Nach den „Stuttgart-Riots“ zeigt sich, dass es keine rechten Strukturen in der Polizei gibt: Sie ist eine… Jetzt kommt der polizeilich erforderliche Arier-Nachweis?
„1/16 Jude“ – oder was? Deutsche Staatsbürger – aber ohne deutsches Blut. Sind halt keine richtigen Deutschen, das weiß auch der immer fragende Alltagsverstand „wo kommst du wirklich her?“ und genauso so rassistisch handhabt es die Stuttgarter Polizei. Noch nicht einmal groß sprachlich modernisiert: Stammbaum-Forschung nennen sie ihr Konstrukt, anstatt etwa Wurzelforschung, Migrations-Entwicklungs-Survey oder wie man es sonst hätte nennen können im Zeitalter werbewirtschaftlich diktierter Sprachreste. Allzu weit darf man zwar nicht zurück, denn die Geschichte ist nicht erst seit der Völkerwanderung immer auch Geschichte der Migration. Auch nicht bis zum angeblich ersten deutschen Kaiser, der kein Deutsch konnte, weil er eben Franke war. Oder jene 30 Jahre ab 1618, in denen Zehntausende Soldaten aus „aller Herren Länder“ sich in jenem Gebiet fortpflanzten, das später einmal Deutschland werden sollte. Von Napoleons Mannen, die nicht nur das Vokabular – speziell in Schwaben – massiv beeinflussten, ganz zu schweigen… Aber man wird es schon passend zu recht biegen, das konnte man schon vor 1.087 bis 1.075 Jahren. Aktueller Stand: Für Stuttgarts Polizei reicht ein „undeutscher“ Elternteil, um ins rassistische Profil zu passen. Zum rassistischen Offenbarungseid in Stuttgart unsere aktuelle kommentierte Materialsammlung „Anstatt einer Studie über Rassismus bei der Polizei: Pressemitteilungen lesen reicht“ vom 12. Juli 2020:
„Anstatt einer Studie über Rassismus bei der Polizei: Pressemitteilungen lesen reicht“
(12. Juli 2020)
a) Die „Stammbaumforschung“ des uniformierten Rassismus und andere Konsequenzen aus dem Riot in Stuttgart
Neben dem rassistischen Enthüllungsprogramm ziehen Polizei und ihre politischen Förderer auch noch weitere Konsequenzen aus der jugendlichen Rebellion – erst recht, nachdem sich die polizeiliche Propagandakampagne breiter medialer Unterstützung erfreute („Rebellion“ sagt im Übrigen noch nichts über die politische Orientierung der Beteiligten aus, die reichlich gemischt gewesen sein dürfte – erste Versuche jedenfalls, sie „der Antifa“ in die Schuhe zu schieben, scheiterten ziemlich schnell)(Siehe dazu zuletzt: Der schwäbische Riot: Die einen schreien jetzt, wie vorher auch schon, nach dem „starken Mann“ und starker Polizei. Wir, wie vorher auch schon, nach starkem Widerstand gegen den Kapitalismus…)
„Polizei betreibt Stammbaumforschung der Tatverdächtigen“ von Sascha Meier am 11. Juli 2020 in der Stuttgarter Zeitung online – steht hier am Anfang, um deutlich zu machen, dass es sich nicht um irgendeine Diffamierung der Polizei handelt, sondern eine Mitteilung, die auch in einem wahrlich keiner linken Neigungen verdächtigen Medium schlicht als Fakt berichtet wird: „… Vermutlich wird die Öffentlichkeit bald die Stammbäume der Tatverdächtigen der Stuttgarter Krawallnacht vom 21. Juni kennen. Das hatte Polizeipräsident Frank Lutz am Donnerstagabend im Gemeinderat angekündigt, als er dort auf einen Antrag der CDU hin zum aktuellen Ermittlungsstand berichtete. Er kündigte an, dass die Polizei auch bei den Tatverdächtigen mit deutschem Pass mithilfe der Landratsämter deutschlandweit Stammbaumrecherche betreiben werde. Dafür erntet er nicht nur aus dem Gemeinderat Kritik, auch der Landesdatenschutzbeauftragte prüft, ob solche Ermittlungen sozialdatenschutzrechtlich überhaupt erlaubt sind. Einige Stadträte fragen sich nicht nur, was dieses Vorgehen zur Aufklärung der Straftaten beitragen soll, sondern halten es für einen Angriff auf Menschen mit Migrationshintergrund. „Wie viele Generationen muss man in Stuttgart leben, um als Bürger dieser Stadt anerkannt zu werden“, fragt der Grünen-Stadtrat Marcel Roth. Er hält es für höchstproblematisch, wenn die Polizei jetzt Stammbücher nach Migrationshintergründen durchforstet. (…) Die Stuttgarter Polizei begründet ihr Vorgehen indes mit dem öffentlichen Interesse an den Ausschreitungen. „Die grundlegende Erhebung personenbezogener Daten bemisst sich an der Schwere des Delikts, hier kommt dazu, dass ganz Deutschland auf den Fall blickt“, sagt Jens Lauer, ein Sprecher des Polizeipräsidiums Stuttgart. Es würden Fragen gestellt wie: Wer waren die Täter, politisch, geschlechtlich, welche Nationalität, Migrationshintergrund oder nicht? Diesen sehe die Polizei per Definition bei „einem Elternteil ohne deutsche Staatsbürgerschaft“ erfüllt...“ – mit anderen Worten: Der Wirbel, den man selbst organisiert und angeheizt hat, wird als Grund für die Fortsetzung des Kurses des „Einzelfall Polizei“ genannt… (derselbe Artikel erschien auch in den Stuttgarter Nachrichten und beim RND)
Der RAV kommentierte dies am 12.7. bei Twitter wie folgt: „Eine #Stammbaumforschung bei Tatverdächtigen stellt einen schwerwiegenden Eingriff in Persönlichkeitsrechte dar. Die Diskussion ist Folge einer rassistisch motivierten Diskursverschiebung, die mit der ausufernden Nennung der Staatsangehörigkeit begann. #Polizeiproblem #Rassismus„
„Was für eine Show!! Für den „Tatortbesuch“ von Seehofer, Kretschmann, Strobel, Kuhn und die Presse wurde sogar extra das Samstag Nacht in Stuttgart demolierte Polizeiauto als Kulisse aufgefahren und wie ein Kunstwerk enthüllt“ am 22. Juni 2020 im Twitter-Kanal von Jens Volle war eine mit Fotos versehener Tweet zur inszenierten Propagandashow – mit durchaus lesenswerten Kommentaren (und Hinweisen) im folgenden Thread.
„Stuttgart steht noch“ von Johanna Henkel-Waidhofer am 24. Juni 2020 bei Kontext (Ausgabe 482) rückt die Desinformationskampagne mit Fakten zu recht: „… Es gibt kein „Schlachtfeld“ (CDU-Landtagsfraktionschef Wolfgang Reinhart), auch keine Blutspur, „die sich vom Hauptbahnhof bis zur Marienstraße zieht“ (StN). Es gibt keine „verwüstete Innenstadt“ (dpa) und keine „bürgerkriegsähnlichen Zustände“ (AfD und SPD). Aber es gibt in der deutschen Sprache jede Möglichkeit, sich differenziert auszudrücken über den Landfriedensbruch, die inakzeptablen Angriffe auf Menschen und Fahrzeuge, die Lust an Gewalt und Zerstörung, das Macho-Gebaren und das schräge Bewusstsein, wonach gewalttätiger Blödsinn eine Art Heldentat ist, wenn sie einen Filmschnipsel auf Youtube hergibt. Statt einzuordnen hat in der Medienberichterstattung aber vor allem die Übertreibung Konjunktur, seit in der Nacht zum Sonntag die ersten Mitschnitte die sozialen und die ersten Meldungen die klassischen Medien eroberten. Später Dutzende Live-Schalten auf allen Kanälen wie aus einem Krisenherd, Sondersendungen im SWR, auf ntv, bei RTL und wie sie alle heißen. (…) Und Innenminister Thomas Strobl (ebenfalls CDU) erliegt zwei Tage später der Versuchung ganz und gar. Er schiebt den schwarzen Peter – ohne Namensnennung – der grünen Rathausspitze und den Mehrheiten im Gemeinderat hinüber, weil die seine „ausgestreckte Hand“ einfach nicht ergreifen wollen. „Sicherheitspartnerschaft“ heißt das Zauberwort nach dem Freiburger und Heidelberger Vorbild, inklusive Videoüberwachung, Platzverweis oder Alkoholkonsumverbot. Seit 2014, sagt Strobl auf der Regierungspressekonferenz, gebe es einen Arbeitskreis mit Stuttgarter Beteiligung und jetzt sei es an der Zeit, „dass man in der Stadt mal weiterweiß“. Ernsthafte gemeinsame Aufarbeitung schaut anders aus. Dabei tagten im Rathaus die Beteiligten, inklusive Polizei, schon Seit‘ an Seit‘ und würden sich statt der Seitenhiebe gewiss mehr über Fakten freuen. Denn Zusammenarbeit wäre so wichtig. Ohne Zweifel waren die fünf Stunden, in denen die Einsatzkräfte – trotz zweier Hundertschaften – die Lage nicht unter Kontrolle bekamen, eine Zäsur für die Stadt. Allein Alkohol oder Feierfrust nach Corona, weil die Clubs und Diskotheken noch geschlossen haben, reichen als Ursachenanalyse so wenig aus wie die Hinweise auf das Alter der Festgenommenen: zwischen 14 und 33. 16 von ihnen sind Jugendliche oder Heranwachsende, 15 polizeibekannt. Selbst der Reiz, sich im Netz zu produzieren, liefert nur einen Teil der Erklärung; der seltsame Stolz zweier Mädchen, dass Stuttgart „jetzt endlich weltberühmt“ ist, wohl eher gar keine. Die Ernsthaftigkeit, mit der Winfried Kretschmann an die Analyse gehen will, zeigt die Frist, die er Strobl gibt. Bis nach der Sommerpause solle der „dezidiert berichten“, was zu tun ist...“
„Erneute Auseinandersetzungen in der City fordern mehrere Verletzte“ von Matthias Kapaun am 11. Juli 2020 ebenfalls in der Stuttgarter Zeitung online zur Fortsetzung von Auseinandersetzungen – und Propagandakampagne: „… Wie ein Sprecher der Stuttgarter Polizei mitteilte, waren in der Nacht mehr als 200 Polizisten zusätzlich in der Innenstadt im Einsatz. In der ersten Hälfte der Nacht blieb es noch ruhig, doch nach Mitternacht mussten die Beamten gleich mehrfach eingreifen, um Auseinandersetzungen zwischen Betrunkenen zu verhindern beziehungsweise zu beenden. So eskalierte gegen 23.30 Uhr eine Kontrolle am Eckensee. Dabei leistete ein 16 Jahre alter, betrunkener Jugendlicher laut Polizei erheblichen Widerstand und verletzte vier Einsatzkräfte leicht. Beim Marienplatz kam es gegen 1 Uhr zu einer Auseinandersetzung, in deren Folge Polizisten vier Tatverdächtige vorläufig festnahmen. Gegen 1.30 Uhr kam es – wieder am Eckensee – zu einer Schlägerei, bei der eine Person schwer verletzt wurde. Einsatzkräfte nahmen in diesem Fall mehrere Tatverdächtige vorläufig fest. Die genauen Tatabläufe müssen noch ermittelt werden. Die Einsatzkräfte führten etliche Personenkontrollen durch und erteilten Platzverweise gegen Störer. Bereits in der Nacht zum 21. Juni war es in Stuttgart zu schweren Ausschreitungen, Plünderungen und Randalen gekommen, an denen sich Polizeiangaben zufolge mehr als 400 Menschen beteiligt hatten und von denen mittlerweile mehrere Verdächtige im Gefängnis sitzen…“ – was deutlich macht, dass nicht wir es sind, die hier die Kontinuität schaffen wollen…
„Polizei rüstet auf“ von Max Rodermund am 25. Juni 2020 in der jungen welt zu den – erwünschten – Konsequenzen der Propagandakampagne: „… Nach einer nichtöffentlichen Sitzung des Innenausschusses des baden-württembergischen Landtages steht die erste Reaktion auf die Ereignisse der Stuttgarter Innenstadt vom Wochenende (siehe jW vom 23.6.2020) fest: Die Polizeipräsenz soll in Stuttgart erheblich hochgefahren werden. Mehrere Hundertschaften, Polizeireiter, Polizeihundeführer und Ermittlungsbeamte sollen Stärke demonstrieren. Bereits in den letzten Tagen ist die Präsenz der Polizei in der Innenstadt auffällig angestiegen. Außerdem wurde die Ermittlungsgruppe zu den Vorfällen von 40 auf 75 Beamte aufgestockt. Über weitere Maßnahmen wie etwa Videoüberwachung, Aufenthalts- und Alkoholkonsumverbote müsse die Kommune entscheiden, so Innenminister Thomas Strobl (CDU) am Mittwoch. Die Reaktionen überraschen nicht, sprachen sich doch Vertreter sowohl von Politik und Polizei als auch der Presse weitestgehend einhellig für