[“NSU 2.0”] Morddrohungen gegen Linke-Abgeordnete und weitere, nicht nur in Hessen: Mit polizeilichen Daten

Dossier

IL: Naziterror beenden. Rechte Netzwerke zerschlagen„… Wisslers Partei, die hessische Linke, zeigte sich „erschrocken und erschüttert“ über die Drohmails. (…) Die beiden E-Mails an Wissler enthalten Nazigrußformeln wie „Sieg Heil“ und „Heil Hitler“. Der Absender beschimpft die Politikerin und droht ihr einen „Tag X“ an, an dem die Polizei sie nicht beschützen werde. Zudem verwendet er persönliche Daten von ihr, die nicht öffentlich zugänglich sind. Die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz hat seit August 2018 mehrfach Drohmails erhalten, die ebenfalls mit „NSU 2.0“ unterschrieben waren und persönliche Daten enthielten. Seinerzeit hatten Ermittler herausgefunden, dass Daten von ihr von einem Rechner im 1. Frankfurter Polizeirevier auf der Zeil abgerufen worden waren. Bis heute ist der Verdacht nicht ausgeräumt, dass Polizeibeamte damit zu tun haben könnten…“ – aus dem Beitrag „Drohungen gegen Wissler „widerwärtig““ von Pitt v. Bebenburg am 05. Juli 2020 in der FR online externer Link über weiter wachsende Verdachtsgründe gegen die hessische Polizei. Siehe speziell für Berlin unser Dossier: Schreibt die Berliner Polizei selbst Drohbriefe – oder beschafft sie nur das Material dazu? und hier allgemein:

  • Urteil zu „NSU 2.0“-Drohschreiben rechtskräftig – offene Fragen bleiben New
    Mit Drohungen hat der Angeklagte Todesangst verbreitet. Das Frankfurter Landgericht verurteilte ihn zu fast sechs Jahren Haft. Anderthalb Jahre später ist das Urteil gegen den Absender der NSU-2.0-Drohbriefe rechtskräftig. Es bleiben offene Fragen und schlimme Verdächtigungen gegen die Polizei.
    Die Haftstrafe gegen den Verfasser der sogenannten „NSU 2.0“-Drohschreiben ist rechtskräftig. Wie der Bundesgerichtshof (BGH) am Montag in Karlsruhe mitteilte, änderte der dritte Strafsenat den Schuldspruch des Frankfurter Landgerichts geringfügig und verwarf die Revision im Übrigen. Das Landgericht hatte den Mann im November 2022 unter anderem wegen Volksverhetzung, Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten, Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole, Beleidigung, versuchter Nötigung und Bedrohung zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. (…) Die Polizei stand aufgrund der anlasslosen Datenabfragen aus Polizeicomputern selbst in Verdacht, die Anschuldigungen wurden jedoch weder bestätigt noch ausgeräumt. Die Opfer fordern nach wie vor die lückenlose Aufklärung. Inwieweit der Verurteilte Verbindungen zu Polizeikreisen unterhielt, konnte ebenfalls nicht geklärt werden. Wie schon das Landgericht geht auch der Karlsruher Senat davon aus, dass der Mann Alleintäter war
    …“ Beitrag vom 28.05.2024 im Migazin externer Link
  • Rechtsextreme Chatgruppen und „NSU 2.0“: Die Skandale der Frankfurter Polizei. Eine Übersicht zum Stand der juristischen Aufarbeitung
    „Man verliert inzwischen schnell mal den Überblick. Die Beamtinnen und Beamte des Frankfurter Polizeipräsidiums waren in den vergangenen Jahren in so viele Skandale um rechtsextreme Chatgruppen, rechte und illegale Umtriebe verstrickt, dass es Mühe macht, die Fälle auseinanderzuhalten. Umso wichtiger ist es, in den einzelnen Komplexen nachzuvollziehen, wie der Stand der Aufarbeitung ist. (…) Der schwerwiegendste Vorfall betrifft die Morddrohungen vom sogenannten NSU 2.0. (…) Wie genau das ablief, ist weiterhin ungeklärt. Für die Drohserie ist inzwischen der arbeitslose Berliner Alexander M. in erster Instanz zu fast sechs Jahren Haft verurteilt worden. M. hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Die Nebenklage in dem Fall vermutet weiter, dass zumindest die erste Drohung von einem Polizisten vom ersten Frankfurter Revier stammte. (…) Die Chatgruppe „Itiotentreff“ war zufällig bei den Ermittlungen zum „NSU 2.0“ aufgeflogen. (…)In der Chatgruppe wurden rechtsextreme, antisemitische und andere menschenfeindliche Inhalte geteilt. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat gegen fünf Beamt:innen und eine weitere Frau Anklage beim Landgericht Frankfurt erhoben, unter anderem wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung. Das Landgericht Frankfurt prüft derzeit, ob die Anklage zugelassen wird. Erst danach käme es dann zu einem Prozess. (…) Im Juni 2021 war bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft Frankfurt gegen 20 Beamte ermittelte, darunter 18 Beamte des Frankfurter Spezialeinsatzkommandos (SEK). Ihnen wurde vorgeworfen, 2016 und 2017 in Chatgruppen volksverhetzende Inhalte geteilt zu haben, darunter auch NS-Symbole. (…) Viele der Verfahren in dem Komplex sind nach Angaben der Staatsanwaltschaft Frankfurt inzwischen abgeschlossen. Allein acht Fälle wurden von der Anklagebehörde eingestellt, ein neunter gegen Auflage. Gegen zwei weitere Beschuldigte wurden die Ermittlungen wegen Geringfügigkeit nicht weiter verfolgt. In drei Fällen wurde Anklage erhoben, einer dieser Prozesse wurde im November vom Amtsgericht Darmstadt gegen eine Zahlung von 6000 Euro eingestellt. Ein Verfahren vor dem Amtsgericht Frankfurt läuft aktuell noch. In fünf weiteren Fällen ergingen Strafbefehle, gegen einen davon legte der Beschuldigte Widerspruch ein, sodass es vor dem Amtsgericht Bad Schwalbach zum Prozess kam. Dieser wurde dann gegen Zahlung einer geringen Geldsumme eingestellt. (…) Im März 2021 wurde bekannt, dass aus der Asservatenkammer des Frankfurter Polizeipräsidiums im großen Stil Schusswaffen und Munition unterschlagen und an Unbefugte weitergegeben wurden. (…) Der neueste Fall von aufgeflogenen rechten Chats unter Frankfurter Polizisten wurde im Juli vergangenen Jahres öffentlich bekannt. Gegen fünf Beamte wird wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen, Strafvereitelung und Verletzung von Dienstgeheimnissen ermittelt. Auch hier geht es wieder um rechtsradikale Äußerungen, hinzu kommt aber, dass Vorgesetzte beteiligt gewesen sein und die Äußerungen nicht nur nicht unterbunden, sondern aktiv verschleiert haben sollen. Auch in diesem Fall dauern die Ermittlungen laut einer Sprecherin der Staatsanwaltschaft Frankfurt derzeit weiter an.“ Artikel von Hanning Voigts vom 6. Januar 2023 in der Frankfurter Rundschau online externer Link
  • Humanistische Union Hessen fordert schnelle Berufung eines Polizeibeauftragten 
    „Hessen muss nun rasch einen Polizeibeauftragten berufen. Das fordert die Humanistische Union (HU) nach der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht. Über eine Verfassungsbeschwerde gegen die umfassende Datenerfassung von Polizei und Verfassungsschutz in Hessen sowie die entsprechenden Regelungen im Hessischen Gesetz für Sicherheit und Ordnung (HSOG) hatte das Bundesverfassungsgericht am Dienstag (20. Dezember) verhandelt. Zu den Beschwerdeführenden zählten auch die beiden Marburger HU-Vorstandsmitglieder Tronje Döhmer und Franz-Josef Hanke. Nach der Verhandlung richten sie ihr Augenmerk nun auch auf die Anwendungspraxis der Polizei und des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) und fordern die rasche Berufung eines Polizeibeauftragten. „Der ehemalige hessische Polizeibeamte Prof. Dr. Rafael Behr wäre eine ideale Besetzung für dieses Amt gewesen“ erklärte der hessische HU-Landessprecher Jens Bertrams. „Nachdem er im Oktober 2021 aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogen hat, hat die Landesregierung leider keinen neuen Vorschlag vorgelegt. Gerade angesichts der Verstrickung hessischer Polizeibeamter in rechtsradikale Umtriebe ist das aus bürgerrechtlicher Sicht eine sträfliche Nachlässigkeit.“ Sollte das Verfassungsgericht den Einsatz der US-amerikanischen Überwachungssoftware „Palantir“ unter Auflagen gestatten, wäre eine wirksame Kontrolle ebenfalls unerlässlich. „Meine Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen chinesische Zustände in Hessen und einen drohenden Missbrauch durch Verfassungsfeinde in Polizei oder Verfassungsschutz“, erklärte der stellvertretende HU-Landessprecher Hanke. Der Beschwerdeführer ist zugleich auch Vorsitzender der Humanistischen Union Marburg.“ Meldung vom 23. Dezember 2022 bei den marburg.news externer Link
  • Fast sechs Jahre Haft wegen „NSU 2.0“-Drohschreiben für angeblichen Einzeltäter – „Das Urteil ist kein Freispruch für rechte Netzwerke in der Polizei“
    • „Fall nicht aufgeklärt“. Fast sechs Jahre Haft wegen „NSU 2.0“-Drohschreiben
      Der Angeklagte im Fall der rechtsextremen Drohschreiben mit der Unterschrift „NSU 2.0“ ist zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Dennoch hat das Gericht eingeräumt, dass nicht alle Fragen aufgeklärt sind. Die Polizei steht weiter im Verdacht.
