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Verfahren vorm Arbeitsgericht Stuttgart: Streit über sexuelle Belästigung beim SWR
„Die Klage einer Redakteurin auf Weiterbeschäftigung reißt vor dem Arbeitsgericht Stuttgart alte Wunden auf: Es geht um einen möglichen Fall sexueller Belästigung, dem der SWR erst lange Zeit gar nicht und dann eher auf Umwegen nachgegangen sein soll. (…) Ihr Dienstvorgesetzter, eben ein Leitungsmitglied des SWR – neben dem Intendanten ist hier eine einstellige Zahl weiterer Direktoren versammelt, der konkret Beschuldigte wurde in der Verhandlung nicht benannt –, habe sie bereits 2008 nicht nur sexuell belästigt, sondern ihr auch angedroht, im Falle der Nichteinwilligung die weitere berufliche Laufbahn zu beschädigen. Prompt sei ihr kurz darauf die Zuständigkeit für den SWR-„Tigerenten Club“ entzogen worden. (…) „Ich habe den Übergriff damals offiziell gemeldet“, und zwar den zuständigen Stellen in der Personalvertretung. Auch der damalige SWR-Intendant Peter Boudgoust sei informiert gewesen. Trotz großen Engagements der Personalvertretung und der Beauftragten für Chancengleichheit in ihrer Sache sei zwei Jahre lang seitens des Senders überhaupt nichts geschehen, bis sie eigene Anwälte eingeschaltet habe. Ein erster Anlauf, ihr beruflichen Ausgleich zu verschaffen, schlug fehl: Ihre Bewerbung für die Geschäftsführung beim Stuttgarter Haus des Dokumentarfilms habe keine Chance gehabt, weil in der Auswahlkommission für den Posten just ihr Peiniger aus der SWR-Leitung gesessen habe. Erst der Vertrag von 2012 habe die Lage gelöst. „Aber ich will aus der Opferrolle heraus.“…“ Artikel von Tim Schleider vom 30.09.2020 in den Stuttgarter Nachrichten online , siehe dazu:
- #MeToo-Vorwurf beim SWR: Versetzt, befristet, vertuscht?
“Vor dem Arbeitsgericht in Stuttgart klagen zwei SWR-MitarbeiterInnen gegen ihren Sender. Ein mutmaßlicher #MeToo-Fall wirft im Prozess Fragen auf. (…) Ein gutes Jahr nach Boudgousts Auftritt bei SWR 1, am Mittwoch vergangener Woche, sitzt eine Frau vor dem Stuttgarter Arbeitsgericht, deren Geschichte den ehemaligen Intendanten der Lüge überführen könnte. Sie heißt Sandra D. und arbeitet seit 25 Jahren für den SWR. Jetzt klagt sie gegen den Sender. Seit drei Monaten ist D. ihre Stelle als Redaktionsleiterin los und wieder als einfache Redakteurin beschäftigt – weniger Prestige, weniger Geld, und das nach mehr als acht Jahren in einer Leitungsfunktion. Das ist ungewöhnlich, in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten geht es für MitarbeiterInnen eher bergauf. Und selbst wenn es bergab geht, behalten sie in der Regel ihr Gehalt. Nicht so Sandra D. Warum, dazu argumentiert der Anwalt des SWR vor dem Arbeitsgericht formal: D. habe zwar 2012 einen unbefristeten Vertrag als Redaktionsleiterin unterschrieben, ihr müsse aber klar gewesen sein, dass der später noch befristet werden würde. Wurde er auch. D.s Anwältin bezweifelt, dass das rechtens war. Entscheidender ist aber ein Aspekt, der in diesem Rechtsstreit erwähnt wird: Es geht um den Vorwurf der sexuellen Belästigung. Wenn es stimmt, was der Arbeitsgerichtsprozess und Recherchen der taz nahelegen, gab es mindestens einen Fall sexueller Belästigung im SWR, von dem der Intendant und leitende Mitarbeiter des Senders wussten. Die Senderspitze hat offenbar versucht, den Vorwurf mit Versprechungen und Vertragsklauseln unter dem Deckel zu