»
Libanon »
»
»
Libanon »
»
»
Libanon »
»

Der Libanon soll in der Krise auch ohne Regierung regiert werden – vom Internationalen Währungsfonds. Dagegen mobilisiert nun selbst der Gewerkschaftsbund CGTL

Besetztes Ministerium in Beirut am 8.8.2020„… Insbesondere Frankreich lässt keine Chance politischer Einflussnahme ungenutzt. Bei seinem Besuch in Beirut am 6.August 2020 übernahm Macron eigenmächtig eine führende Rolle beim Organisieren «humanitärer Hilfe». Er lud zu einer virtuellen Geberkonferenz ein, auf der mehr als 250 Mio. Euro gesammelt wurden. Der deutsche Außenminister Heiko Maas nahm daran teil und betonte die Wichtigkeit wirtschaftlicher Reformen. David Hale, US-Unterstaatssekretär für politische Angelegenheiten, schloss sich an, die USA würden auf «systemische Reformen mit nachhaltiger finanzieller Unterstützung» reagieren. Zusätzlich verlangt er, deutlich auf die Hizbollah anspielend, die Regierung solle die Kontrolle über ihre Grenzen und Häfen sicherstellen. Anstatt das System aus kolonialer Zeit abzuschaffen, schlägt Macron einen «Neuen Pakt» vor. Laut den libanesischen Medien basieren die Verhandlungen über eine neue Regierung auf einem Papier der französischen Regierung, das einer Reihe libanesischer Führungskräfte übermittelt wurde. Der libanesische Fernsehsender Al-Jadeed berichtet, Macron habe bei einem Telefonat mit dem libanesischen Präsidenten Aoun drei Kandidaten für den Posten des Premierministers vorgeschlagen, die angeblich in Absprache mit ehemaligen libanesischen Premierministern ausgewählt wurden. Einer der neuen Anwärter ist der Botschafter für Deutschland, Mustafa Adib. Längst hat er angekündigt, die Reformvorstellungen der EU, USA und IWF durchzusetzen…“ – aus dem Beitrag „Imperialismus im Gewand «humanitärer Hilfe»“ von Nabil Sourani in der Ausgabe Oktober 2020 der SoZ externer Link (Oktober 2020) – woran sich seitdem nur geändert hat, dass auch der neue Anwärter auf das Amt des Ministerpräsidenten schon wieder Geschichte ist… Siehe dazu auch einen Bericht über den Aufruf des CGTL zum Protest gegen Hunger und Armut, einen aktuellen Beitrag über das Zusammenwirken von IWF und Banken, sowie einen Beitrag über eine der Reaktionen der Menschen auf diese Entwicklung neben den Protesten – und den Hinweis auf unseren bisher letzten Beitrag zur Entwicklung im Libanon:

  • „La CGTL appelle à une journée de manifestation face à la levée des subventions“ am 08. Oktober 2020 bei Libnanews externer Link meldet zum Aufruf des Gewerkschaftsbundes CGTL, am 14. Oktober 2020 einen „Kampftag gegen Hunger und Armut“ zu organisieren, dass dieser Protest sich gegen die Streichung von Subventionen richte, die eine der Maßnahmen („Reformen“ wird das wieder einmal genannt) sind, die der Internationale Währungsfonds und die europäischen Staaten als Bedingungen für Wirtschaftskredite gestellt haben. So etwa für Benzin usw. – wobei die lediglich geschäftsführenden Regierenden versicherten, dies werde nicht für den öffentlichen Transport gelten, ohne allerdings Ausführungen dazu zu machen, wie sie das Kunststück schaffen wollen, den Fluss der Energieträger im ganzen Land zu kontrollieren…
  • „In den Fängen des Neoliberalismus“ von Wiebke Diehl am 05. Oktober 2020 in der jungen welt externer Link zum selben Thema: „… Die im Mai begonnenen Gespräche zwischen der inzwischen nur geschäftsführenden libanesischen Regierung von Hassan Diab und dem IWF über ein erstes »Rettungspaket« im Wert von zehn Milliarden US-Dollar waren im Juli vorerst gescheitert. Ein Knackpunkt war die unterschiedliche Beurteilung des Ausmaßes der Verluste im libanesischen Bankensystem. Während IWF und Regierung von 90 Milliarden US-Dollar Defizit ausgehen, belaufen sich diese laut Zentralbankchef Riad Salamé lediglich auf die Hälfte. Salamé, der seit 27 Jahren an der Spitze der Bank steht und als Architekt des gescheiterten Finanzsystems die immensen Staatsschulden mit zu verantworten hat, verweigerte nicht nur eine Untersuchung zu Korruption in den Banken, sondern versucht faktisch, Kleinsparer für die Folgen der Krise aufkommen zu lassen. Wohlhabende Schichten sowie die Banker sollen aber vor Verlusten geschützt werden. Nach Aussage des im Juni zurückgetretenen Generaldirektors des Finanzministeriums, Alain Bifani, gegenüber dem in Beirut beheimateten Thinktank »Carnegie Middle East Center« sind bis zu sechs Milliarden US-Dollar außer Landes gebracht worden, während die »normale« Bevölkerung nicht mehr als 100 US-Dollar pro Monat von ihren Konten abheben durfte. Die enge Beziehung zwischen dem libanesischen Bankensektor und der politischen Klasse hat der Ökonom Jad Chaaban von der Amerikanischen Universität Beirut in einer 2016 veröffentlichten Studie aufgezeigt: Die Hauptaktionäre von 18 der 20 größten Banken des Landes hatten demnach im Jahr 2014 enge Verbindungen zu Politikern, in 15 dieser 20 Banken waren die Vorstandvorsitzenden selbst oder mit ihnen Verbündete in der Politik aktiv. 43 Prozent der Vermögenswerte standen unter politischer Kontrolle. Hinzu kommt eine extreme Intransparenz im libanesischen Bankensystem...“
  • „Nichts wie weg aus Beirut“ von Diana Hodali am 05. Oktober 2020 bei Qantara.de externer Link über eine der Reaktionen auf die kontinuierliche Vertiefung der Krise nach der Explosion im Hafen Beiruts: „… Der Libanon hat im Laufe der vergangenen Jahrzehnte mehrere Auswanderungsphasen aufgrund von Unsicherheit, Krieg oder Krisen erlebt – wie zum Beispiel während des Bürgerkriegs (1975-1990), in den Jahren danach oder auch in einer Zeit politischer Unruhen zwischen 2005 und 2008. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge leben heute zwischen zehn und 14 Millionen Libanesen außerhalb des Landes, während nur etwa fünf Millionen Libanesen in dem kleinen Mittelmeerstaat leben. Durch die Wirtschaftskrise und die Explosion hegen wieder vermehrt Libanesen den Wunsch, das Land zu verlassen. Die, die mittellos sind und keine andere Möglichkeit haben, nehmen derzeit sogar die gefährliche Mittelmeerroute über Zypern in Kauf. (…) Nicht nur finanziell und wirtschaftlich, sondern auch politisch scheint der Libanon am Ende. Eine neue, handlungsfähige Regierung aus Technokraten zu bilden, wäre vermutlich die letzte Chance vor dem Bankrott gewesen. Doch die Mächtigen konnten sich nicht einigen; der designierte Ministerpräsident Mustapha Adib trat daraufhin zurück. Im Netz schreiben einige Libanesen, dass die politische Klasse lieber einen Bürgerkrieg riskiere als ihre Posten abzugeben. „Wir hatten Hoffnung, doch keiner verlässt sich mehr auf diese Hoffnung“, sagt Christine Hauser. Ihr gehört das Hotel Bossa Nova, in dem Familie Cochrane die ersten Tage nach der Explosion Unterschlupf fand. Wie auch viele andere Libanesen, die teilweise bis heute noch da sind oder Abstand von den Trümmern brauchen, in denen sie sonst derzeit leben müssen. „Diese Politiker werden uns niemals in Würde leben lassen“, sagt sie und klingt hoffnungslos. Seit Januar 2019 betreiben die Libanesin Hauser und ihre Familie das Hotel Bossa Nova im Stadtteil Sin el Fil, gute fünf Kilometer Luftlinie vom Hafen von Beirut entfernt, der Ort an dem sich die Explosion ereignete. Die Glasfassade des Hotels ging dabei trotz der Entfernung zu Bruch. Ihr Ehemann, Hotel-Mitbetreiber Sebastian Kracun, stand zu dem Zeitpunkt an der Rezeption. Glücklicherweise wurde niemand verletzt...“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=179399
nach oben