„Kein Schmerzensgeld wegen Mobbing“ – nach dem LAG Köln kann der Arbeitgeber ohne Konsequenzen mit Abmahnungen schikanieren
„Ist es Mobbing, wenn Beschäftigte immer wieder grundlos vom Arbeitgeber abgemahnt werden? Besteht dann ein Anspruch auf Schmerzensgeld? Und hilft es im Prozess, wenn Beschäftigte sich an einen Arzt wenden? Darüber entschied kürzlich das Landesarbeitsgericht Köln. Und sorgt mit seinem Urteil dafür, dass Mobbingklagen in der Praxis jetzt fast nicht mehr zu gewinnen sind. (…) So sprach die Arbeitgeberin dem Kläger innerhalb von 8 Jahren insgesamt 14 Abmahnungen aus (…) Auch eine verhaltensbedingte Kündigung wegen Arbeitszeitbetrug sprach die Arbeitgeberin aus. Der Kläger ging vor Gericht erfolgreich gegen die Maßnahmen vor. Alle Abmahnungen mussten aus seiner Personalakte entfernt werden und auch die Kündigung war im Ergebnis unzulässig. Im weiteren Verlauf folgten noch zwei weitere Kündigungsversuche der Arbeitgeberin, der Kläger war inzwischen einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt worden. Auch diese beiden Kündigungsversuche blieben jedoch erfolglos, das Integrationsamt lehnte die Anträge der Arbeitgeberin zur Kündigungszustimmung ab. (…) Der Kläger sah in den Maßnahmen der Arbeitgeberin Mobbing und eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung. (…) Seine Klage blieb jedoch erfolglos, das LAG verneint einen Anspruch auf Entschädigung. Laut LAG Köln liege hier kein Mobbing vor. (…) Das Urteil legt Betroffenen Hürden in Sachen Darlegungs- und Beweislast auf, die fast unüberwindbar scheinen. Denn beweisen, dass es Mobbing ist und dieses zu einem Gesundheitsschaden geführt hat, muss der Betroffene. Und das wird nach dem Urteil nur noch schwer gelingen, wenn dafür als Beweis nun nicht einmal mehr die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens ausreichen soll. Das sollten Betriebs- und Personalräte auch offen kommunizieren, wenn sich Betroffene ratsuchend in Sachen Mobbing an sie wenden…“ Mitteilung vom und beim Bund Verlag am 26. Oktober 2020 zu LAG Köln Az. 4 Sa 118/20 vom 10. Juli 2020 – siehe dazu den umfangreichen Kommentar von Armin Kammrad vom 3. November 2020 – wir danken!
Nach dem LAG Köln kann der Arbeitgeber mit rechtwidrigen Abmahnungen und Kündigungen
Arbeitnehmer ohne Konsequenzen schikanieren
Kommentar von Armin Kammrad vom 3. November 2020
Ist es wirklich angebracht nach diesem Urteil künftig von Klagen wegen Mobbing bzw. Bossing abzusehen? Dies wäre ein Freibrief für Arbeitgeber mit Schikane sich unliebsamer AN zu entledigen. In diesem Fall ist nicht zu übersehen, dass mit den wiederholt rechtswidrigen Abmahnungen und Kündigungen bewusste schikaniert wurde, und dass das LAG Köln parteiisch auf der AG-Seite steht, ja, dass bereits rein juristisch betrachtet diese Entscheidung nicht akzeptabel ist.
Denn wenn das LAG es als Ergebnis einer „typische(m) bzw. übliche(n) Konfliktsituation am Arbeitsplatz“ bezeichnet, dass der AG immer wieder – und ausschließlich (!) rechtwidrig – abmahnt und kündigt, kann etwas mit dem Rechtsverständnis des Gerichts nicht stimmen. Den für Mobbing maßgeblichen „»Schikanecharakter« der Maßnahmen“ erkennt das Gericht nämlich nur deshalb nicht, weil es geltende Rechtsgrundsätzen ignoriert. So vertritt das LAG: „Für die Abmahnungen habe es jeweils einen sachlichen Grund gegeben. Und rechtlich zulässige Abmahnungen seien kein Mobbing. Dies gilt auch dann, wenn sie sich nachträglich als unberechtigt herausstellen. Entscheidend ist, ob sie im Zeitpunkt ihres Ausspruchs berechtigt erscheinen…“ Hiermit korrigiert völlig unzulässig das LAG die dem Urteil vorausgehende und dem Sachverhalt zugrundeliegende Rechtsprechung bezüglich der 14 Abmahnungen und mehrfachen Kündigungen. Denn nur weil ein „sachlicher Grund“ oder ein rechtlich begründeter „Anlass“ fehlte, scheiterte der AG immer wieder vor Gericht. Und seit wann sind rechtswidrige Abmahnungen und Kündigungen „rechtlich zulässig“? Geradezu zynisch ist der Hinweis des LAG: „Hinzu komme auch, dass der Arbeitnehmer ja gerichtlich gegen die Abmahnungen vorgegangen sei und auch gewonnen habe“. So verwandelt das LAG nur ein rechtswidriges AG-Verhalten in sein direktes Gegenteil. Der AG könnte also völlig legal mit noch weiteren Abmahnungen und Kündigungen solange weitermachen, bis der AN entweder gesundheitlich ein Frack wäre oder aus gesundheitlichen Gründen kündigen muss.
