Frankfurt ist das neue Stuttgart – und „racial profiling“ schon Normalität?
Dossier
„… Nach Polizeiangaben hatten sich in der Nacht rund 3000 Menschen am Opernplatz versammelt, um wie in den Vorwochen friedlich zu feiern. Etwa eine Stunde nach Mitternacht sei die Stimmung aber gekippt und aggressiv geworden. Etwas später hätten sich ungefähr 25 bis 30 Menschen eine Schlägerei geliefert. Als Polizeibeamte einschritten, um einen Verletzten zu bergen und Streit zu schlichten, habe sich die Menge gegen die Beamten solidarisiert, sagte Bereswill. Zu diesem Zeitpunkt hätten sich noch rund 500 bis 800 Partygänger am Opernplatz befunden. Die Polizisten seien massiv mit Flaschen angegriffen worden. Jeden Treffer hätten hunderte Menschen mit Gejohle und lautstarkem Beifall quittiert, kritisierte der Polizeipräsident. Mit zusätzlichen Kräften wurde der Platz schließlich geräumt, wobei immer wieder Flaschen flogen. Insgesamt 39 Menschen im Alter zwischen 17 und 21 Jahren sind im Zuge der Ausschreitungen festgenommen worden, acht von ihnen befinden sich laut Polizei noch in Gewahrsam. Bei ihnen prüfe die Staatsanwaltschaft derzeit, ob ein Haftbefehl wegen schweren Landfriedensbruchs beantragt werden soll…“ – aus der Meldung „Krawalle in Frankfurt: „Absoluter, negativer Höhepunkt““ am 19. Juli 2020 bei der Deutschen Welle – womit auch bereits das Thema erledigt ist, wie die Polizei die Vorfälle darstellt… Siehe dazu auch weitere aktuelle Beiträge aus sehr unterschiedlicher Perspektive und die zur „Vorgeschichte“ dieser Entwicklung informativ sind:
- Wie unterschiedliche Kräfte versuchen, aus den Frankfurter Auseinandersetzungen Kapital zu schlagen: Der gemeinsame Nenner heißt Propaganda für den Polizeistaat
„… „Markus Frank nutzt die Randale am Opernplatz, um im Sommerloch Wahlkampf zu betreiben: Eine Spaltung in „wir“ und „ihr“, „unsere“ Polizei gegen die „Gäste mit Migrationshintergrund“. Bis zum Erstellen von Stammbäumen ist es dann nicht mehr weit. Frank verwendet „Migrationshintergrund“ als stigmatisierende Zuschreibung in einer Stadt, bei der doch Diversität und Mehrsprachigkeit für den Großteil der Bevölkerung Realität ist.“„Natürlich bleibt der Ruf nach Abschiebungen und dem diskriminierenden Ausländerrecht nicht weit. Für ihn ist es einfacher, Minderheiten als Müllsünder zu infantilisieren und danach pauschal zu kriminalisieren als sich einzugestehen, dass sein Ordnungsamt wochenlang nichts gegen die wilden Corona-Partys und die Verstöße gegen Maskenpflicht und Abstandsgebot getan hat, solange dort nur Hipster unterwegs waren“, so Kliehm weiter. Der eingeschlagene Law & Order-Kurs der Stadtregierung sei ein Fehler. Kliehm: „Der Ruf des Ordnungsdezernenten nach einer nächtlichen Sperrung des Opernplatzes an den Wochenenden schießt weit über das Ziel hinaus und verlagert nur das Problem. Die Umsetzung wäre ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Freiheitsrechte. Franks Appell an die Justiz, sich dem nicht entgegenzustellen, ist undemokratisch und für einen Dezernenten der Stadt Frankfurt unwürdig.“ Die Art und Weise, wie die Stadt und die Polizei auf die Randale vom Wochenende reagiert hat, sei von Abwertungen und Scharfmacherei gekennzeichnet. „In der Sichtweise von Stadtrat Frank benehme sich das bürgerliche Klientel am Opernplatz tadellos und trenne schön den Müll. Nach Mitternacht aber ziehe ein Problemklientel auf, das die Stadt in Angst und Schrecken versetzen wolle“, so Kliehm…“ – aus der Mitteilung der Linken „Stadt und Polizei instrumentalisieren die Vorfälle am Opernplatz“ am 21. Juli 2020 im Frankfurt Info über die entsprechenden rechten Vorstöße. Siehe dazu auch eine Meldung über die (nicht sehr überraschende) Reaktion des Innenministers und einen Beitrag über das Frankfurter Polizeirevier, das für den Opernplatz zuständig ist – und aus dem das Adressmaterial an Nazis ging für deren Morddrohungen…- „Betreten verboten“ vom 20. Juli 