halten. Sandra D. wirft dem Sender vor, ihre Karriere behindert zu haben, nachdem sie die mutmaßliche Belästigung gemeldet hat. (…) Doch dann, 2006, passiert etwas, sagt sie im Gericht, das ihr Leben verändert: Ihr damaliger Vorgesetzter habe sie sexuell belästigt. Wie genau, das führt sie vor Gericht nicht aus. Auch den Namen des Vorgesetzten nennt sie nicht. Ein SWR-Mitarbeiter, der den Fall kennt, sagt, der Übergriff soll in der Wohnung des Vorgesetzten passiert sein. D.s Vorgesetzter bekleidet zu dieser Zeit einen hohen Posten im Sender, ist Mitglied der Geschäftsleitung. Nach der mutmaßlichen Belästigung soll er Sandra D. gedroht haben, ihre Karriere zu zerstören, sagt ihre Anwältin im Gericht. Der Beschuldigte arbeitet heute nicht mehr beim SWR. Gegenüber der taz will er sich nicht offiziell äußern. D. zeigt die Tat offenbar nicht an, meldet sie nach der mutmaßlichen Drohung ihres Vorgesetzten auch erst zwei Jahre später dem Sender, berichtet ihre Anwältin vor Gericht. Der aktuelle Prozess in Stuttgart ist ein Arbeitsrechtsstreit. Die Richterin macht klar, dass „diese Vorgeschichte“ im Gerichtssaal keine Rolle spielen könne, dass es hier allein um die Frage gehen soll, ob der SWR Sandra D. weiter auf ihrem Leitungsposten beschäftigen muss. (…) Der SWR weist den Vorwurf, die Aufklärung verschleppt zu haben, von sich. Dem Belästigungsvorwurf von Sandra D. sei der Sender „mit größtem Nachdruck nachgegangen“, sagt eine SWR-Sprecherin auf taz-Anfrage. Sandra D. habe gegenüber dem Sender „weder in der internen Anhörung noch danach konkrete Angaben gemacht, sodass die Möglichkeit zur Klärung […] für den SWR als Arbeitgeber beschränkt blieben“. Ähnlich argumentiert auch der SWR-Anwalt vor dem Arbeitsgericht. Sandra D. widerspricht vor Gericht: Sie habe ihren Fall so konkret geschildert, dass sofort der Intendant informiert wurde. D. und ihre Anwältin zweifeln daran, dass der Sender sich ausreichend bemüht hat, den Vorwurf aufzuklären. Sie wollen mit ihrer jetzigen Klage auch erreichen, dass der SWR ihnen gegenüber offen legen muss, was er getan hat, um den Vorwurf aufzuklären. …“ Artikel von Anne Fromm vom 08.10.2020 in der Taz online - Me Too beim SWR: Befristete Lügen
„Der SWR-Intendant Peter Boudgoust am 3. Mai 2019 in der SWR-Radiosendung „Leute“ auf die Zuhörerfrage, ob Fälle von sexueller Belästigung von Mitarbeiterinnen durch Vorgesetzte – wie ein Jahr zuvor beim WDR – auch beim SWR denkbar seien: „Derlei Vorkommnisse sind nicht bekannt. Es gibt hier null Toleranz, und es wird hier nichts verborgen, verdeckt oder unter der Tischdecke gehalten.“ Eine offensichtliche und öffentlich verbreitete Lüge. Denn Intendant Boudgoust, heute Präsident des Fernsehsenders Arte, hatte schon seit Oktober 2008, anderthalb Jahre nach seiner Amtseinführung in Baden-Baden, mit einem derartigen „Vorfall“ zu tun – bis zum Ende seiner Intendantenzeit. Und er half wohl kräftig mit, einen Fall von sexueller Belästigung beim SWR mehr als zehn Jahre „unter der Tischdecke“ zu halten. Dieser ist jetzt Ausgangspunkt für ein Arbeitsgerichtsverfahren, das vergangene Woche in Stuttgart einen ersten öffentlichen Verhandlungstag hatte. Die Klägerin, die SWR-Fernsehredakteurin Sandra D., sieht sich in der Folge einer sexuellen Belästigung beruflich degradiert und fordert vom Sender vertragsgemäße Beschäftigung…“ Artikel von Hannes Hochstädt vom 07.10.2020 bei der KONTEXT:Wochenzeitung