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USA: Briefe und Pakete stapeln sich… dank Privatisierung – David Yao über die »universelle Verpflichtung« eines öffentlichen Postwesens

express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und GewerkschaftsarbeitÜberall die gleichen Angriffe auf öffentliche Infrastruktur und Versorgung im Namen von Effizienz und Verschlankung, überall die gleichen Rezepte: Nicht nur die Arbeitsbedingungen im Postwesen, auch die Konsequenzen für das öffentliche Gut Briefzustellung waren schon vor den Wahlen Gegenstand von Auseinandersetzungen in den USA – allerdings mit eher bescheidener Resonanz. Während der Trump-Hofstaat in der Corona-Krise dann großzügige Hilfen für die Postangestellten im Rahmen seiner sog. Konjunkturpolitik versprach (ein Versprechen, das er umstandslos wieder kassierte), setzte Trumps Generalbevollmächtigter für die Privatisierung und Verschlankung der Post ab Juli dieses Jahres drastische Einsparmaßnahmen um. Ein Angriff, der im Vorfeld der (Brief-)Wahlen im November für Empörung sorgte und den Protesten der PostlerInnen unerwartete öffentliche Unterstützung verschaffte…“ Artikel von David Yao erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 10/2020 – in der Übersetzung durch Torsten Bewernitz:

USA: Briefe und Pakete stapeln sich…

… dank Privatisierung – David Yao* über die »universelle Verpflichtung« eines öffentlichen Postwesens

Überall die gleichen Angriffe auf öffentliche Infrastruktur und Versorgung im Namen von Effizienz und Verschlankung, überall die gleichen Rezepte: Nicht nur die Arbeitsbedingungen im Postwesen, auch die Konsequenzen für das öffentliche Gut Briefzustellung waren schon vor den Wahlen Gegenstand von Auseinandersetzungen in den USA – allerdings mit eher bescheidener Resonanz. Während der Trump-Hofstaat in der Corona-Krise dann großzügige Hilfen für die Postangestellten im Rahmen seiner sog. Konjunkturpolitik versprach (ein Versprechen, das er umstandslos wieder kassierte), setzte Trumps Generalbevollmächtigter für die Privatisierung und Verschlankung der Post ab Juli dieses Jahres drastische Einsparmaßnahmen um. Ein Angriff, der im Vorfeld der (Brief-)Wahlen im November für Empörung sorgte und den Protesten der PostlerInnen unerwartete öffentliche Unterstützung verschaffte.

In einer Sortieranlage in Portland, Oregon, verdoppelte sich die liegengebliebene Post, seit der neue Post-Chef Louis DeJoy im Amt ist. Sofern er bis dahin nicht verdrängt wird, wird er seine Privatisierungsangriffe wieder aufnehmen, sobald die Postverspätungen nicht mehr aufgrund der Wahlen im Rampenlicht stehen.

Als Postbediensteter habe ich aus erster Hand miterlebt, wie Post-Chef Louis DeJoy in den ersten Monaten seines Jobs im Namen von »Effizienz« das Liefersystem verändert hat. Die Ergebnisse sind nicht schön.

DeJoys Initiativen zur Kostensenkung begannen im Juli 2020 mit der Anweisung, dass alle LKWs pünktlich abfahren müssten. Diese LKWs transportieren z.B. die Post vom Verteilzentrum zur Postfiliale. »Pünktlich« klingt vernünftig, oder? Aber in der wirklichen Welt sind die Briefe manchmal noch nicht versandbereit zu dem geplanten Zeitpunkt – eine Charge wird noch sortiert oder wurde noch nicht auf den LKW geladen. DeJoys Anweisung, die mit schriftlichen Abmahnungen bei Verstößen durchgesetzt wurde, bedeutete, dass die Post zurückgehalten wurde. Einige Lastwagen fuhren sogar leer ab.

In der Filiale, in der ich arbeite, wurde an einem Morgen die gesamte Post zweier Postleitzahlenbereiche nicht abgeliefert. Also wurde ein zweiter LKW beladen, ein Transporter wurde diesem entgegengeschickt. Der LKW wurde entladen, der Transporter beladen, in meine Filiale gefahren, erneut entladen und dann sortiert. Wie soll das effizienter sein?

Zurückgelassene Post

Hunderte von Postsortiermaschinen im ganzen Land wurden zerlegt und verschifft, in erster Linie, um sie zu verschrotten. Die dadurch reduzierte Kapazität hat den Postversand verzögert und die Arbeitstage verlängert. KollegInnen des Verteilzentrums in Seattle haben mehr als 50 Stunden pro Woche gearbeitet, seit einige Maschinen entfernt wurden. Bis dahin hatten sie über Nacht die gesamte Post des kommenden Tages verarbeitet; jetzt bleibt die Post des nächsten Tages unbearbeitet.

Eine weitere neue Richtlinie, für die DeJoy später die Verantwortung von sich wies, war das Verbot von Überstunden. Bei den vielen unterbesetzten Filialen bedeutet ein Überstundenverbot, dass nicht die gesamte Post zugestellt werden kann, sondern liegenbleibt – genau das geschah an den Orten, an denen das Verbot durchgesetzt wurde.

Ein anderer meiner Arbeitsbereiche, die Expresszustellung und Nachmittagssortierung, hat die Arbeitsabläufe der BriefträgerInnen verändert, was zu mehr Überstunden geführt hat. Anstatt zuerst alle verfügbaren Poststücke zu sortieren und sie dann noch am selben Tag zuzustellen, sollten die ZustellerInnen einige Poststücke zurücklassen, um sie nach ihrer Rückkehr ins Büro zu sortieren, diese würden am nächsten Tag zugestellt.

Die »Dump DeJoy«-Kampagne verfängt

In der Zwischenzeit haben die Postgewerkschaften ihre Mitglieder aufgefordert, sich für einen finanziellen Ausgleich für die Pandemie-Belastungen des Postdienstes im Kongress einzusetzen. Berichten zufolge wurden 25 Milliarden US-Dollar, die für solche Hilfen an die Postbeschäftigten vorgesehen waren, auf Geheiß des Weißen Hauses aus dem ersten Konjunkturprogramm gestrichen. Im Juni kam es nach einem Protestaufruf der American Postal Workers Union (APWU), in dem die Regierung zur Zahlung dieser Hilfen aufgefordert wurde, in 20 Städten zu Demonstrationen. Die gemeinsamen Anstrengungen von Trump und DeJoy selbst waren es, die dann zu Schlagzeilen führten und die Unterstützung für unser Anliegen vervielfachten.

DeJoy ist ein wichtiger Spender und Geldbeschaffer für Trump und die Republikaner. Er wurde von einem von Trump persönlich ernannten Gouverneursrat für seinen Posten ausgewählt. Als Trump die Briefwahl angriff und die Fähigkeit des Postdienstes, Stimmzettel zuzustellen, in Frage stellte, lösten DeJoys Maßnahmen einen Proteststurm aus. Die Demokraten sahen darin den Versuch der Sabotage der Briefwahl im November. Plötzlich bekamen alle lokalen Gewerkschaftssekretäre Anrufe von Fernsehsendern, Radiostationen und Zeitungen.

Im August organisierte MoveOn.org mit Verbündeten 800 Kundgebungen, um »das Postamt vor Donald Trump zu retten und den Rücktritt von Post-Chef Louis DeJoy zu verlangen«. Wenige Tage später wurde mit 300 weiteren Aktionen, organisiert von der APWU, dem Action Network und anderen Gruppen, gefordert, dass der Kongress die 25 Milliarden US-Dollar bereitstellen sollte und DeJoys Richtlinien dauerhaft rückgängig gemacht werden sollten. Das war ohne Zweifel die größte Demonstration öffentlicher Unterstützung, die es je für das staatliche Postwesen gab.