2020 ist eine dpa-Meldung (hier bei der taz) in der über die entsprechenden Übungen des Herrn Seehofer berichtet wird: „… Mit der Sperrung des Opernplatzes wolle man von außerhalb nach Frankfurt kommenden Menschen signalisieren, dass es sich nicht lohne, in die Stadt zu kommen, so Sicherheitsdezernent Frank am Montag. Neben der Sperrung des Platzes solle es auch verstärkte Kontrollen in der näheren Umgebung geben. Von den 39 Tatverdächtigen kamen laut Polizei 29 von außerhalb nach Frankfurt. Auch Innenminister Seehofer (CSU) äußerte sich zu den Krawallen. Er forderte eine Studie über Gewalt gegen Polizeibeamte. Eine solche Studie müsse erfragen, „was führt in Deutschland seit längerem dazu, dass die Polizei – bis in wichtige Bereiche der Politik und der Medien hinein – so beschimpft und verunglimpft wird?“, sagte Seehofer dem „Münchner Merkur“ (Dienstagsausgabe). „In Deutschland reden ja gerade viele über Polizei-Studien“, sagte Seehofer. „Wir bräuchten nach meiner Überzeugung eine Studie über Gewalt gegen Polizeibeamte.“ Seehofer war kürzlich in die Kritik geraten, weil er eine von seinem Ministerium in Aussicht gestellte Studie über Rassismus in der Polizei abgesagt hatte. Er begründete dies damit, dass Rassismus in der Polizei kein strukturelles Problem sei. Die Opposition kritisierte ihn dafür scharf, das SPD-geführte Bundesjustizministerium forderte ein Festhalten an der Rassismus-Studie. Mit Blick auf die Krawalle in Frankfurt forderte Seehofer größeren Respekt für die Polizei...“
- „Die „Krawalle“ in Frankfurt und das rechte Netzwerk in der Polizei“ von Peter Schwarz am 21. Juli 2020 bei wsws zum Krach um Frankfurt und Schweigen zu hessischen Nazis in Uniform unter anderem: „… Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) verkündete: „Diese sinnlose Gewalt gegenüber der Polizei ist durch nichts zu rechtfertigen.“ Bild meldete unter Berufung auf „Sicherheitskreise“, die Beteiligten seien denen „von den Krawallen in Stuttgart“ ähnlich – „hoher Migrationsanteil, betrunken und hoch aggressiv“. Stefan Müller, Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, forderte „das klare Benennen der Ursachen – eine gescheiterte Integration und das Leugnen von Missständen durch linke Eliten“. Auch der Frankfurter Polizeipräsident Gerhard Bereswill behauptete, es habe sich bei den Jugendlichen vorwiegend um Männer mit Migrationshintergrund gehandelt. In der Hessenschau nach den Ursachen der Auseinandersetzungen gefragt, nannte er neben Alkohol und aggressiver Grundstimmung „die pauschale Vorwurfslage“, der die Polizei ausgesetzt sei. Polizisten würden des Rechtsextremismus verdächtigt und bekämen dies auf der Straße zu spüren. Hinzu kämen die Anschuldigung des Rassismus und des Racial Profiling sowie der Vorwurf der Polizeigewalt, der nach dem Tod von George Floyd nach Deutschland geschwappt sei. Die deutsche Polizei werde fälschlicherweise mit der amerikanischen identisch gesetzt. Der Polizeichef vertauscht bewusst Ursache und Wirkung. Jugendliche haben allen Grund, gegenüber der Polizei misstrauisch zu sein. Seit Wochen werden immer neue Einzelheiten über rechtsextreme Netzwerke in der hessischen Polizei bekannt. Zahlreiche Prominente – darunter die NSU-Opfer-Anwältin Seda Besay-Yıldız, mehrere führende Politikerinnen der Linkspartei, die Kabarettistin Idil Baydar, die Grüne Jutta Ditfurth und der Journalist Denis Yücel – haben Todesdrohungen erhalten, die mit „NSU 2.0“ unterzeichnet waren. Sie enthielten in mehreren Fällen persönliche Daten, die jeweils kurz zuvor von hessischen Polizeicomputern abgerufen worden waren. Doch die Täter werden von höchsten Stellen in Staat und Politik gedeckt. Obwohl es ein Leichtes war, die Polizisten zu identifizieren, über deren Account die Daten abgerufen wurden, weiß die Polizei angeblich immer noch nicht, wer dahintersteckt. Im Zentrum der Affäre befindet sich das 1. Polizeirevier in Frankfurt, das auch für den Opernplatz, den Ort der jüngsten Auseinandersetzungen, zuständig ist. Dort waren vor zwei Jahren die Daten von Seda Besay-Yıldız abgerufen worden. Auf dem Handy der Polizistin, die sich eingeloggt hatte, fand sich eine Chat-Gruppe, auf der Polizisten Hitler und den Holocaust verherrlichten. Fünf der beteiligten Polizisten stammten vom 1. Frankfurter Revier. Sie wurden zwar suspendiert, doch sonst geschah nichts…“