Stützen kann sich – zumindest im gewissen Umfang – das LAG hierbei auf eine Art geltender Klassenrechtsprechung zu Gunsten des AG und zu Lasten des AN. Denn der AG kann ohne nachteilige Konsequenzen auch dann – eben auch wiederholt – abmahnen und kündigen, wenn sich dies vor Gericht dann als rechtswidrig herausstellt. Umgekehrt besitzt der AN nach § 273 BGB zwar bei Mobbing- und Schikaneverdacht ein Zurückhaltungsrecht seiner Leistung. Verliert er aber den Prozess, verliert er nicht nur seinen Entgeltanspruch, sondern riskiert sogar seinen Arbeitsplatz. Ein begründeter „Anlass“ oder ein „sachlicher Grund“ schützt – anders wie der Freibrief für den AG – den AN hier nicht.
Misst man das Verhalten des LAG Köln an der Mobbing-Rechtsprechung des BAG von 1997 (AZR 14/96) und 2010 (8 AZR 546/09) spielt der ang. fehlende Nachweis für gezielte Schikane nicht einmal die entscheidende Rolle, weil die Rechtswidrigkeit der ganzen Abmahnungs- und Kündigungsversuche ein Fakt ist, den man nur ernsthaft ignorieren kann, wenn man dem AG einen rechtsfreien Raum für permanente – und sogar u.U. mit Wissens des AG – krankmachende Angriffe auf die Person des AN gewährt. Dass solche ständige Schikane krankmacht, kann nicht überraschen und kann auch nicht, da es sich um eine Verletzung des grundrechtlichen Persönlichkeitsschutzes als einer arbeitsrechtlichen Nebenverpflichtung des AG handelt, einfach mit der folgenden Behauptung als unwichtig abgehakt werden: „Außerdem habe der Kläger auch nicht ausreichend dargelegt, wie die arbeitsrechtlichen Maßnahmen seine Gesundheit geschädigt hätten. Allein die Tatsache, dass er wegen der Situation am Arbeitsplatz in ärztlicher Behandlung war, reiche für den Anspruch auf Entschädigung nicht aus.“ Hier irrt das Gericht. Solcher Zusammenhang hat zumindest Beweischarakter – wobei verräterisch ist, dass das Gericht den Zusammenhang nicht einmal ausschließt, sondern völlig abwegig fordert: „Dafür hätte der Kläger vielmehr ganz konkret darlegen müssen, wann welcher Arzt welche Erkrankung bei ihm diagnostiziert haben will.“ (und nicht „hat“!). Damit stellt das LAG bereits ohne sachliche Begründung die ärztliche Diagnose einfach mal in Frage, obwohl die Palette für solche durch schikanebedingte Erkrankung von psychischen bis zu psychosomatischen Symptomen reichen kann. Mit seiner Einseitigkeit zu Gunsten des AG schafft das LAG so nur noch einen weiteren Grund für eine Erkrankung – diesmal nicht durch den AG, sondern durch eine Verteidigung von Arbeitgeberschikane.
Was also tun? Vermutlich ist der Fall mit dem LAG-Urteil abgeschlossen. Die Flinte ins Korn werfen muss man/frau deshalb jedoch nicht. Dieses Urteil kann auch als Warnung vor bestimmten parteiischen RichterInnen und für die Vorbereitung auf vergleichbare Streitigkeiten dienen. Mobbingfälle sind grundsätzlich schwierig, weil RichterInnen häufig auf Seiten der AG stehen. In diesem Fall geht es jedoch vorrangig darum, ob AG mit wiederholt rechtswidrigen Abmahnungen und Kündigungen AN so lange schikanieren dürfen, bis sie erkranken (und dann selbst kündigen müssen). Dies sollte zumindest zur Kenntnis genommen werden und eine Diskussion über das arbeitsrechtliche Vorgehen bei ähnlich gelagerten Fällen auslösen. Von einer Klage abraten, ist verständlich, aber zu wenig. Das schikanieren von AN ohne Konsequenzen darf nicht zur Regel werden. Strafrechtlich wäre es übrigens als fahrlässige oder gar vorsätzliche Körperverletzung zu bewerten.