[Presseschau] Ist Europa gescheitert – oder gerade noch einmal nicht?
Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 22.7.2020 – wir danken!
Ob Europa in dieser Corona-Krise gescheitert ist – oder gerade noch einmal davongekommen ist? Das ist die heiße Frage, die uns jetzt nach diesem Corona-Krisen-Gipfel bewegen kann. Aber statt zu einer gemeinsamen europäischen Fiskalpolitik voranzuschreiten, wird noch die „letzte“ gemeinsame Instanz einer europäische Geldpolitik durch das Bundesverfassungsgericht angegriffen. (https://www.fes.de/progressive-wirtschaftspolitik-fuer-europa/artikelseite-progressive-wirtschaftspoitik/ein-europa-der-solidaritaet )
Und diese „sparsamen Vier“ bedienen mit ihren nationalistischen Fiskalvorstellungen nicht nur populistische Ressentiments, sondern auch eine Aggression gegen Europa, die so schnell nicht verfliegen wird. (https://www.sueddeutsche.de/politik/europaeische-union-ein-hoher-preis-1.4973945 )
Vollends falsch ist der Vorwurf, Deutschland habe im Spiel der europäischen Kräfte die Seiten gewechselt und erledige nun das Geschäft der der Nehmerländer. Wäre dem so, so hätte dieser Europagipfel jetzt Eurobonds diskutiert (vgl. dazu (https://www.merkur.de/wirtschaft/corona-bonds-euro-bond-was-ist-eu-italien-deutschland-wirtschaft-schulden-krise-spanien-sind-13636155.html ), um langfristige eine gemeinsame Finanzpolitik für Europa als Grundlage für die weitere Perspektive der Europäischen Währungsunion mit der gemeinsamen Währung dem Euro (ähnlich wie beim Dollar-Raum) zu erreichen.
Aber es war doch gerade der Verdienst der Bundesrepublik, dass sie Frankreich von diesem Vorschlag von gemeinsamen Eurobonds abbrachte – was auch im Rahmen der bestehenden Verträge jetzt leichter steuerbar war. (https://www.sueddeutsche.de/politik/europaeische-union-ein-hoher-preis-1.4973945 )
Und so wurde diese Finanzierung durch Zuschüsse – wie in sonstigen staatlichen Gebilden gang und gäbe – auf dieses einmalige Krisen-Ereignis reduziert. (https://www.fr.de/meinung/europa-eu-gipfel-bruessel-union-gemeinschaft-nationale-krise-13836201.html )
Aber wenn die Europäische Union endlich eine längerfristige Perspektive gewinnen will, so müsste sie auch den Geburtsfehler der Währungsunion überwinden – und zu einer echten Wirtschafts- und Finanzunion sich fortentwickeln.
Die Prioritäten beim Europa-Gipfel wurden dann auch noch erstaunlich vorgestrig – und ansonsten „verzwergt“.
War da nicht einmal was mit Forschungsförderung, der Kohlepolitik (Energiewende), insgesamt dem dem Klimaschutz, der Digitalisierung und dem Gesundheitsschutz (Corona!)? Aber überall blieben die veranschlagten Budgets weit unter dem, was die Kommission veranschlagt hatte. (https://www.fr.de/meinung/erstaunlich-vorgestrig-13839679.html ) Und so überwiegen die nationalen Egoismen.
So konnte Kanzlerin Merkel die von ihr befürchtete Verzwergung der Konjunktur – und Wirtschaftshilfen nicht verhindern.
Die Lobby-Gruppen wie die Landwirtschaft konnten sich jedoch – überraschend – durchsetzen – und so fielen im letzten Moment noch die Zuwendungen für die Landwirtschaft – wohlgemerkt nicht für ihren ökologischen Umbau (!) – sondern viel mehr für den Erhalt der überholten Strukturen aus. So wird auch noch das Geld von zukunftsweisenden Gewmeinschaftsaufgaben wegverlagert, hin zu nationaler Besitzstandswahrung ohne dabei der Zerstörung des Rechtsstaates in Ungarn und Polen etwas entgegensetzen zu können.
Und so sparen diese selbsterkorenen „sparsamen Vier“ auch an politischem Weitblick und am Verständnis für die Voraussetzungen eines funktionierenden EU-Binnenmarktes. (https://www.fr.de/meinung/erstaunlich-vorgestrig-13839679.html )
Aber nicht nur dieser nationale – kurzfristig gedachte – Wohlstandsegoismus höhlte die Europäische Union aus, sondern auch der aggresive Demokratieabbau in Osteuropa vernichtet noch zusätzlich die Wertesubstanz dieses gemeinsamen Europa. (https://www.fr.de/meinung/ungarn-viktor-orban-eu-geld-fliesst-in-private-taschen-13832394.html )
Letztlich können die Sieger dieses Europa-Deals dann gar nicht wie Sieger mehr aussehen. (https://www.sueddeutsche.de/politik/eu-gipfel-merkel-macron-corona-1.4974894 ) Der politische Preis für das Prinzip der Einstimmigkeit war hoch. (https://www.sueddeutsche.de/politik/eu-gipfel-ungarn-polen-kritik-coronavirus-1.4974269 )
Das Einstimmigkeitsprinzip verhindert den Reifeprozess der Gemeinschaft.
Deswegen muss jetzt die politische Debatte um die wirkliche – auch demokratische – politische Gestalt Europas in den Mittelpunkt rücken. Die Gruppe der Rechtsstaatsignoranten und die Gruppe der nationalistischen Erziehungsbeauftragten haben es so deutlich gemacht, dass ansonsten die Europäische Union nur noch scheitern kann. (https://www.sueddeutsche.de/politik/europaeische-union-ein-hoher-preis-1.4973945 )
Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 22.7.2020 – wir danken!
Siehe zum Hintergrund auch: