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- Interventionen gegen die neoliberale EU
- Klimastreiks und -kämpfe
- Proteste gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21
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[Buch] Solidarisch gegen Klassismus – organisieren, intervenieren, umverteilen
„… Die Bandbreite der 26 Texte reicht von aktivistischen Erfahrungen über theoretische Diskussionen bis hin zu persönlichen Essays. Manche sind wütend, andere eher fragend, einige sind autobiografisch, viele persönlich, einige eher nüchtern beschreibend oder analytisch, andere poetisch. Die Beiträge diskutieren Strategien gegen Klassismus in politischen Zusammenhängen, in Bildungseinrichtungen und gegen Scham; sie berichten von antiklassistischen Interventionen in der Frauen- und Lesbenbewegung und vermitteln Möglichkeiten, sich gegen das Jobcenter oder gegen Vermieter*innen zu organisieren. Klassismus bezeichnet die Diskriminierung aufgrund von Klassenherkunft oder Klassenzugehörigkeit. Klassismus richtet sich gegen Menschen aus der Armuts- oder Arbeiter*innenklasse, zum Beispiel gegen einkommensarme, erwerbslose oder wohnungslose Menschen oder gegen Arbeiter*innenkinder. Klassismus hat Auswirkungen auf die Lebenserwartung und begrenzt den Zugang zu Wohnraum, Bildungsabschlüssen, Gesundheitsversorgung, Macht, Teilhabe, Anerkennung und Geld...“ Info des Unrast-Verlages zum von Francis Seeck und Brigitte Theißl herausgegebenen Sammelband – siehe weitere Informationen zum Buch und als Leseprobe im LabourNet Germany die Einleitung von Francis Seeck und Brigitte Theißl – wir danken!
- [Rezension] Solidarische Brückenschläge
„Ein Sammelband beschreibt den aktuellen Stand solidarischer Klassismuskritik und lotet dabei die vielfältigen Anknüpfungspunkte zu einer kapitalismuskritischen Klassenanalyse aus.
Francis Seeck und Brigitte Theißl haben mit „Solidarisch gegen Klassismus“ einen Sammelband zusammengestellt, der gegenwärtige Kämpfe gegen Klassismus aus sehr unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Das Spektrum reicht von Autor*innen, für die dieses Konzept den Startpunkt ihres eigenen politischen Engagements markiert bis hin zu Beiträgen von Gruppen wie der Erwerbsloseninitiative BASTA!, die den Klassismusbegriff eigentlich gar nicht nutzen. Erfahrungen speisen sich aus antirassistischen, feministischen und sozialpolitischen Aktivismen, hochschulpolitischen Debatten, Erwerbsloseninitiativen, Bildungsarbeit, sozialer Arbeit und dem kulturpolitischen Feld.
Gerade diese Perspektivenvielfalt ermöglicht neue Antworten auf die Klassenfrage jenseits arbeits- und tarifpolitischer Organisierungen. Denn viele Erfahrungen von Abwertung und Entsolidarisierung, Armut und sozialer Ungleichheit gehen in einer schematisch verfahrenden, lohnarbeitszentrierten Klassenanalyse nicht auf. Zugleich blieb der Begriff von „Klasse“ gerade in Intersektionalitätsdebatten lange Zeit unbestimmt. Das führte mitunter zur absurden Vorstellung, „Klasse“ sei allein das Problem eines abgehängten und von antirassistischen und feministischen Bewegungen vergessenen weißen männlichen Industrieproletariats.
In dieser polarisierten Debatte machen sich die Herausgeber*innen und Autor*innen auf die Suche nach Erfahrungen der „Abwertung, Ausgrenzung und Ausbeutung von Menschen“ (S. 17). Sie finden sie in sehr persönlichen biographischen Erzählungen über den eigenen Platz in der Gesellschaft, über Scham und Diskriminierung, Leistungsideologie und Ausschlüsse. Dabei wird deutlich, dass Klasse immer mit anderen Ungleichheitsdimensionen verschränkt ist, diese also nicht gegeneinander ausgespielt werden können. Diese Wendung hin zu den oftmals unsichtbaren und schwer benennbaren Erfahrungen von Klasse als ein das ganze Leben betreffendes soziales Verhältnis ermöglicht es, Klasse dort zu thematisieren, wo sie sich selbst immer wieder verschleiert: Im Alltag, in den Institutionen, aber auch in den ganz persönlichen Vorstellungen vom eigenen und fremden Leben. Und eben auch in den blinden Flecken einer vielfach akademisch gebildeten linken Szene, die den Armen nicht selten das Potential zur Organisierung abspricht. Eindringlich warnt beispielsweise Jutta Werth davor, dass „die Trennung zwischen (Arbeits-)Alltag und Politikaktivismus zu stark wird – und linke Aktivist*innen letztlich auf der anderen Seite des Tisches sitzen“ (S. 33) und Sabto Schlaumann zeichnet nach, wie Rassismus, Sexismus, Homo- und Transphobie durch linke Aktivist*innen als Probleme der Ungebildeten und Armen beschrieben werden, wodurch sich diese selbst aus der Analyse herausnehmen können (S. 132). David Ernesto Garcia Doell und Barbara Koslowski thematisieren zudem die Frage nach der Verteilung von Kapazitäten und Leistungsfähigkeit, beispielsweise, wenn es darum geht einen Artikel für einen Sammelband zu schreiben (S.168 ff).
So vielfältig wie die berichteten Erfahrungen sind auch die Ansätze solidarischer Perspektiven. Kein Zufall ist, dass der Bereich der Erwerbslosen-, Wohnungslosen- und Stadtteilarbeit einen großen Stellenwert einnimmt. Denn Initiativen, die sich hier verorten, haben eine langjährige Expertise im Umgang mit entrechtenden und herabwürdigenden Praktiken von Ämtern und Behörden. Aber auch die Enttabuisierung sozialer Herkunft innerhalb der linken Szene sowie die Frage der Ressourcen für Aktivismus und das (gemeinsame) gute Leben werden beleuchtet. Nicht fehlen darf in der Klassismusanalyse die Kritik an sortierenden und herabwürdigenden Institutionen wie Schule und Universität. Dabei umgehen die Beträge die Gefahr, die Klassenfrage als soziale Frage auf die Forderung nach Chancengleichheit und die Verbesserung individueller Aufstiegsmöglichkeiten zu beschränken.
Dennoch stellt sich in der Gesamtschau die Frage, ob das Verständnis von Klassismus als „Diskriminierung aufgrund von Klassenherkunft oder Klassenzugehörigkeit“ (S. 17) einen Begriff von Klasse als soziales Verhältnis vollständig ersetzen kann, oder ob es nicht eher im Sinne einer Vertiefung und Ergänzung verstanden werden muss. Denn der Sammelband weist eine merkwürdige und schmerzhafte Leerstelle auf: Arbeitserfahrungen, Arbeitskämpfe und gewerkschaftliche Positionierungen werden nur am Rande thematisiert. Unklar bleibt, ob das Vokabular der Klassismuskritik noch nicht in den entsprechenden Bewegungen und Organisierungen angekommen ist oder ob es tatsächlich keine praktischen Anknüpfungspunkte an arbeitsbezogene Erfahrungen von Entwürdigung und Ausbeutung bietet (siehe hierzu auch Sebastian Friedrich „Gemeinsam auf Klassenreise“ in ak 673 vom 17. August 2021).
Der Sammelband ist mit insgesamt 26 Beiträgen sehr umfangreich. Dies führt zu einigen Dopplungen und Wiederholungen. Positiv fällt aber auf, dass Autor*innen und Herausgeber*innen darauf geachtet haben, die Texte sprachlich zugänglich zu machen. So werden Fachbegriffe und Sprachregelungen erklärt, Quellen offengelegt und Kontextinformationen zu Autor*innen und Initiativen bereitgestellt. Eine hohe Anzahl von (schriftlichen) Interviews mit Aktivist*innen sorgt darüber hinaus für Abwechslung. Insgesamt bietet das Buch eine sehr aktuelle Bestandsaufnahme und Dokumentation gegenwärtiger Debatten und Erfahrungen. Denn auch die Herausgeber*innen sind davon überzeugt, dass sich das Sprechen über Klasse weiter verändern wird. Deswegen wollen sie dazu beitragen, indem sie „den Begriff Klassismus vielmehr in Bewegung halten“ (S. 12). In diesem Sinne markiert der Band die (logischerweise unvollständige) Zwischenbilanz einer Debatte, sowie einen Auftakt zum Erfinden weiterer Brücken und Wendungen, die nötig sind um gegenwärtige Formen von Diskriminierung, Ungleichheit, Entwürdigung und Ausbeutung angemessen zu erfassen und zu bekämpfen.“ Rezension von Lisa Carstensen vom 5.11.2021 – wir danken! - Das Buch:
ISBN 978-3-89771-296-6, Erscheinungsdatum: Oktober 2020, Seiten: 280; Ausstattung: softcover; 16,00 € – siehe Infos, Besprechungen und Bestellmöglichkeit beim Unrast-Verlag und dort auch Inhaltsverzeichnis - Siehe als Leseprobe beim Unrast-Verlag: Von Umverteilung ist kaum etwas zu hören. „Isoliert und vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sein – das kennen einkommensarme Menschen auch ohne Corona-Ausnahmezustand…“ Beitrag von Anne Seeck im Buch
- Einleitung von Francis Seeck und Brigitte Theißl
„Im März 2020, mitten in der Entstehung dieses Buches, brachte die Corona-Krise große Teile des öffentlichen Lebens zum Erliegen. Während Politiker*innen den gesellschaftlichen Zusammenhalt beschworen und im Feuilleton eine neue Entschleunigung herbeigesehnt wurde, offenbarten sich die Verwerfungen einer Klassengesellschaft mit voller Wucht. Von Klassismus Betroffene wie wohnungslose Menschen, einkommensarme Personen mit Erkrankungen und Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen trifft die Krise wesentlich härter – auch gesundheitlich. So haben sozio-ökonomisch benachteiligte Menschen ein deutlich höheres Risiko, wegen Covid-19 ins Krankenhaus eingeliefert zu werden (…) Die langfristigen Auswirkungen der globalen Krise sind noch nicht abzusehen. Auch wenn die Lebensrealitäten von Arbeiter*innen in der Fleischproduktion und von ausgebeuteten Erntehelfer*innen, von Alleinerziehenden in engen Stadtwohnungen und Pflegeheim-Bewohner*innen sichtbar geworden sind wie kaum jemals zuvor, braucht es enorme kollektive Anstrengungen, sich der Umverteilung von unten nach oben entgegenzustellen und menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen für alle zu erkämpfen. Die Frage, wie wir in unserem Alltag, an unserem Arbeitsplatz und in politischen Gruppen solidarisch und antiklassistisch agieren können, ist in diesem Sammelband eine zentrale. Schon vor der Corona-Krise wurde im deutschsprachigen Raum vermehrt über soziale Ungleichheit gesprochen, der Klassenbegriff feiert ein kleines Comeback: Der Begriff Klassismus, der analog zu Rassismus und Sexismus eine Diskriminierungs- und Unterdrückungsform beschreibt, etabliert sich langsam auch im Deutschen – und wird immer seltener mit der Kunstepoche Klassizismus verwechselt. Auch politisch bewegt sich etwas: Im Juni 2020 in Berlin wurde erstmals der soziale Status als Diskriminierungskategorie in ein Landesantidiskriminierungsgesetz aufgenommen. (…) Mit unserem Sammelband legen wird den Fokus auf antiklassistische Strategien und möchten Impulse für die Praxis liefern: für politischen und zivilgesellschaftlichen Aktivismus, für Bildungsarbeit, Antidiskriminierungsarbeit und Soziale Arbeit, für Medien und Kulturprojekte. (…) In den aktuellen Debatten gibt es zu wenig klassengemischte Auseinandersetzungen. Meistens bleiben Akademiker*innen, aus der Mittelklasse kommend oder ›aufgestiegen‹ aus der Arbeiter*innenoder Armutsklasse, unter sich. Selten kommen Leute zu Wort, die langfristig von Klassismus betroffen sind und keine ›Aufstiegsgeschichte‹ zu berichten haben. Zudem geht es viel zu selten um die Frage, wie konkret gegen Klassismus interveniert werden kann und welche Erfahrungen erwerbslose und wohnungslose Aktivist*innen machen. (…) Viele Personen, die von Klassismus betroffen sind, sind auch von anderen Diskriminierungsachsen betroffen. Dies sollte sich auch in den Debatten zu Klasse und Klassismus niederschlagen, in denen noch immer der weiße Arbeiter als zentraler Bezugspunkt fungiert.
Wie wir Klassismus verstehen
Angelehnt an Andreas Kemper und Heike Weinbach (2009) sowie Julia Roßhart (2018: 33) verstehen wir Klassismus als Unterdrückungsform, als Abwertung, Ausgrenzung und Marginalisierung entlang von Klasse. Klassismus beschreibt die Diskriminierung aufgrund von Klassenherkunft oder Klassenzugehörigkeit. Er richtet sich gegen Menschen aus der Armuts- oder Arbeiter*innenklasse, zum Beispiel gegen einkommensarme, erwerbslose oder wohnungslose Menschen oder Arbeiter*innenkinder.
Klassismus hat konkrete Auswirkungen auf die Lebenserwartung und begrenzt den Zugang zu Wohnraum, Bildungsabschlüssen, Gesundheitsversorgung, Macht, Teilhabe, Anerkennung und Geld (vgl. Beitrag Francis Seeck in diesem Sammelband).
Wir sehen die Notwendigkeit, Begriffe und ein klassismuskritisches Vokabular (weiter) zu entwickeln, um Diskriminierung aufgrund der Klassenherkunft oder -zugehörigkeit entgegenzutreten (vgl. Wellgraf 2013). Unser Ziel mit diesem Sammelband ist nicht, eine akademische Debatte um den korrekten Klassismusbegriff anzustoßen, auch wollen wir keine weitere Akademisierung antiklassistischer Bewegungen vorantreiben (vgl. Theißl 2017). Wir möchten den Begriff Klassismus vielmehr in Bewegung halten und als Sammelbegriff für vielfältige klassismuskritische Bewegungen nutzen.
Eine kleine Geschichte dieses Sammelbandes
Auf unseren Aufruf, Ideen für einen Beitrag einzusenden, meldeten sich über hundert Personen. Aus der Fülle kritischer wie kreativer Ansätze für eine antiklassistische Praxis wählten wir 26 Beiträge aus. Manche sind wütend, andere eher fragend, einige sind autobiografisch, viele persönlich, einige eher nüchtern beschreibend oder analytisch, andere poetisch. Sie alle geben nicht nur Auskunft über Klassismus als Diskriminierungsform, sondern setzen zudem Impulse für eine konkrete antiklassistische Praxis…“ Klassismus-Einleitung