eine »starke und klare Antwort« des Staates aus. »Die liberale Demokratie ist wehrhaft, und wir dürfen das in Zukunft nicht mehr dulden«, hatte der Ministerpräsident des Bundeslandes, Winfried Kretschmann (Grüne), im Interview mit dem ZDF am Montag erklärt. Erkennbar ist das Bemühen, das Bild von grundlosen Gewaltexzessen und kriminellen Randalierern zu befördern. So war am Montag für eine Pressekonferenz, die Kretschmann zusammen mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gab, eines der demolierten Polizeifahrzeuge im Hintergrund aufgestellt und wie ein Kunstwerk für die Presse in Szene gesetzt worden. Die gewünschte breite öffentliche Rückendeckung für die Law-and-Order-Politik soll der Landesregierung aus Grünen und CDU offensichtlich auch bei der anstehenden Novellierung des Polizeigesetzes in Baden-Württemberg zugute kommen. So ist jedenfalls der Appell von Strobl an die Stuttgarter Stadtverwaltung zu verstehen, er »hoffe, die Nacht vom Samstag auf Sonntag« habe »manchem die Augen geöffnet«. Die erste Lesung des Gesetzes wurde nun vom 25. Juni auf den 15. Juli verschoben. Die »grün-schwarze« Landesregierung war bereits 2017 Vorreiter bei den neuen Polizeiaufgabengesetzen. Nun soll eine weitere Reform die Kompetenzen der Polizei noch erweitern. Dabei sei insbesondere der Begriff des »Gefährders« vollkommen unklar, sagte am Mittwoch ein linker Aktivist aus Stuttgart gegenüber jW. Damit werde der Polizei Tür und Tor geöffnet, »um Leute vorsorglich in Haft nehmen zu können«...“
„Mehr Repression“ von Hartmut Liebs am 02. Juli 2020 in der jungle world (Ausgabe 27/2020) kommentiert zu solchen Konsequenzen unter anderem: „… Die Randale von Stuttgart ist weiterhin Thema, sowohl in Talkshows als auch in der Innenpolitik. Thomas Strobl (CDU), der Innenminister von Baden-Württemberg, präsentierte vergangene Woche seine Wünsche. Die Mindeststrafe bei einem »tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte« nach Paragraph 114 des Strafgesetzbuchs will er von drei auf sechs Monate erhöhen und auch den Paragraphen 113, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, verschärft wissen. Außerdem hätte Strobl gerne, dass wegen Landfriedensbruchs gemäß Paragraph 125 auch bestraft wird, wer im Zuge einer solchen Randale andere anfeuert. Die ersten beiden Punkte sind für Innenminister nicht ungewöhnlich; Strafverschärfungen zu fordern, geht immer. Strobls Ansicht zum Landfriedensbruch lässt allerdings aufhorchen, da das »Einwirken auf die Menge« in der Absicht, die Bereitschaft der Menge zu Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen zu fördern, gemäß Paragraph 125 bereits jetzt als Landfriedensbruch gilt und damit strafbar ist. Strobl bezog seine Forderung später präzisierend auf diejenigen, »die grölend und johlend dabeistehen, wenn Polizisten, wenn Einsatzkräfte angegriffen werden«. Zur Erhöhung einer Gefahr für ein Rechtsgut, hier die öffentliche Sicherheit, soll demnach keine Absicht mehr nötig sein, um das Handeln strafbar zu machen. Es soll vielmehr ausreichen, eine falsche Gesinnung kundzutun, etwa durch Johlen…“
„Polizeistaatsaufrüstung nach der „Gewaltnacht von Stuttgart““ von Jan Ritter am 29. Juni 2020 bei wsws fasst bisherige Ergebnisse des Gezeters nach härteren Strafen (Ritual der Polizeistaats-Fanatiker) und ersten Maßnahmen in einem Überblick zusammen: „… Die vorgelegte Novelle ist so weitgehend, dass die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und der Anwaltsverband Baden-Württemberg ganze Teile für grundgesetzwidrig erklärten. Die Schwelle für gravierende Grundrechtseingriffe werde durch die Reform unverhältnismäßig gesenkt und der Rechtsschutz der Betroffenen auffällig vernachlässigt. Der Verband klagt zudem darüber, dass nicht „nur punktuelle Änderungen erfolgen würden“, sondern ein „vollständig neu gefasster Gesetzestext vorgelegt“ wurde. Diese umfassenden Bemühungen zum Verschärfen der Polizeigesetze und zum Ausweiten der Befugnisse der Polizei werden nach den Ereignissen von Stuttgart noch ausgeweitet. In einer orchestrierten Kampagne versuchen Politik und Medien ein Bild von zunehmender Gewaltbereitschaft von Jugendlichen – im speziellen gegen Beamte – zu zeichnen und fordern ein hartes Durchgreifen und drakonische Strafen. Gegenüber Metropolnews sagte Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) am 26. Juni: „Kurzfristig werden wir am Wochenende Polizeikräfte verstärken, mittelfristig wird die von mir der Stadt Stuttgart angebotene Sicherheitspartnerschaft wirken, und drittens brauchen wir schärfere Strafen für diesen massiv gewalttätigen Mob.“ Bezeichnenderweise verwies er im Anschluss auf die Beschlüsse der Innenministerkonferenz zur Erhöhung der Strafen für Gewaltanwendungen gegen die Polizei. Zudem will Strobl den Straftatbestand des Landfriedensbruchs ausweiten lassen, „um auch die, die johlend und grölend dabei stehen, wenn Polizisten […] angegriffen werden, in Haftung nehmen zu können. Auch sie sollen die Härte des Gesetzes spüren.“ Zu Ende gedacht bedeutet das, dass jedem, der das Vorgehen der Polizei nicht unterstützt, Strafverfolgung droht. Dadurch soll jedwede Kritik an dem Verhalten einzelner Polizisten und der Polizei als Ganzes im Keim unterbunden werden und eine Atmosphäre der Einschüchterung geschaffen werden. Die Polizeistaatskampagne geht einher mit rassistischer Stimmungsmache…“
b) Einige Beiträge zu Hintergründen, Vorgeschichte und Ursachen dieser Entwicklung
