Linke in Gewerkschaften – gestern und heute
„Die Linke war immer gut beraten, wenn sie an Knotenpunkten der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung an die Öffentlichkeit getreten ist mit der Aufforderung zu einer möglichst breiten Debatte: über Zeitdiagnosen, Aufgabenstellungen, Perspektiven. Ein solcher Knotenpunkt ist gegenwärtig erreicht. Von „Transformation“ ist die Rede. Ob es sich dabei um eine sozial-ökologische Transformation des Kapitalismus oder über diesen hinaus handelt (und wo dabei die Grenzen liegen), ist offen. Ich plädiere für eine erneuerte Sozialismus-Debatte – gerade auch in der gewerkschaftlichen Linken. (…) Diese Sozialismus-Debatte muss konkret geführt werden, wenn sie politisch wirksam werden soll. Ausgangspunkt muss die Erkenntnis sein, dass die mit der Krise sich akkumulierenden Widersprüche und Katastrophen nicht nach der Logik der Profitproduktion, des freien Wettbewerbs und des Rückzugs des Staates auf die allgemeine Sicherung kapitalistischen Eigentumsverhältnisse gelöst werden können. Auf der einzelwirtschaftlichen Ebene (Betriebe/Unternehmen) muss darum gekämpft werden, wie die Interessen der Lohnabhängigen bei der Bewältigung der Krise sowie der Umstellung der Produktion berücksichtigt werden. Dazu braucht es starke Gewerkschaften und gute Betriebsräte…“ Artikel von Frank Deppe am 28. Juli 2020 im Gewerkschaftsforum und weiter aus dem umfangreichen Text:
- „(…) Diese Bestandteile einer alternativen gesellschaftspolitischen Programmatik müssten von einem politischen Projekt getragen werden, in dem soziale Bewegungen und eine Koalition politischer Kräfte eine zentrale Rolle spielen. Die Gewerkschaften können nicht die Hauptakteure in diesem Projektzusammenhang sein. Ihr „Kerngeschäft“ besteht in der Tat darin, möglichst viele lohnanhängig arbeitende Menschen zu organisieren, um im Betrieb und über diesen hinaus auf dem Feld der Tarifpolitik durch die Entwicklung von Gegenmacht die Arbeits- und Einkommensbedingungen zu verbessern, die Prekarisierung der Arbeit zurückzudrängen sowie Arbeitszeit und Leistungspolitik im Sinne von mehr Zeitsouveränität der Beschäftigten zu regulieren. Gleichzeitig werden sie diese kollektive Macht nutzen, um auf den Kerngebieten der Sozialpolitik (Gesundheit, Alterssicherung) strukturelle Macht (vor allem auf die Parteien) auszuüben. Im Blick auf die neuen Herausforderungen durch den Epochenbruch werden die Gewerkschaften allerdings mit der bittere Wahrheit konfrontiert, dass der Bruch mit der neoliberalen Logik und der an diese gekoppelten Machtverhältnisse politische Interventionen und Umwälzungen erfordern wird, die keineswegs mit dem traditionellen Politikverständnis von Funktionären zu bewältigen sind, die sich darauf konzentrieren, über den Arbeitsminister oder andere Minister der Regierung der Großen Koalition einzelne Forderungen der Gewerkschaften durchzusetzen zu können. Das ist wichtig, aber angesichts der tatsächlichen Herausforderungen völlig unzureichend. Aufgabe der Linken in den Gewerkschaften ist es, die Grenzen dieses traditionellen Politikverständnisses deutlich zu machen, darauf hinzuwirken, dass das Verhältnis von Schutz- und Gestaltungsfunktionen, im Kampf um die Interessen der lohnabhängig Arbeitenden neu bestimmt werden muss. Dazu gehört die Öffnung der Gewerkschaften für die Diskurse der sozialen Bewegungen, die für sozialen Wohnungsbau und bezahlbare Mieten (einschließlich der Enteignung privater Immobilienkonzerne), für den Klima- und Umweltschutz eintreten, aber auch Solidarität mit den Flüchtlingen einfordern und zugleich der AfD und den Neonazis entschlossen entgegentreten. Die Friedensbewegung braucht in Zeiten der zunehmenden Kriegsgefahr dringend der Unterstützung aus den Reihen der linken Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter. Die Verteidigung der Tagesinteressen muss in eine Perspektive gesamtgesellschaftlicher und politischer Transformation eingebettet sein.“
- Frank Deppe ist Autor und Professor em. für Politikwissenschaften an der Philips Universität Marburg – und Gründungsmitglied des LabourNet Germany!
- Siehe zuletzt im LabourNet: [Buch] Entgrenzte Arbeit, (un-)begrenzte Solidarität? Bedingungen und Strategien gewerkschaftlichen Handelns im flexiblen Kapitalismus