Abgrenzungen und Ausschlüsse. Die Unvereinbarkeitsbeschlüsse in der GEW Hamburg in den 1970er Jahren
Dossier
„Die GEW Hamburg hatte eine Studie in Auftrag gegeben, die ihren Umgang mit den Unvereinbarkeitsbeschlüssen untersuchen soll: Ihre Entstehung, ihre Praxis sowie die Folgen für die betroffenen Personen. Diese Arbeit liegt nun vor. In der Studie wird am Beispiel der Hamburger GEW eine erste Untersuchung zum Umgang der GEW mit den Unvereinbarkeitsbeschlüssen vorgelegt. Dabei werden einerseits die politischen Prozesse analysiert, die zur Etablierung der UVB in der GEW führten und herausgearbeitet, welche Personen daran federführend beteiligt waren. Dabei wird ein besonderer Blick darauf gelegt, welchen Einfluss der DGB und die Zentralisierung der GEW für die Durchsetzung der UVB hatten. Andererseits werden die Ausschlussverfahren systematisch untersucht: Wer wurde ausgeschlossen und auf welcher Grundlage? Reichte die Mitgliedschaft in kommunistischen Gruppen aus oder war das konkrete Verhalten in der GEW ausschlaggebend? In der Studie wird herausgearbeitet, wie stark die Unvereinbarkeitsbeschlüsse mit politisch-generationellen Konflikten und Umbrüchen innerhalb der GEW verbunden waren. Die UVB sind somit ein weiteres Beispiel, warum die 1970er Jahren häufig als Jahrzehnt des Umbruchs oder des Konflikts beschrieben werden. Mit Radikalenbeschluss, Parteiordnungsverfahren und Unvereinbarkeitsbeschlüssen waren die 1970er Jahre auch ein Jahrzehnt der Abgrenzungen und Ausschlüsse. Als Forscherin konnten wir Alexandra Jaeger gewinnen. Sie hat vor kurzem an der Universität Hamburg zum Thema „Berufsverbote in Hamburg“ promoviert und arbeitete im Fachbereich Geschichte bzw. an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg zum Thema…“ Buchvorstellung der GEW Hamburg vom 25. August 2020 („GEW Hamburg arbeitet die eigene Geschichte auf, Teil 2“) mit Bestellmöglichkeit der Studie von Alexandra Jaeger im Beltz-Verlag (140 Seiten zum Preis von 19,95 Euro), dort als Leseprobe: Abgrenzungen und Ausschlüsse . Siehe dazu:
- Klima des Misstrauens. Gewerkschaftlicher Antikommunismus: Die Unvereinbarkeitsbeschlüsse in der Hamburger GEW in den 1970er Jahren
„Im Jahre 2017 führte der Hamburger Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft eine Veranstaltung zu den Berufsverboten mit der Historikerin Alexandra Jaeger durch, die über dieses Thema ihre Dissertation verfasst hatte. Dabei kam der Gedanke auf, das hiermit in Zusammenhang stehende Thema Unvereinbarkeitsbeschlüsse (UVB) am Beispiel der GEW Hamburg untersuchen zu lassen. Der Forschungsauftrag ging an Jaeger, die nun ihre Ergebnisse in Buchform vorlegt. Der stellvertretende Vorsitzende der GEW Hamburg, Fredrik Dehnerdt, erinnert in seinem Vorwort daran, dass sich die Bundes-GEW für die Ein- und Durchführung der UVB im Jahre 2012 bei den Betroffenen entschuldigt hat, und fasst dann zustimmend die Ergebnisse der Studie zusammen: Die UVB gingen »auf eine Mischung aus generationellen Umbrüchen, politischen Konflikten und antikommunistischer Hysterie« zurück. Die GEW Hamburg habe hierbei als Landesverband eine Vorreiterrolle gespielt und ein Verfahren angewandt, das sie im Hinblick auf die Berufsverbote zu Recht kritisiert habe: Statt die Frage etwaigen gewerkschaftsschädigenden Verhaltens der Betroffenen als Richtschnur zu nehmen, sei es um Mitgliedschaft in Parteien gegangen. Dabei sei gegen »den Grundsatz der gewerkschaftlichen Solidarität« verstoßen worden. Die GEW Hamburg, so Jaeger, stand in den 1960er Jahren im Ruf »eines konservativen Lehrervereins«. Dies änderte sich um 1968 auf verschiedenen Ebenen. Der damals noch als links geltende Erich Frister wurde in diesem Jahr als GEW-Bundesvorsitzender gewählt. Der Ausschuss junge Lehrer und Erzieher (AjLE) wurde zu einem Sammelbecken der Linken in der Hamburger GEW. Gleichzeitig verschärfte das Land Hamburg die Gangart gegenüber Linken im Staatsdienst. Im November 1971 wurde die Lehrerin Heike Gohl als »DKP- und