Kurze Schlaglichter auf soziale Umstände solcher Rebellionen (die nicht von ungefähr solchen aus den französischen Banlieues, der früheren Bronx oder auch brasilianischen „Complexos“ ähneln…):
„Eine Stadt begegnet sich selbst“ von Peter Schadt am 06. Juli 2020 in der jungen welt zu den nachfolgenden politischen Debatten um Konsequenzen unter anderem zur Vorgeschichte der „Nacht globaler Aufmerksamkeit“: „… Aufmerksam gemacht sei auf das Datum: Wir reden von einer Nacht, zwanzig Tage vor den Ereignissen, die es bis in die New York Times schafften. Wie der Presse zu entnehmen ist, handelt es sich also um einen seit Wochen zu beobachtenden Vorgang: Jugendliche treffen sich in der Innenstadt zwecks gemeinsamer Abendgestaltung, die Polizei löst die so entstehenden Versammlungen wieder auf. So begegnet den Jugendlichen die Polizei als die Instanz, die ihnen ihr Freizeitvergnügen raubt und umgekehrt sieht die Polizei in den Jugendlichen nicht mehr als eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung, als Angreifer, die sich jede Woche treffen, den Vollzug der normalen Ordnung verunmöglichen und entsprechend behandelt gehören. In dieser Stimmung kommt es nun immer wieder zu Übergriffen verschiedener Art. Die Polizei nimmt Jugendliche fest wegen Ordnungswidrigkeiten und Straftaten: »Der junge Mann hatte sich einen üblen Scherz erlaubt. Als die Polizei wegen der Vortäuschung einer Straftat seine Personalien aufnehmen wollte, wehrte sich der Mann heftig und wurde aggressiv. Die Polizei brachte ihn zu Boden. Das sahen die Umstehenden und stellten sich gegen die Einsatzkräfte.« Auch diese Szene spielte sich nicht an dem nun vieldiskutierten Wochenende, sondern bereits Ende Mai ab. (…) Dass die Jugendkrawalle aus einer »Partyszene« hervorgegangen seien, davon wollen Klubbetreiber nichts hören. Dirk Wein, Mitorganisator der Partyreihe »Lovepop«, sieht hier keinen seiner Gäste, sondern »Idioten, die sich am Eckensee und anderswo vollaufen lassen«.³ Laura Halding-Hoppenheit vom Kings Club, die zugleich als Kommunalpolitikerin der Partei Die Linke aktiv ist, stellt auch gleich klar: »Solche Leute wie die Randalierer haben bei uns Lokalverbot.« Beim Versuch, sich von aller Kritik reinzuhalten, machen diese professionellen Partyleute ziemlich klar, dass es eine ganze Abteilung von Stuttgartern gibt, die aufgrund von Aussehen oder Geldbeutel bei ihnen so oder so nichts zu suchen haben. Hiki Shikano Ohlenmacher, Betreiber des Partylokals Cavos bringt es auf den Punkt: »Die Szene, die sich am Eckensee seit einiger Zeit zum Saufen von Dosenbier und Billigfusel aus dem Supermarkt trifft, hat mit denen, die die Lokale auf dem Kleinen Schlossplatz besuchen und dort etwas essen und trinken, überhaupt gar nichts zu tun.« Offensichtlich war Stuttgart also lange vor irgendwelchen Randalen bereits sehr sauber eingeteilt in diejenigen Jugendlichen, mit deren Bedürfnis nach Unterhaltung ein Geschäft zu machen ist, und einer ganzen Reihe von Jugendlichen, die dafür unbrauchbar sind und deswegen an öffentlichen Plätzen ihre Abende selbst gestalten. Und damit wären wir wieder am Anfang, denn mit dieser Sorte Freizeitgestaltung von Menschen ohne viel Geld stören die Jugendlichen nicht nur die »anständigen« Bürger, sondern setzen sich gleich noch über Hygiene- und sonstige Ordnungsmaßnahmen hinweg, was natürlich die Polizei auf den Plan ruft…“
„Schwäbische Völkerschau“ von Daniel Hackbarth und Jens Volle am 02. Juli 2020 in der WoZ zu politischen Reaktionen im Sinne des Polizeistaates: „… Eine Woche nach den Krawallen sitzt Luigi Pantisano auf einer Bank bei der Universität Stuttgart. Es ist ein sonniger Samstagmittag, gleich beginnt hier eine Kundgebung der auch im deutschen Südwesten angelangten Black-Lives-Matter-Bewegung. Der Stadtrat der WählerInnenvereinigung «Stuttgart ökologisch sozial» erzählt, dass der Campus 1928 Schauplatz einer Völkerschau war, bei der man aus den Kolonialgebieten entführte Schwarze Menschen präsentierte. Mehr noch als diese rassistische Veranstaltung vor fast hundert Jahren beschäftigt Pantisano aber die Gegenwart: «Anstatt über Ursachen zu reden, hat man lediglich Schuldige gesucht. Und wer die sein sollten, war schon nach ein paar Stunden klar: Migranten.» Dass die Hälfte der Verhafteten Deutsche waren, habe keine Rolle gespielt. «Seither lautet der Tenor von rechter und auch konservativer Seite wieder einmal: Wir haben ein Problem mit Migranten», sagt der Vierzigjährige. Wenn man mit Leuten wie Pantisano spricht, die in Stuttgart leben, sagen die meisten, dass die Bürgerkriegsrhetorik völlig überzogen ist. Auch die Fakten belegen das: Vierzig Geschäfte wurden beschädigt, ein Teil davon geplündert, knapp zwanzig PolizistInnen meldeten sich verletzt. Sicher schlimm, zumal viele der betroffenen Läden, wie Pantisano berichtet, nicht etwa grossen Shoppingketten gehörten, sondern Familien mit Migrationsgeschichte: ein Headshop, eine Eisdiele, ein Goldankauf, ein Handyladen. Krieg sieht trotzdem anders aus. Man hört aber auch, dass es in dem Park, in dem der Krawall begann, für PassantInnen schon seit geraumer Zeit ungemütlich werden konnte, wenn am Wochenende alkoholisierte Halbstarke herumpöbelten. Genau an diesem Ort prallen die Widersprüche der Stadt direkt aufeinander: Hier stehen die Oper und das Schauspielhaus, Anlaufstellen des Bildungsbürgertums und der «besseren Kreise». Auf den Wiesen davor haben sich zugleich aber immer schon viele