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Seit einer Woche Streik in Kolumbiens größer Kohlezeche (und größten Kohlelieferanten der BRD): Gegen die „Schicht des Todes“

Dossier

September 2020: Streik in Kolumbiens größer Kohlezeche gegen die „Schicht des Todes“Kolumbien ist der fünftgrößte Kohleexporteur der Welt – und die Einnahmen sind die zweitgrößten nach dem Ölexport. El Cerrejon im Nordosten des Landes im Department La Guajira ist die mit Abstand größte Zeche, bei der rund 6.000 Menschen arbeiten (plus jene bei der werkseigenen Eisenbahn und dem werkseigenen Hafen – und, modern, wie die Konzerne sind – rund weitere 6.000 sind als Leiharbeiter am malochen). Von den 6.000 fest Beschäftigten sind knapp 4.600 gewerkschaftlich organisiert, davon etwa knapp unter 4.000 in der größten Betriebsgewerkschaft Sintracarbon. Das Unternehmen Cerrejon gehört drei Energiemultis gemeinsam: BHP Group, Anglo American und Glencore, die sich verhalten, wie es durchaus nicht nur in Kolumbien bei ihnen üblich ist. Heißt: Verweigerung weiterer Verhandlungen mit den Gewerkschaften, Verweigerung an dem Schlichtungsversuch des kolumbianischen Parlaments teilzunehmen – und, wie die Gewerkschaften betonen, auch Verweigerung, die Gesetze Kolumbiens zu befolgen. Dafür gab es finanzielle „Angebote“ an Gewerkschaftsmitglieder, wenn sie gegen einen Streik stimmten. Was in Bezug auf Sintracarbon-Mitglieder sich als wenig wirksam erwiesen hat: von den über 3.600 Mitgliedern, die sich an der Urabstimmung beteiligten, stimmten knapp 99% für den Streik. Der letzte große Streik bei El Cerrejon im Jahr 2013 dauerte über einen Monat – und war erfolgreich (siehe den Verweis auf unser damaliges Dossier am Ende dieses Beitrags). Siehe zum aktuellen Streik in Kolumbien weitere Beiträge und einen Hintergrundbeitrag sowie den Verweis auf unsere Beiträge zum Streik 2013:

  • Nach 91 Tagen Streik in Kolumbiens größter Zeche: Tarifvertrag unterzeichnet – mit einigen Erfolgen, aber ohne Entscheidung über die „Todesschichten“ New
    Dass das Unternehmen Cerrejon seine Weigerung überhaupt zu verhandeln, aufgeben musste, ist einer der Erfolge, die mit dem 91-Tage-Streik errungen wurden. Von denen es noch einige weitere gibt: So etwa die Übernahme der Zeitarbeiter in feste Arbeitsverhältnisse, inklusive der Rücknahme der kurz vor dem Streik verfügten Abstufung von rund 200 Kollegen auf den Status von Zeitarbeitern. Auch auf die geplanten Kürzungen bei Krankenversicherung und Beihilfen zum Transport musste das Unternehmen verzichten. In der Mitteilung „Sintracarbón y Cerrejón suscriben nueva Convención Colectiva de Trabajo“ vom 30. November 2020 bei Sintracarbón externer Link teilt die streikführende Mehrheitsgewerkschaft mit, der neue Tarifvertrag gelte an 01. Juli 2020 bis 31. Dezember 2023, also dreieinhalb Jahre und sei das 19. Betriebliche Tarifabkommen, das geschlossen worden sei. Zur Einführung der von der Gewerkschaft und den Streikenden als Todesschichten kritisierten neuen Schichtsysteme – die den Kern der Auseinandersetzung darstellten – wurde bisher nichts vereinbart, sondern lediglich beschlossen, am Tage der Wiederaufnahme der Arbeit (am 01. Dezember) eine betriebliche „technische Kommission“ beider Seiten zu bilden, die das weitere Vorgehen entscheiden soll. Was alles offen lässt in Bezug auf jenen Punkt, der von der Gewerkschaft die ganze Zeit des Streiks als der entscheidende hervorgehoben worden war und auch der eigentliche Streikgrund. Wir werden dran bleiben!
  • Der  Aufruf zur Solidarität mit dem Streik der kolumbianischen Bergarbeiter jetzt auch auf Deutsch 
    Der Solidaritätsaufruf mit dem über einen Monat langen Streik in Kolumbiens größtem Kohlebergwerk – auf dessen (englische) Originalfassung wird bereits am 05. Oktober hingewiesen (und zu seiner Unterzeichnung aufgerufen) hatten, ist seit dem 06. Oktober 2020 nun auch auf Deutsch öffentlich gemacht externer Link (und von daher sicher noch leichter für mehr Kolleginnen und Kollegen zu unterzeichnen – also: Tun!): „Erneut hat ein Unternehmen die Covid-19 Pandemie ausgenutzt, um Arbeitsrechte anzugreifen. Diesmal sind es Bergarbeiter*innen in Kolumbien, die streiken müssen. Beschäftigte des Cerrejón Kohlebergwerks in Kolumbien befinden sich in einem erbitterten Kampf mit drei multinationalen Bergbau-Unternehmen, Anglo American, BHP und Glencore. Als im Februar 2020 die Covid-19 Pandemie ausbrach, nahm die Gewerkschaft auf Treu und Glauben ihre Forderungen zurück und unterbrach die laufenden Tarifverhandlungen. Als die Verhandlungen im Juli wieder aufgenommen wurden, reagierte die Geschäftsführung nicht auf die Vorschläge der Gewerkschaft und verlangte stattdessen Zugeständnisse bei bereits erkämpften Rechten und Leistungen. Dann änderte das Unternehmen überraschend und einseitig den Schichtdienstplan, ohne die Gewerkschaft zu konsultieren und unter Missachtung der kolumbianischen Gesetze…“
  • Der Streik in Cerrejon geht weiter – Solidarität wird organisiert 
    Inzwischen dauert der Streik der Cerrejon-Arbeiter gegen die „Todesschicht“ schon über einen Monat lang an. Sie wehre sich damit gegen ein Diktat, das die Arbeitsbedingungen sowohl deutlich gefährlicher machen würde, als sie es bisher waren – und im Werk und bei den Zulieferern insgesamt rund 2.500 Jobs vernichten würde. In der Meldung „Strike at Cerrejón Colombia continues“ am 28. September 2020 bei IndustriAll externer Link wird die Mitteilung der Gewerkschaft Sintracarbón zitiert, die zusätzlich darauf verweist, dass das Unternehmen Zuschläge aus dem gültigen Tarifvertrag streichen will – um die Abfindungen für Entlassungen zu finanzieren. Da dieses Vorgehen nicht gerade den Gesetzen des Landes entspricht, ist es auch kein Zufall, dass das Unternehmen sich weiterhin weigert, der Aufforderung (Einladung) des Arbeitsministeriums zu Schlichtungsgesprächen Folge zu leisten… Siehe dazu auch den neuen Solidaritäts-Aufruf bei Labourstart und ein Video eines Interviews mit einem Streikenden:

  • „Kolumbien: Lateinamerikas größter Kohlemine droht Streik“ am 18. August 2020 bei Blickpunkt Lateinamerika externer Link von Knut Henkel mit Igor Kareld Díaz, dem Vorsitzenden von Sintracarbon, worin dieser zu den Streikgründen im Wesentlichen ausführte: „… El Cerrejón will auf sieben Arbeitstage drei freie Tage folgen lassen. Derzeit arbeitet die Belegschaft fünfzehn Tage á 12 Stunden im Monat. Mit der neuen Regelung wären es 21 Tage á 12 Stunden, wodurch Belastung und Unfallgefahr massiv zunehmen. Mit dem neuen Modell wäre zudem eine Schicht mit 1.250 Arbeitern obsolet. Diese Schicht soll auf dem Rücken der restlichen Belegschaft eingespart werden, das heißt 1.250 Arbeiter verlieren ihren Job. Dagegen wehren wir uns. / Warum steht das derzeitige Schichtmodell überhaupt zur Disposition? / Das fragen wir uns auch. Es ist das Management, das das alte Modell in Frage stellt und uns als Gewerkschaft unter Druck setzt. In Sintracarbón sind rund 4.000 der 6.000 festangestellten Kumpel organisiert und indirekt vertreten wir auch die Interessen der rund 6.000 Leiharbeiter. Wir haben das Schichtmodell, nach dem wir jetzt seit 30 Jahren arbeiten, hart erkämpft und durchgesetzt, weil es zuvor viele Arbeitsunfälle gab. Damals sprachen wir immer von Todesschichten. Der Kampf hat Jahre gedauert, bis wir zu diesem verträglicheren Modell mit 15 Arbeitstagen kamen.  / Ist es nicht ein Verstoß gegen den Tarifvertrag, das Schichtmodell ohne Verhandlung mit Sintracarbón zu ändern? /Für uns definitiv, aber das ist nun ein Fall für die Anwälte und das Arbeitsgericht. Dort werden wir belegen, dass das Schichtmodell über Jahre funktioniert hat und dass Gewinne erwirtschaftet wurden. / Insgesamt gehen die Gewinne jedoch zurück. Es wird weniger Kohle geordert – ist El Cerrejón unter Druck? / Ja, El Cerrejón ist unter Druck. Daher will die Mine die gleiche Menge Kohle mit deutlich weniger Personal fördern. Unsere Arbeitsbedingungen sollen nachhaltig verschlechtert werden und dagegen wehren wir uns: entweder vor dem Arbeitsgericht oder per Streik. Das muss die Urabstimmung ergeben, die bis zum 20. August stattfinden wird. Ich persönlich glaube, dass es zum Streik kommen wird, aber warten wir ab. (…) Das macht uns natürlich Sorgen, denn die Energiewende hin zu mehr Wind- und Solarkraft dämpft die Nachfrage nach Kohle aus Kolumbien. Innerhalb von Sintracarbón sind alternative Wind-  und Solarprojekte in der Guajira (ein Verwaltungsbezirk Kolumbiens) durchaus ein Thema. Allerdings lässt sich über einen derartigen Umbau der Mine nicht diskutieren – das Management hat nur Kohle im Kopf...“
  • „A pesar de haber sido convocada por la CamaraColombia CerrejonCol se negó a asistir“ am 04. September 2020 im Twitter-Kanal von Sintracarbon externer Link meldet, dass das Unternehmen sich geweigert hat, der Vorladung des kolumbianischen Parlamentes Folge zu leisten, an einer Schlichtungsbesprechung teilzunehmen. Wobei die Gewerkschaft die Frage stellt, ob dieses Unternehmen wirklich oberhalb der Gesetze Kolumbiens stehe. Siehe auch die Homepage von Sintracarbon externer Link 
  • „„Nein zu den Todesschichten !“ Unbefristeter Streik der Bergleute“ am 03. September 2020 bei den Rote Fahne News externer Link berichtet unter anderem: „… Neben Tarifforderungen ist für die Kumpel das Wichtigste, dass die sogenannten „Todesschichten“ wieder eingestellt werden. Der Konzern hat eine Schicht gestrichen und einen zusätzlicher Turnus von sieben Tagen mit 12-Stundenschichten eingeführt. Das ist mörderisch für die Arbeiter und soll gleichzeitig zum Abbau von rund 1.250 Arbeitsplätzen führen. Deshalb ist die Losung „Nein zu den Todesschichten!“ im Zentrum. Auch in anderen Bergwerken soll dieses Schichtmodell eingeführt werden, wogegen es im August zahlreiche Proteste gab. El Cerrejón gehört den internationalen Bergbaumonopolen Glencore, AngloAmerican und BHP Billinton. Von dort aus wird ein Großteil der Kohle geliefert, die Deutschland importiert. Das ist der erste große gewerkschaftliche Streik auf El Cerrejón seit 2013. Der Streik damals wurde von der ersten Internationalen Bergarbeiterkonferenz in Arequipa (Peru) weltweit als ein Signal bekannt gemacht, weil die Kohlekumpel den Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze mit dem Kampf für den Schutz der Umwelt vereinten…“