- „Randale am Opernplatz in Frankfurt: Bestürzung und Entsetzen – „Ich bin fassungslos““ von Alexander Gttschalk und Sophia lother am 19. Juli 2020 in der FR online ausführlicher dazu: „… Die Polizei Frankfurt hat derweil eine ausführliche Pressemitteilung zu den Ereignissen am Opernplatz veröffentlicht. Darin geht sie nochmal näher auf die Festgenommen und die Tatvorwürfe ein. Den 39 Personen werde unter anderem schwerer Landfriedensbruch sowie Körperverletzung vorgeworfen. Bis auf eine Frau waren sie alle junge Männer zwischen 17 und 23 Jahren. Die „überwiegende Mehrzahl“ habe „einen Migrationshintergrund“. Diese Aussage sorgt online bereits für Diskussionen über Racial Profiling. (…) Gegen 3 Uhr kam es zu einer großen Schlägerei zwischen 25 bis 30 Personen am Brunnen des Opernplatzes. Circa 500 bis 800 Menschen waren zu diesem Zeitpunkt noch am Opernplatz. Da eine Person verletzt wurde und blutete, entschied die Polizei einzugreifen und den Streit zu schlichten. Etwa 10 Polizisten schalteten sich ein. Dann habe sich die Situation verändert. Die Teilnehmer der Schlägerei wandten sich „ganz offen und direkt“ gegen die Polizisten und bewarfen sie massiv mit Flaschen. Weitere Personen mischten sich ein und warfen ebenfalls mit Flaschen auf die Polizisten. „Was ich besonders erschreckend finde“, so Bereswill, alle 500 bis 800 Personen hätten zu klatschen begonnen, wenn Flaschen in der Nähe der Polizisten einschlugen. Auch der Ruf „ACAB“ sei gefallen. Dies führte dazu, dass sich die zehn Polizisten zunächst zurückzogen und Verstärkung informierten. Die alarmierten Kräfte wurden noch in der Anfahrt mit Flaschenwürfen aus der Menge heraus beworfen. Mehrere Polizeifahrzeuge wurden beschädigt. Zwei Polizeiketten mit Schutzschilden wurden aufgestellt, um den Opernplatz Frankfurt zunächst abzusperren. Unter großem Gejohle der Menschenmenge habe man diese Polizisten mit Flaschen beworfen. Die Polizei entschied sich daraufhin den Platz zu räumen...“
- „Frankfurt am Main: Kämpfe gegen die Polizei“ am 19. Juli 2020 bei Dem Volke Dienen berichtet aus ganz anderer Perspektive: „… In der vergangen Nacht von Samstag den 18. auf Sonntag den 19. Juli kam es am Opernplatz in Frankfurt am Main zu kämpfen der Massen gegen die Bullen. Laut der Polizei und der bürgerlichen Presse beteiligten sich 500 bis 800 Menschen. Angeblich sei eine Schlägerei vorangegangen bei der die Polizei einschreiten wollte und woraufhin sich die Wut dann gegen die Bullen entlud. Die Staatsschützer wurden mit Flaschen und Gläsern beworfen, von der Stadt gerade neu aufgestellte Mülltonnen wurden reihenweise um geschmissen, Polizeieinsatzwagen angegriffen, immer wieder wurde ACAB (All Cops Are Bastards) gerufen und die Angriffe gegen die Bullen lautstark bejubelt. Insgesamt sollen fünf Bullen verletzt worden sein. 39 Jugendliche wurden verhaftet. Der Polizeipräsident von Frankfurt sagte das er etwas von solcher Qualität und solcher Anzahl in Frankfurt noch nie erlebt habe. Die Kämpfe in Frankfurt reihen sich nach den Kämpfen Stuttgart ein. Die Massen lassen ihrer Wut über den Ausnahmezustand, die Bullen Schikane und all die Maßnahmen des Staates ,die die Situation für die Menschen noch schlechter machen, freien Lauf und wehren sich dagegen. Die Wut entfesselt sich vor allem gegen die repressiven Institutionen des Staates, also die Polizei. Und diese Wut und die daraus resultierenden Kämpfe sind vollkommen gerechtfertigt…“