junge Leute getroffen, StudentInnen neben Punks, viele People of Color, vor einiger Zeit campierten Fahrende hier. Zudem handelt es sich um einen Ort, an dem sich begutachten lässt, welche Prioritäten die Stuttgarter Politik setzt. Derzeit wird die Sanierung der Oper diskutiert, Kosten: fast eine Milliarde Euro. Gleich um die Ecke ist die Baustelle des gigantischen Bahnhofsprojekts Stuttgart 21, von dem vor allem die Immobilienwirtschaft profitiert. Andere Investitionen wurden für weniger dringlich befunden. Vor ein paar Jahren strich der Gemeinderat die Mittel für ein Projekt, bei dem StreetworkerInnen nach den sich in der Stadt treffenden Kids geschaut hatten. Dabei sei dieses sehr erfolgreich gewesen, sagt Pantisano. Der Stadtrat erzählt auch, dass es schon seit Jahren immer wieder Probleme mit jungen Leuten gebe, die ihre Wochenenden feiernd im Freien verbrächten, weil sie sich Clubs und Bars nicht leisten könnten – oder erst gar nicht an den Türstehern vorbeikämen, da sie nicht blond genug seien. Die Coronakrise habe die Situation verschärft: «Es gab schon in den Wochen zuvor Scharmützel, als die Polizei kam, um Abstandsregeln durchzusetzen, und das Aufsetzen eines Mundschutzes forderte. Dabei flogen aus der Menge Flaschen – und das hat sich dann mit der Zeit hochgeschaukelt.» Berichte zu Polizeikontrollen hört man auch, wenn man bei der Migrantifa nachfragt. Die Gruppe in Stuttgart existiert seit einem Monat; bundesweit gibt es sie seit April, gegründet als Reaktion auf die rechtsterroristischen Morde von Hanau im Februar. Mersedeh Ghazaei, die in Stuttgart studiert und sich in der Migrantifa engagiert, findet die Debatte um die Krawalle «schwierig» – was nicht überrascht, immerhin nutzte die AfD-Vorsitzende Alice Weidel die Vorfälle umgehend für den Versuch, die Migrantifa zu kriminalisieren. «Das Hauptproblem ist aber, dass gar nicht mehr über die wirklichen Missstände, etwa das Racial Profiling, geredet wird, sondern jetzt alle Migrantinnen und Migranten über einen Kamm geschert werden», so die 23-Jährige. «Man nutzt diese eine Nacht, um jedem einzelnen Migranten eine Neigung zur Gewalttätigkeit zuzuschreiben, so als gehöre das zu seiner Identität.» Auch Ghazaei sieht einen Zusammenhang zwischen Randale und Pandemie. In Stuttgart habe die Polizei während des Lockdowns «mit Geldstrafen und Anzeigen um sich geschmissen». Seit den Lockerungen könnten sich die Jugendlichen zwar wieder als Gruppe in der Stadt aufhalten. «Tatsächlich war es dann aber leider so, dass viel mehr Polizisten unterwegs waren als sonst», sagt Ghazaei, «und es fanden noch mehr Kontrollen statt: Es gibt Leute, die mehrmals am Tag kontrolliert werden, und wir haben auch von Dreizehnjährigen gehört, die nach Drogen durchsucht wurden.»…“
„Beschaulichkeit war gestern“ von Tilman Baur am 02. Juli 2020 in neues deutschland online zu Reaktionen unter anderem in Bezug auf „Aufarbeitung“ und dabei auch zur jüngeren Geschichte der Polizei in Stuttgart gegen demokratische Bestrebungen: „… Die derzeit kursierenden Erklärungsansätze sind oft widersprüchlich, teilweise auch abenteuerlich. So hatte der Stuttgarter Polizeipräsident Franz Lutz bereits am Tag nach den Krawallen einen politischen Hintergrund ausgeschlossen und die Stuttgarter »Party- und Eventszene« für die Ereignisse in Haftung genommen. Dagegen verwahrte sich wiederum Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne), der sich bemüßigt sah, das Recht auf Party zu verteidigen. Innenminister Thomas Strobl (CDU) lieferte im Landtag keine Erklärung, sondern geißelte die Jugendlichen einfach kollektiv als »widerwärtigen Mob« und insinuierte später in Widerspruch zu Aussagen der Polizei, dass sich Linksextreme zumindest am Krawall beteiligt hätten. Belege dafür konnte Strobl, der sich in vorhersehbarer Manier als kompromissloser Null-Toleranz-Minister geriert, freilich nicht vorweisen. Rufe nach mehr Videoüberwachung, Alkoholverboten auf öffentlichen Plätzen und erhöhter Polizeipräsenz wurden in den Tagen danach laut. Erste konkrete Maßnahmen folgten in dieser Woche. Am Donnerstag kündigten Kuhn und Strobl eine Sicherheitspartnerschaft zwischen Land und Stadt unter dem Titel »Stuttgart sicher erleben« an. Fritz Kuhn, eigentlich nicht als Hardliner bekannt, verteidigt bislang standhaft das liberale, offene und multikulturelle Stuttgart; dieses von Politik und Medien gepflegte Narrativ geht bis zur Ära Manfred Rommel zurück. Der CDU-Politiker diente der Landeshauptstadt von 1974 bis 1996 als Oberhaupt. Doch dieses Narrativ wackelt derzeit gewaltig, wie auch jenes, nach dem Stuttgart eine der sichersten deutschen Städte sei. Mantrahaft hatte die Verwaltung es immer wieder heraufbeschworen, angefangen von Ordnungsbürgermeister Martin Schairer, einst Polizeipräsident Stuttgarts, bis hin zum Oberbürgermeister selbst. Die Schöpfer dieses Selbstbilds zeichneten Stuttgart als wirtschaftsstark und beschaulich, als weltoffen und bodenständig, als multiethnische Metropole, die man aber immer noch vom Weinberg aus in Halbhöhenlage komplett überschauen konnte. Dieses Selbstbild der »Großstadt zwischen Wald und Reben« hatte man gepflegt und vermarktet, ortsansässige Medienhäuser spielten gerne mit auf dieser Klaviatur der Heimeligkeit. (…) In Stuttgart hat die Polizei zudem seit vielen Jahren mit Imageproblemen zu kämpfen. Viele können sich noch aus eigener Erfahrung an den Schwarzen Donnerstag im September 2010 erinnern, als Wasserwerfer gegen Demonstranten im Schlosspark eingesetzt und mehrere Menschen teils schwer verletzt wurden…“
„Ich finde Gewalt scheiße, aber ich lebe in ihr“ von Mesut Bayraktar am 24. Juni 2020 im taz-blog unter anderem: „… Lokale Zeitungen bis hin zur Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten berichten im Minutentakt über irgendwelche Kriminalfälle in der Umgebung. Dafür haben sie sogar eine „Crimemap“ erstellt, als würde ich hier in Gotham City leben. Das ist einfach lächerlich. Es ist zynisch. Die Politiker sind ratlos und leiern denselben moralischen Unsinn nach einem Drehbuch, der zeigt, dass sie gar keinen Bezug zur Realität haben, wo die soziale Gewalt herrscht und die bürgerliche Moral sie mit Filzstiften verschönert. Die Krawalle in Stuttgart können nur jene überraschen, die auf der schönen Seite des Lebens stehen, die Kinder der Sonne. Ich will nichts rechtfertigen. Wer meine Sachen liest, weiß, dass ich Literatur mache, um der Gewalt Sprache zu geben, vor allem struktureller und Polizeigewalt. Ich finde Gewalt scheiße, aber ich lebe in ihr. Das ganze Gerede um die Ereignisse in Stuttgart, das im übrigen sehr wirksam von der Tönnies-Schweinerei oder Göttingen usw. ablenkt, klammert eine Tatsache radikal aus: Die meisten, vor allem die jugendlichen und migrantischen Teile der Randale, werden seit Jahrzehnten wie Dreck behandelt – von Lehrern, von Arbeitgebern, von Beamten beim Arbeitsamt, von Polizisten, von Richtern, von Politikern. Entweder sind sie für die Herrschenden unsichtbar oder sie sind für sie latent Kriminelle, Drogendealer, Gewaltbereite, zumindest qua Existenz ein Dorn im Auge, weil die bürgerliche Gesellschaft keinen Platz für sie vorsieht. Dass die Bürgerlichen, insbesondere die Intellektuellen, so reagieren, mit Entsetzen gegen die Randalierer ohne ein Wort zum System der Ausgrenzung, verwundert mich nicht. Ihr Hass gegen die Armen, Entwürdigten, Unzufriedenen, die Lohnabhängigen, gegen meine Klasse ist gewaltig. Jahre hinweg spricht man nicht mit den jungen Leuten rund um den Schlossplatz, ihren Sorgen und Nöten, und auch jetzt will kein Arsch was von denen wissen. Die Schaufensterwaren an der Königsstraße zählen mehr als das Leben eines Unterdrückten…“
„Stuttgart: Die Wut kommt nicht von ungefähr“ von Elisa Mara am 30. Juni 2020 im Lower Class Magazine zu Ursachen in Gesprächen vor Ort mit Beteiligten unter anderem: „… Als ich ankam waren schon hunderte von Leuten auf dem Schlossplatz versammelt. Einige waren betrunken und die Stimmung war aufgeheizt. Die Cops waren auch schon da, in voller Montur mit Schutzschildern usw. Sie haben eine Riesenkette vor der Köningsstraße gemacht und es flogen immer wieder Sachen auf die. Mir wurde bei der Ankunft direkt klar, um was es geht. Die Leute haben Parolen gerufen wie ‚No Justice, No Peace‘ und ‚ACAB‘. Die Stimmung wurde immer emotionaler und auch kämpferischer. Man hat gemerkt, dass alle Wut auf die Polizei haben. Und die kommt natürlich nicht von irgendwo her. Nachdem man da eine Weile stand, Parolen gerufen hat und Flaschen auf die Cops geflogen sind, wurde es plötzlich hektisch. Alle Leute sind losgerannt, weil die Bullen von oben kamen. Das war der Punkt, an dem ich eigentlich dachte, jetzt gehen die Leute nach Hause. Aber die Leute sind nicht gegangen. Mit einem Bauzaun wurde versucht, den Bullen den Weg zu versperren, man hat weiter Flaschen geworfen. Die Leute waren voll entschlossen, sich zu wehren, sich die Stadt zu erkämpfen. (…) Die Politik gesteht sich ihre eigenen Fehler nicht ein. Sie haben jetzt gesehen, dass ihre repressive Politik zu so was führen kann, aber das können sie natürlich nicht sagen, weil das eine Bankrotterklärung wäre. Sie versuchen den Unruhen nun die politische Dimension zu nehmen und behaupten, es waren Leute, die Bock auf Randale hatten. Das hat vielleicht mitgeschwungen, aber das ist nicht die Ursache, die liegt viel tiefer. Man hat das auch schon bei G20 gesehen, da wurde auch gesagt, das sind RandaliererInnen, obwohl es konkret politisch war. Sobald Proteste die Autorität des Staates in Frage stellen und in einem Rahmen stattfinden, der auch nur im Ansatz eine Bedrohung darstellen könnte, werden sie entpolitisiert. Woran man das gerade gut erkennen kann, ist das vor allem der geplünderte 1€-Laden als Symbol für die Krawalle dargestellt wird und deshalb kann es ja nicht politisch sein. Was völlig außer Acht gelassen wird, ist, dass auch Banken angegriffen wurden oder „Das Gerber“ (Einkaufszentrum in Stuttgart, Anm. d. Red.), was für Aufwertung steht. Ich glaube das wurde bewusst weniger in den Zeitungen erwähnt, da sonst fast jeder Laden benannt wurde. Natürlichen waren das keine geplanten Aktionen aus einem politischen Bewusstsein heraus. Wenn solche Dynamiken entstehen und sich Wut unkontrolliert auf der Straße entlädt, dann erwischt es auch Ziele, die nicht unbedingt sinnvoll sind anzugreifen...“
Jan*a Zimmermann am 21. Juni 2020 in seinem Twitter-Kanal zur „Verhältnismäßigkeit“ von Propaganda und (einigen Aspekten der) Realität: „Kaum 12 Stunden seit Stuttgart vergangen, schon wird wieder von „rechtsfreien Räumen“ geschwafelt. Wisst ihr, was rechtsfreie Räume sind? Unregulierte Fleischwirtschaft. Systematische Steuerhinterziehung. Dauerhafte Asylrechts- & Menschenrechtsmissachtungen an Europas Grenzen“ – womit er völlig Recht hat, und wozu man noch vieles anfügen könnte (müsste), wie Bomben auf afghanische Hochzeitsfeiern oder serbische Personenzüge und was sonst noch so alles als „humanitär“, „demokratisch“ und Ähnliches (nicht ohne Erfolg) verkauft wird…
„Der wilde Südwesten“ von Anna Hunger am 01. Juli 2020 bei Kontext (Ausgabe 483) unter anderem zum erwartbaren „Aufgalopp“ der Polizeistaats-Fanatiker und ihrer medialen Bühnen: „… Der „Focus“ hat Richter Thorsten Schleif vom Amtsgericht Dinslaken (Nordrhein-Westfalen, 400 Kilometer von Stuttgart entfernt) aufgetrieben. Dieser „warnt“ schon im Titel: „Viele Gewalttäter von Stuttgart müssen keine Strafen fürchten.“ Und zieht, wie so viele derzeit, einen gewagten Vergleich: „Der Rechtsstaat werde sich ähnlich schwertun wie nach den massenhaften sexuellen Übergriffen in der Kölner Silvesternacht 2015/2016.“ (Größere Medienaufmerksamkeit genießt Schleif, seitdem 2019 sein Buch „Ein Richter deckt auf, warum unsere Justiz versagt“ erschien, das der Kollege Thomas Fischer als „Alarm-Geschrei“ bezeichnet.) Während Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) anlässlich der Krawalle darauf hinweist, dass „wir“ es „mit Multikulti nicht übertreiben“ sollten und auch der grüne Sicherheitspolitiker Hans-Ulrich Sckerl Migration für die Probleme in Stuttgart mitverantwortlich macht, schreibt ein Autor im „Cicero“ etwas von der „Angst vor dem M-Wort“: Es sei moralisch verbrämt, den offensichtlichen Migrationshintergrund der Beteiligten nicht zu thematisieren, Medien übten sich stattdessen in „Sprach-Yoga. Mit ulkigen, verbalen Verrenkungen wurde in den ersten Berichten am Sonntag auffällig unauffällig vermieden, die Herkunft der Randalierer zu beschreiben“, heißt es da. Und das sei „Humus für die Kritik an seriösen Medien“. Noch doller treibt es die „Bild“, die ein Video-Gespräch mit Generalmajor Andreas Hannemann veröffentlicht: „Ich empfehle niemandem, einen von UNS anzugreifen!“, titelt das Krawallblatt und zeigt dazu Aufnahmen, die den Soldaten zeigen, wie er mit Maschinengewehren bewaffnet einen Häuserkampf nachstellt. Und nur für den Fall, dass die Stuttgarter Krawallos erwägen könnten, mal auf die Bundeswehr loszugehen, warnt der Major: „Wir wehren uns.“ Hoch im Kurs stehen derzeit auch die Reportagen aus der Landeshauptstadt. Vergangenen Samstag am Eckensee ist RTL/Sat.1 vor Ort, die FAZ flaniert durchs Getümmel, der SWR macht Interviews auf dem Schlossplatz, Regio TV, ZDF und die „Süddeutsche“ zeigen Präsenz, sogar aus der Schweiz ist ein Reporter angereist, um zu gucken, was am Wochenende nach den Krawallen so los ist. Durch fast alle deutschen Medien ging der „Create don’t destroy“-Schriftzug, den der Stuttgarter Street-Art-Künstler SJKS auf einige der Spanplatten gesprüht hat, die zur Zeit noch die zerbrochenen Glasscheiben ersetzen, wo diese bei den Krawallen zerstört wurden. Weil das Motiv halt so supergut passt. Das sei ihm morgens, nach dem Krawall, so eingefallen und er sei einfach losgezogen, erzählt der Künstler. Die Fotoagentur Ghetty hat ein Bild davon unter der Rubrik „Images of anarchy“ gelistet, und nun macht es die Runde...“
c) Was nicht nur in Stuttgart als gefährlich dargestellt wird – und was nicht…
Durch die Stadt rasen ist zwar gefährlich (nur für Menschen) aber eben normal. Schaufenster einwerfen ist extrem gefährlich (für das Eigentum) – aber völlig unnormal. Oder, wie es ein spanischer Schriftsteller einmal ausdrückte: „Wer einen Mord begeht, wird bald auch vor Diebstahl nicht mehr zurückschrecken“… Da mobilisiert der Pietkong…
„Eine Halle entnazifizieren“ von Peter Nowak am 09. Juli 2020 in der jungle world (Ausgabe 28/2020) zum Thema, wer in Stuttgart im Gegensatz zu betrunkenen Jugendlichen hoch angesehen ist: „… Dazu gehört das Ferdinand-Porsche-Gymnasium, das nach einem Mann benannt ist, der von 1933 an die Nähe zum nationalsozialistischen Regime suchte und mit der führenden Rolle beim Aufbau von Volkswagen belohnt wurde. Er ließ Tausende Zwangsarbeiter in seinen Betrieben schuften. Die Nazivergangenheit des dritten Bundeskanzlers der BRD, Kurt Georg Kiesinger (CDU), nach dem in Stuttgart ein Platz benannt ist, dürfte spätestens seit der Ohrfeige allgemein bekannt sein, die ihm Beate Klarsfeld auf einem CDU-Parteitag 1968 gab. Obwohl er als stellvertretender Leiter der »rundfunkpolitischen Abteilung« des Reichsaußenministeriums ab 1943 für die gesamte Auslandspropaganda des NS-Regimes im Radio verantwortlich war, wurde Kiesinger zunächst als »Mitläufer« eingestuft, 1948 sogar völlig »entlastet«. Auch die Hanns-Martin-Schleyer-Halle möchte die Fraktion umbenannt sehen. Der Namensgeber war nicht nur Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), sondern zuvor ein überzeugter Nationalsozialist. Schleyer trat bereits 1931 in die Hitlerjugend ein und verließ 1935 eine nationalistische Studentenverbindung, weil diese sich geweigert hatte, jüdische »Alte Herren« auszuschließen. Er machte Karriere in der Nationalsozialistischen Studentenschaft und übernahm das Studentenwerk der Prager Universität. Später wurde er zum SS-Führer beim Reichssicherheitshauptamt ernannt und legte mit seinem Posten beim Zentralverband der Deutschen Industrie in Böhmen und Mähren den Grundstein für seine steile Karriere nach 1945. Schleyers Nazivergangenheit war bereits in den siebziger Jahren bekannt, Vorwürfe wurden aber meistens als kommunistische Propaganda abgetan. Nachdem die Rote Armee Fraktion (RAF) Schleyer 1977 entführt und schließlich erschossen hatte, wagte es kaum mehr jemand, dessen nationalsozialistische Vergangenheit anzusprechen. Wer es doch tat, wurde schnell als RAF-Sympathisant abgestempelt…“