  • „Cerrejón dice que con huelga cada trabajador perderá $5,5 millones“ am 31. August 2020 bei Dinero externer Link berichtet nicht nur, wie in der Überschrift angedeutet, von den Einkommensverlusten für die Streikenden, sondern auch davon, dass das Unternehmen großzügig Prämien angeboten hat – für die, die gegen den Streik stimmen…
  • „Zerstörte Umwelt, entwurzelte Gemeinschaften, Menschenrechtsverletzungen“ von Stephan Suhner in der ila Ausgabe 389 externer Link (Oktober 2015) zu Auswirkungen des Bergbaus auch speziell vo Cerrejon: „… Anders als in den europäischen Kohlerevieren wird die thermische Steinkohle für den Export in Kolumbien im Tagebau abgebaut, vornehmlich in den nordöstlichen Provinzen Cesar und Guajira. Die wichtigsten Produzenten sind Cerrejón mit rund 33 Millionen Tonnen pro Jahr, der US-Konzern Drummond mit 22 Millionen Tonnen sowie das Schweizer Rohstoffunternehmen Glencore mit 20 Millionen Tonnen. Cerrejón nahm die volle Kohlegewinnung 1986 auf und war bis 2001 ein Joint Venture zwischen der staatlichen Carbocol und dem US-Konzern Intercor (Exxon Mobile). Heute gehört Carbones del Cerrejón zu je einem Drittel den Bergbaukonzernen Anglo American, BHP Billiton und Glencore, hat aber ein weitgehend unabhängiges kolumbianisches Management. Das US-amerikanische Familienunternehmen Drummond operiert seit 1987 in Kolumbien und nahm 1995 die Produktion auf, während Glencore 1995 mit der Übernahme des kolumbianischen Unternehmens Prodeco in den Kohleabbau einstieg und in den Jahren 2005 bis 2007 drei weitere kleine kolumbianische Minenbetreiber aufkaufte: Carbones del Caribe, Consorcio Minero Unido und Carbones El Tesoro. Die Tagebaukohlenminen in Nordostkolumbien haben einen enormen Landbedarf, das Konzessionsgebiet von Cerrejón beträgt 69 000 Hektar, auf etwa 17 000 Hektar davon wird aktuell Kohle abgebaut. Die Dimensionen aller Minen in Cesar zusammen sind etwa ähnlich. Um die Minen zu eröffnen, werden große Landflächen von der Vegetation und der Humusschicht befreit und Millionen von Tonnen Gestein abgetragen. Erst dann gelangt man an die Kohleschichten. Das nicht kohlehaltige Gestein wird auf riesigen Abraumhalden deponiert. Die fehlende Vegetation fördert die Erosion, den lokalen Klimawandel und beeinträchtigt den Wasserhaushalt. Die lokalen Gemeinschaften und Bauern verloren Tausende Hektar an Acker- und Weideland sowie den Zugang zu Wäldern und Flüssen, womit ihre Möglichkeiten der Sammelwirtschaft sowie für Jagd und Fischfang eingeschränkt wurden. Die Bergbauunternehmen haben verschiedene kleinere und größere Wasserläufe umgeleitet und obwohl dies meistens mit der Bewilligung der Umweltbehörden erfolgte, sind die Folgen für die Abflussmengen und das aquatische Leben gravierend. Viele Oberflächengewässer sind durch den Kohleabbau verschmutz worden, sei es durch Auswaschungen aus den Abraumhalden, durch Staubeintrag oder Abwässer der Minen und Maschinen. Durch die tiefen Gruben hat sich auch der Grundwasserspiegel erheblich gesenkt und die lokale Bevölkerung klagt darüber, dass das Grundwasser vielerorts verschmutzt ist. Ein weiteres großes Problem stellt die Staubbelastung dar, und zwar sowohl der sichtbare Staub wie auch der lungengängige Feinstaub…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=177619
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