“) geschrieben und mit Nazi-Anspielungen verknüpft wird, hat sich mittlerweile in mehr oder minder breiten Kreisen eingebürgert, und auch wenn der NS-Vergleich selbstverständlich falsch ist, zählt er zu den in der politischen Auseinandersetzung üblichen Überspitzungen. Nationalsozialist ist Lallement sicherlich keiner, er war sogar früher, früher mal ein eher linker Sozialdemokrat (und soll in dieser Eigenschaft in den frühen 1980er Jahren bei einer Solidaritätsbrigade in Nicaragua gesichtet worden sein); ein Law and order-verliebter Schreibtischdenker ohne jeglichen Skrupel jedoch ist er zweifellos. Am gestrigen Samstag, den 12.12.2020 überbot Monsieur Lallement sich selbst, doch wusste er sich dabei durch die Regierung unter Staatspräsident Emmanuel Macron, Premierminister Jean Castex und Innenminister Gérald Darmin unterstützt. An diesem Tag wurde in Paris und weiteren französischen Städten sowohl gegen das geplante künftige Polizeigesetz respektive „Gesetz zur umfassenden Sicherheit“ (Loi de sécurité globale; wir berichteten) als auch gegen den am Mittwoch, den 09.12.20 vorgelegten Entwurf für das so genannte „Anti-Separatismus-Gesetz“ (respektive offiziell inzwischen „Gesetz zur Bestärkung republikanischer Grundsätze) demonstriert…“ Artikel von Bernard Schmid vom 13.12.2020 mit einer Fotogalerie der Demo in Paris – wir danken!

Frankreich: Protestdemonstration als wandernder Polizeikessel

Und immer wenn Du glaubst, schlimmer geht’s nicht mehr, kommt der Herr Lallement daher. Bei Monsieur Didier Lallement handelt es sich um den seit März 2019 amtierenden Pariser Polizeipräfekten. Dass dessen Namen oft spöttisch „Lallemand“ (von L’Allemand, also „Der Deutsche“) geschrieben und mit Nazi-Anspielungen verknüpft wird, hat sich mittlerweile in mehr oder minder breiten Kreisen eingebürgert, und auch wenn der NS-Vergleich selbstverständlich falsch ist, zählt er zu den in der politischen Auseinandersetzung üblichen Überspitzungen. Nationalsozialist ist Lallement sicherlich keiner, er war sogar früher, früher mal ein eher linker Sozialdemokrat (und soll in dieser Eigenschaft in den frühen 1980er Jahren bei einer Solidaritätsbrigade in Nicaragua gesichtet worden sein); ein Law and order-verliebter Schreibtischdenker ohne jeglichen Skrupel jedoch ist er zweifellos.

Am gestrigen Samstag, den 12.12.2020 überbot Monsieur Lallement sich selbst, doch wusste er sich dabei durch die Regierung unter Staatspräsident Emmanuel Macron, Premierminister Jean Castex und Innenminister Gérald Darmin unterstützt.

An diesem Tag wurde in Paris und weiteren französischen Städten sowohl gegen das geplante künftige Polizeigesetz respektive „Gesetz zur umfassenden Sicherheit“ (Loi de sécurité globale; wir berichteten) als auch gegen den am Mittwoch, den 09.12.20 vorgelegten Entwurf für das so genannte „Anti-Separatismus-Gesetz“ (respektive offiziell inzwischen „Gesetz zur Bestärkung republikanischer Grundsätze) demonstriert. Letzteres richtet sich, möchte man es kurz auf einen Punkt bringen, gegen bestimmte, als gefährlich dargestellte islamische Einflüsse. Zu ihm bzw. dessen Inhalten werden wir in den kommenden Tagen noch näher berichten. Zum Thema Polizeigesetz wurde bereits zum fünften Mal in Folge demonstriert, nach dem 17. November (Dienstag), 21. November, 28. November – dem Tag der bislang massivsten Mobilisierung – , dem 05. Dezember (Samstag) und nun eben am 12.12. dieses Jahres.

In Paris, wo im Vorfeld (durch martialische Ankündigungen betreffend das Durchgreifen der Polizei und – so behauptete jedenfalls die Regierung – befürchtete Ausschreitungen) massiv Angst geschürt worden waren, sprang ein Teil der Veranstalter/innen wie die altehrwürdige Liga für Menschenrechte, LDH, deswegen im Vorfeld ab. Die LDH, aber auch die Mehrzahl der etablierten Gewerkschaften oder der linkssozialdemokratische Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon – seine Bewerbung für die Wahl 2022 ist bereits erklärt – riefen dazu auf, nicht in Paris, wohl aber in den Regionalhauptstädten auf die Straße zu gehen.

Auf 5.000 Demonstrierende laut Zahlen des Innenministeriums in Paris (und frankreichweit laut Ministerium gut 26.000) kamen, wiederum nach dessen Angaben, allein in der Hauptstadt 3.000 eingesetzte Polizisten, Polizisten und Gendarmen; die Polizei untersteht dem Innen-, die Gendarmerie dem Verteidigungsministerium, wobei die Polizei i.d.R.  in jüngerer Zeit stärker wegen (auch individuell motivierter, also über die Apparat-Disziplin hinausgehender) Übergriffen gefürchtet wird als die stärker diszipliniert auftretende Gendarmerie. Die Veranstalter/innen sprachen bezüglich Paris von 10.000 Teilnehmenden.

Die Demonstration fand faktisch in einem Wanderkessel statt, dessen Verlassen vor Erreichen des Abschlussorts auf der place de la République strikt verboten war. Auch dem Verfasser dieser Zeilen wurde das Verlassen des Protestzugs nach drei Vierteln unter Geltendmachung eines Kackbedürfnisses streng untersagt. Unterwegs stockte der Zug immer wieder, weil die vorne und auf beiden Seiten Spalier laufende Polizei den Weg nicht frei gab. 142 bestätigte Festnahmen wurden am Abend vermeldet (und insgesamt 164 frankreichweit), obwohl der vielfach angekündigte „schwarze Block“ gar nicht wirklich in Aktion getreten war und nur sehr vereinzelte Sachschäden verzeichnet wurden. Der Verfasser sah ein einzelnes, ausgebranntes Mofa und sonst keinerlei Sachschäden, angeblich traf es aber auch die Fenster eine einzelnen Bankfiliale (BNP). Jedenfalls nichts, bei weitem nichts, wofür rund 150 Personen haftbar zu machen wären, wie immer man auch zur Anwendung des geltenden Strafrechts in Zusammenhängen mit Demonstrationen steht!

Zu den Festgenommenen zählen laut ersten Erkenntnissen auch Personen, die lediglich den Protestzug ohne Genehmigung zu verlassen versuchten und darüber mit eingesetzten Polizisten in Streit gerieten. Zu ihnen zählt Ahamada Siby vom Kollektiv der Sans papiers (migrantischen Arbeiter) in Montreuil bei Paris, der noch am Sonntag in Polizeigewahrsam blieb. Er hatte sich zuvor laut Zeugenaussagen sogar geweigert, von manchen Umstehenden aufgegriffene, verbal aggressive Slogans gegen die Polizei mit anzustimmen, und lediglich um aufgrund einer zu einem früheren Zeitpunkt erlittenen Knieverletzung mehrfach um Verlassen der Demonstration ersucht.

LDH-Anwalt Ariel Alimi sprach in Twittermeldungen davon, in Polizeigewahrsam genommenen Personen sei rechtswidrig die freie Anwaltswahl verweigert und ausschließlich ein Pflichtverteidiger „gewährt“ worden. Die französische Staatsmacht setzt also ganz offenkundig auf autoritäres Durchregieren. Zu ihm zählt, jedenfalls laut Auffassung der Teilnehmerinnen und Unterstützer des Protests, neben dem umstrittenen „Sicherheitsgesetz“ auch der jetzt vorgelegte Entwurf zum Umgang mit dem Islam.

Andere repressive Vorhaben

Zur derzeitigen repressiven Offensive der Regierung zählen jedoch ferner auch noch drei Regierungsdekrete vom 04. Dezember des Jahres – die Dekrete Nummer 2020-1510, 1511 und 1512 -, die es den Polizeidiensten erlauben, Informationen über politische Haltungen, „gewerkschaftliche, weltanschauliche oder religiöse Zugehörigkeit“ von Personen, „die geeignet sind, die öffentliche Sicherheit zu stören“, abzuspeichern. (Vgl. https://www.bastamag.net/fichage-opinion-politique-conviction-philosophique-appartenance-syndicale-decrets externer Link) Dies wird es ab sofort erlauben, in Polizeidateien Nachrichten über Gesinnung und nicht allein über vorgeblich oder tatsächlich strafrechtlich relevantes Verhalten abzuspeichern. Die dadurch ausgelöste Welle an Kritik prallte bislang an Darmanin und der hinter ihm stehenden Regierung unter Premierminister Jean Castex und Staatspräsident Emmanuel Macrons weitgehend ab. Unter Macrons Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy musste 2008 ein vergleichbares Projekt in Gestalt der damals geplanten Datei EDWIGE noch zurückgezogen bzw. erheblich entschärft und unter einen anderen Namen gestellt werden.

Die drei Dekrete sind nur Bestandteil einer repressiven Generaloffensive, die daneben auch mehrere Gesetzestexte umfasst. Dazu zählt auch eine Maßnahme, die im Artikel 20 des soeben in Verabschiedung befindlichen Gesetzes zu Hochschule und Forschung, abgekürzt LPR, enthalten ist und dort in allerletzter Minute, nämlich im Vermittlungsausschuss zwischen den beiden Parlamentskammern nach der Debatte in Nationalversammlung und Senat, am 09. November auf Initiative des Hochschulministeriums hin eingefügt würde. (Vgl. https://lareleveetlapeste.fr/les-occupations-duniversite-bientot-passibles-de-3-ans-de-prison-et-45-000-euros-damende/ externer Link) Er sieht eine Möglichkeit der Kriminalisierung studentischer Besetzungen in Universitätsgebäuden mit einer Strafandrohung von bis zu drei Jahren Haft vor. Die zuständige Ministerin Frédérique Vidal beeilte sich zwar zu versichern, es gehe ausschließlich um das Eindringen universitätsfremder Personen in Hochschulräume, da die Formulierung des Artikels sich auf Individuen „ohne Aufenthaltsrecht auf dem Universitätsgelände“ bezieht. Es genügt jedoch völlig, dass die Hausordnung etwa protestierenden Angestellten oder Studierenden im Falle eines Verlassens ihrer Unterrichtsräume den Aufenthalt untersagt, und schon können sie unter die Strafbestimmung fallen. Proteste von Lehrenden und Studierenden fanden seit November statt, verhallten jedoch bislang.

Artikel von Bernard Schmid vom 13.12.2020 – wir danken! Siehe die Fotogalerie der Demo in Paris:

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Fotogalerie: Am fünften Protesttag gegen die „Sicherheitsgesetze“ (17. Nov., 21. Nov., 28. Nov., 05. Dez. und nun 12.12.2020)

(Fotos und Kommentare von Bernard Schmid)

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=183216
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