„Pietkong“ von Thomas Blum am 22. Juni 2020 in neues deutschland online zu den Ergebnissen der Stadt-Entwicklungspolitik (offiziell zwischen „Wald und Reben“, volkstümlich: Zwischen „Hängen und Würgen“) und ihrer ideologischen Grundlagen: „… Was aber die wenigsten wissen: Die »vollkommene Stadtkatastrophe«, wie der Dichter Jan Orthwien Stuttgart einmal nannte, kann selbst durch sogenannten Vandalismus nur schöner werden. Der Menschenschlag, der dort lebt, hat die Begrenztheit seines Talbewohnerdaseins jahrhundertelang durch übermäßige Bautätigkeit zu kompensieren versucht. Das Ergebnis ist eine unansehnliche Ansammlung hässlicher Einkaufspassagen, verstörender Betonbrücken und würfelförmiger Behausungen. Im Grunde muss man die Steinewerfer, so stumpfsinnig und geistlos diese auch gehandelt haben mögen, als freischweifende unfreiwillige Architekturkritiker verstehen. (…) Unterschätzt wird Stuttgart hingegen als Wiege einer gefährlichen Sekte, der sogenannten Pietisten (»Pietkong«): In kaum einer anderen deutschen Stadt ist die Konzentration sich auf den ersten Blick harmlos gebender, tatsächlich aber eindeutig als extremistisch einzustufender evangelischer Religonslehrerinnen so hoch wie in dieser unscheinbaren, kleinen »Stadt« … was zu der seit Hegel fest stehenden Regel führt, dass es nur zwei Arten von Schwaben gebe: Solche, die nie weg gehen – und solche, die einmal weg gehen…
„Ein Herz für Raser und Biker: Hat Scheuer Schmieröl im Kopf?“ von Bascha Mika am 06. Juli 2020 in der FR online kommentiert zum Thema, was in der „Autostadt Stuttgart“ als normal durchgeht und auch zugestanden wird (gibt ja nur 3.000 Tote im Jahr und höchsten fünf kaputte Schaufenster) – wobei man (höchstens die FR) nicht daran erinnern muss, dass Baden Württemberg keinen CDU-Ministerpräsidenten hat: „… Da kam mit dem verschärften Bußgeldkatalog endlich mal eine vernünftige Initiative aus dem Verkehrsministerium. Doch wie schon bei der Pkw-Maut hatten die Verantwortlichen dabei wohl Schmieröl im Kopf. Wegen eines Formfehlers kann die Gesetzgebung nicht angewandt werden. Damit nicht genug: Nach lautem Trara der Autolobby will Scheuer nun die härteren Sanktionen für Raser rückgängig machen. Angeblich sind sie „unverhältnismäßig“…“ – ist ja auch klar, 40% über der in Innenstädten zulässigen Höchstgeschwindigkeit ist schlimmstenfalls ein „Kavaliersdelikt“ und keinesfalls lebensgefährlich. Zumindest für Minister & Co…
„Freibrief zum Rasen“ von Gereon Asmuth am 11. Juli 2020 in der taz online zum eben anderen (nicht nur) Stuttgarter politischen Polizei-Konsens: „… Der Skandal dahinter sitzt eh viel tiefer. Es ist ja nicht nur zweifelhaft, dass Scheuer der Autolobby den Freibrief zum Rasen so großzügig wie möglich belassen möchte, sondern dass er ob mit oder ohne Reform quasi als gesetzt gilt. Wozu gibt es eigentlich Verkehrsregeln, wenn sie nicht eingehalten werden müssen? Das nun heiß diskutierte Reförmchen erlaubt ja zum Beispiel immer noch, dass man mit 70 Sachen durch geschlossene Ortschaften brettert, ohne den Führerschein riskieren zu müssen. Und der Autominister Scheuer hält selbst das für nicht verhältnismäßig. Zwar weiß jedes Kleinkind, dass die Gefahr für schwere oder gar tödliche Verletzungen mit jedem Stundenkilometer exponentiell anwächst. Aber Scheuer will weiter beide Augen auch dann noch zudrücken, wenn jemand erst bei 80 Stundenkilometern nicht mehr aufs Gaspedal drückt. Das ist ja so, als wenn es okay wäre, wenn Autos „nur“ ein paar Stündchen auf Radwegen geparkt werden. Oder wenn nur freundlichst getadelt würde, wenn man mit der U-Bahn „nur“ ein paar Stationen ohne Ticket führe. Oder wenn ein Minister problemlos im Amt bleiben könnte, wenn er mit seiner obskuren Vergabe von Maut-Verträgen „nur“ eine halbe Milliarde Euro öffentlicher Gelder in den Sand setzt...“
d) Und zum (vorläufigen) Schluss
Der Hinweis darauf, dass sich auch auf der anderen Seite „etwas tut“…
„Aufruf für eine Demonstration am 25. Juli 2020“ am 06. Juli 2020 unter dem Twitter-Hashtag #0711unitedagainstracism macht deutlich: „Das ist unser erster Text für die Demo. Den werden wir noch in viele Sprachen übersetzen und Flyer drucken. Macht mal Welle und teilt das Bild! „Kennst du das? Du wirst in eine Schublade gesteckt, weil du nicht „deutsch“ aussiehst. Du wirst am Bahnhof rausgezogen, weil du nicht weiß bist. Rassistische Cops sagen dir bei der „verdachtsunabhängigen“ Kontrolle während sie dir den Arm verdrehen, dass du die Fresse halten sollst. Beim Shoppen und Chillen in der Stadt wirst du immer verdächtigt. Du kackst in der Schule ab, weil deine Eltern keine Möglichkeit haben, dich zu supporten. Du wirst nicht mit deinem Namen angesprochen, sondern mit Ni**** oder Kan****. Du kriegst den Job nicht, weil du nicht Müller oder Meier heißt. Du wirst ständig gefragt „wo kommst du eigentlich her?“ Wir kommen alle von hier – wir sind Stuttgart und wir haben die Schnauze voll von dem Rassismus jeden Tag! Klar ist: Rassismus ist kein Ausrutscher von einzelnen Leuten – das ganze hat System. Das gleiche System, dass uns keine Zukunft bietet. Wir wissen, dass das niemand für uns ändern wird, wir müssen es selbst tun. Dafür müssen wir uns zusammenschließen. Wir sind nicht länger leise und lassen uns alles gefallen! Komm zur Demo am 25. Juli in Stuttgart! Mehr Infos kommen bald…“