Vierzig Menschen erschienen vor meinem Postamt, viele mit selbstgemachten Schildern, um ihre Unterstützung für das Postamt und die Briefwahl zu demonstrieren. Sie winkten den Briefträgern zu, die ihre Lieferrouten begannen, diese hupten und winkten zurück. Seitdem sagen uns KundInnen, die in die Filialen kommen: »Wir unterstützen euch, bleibt dran, danke für eure Arbeit.«

Nach einer positiv beschiedenen Beschwerde der BriefträgerInnen scheint nun zumindest die Nachmittagsplanung zurückgenommen zu sein. Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft eine Klage gegen die Trump-Regierung aus Besorgnis über Wahlbehinderungen angekündigt hatte und sowohl das Repräsentantenhaus als auch der Senat DeJoy wegen seiner Maßnahmen gegrillt haben, kündigte dieser ein Einfrieren seiner bisherigen Schritte an – zumindest bis nach den Wahlen im November.

In der vergangenen Woche (Stand: 25. September 2020, Anm. d. Red.) erließ ein Bundesrichter eine einstweilige Verfügung, damit Lastwagen ihre Abfahrten so lange verzögern können, bis die Post versandbereit ist. USPS (United States Postal Service) gab an, dass diese Anforderung erfüllt werde (…). Sogar einige der Sortiermaschinen sind wieder aufgetaucht.

Die Privatisierungsdrohung

DeJoys Pechsträhne geht weiter – zuerst mit einer Steuernachzahlung wegen unangemessener Abzüge, die er allerdings seinem Buchhalter anlastet, und jetzt wegen angeblicher illegaler Wahlkampfbeiträge, für die eine Untersuchung des Kongresses zu erwarten ist. Überraschenderweise erklärte Trump, dass er für eine Untersuchung offen sei – vielleicht ein Zeichen dafür, dass er DeJoy loswerden will.

Ein bescheidener Betrag zur Notfinanzierung wegen der Pandemie wurde in den Verhandlungen über Konjunkturhilfen im September erörtert, wird dieses Jahr aber wohl nicht mehr verabschiedet. Der Postdienst ist immer noch in Gefahr. Ohne die Notfinanzierung wird für 2021 eine Insolvenz prognostiziert. Ein Trump-Sieg im November würde die Privatisierungsbestrebungen und die Angriffe auf Tarifverträge und Gewerkschaftsmacht verstärken. Ein Sieg von Biden – einem wirtschaftsnahen Demokraten – ist jedoch keine Sicherheitsgarantie.

Eine Anordnung des Kongresses, die 1970 unter Präsident Nixon erlassen wurde, verlangt, dass der Postdienst langfristig die Gewinnschwelle erreicht. Dies berücksichtigt jedoch nicht seine infrastrukturelle Rolle – es fordert ja auch niemand von Straßen, dass sie gewinnbringend sein sollen! (Außer in Deutschland, Anm. d. Übersetzers) Wir haben eine universelle Verpflichtung für alle Gemeinden, ob arm oder reich, ländlich oder städtisch, auch wenn ein einzelnes Postamt nicht »rentabel« ist. Dies ist ein Aspekt, den UPS, Fedex und Amazon nicht mitrechnen.

Es ist zu erwarten, dass die Bedrohungen des öffentlichen Postdiensts nach den Wahlen, wenn dessen Arbeit vermutlich weniger im Rampenlicht steht, wieder zunehmen. In mehreren Bundesstaaten wurden Kürzungen der Geschäftszeiten, einschließlich einer Schließung während der Mittagspause, angekündigt, die jedoch schnell zurückgezogen wurden.

Wir können davon ausgehen, dass diese und andere Serviceeinsparungen unter dem Fähnchen der »Effizienzsteigerung« mit einem Chef aus der Privatwirtschaft wieder aufgenommen werden, gefolgt natürlich von einem entsprechenden Stellenabbau. Zum Glück haben wir eine Reihe von Verbündeten dagegen.

Übersetzung: Torsten Bewernitz

*  David Yao ist Vollzeitmitarbeiter und Vizepräsident des Seattler Locals der APWU. Sein Beitrag erschien am 25. September 2020 auf www.labornotes.org externer Link

express im Netz und Bezug unter: www.express-afp.info externer Link

Email: express-afp@online.de

Siehe dazu zuletzt am 28. September 2020 im LabourNet: Trumps Ernennung eines Managers aus einem privaten Logistik-Unternehmen zum neuen Postmeister lässt den ohnehin großen Widerstand gegen Privatisierung weiter wachsen – trotz seltsamer gewerkschaftlicher Passivität

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=179753
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