SDAJ-Sympathisantin« aus politischen Gründen entlassen – noch vor dem »Radikalenerlass« von 1972. (…) Besonders lesenswert ist der Abschnitt in Jaegers Buch, in dem sie unter der Überschrift »Die Logiken der Unvereinbarkeit: Verfahren und betroffenen Personen« vier Interviews auswertet. Hier geht es nicht nur um Ausschluss, sondern auch um Nichtaufnahme bzw. Verweigerung des Rechtsschutzes. Zum einen werden Muster für Radikalisierung (im Sinne der UVB) erkennbar. Außerdem wird deutlich, dass – Stichwort: Verstöße gegen »den Grundsatz der gewerkschaftlichen Solidarität« – die Verweigerung des Rechtsschutzes einen scharfen Eingriff in die Lebensplanung der Betroffenen bedeutete: Es wurde ihnen materiell unmöglich, gegen Nichteinstellung in den öffentlichen Dienst zu klagen. Insofern war es Augenwischerei, wenn die GEW argumentierte, dass Ausschlüsse nicht zu Berufsverboten geführt hätten. Wie die Berufsverbote, so bewirkten auch die UVB »ein Klima des Misstrauens und der Denunziation«. Die Arbeit von Jaeger verbindet gründliches Quellenstudium mit der Fähigkeit zur Analyse. Es ist sicherlich von Vorteil, dass die Autorin einer jüngeren Generation angehört und nicht erst eigene Erfahrungen ausblenden muss, um zu einem abgewogenen Urteil zu gelangen. Dass dies wiederum nicht zu einer »Scheinobjektivität« den Ereignissen gegenüber führt, ist ihrer Fähigkeit geschuldet, sich in die Lebensumstände einer älteren Generation hineinzuversetzen.“ Rezension von Lothar Zieske in der jungen Welt vom 2. November 2020 zu „Abgrenzungen und Ausschlüsse. Die Unvereinbarkeitsbeschlüsse in der GEW Hamburg in den 1970er Jahren“ von Alexandra Jaeger erschien bei Beltz Juventa, Weinheim-Basel 2020, 140 Seiten, zum Preis von 19,95 Euro – siehe unten - Klima des Misstrauens: Die Bildungsgewerkschaft GEW und der »Radikalenerlass« – eine Fallstudie
„Im August 1975 erhielt die 26-jährige Hamburger Lehrerin Sabine Breustedt Post von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Der Leiter der Rechtsschutzabteilung teilte ihr mit, dass ihr kein Rechtsschutz gewährt werden könne, bis ihre Mitgliedschaft geklärt sei. Ihren unklaren Status begründete er mit der vermuteten Unterstützung des Kommunistischen Bunds (KB). Breustedt war eine jener Personen, die in den 1970er Jahren die Folgen der Unvereinbarkeitsbeschlüsse (UVB) in der GEW erfuhr. Ein eigenes Kapitel gewerkschaftlicher Konfliktgeschichte im Kontext von Studentenbewegung, Radikalenbeschluss und Linksterrorismus. Breustedt hatte in Hamburg Englisch und Französisch auf Lehramt studiert und sich im Sommer 1975 nach dem Zweiten Staatsexamen dort für den Schuldienst beworben. Zunächst war ihr eine Stelle an einem Gymnasium in Aussicht gestellt worden. Doch dann lehnte der Senat die Bewerbung wegen Zweifeln an ihrer Verfassungstreue ab. Der Vorwurf lautete: Mitgliedschaft im KB und Besuch mehrerer Veranstaltungen und Demonstrationen der Organisation. (…) Die Unvereinbarkeitsbeschlüsse waren Ausdruck der politisch-generationellen Umbrüche in der GEW der 1970er Jahre. Ältere Mitglieder vertraten einen vehementen Antikommunismus und forderten eine klare Abgrenzung von den K-Gruppen, teils auch von der DKP. Zugleich wuchs die Gruppe zumeist jüngerer Mitglieder, die die Praxis der Gewerkschaftsausschlüsse ablehnten. An dem Umgang mit den UVB wird deutlich, wie in den 1970er Jahren in der GEW unterschiedliche Politik- und Gewerkschaftsvorstellungen aufeinanderprallten. (…) Für die Stimmung in der GEW bedeuteten die UVB eine starke Belastung. Sie beförderten ein Klima von Misstrauen und Denunziation. Administrative Maßnahmen ersetzten die politische Diskussion, die in jenen Jahren nicht einfach war. Noch heute sprechen GEW-Mitglieder von einem »Trauma«, das in der Organisation lange nachgewirkt habe. Mittlerweile hat die GEW sich bei ausgeschlossenen Mitgliedern entschuldigt und ihnen eine Entschädigungszahlung angeboten.“ Artikel von Alexandra Jaeger vom 12. September 2020 in neues Deutschland online