- „Frankfurt: Wirbel um Instagram-Video von Polizeikontrolle“ von Hanning Voigts am 12. Juli 2020 bei FR online zu einer von sehr vielen Vorgeschichten aus Frankfurt, die die aktuelle Rebellion nachvollziehbar machen: „… Auf Instagram sorgt das Video einer Polizeikontrolle für Wirbel, bei der ein Mann seine Hose auszieht. Die Frankfurter Polizei hat für den Vorfall eine einfache Erklärung. Das Video einer Polizeikontrolle in Ginnheim, das aktuell im Internet für Aufsehen sorgt, zeigt entgegen dem ersten Anschein offenbar nur einen harmlosen Vorgang. Die Initiative „Be Heard FFM“ hatte die kurze Filmsequenz, die inzwischen mehr als 3500 Mal angesehen wurde, auf Instagram veröffentlicht. Darin ist zu sehen, wie mehrere Polizisten auf der Straße einen schwarzen Mann kontrollieren. Dabei lässt der Mann kurzzeitig seine Hosen herunter und lässt sich in T-Shirt und Unterhose abtasten. Das Video hatte im Netz Fragen nach der Verhältnismäßigkeit eines solchen Vorgehens aufgeworfen...“
- „Wieder Ärger im Frankfurter Bahnhofsviertel“ von Oliver Teutsch am 10. Juli 2020 bei FR online zu einer weiteren „Vorgeschichte“ unter anderem: „… Der Streit um den angemessenen Umgang mit Drogenabhängigen und Obdachlosen im Frankfurter Bahnhofsviertel hat neuen Zündstoff erhalten. Der Präventionsrat der Stadt hat die Anwohner des Wohnprojekts Nika in einer E-Mail darauf hingewiesen, dass es strafbar sei, auf Privatgrund Drogenkonsum zuzulassen. In die E-Mail hatte der Vorsitzende des Präventionsrats, Klaus-Dieter Strittmatter, den entsprechenden Strafrechtsparagrafen des Betäubungsmittelgesetzes eingefügt, wonach demjenigen eine Freiheitsstrafe drohe, der anderen eine Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln verschafft oder gewährt. Das Projekt Nika reagierte am Mittwochabend mit einem offenen Brief, in dem der repressive Umgang mit den Drogenabhängigen im Bahnhofsviertel kritisiert wird. Die Stadt hatte nach Beschwerden von Anwohnern und Gewerbetreibenden im vergangenen Sommer begonnen, gegen die Drogenszene verschärft vorzugehen. Drogensüchtige und Obdachlose lagerten auf Bürgersteigen, konsumierten auf offener Straße Drogen und verhielten sich gegenüber Passanten und Anwohnern aggressiv, so der Tenor der Beschwerden. Wo es Beschwerden gibt, geht die Stadtpolizei gegen die Lagernden vor. Bei einem solchen Einsatz sollen die Bewohner von Nika Strittmatter zufolge die Stadtpolizisten darauf hingewiesen haben, dass sich die betreffenden Personen auf dem privaten Grund des Hausprojekts befänden, der sich in einem kleinen Teil der Niddastraße 57 auch über den ansonsten öffentlichen Gehweg erstreckt. In der Tat hat die Stadtpolizei ohne Ermächtigung der Hauseigentümer keine Befugnis zum Eingreifen. Diesen Vorfall nahm Strittmatter zum Anlass für seine E-Mail an das Hausprojekt. „Das war keine Bösartigkeit, mir geht es darum, die Eigentümerverantwortlichkeit aufzuzeigen“, so Strittmatter auf Anfrage der FR. Er habe kein Problem damit, wenn Nika Leute vor seiner Haustür sitzen lasse, nur Drogen konsumieren dürften die Lagernden dort nicht. Der ehemalige Polizist will mit seiner E-Mail „lediglich auf die rechtliche Situation hingewiesen“ haben und bemängelt, Nika habe sein Gesprächsangebot nicht angenommen. In dem offenen Brief des Wohnprojekts heißt es zu Strittmatters Vorgehen: „Als eine gelungene Eröffnung zum Dialog mit den AnwohnerInnen betrachten wir es jedenfalls nicht.“ (…) Der Umgang mit den Drogenabhängigen im Bahnhofsviertel war Ende Juni auch Thema im Rechtsausschuss der Stadtverordnetenversammlung. Dabei wurde auch der viel bemühte Frankfurter Weg zur Disposition gestellt. Da es unter den Drogensüchtigen immer mehr Crack-Abhängige gebe, die auf normale Ansprachen nicht mehr reagierten, müsse die liberale Drogenpolitik der Stadt auf ihre aktuelle Tauglichkeit geprüft werden. Das Hausprojekt Nika forderte in seinem offenen Brief, den Frankfurter Weg beizubehalten…“
- Siehe auch unser Dossier: Racial Profiling