      Rechtsextreme Beschimpfungen und Morddrohungen mit der Unterschrift „NSU 2.0“: Am Donnerstag hat das Landgericht Frankfurt am Main den Verfasser der Drohschreiben, Alexander M., zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die Vorsitzende Richterin Corinna Distler sprach den 54-jährigen Berliner einer Vielzahl von Vergehen schuldig, darunter der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten, Bedrohung, Beleidigung, Nötigung, Störung des öffentlichen Friedens und Volksverhetzung. (AZ: 5/17 KLs – 6190 Js 216386/21 (24/21))
      Die Staatsanwaltschaft hatte für den Angeklagten eine Haftstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten gefordert. Der Angeklagte wies in einem letzten Vortrag alle Vorwürfe zurück. Diese seien nicht belegt. Staatsanwaltschaft und Polizei verbreiteten Lügen, um den Verdacht auf ihn als angeblichen Einzeltäter zu lenken, sagte er. Er sei lediglich Mitglied einer rechten Chatgruppe im Darknet gewesen, habe aber keine Straftaten begangen. Die Vorsitzende Richterin widersprach dieser Darstellung. (…) Dennoch sei der ganze Fall nicht aufgeklärt, räumte die Richterin ein. Die Ermittlungen hätten zwar keine Mittäter aufgedeckt. Die Abfragen vertraulicher Daten der Adressaten auf Polizeicomputern seien jedoch nicht aufgeklärt. Diese gab es in Frankfurt am Main, Wiesbaden, Berlin und Hamburg. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Verurteilte die Daten unter Vortäuschung einer falschen Identität erlangte. Das Gericht wisse nicht, ob M. die Daten von Başay-Yıldız vom Computer des Ersten Frankfurter Polizeireviers erschlichen habe, schränkte Distler ein. „Es spricht viel dafür, dass er es war, aber es bestehen Zweifel“, sagte sie…“ Meldung vom 17.11.2022 im Migazin externer Link
    • Seda Başay-Yıldız: „Das Urteil ist kein Freispruch für rechte Netzwerke in der Polizei“
      Die Anwältin Seda Başay-Yıldız erhielt jahrelang Drohungen vom „NSU 2.0“. Nun wurde ein Mann dafür verurteilt. Doch sie sagt: Der erste Brief kam von einem Polizisten.
      [Frau Başay-Yıldız, der 54-Jährige, der Ihnen seit 2018 dutzende Drohschreiben im Namen eines NSU 2.0 geschrieben hat, ist heute vor dem Frankfurter Landgericht zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden externer Link. Ausgerechnet Sie hatten sich zuletzt für einen Teilfreispruch eingesetzt. Warum?
      Seda Başay-Yıldız: Weil ich davon ausgehe, dass nicht er mir das erste Drohfax geschickt hat.
      [ZEIT ONLINE: Wer dann?]
      Başay-Yıldız: Wahrscheinlich ein Polizist, der Beamte S., aus dem 1. Revier in der Frankfurter Innenstadt. Dort sind kurz davor auch meine Daten in einem Polizeicomputer abgefragt worden. (…) Es ist gut, dass der Angeklagte für die anderen Drohschreiben auch gegen weitere Betroffene verurteilt wurde, aber es gibt leider viele wie ihn. Das Gericht hat sich um Aufklärung bemüht, aber es sind immer noch viele Fragen für mich offen: Wer ist verantwortlich für das erste Drohschreiben und wie ist der Angeklagte im Jahr 2020 an meine neue und gesperrte Anschrift gelangt? (…) Die Staatsanwaltschaft hatte aus meiner Sicht kein Interesse daran, einen Polizisten als Täter für das erste Drohschreiben zu präsentieren. Ganz im Gegenteil, sie hat versucht jeden Verdacht von dem Polizeibeamten S. abzulenken. Außerdem hatte sie kein Interesse, die Gruppe rechter Beamter auf dem 1. Revier – zu der der fragliche Beamte gehört – aufzuklären, obwohl dort das Motiv zu finden ist. (…) Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) sah die hessische Polizei ja schon nach der Festnahme des jetzt Verurteilten entlastet. Das kann ich nicht ernst nehmen. Auch das Urteil von heute ist kein Freispruch für rechte Netzwerke in der hessischen Polizei…“ Interview von Martín Steinhagen vom 17. November 2022 in der Zeit online externer Link , siehe auch ihren Tweet vom 17.11. externer Link: „Richterin im #NSU2.0 Prozess: Strafschärfend kann man dem Angeklagten den Vertrauensverlust  in die hessische #Polizei  nicht anlasten. Das hat die Polizei selbst verursacht… #polizeiproblem
    • Siehe auch erste Kommentare auf dem Twitter-Account von NSU Watch externer Link
  • Opfer von „NSU 2.0“: Hessische Polizei nicht entlastet. Gemeinsame Erklärung anlässlich der Urteilsverkündung am 17. November 2022
    Zwei Tage bevor im „NSU 2.0“-Prozess das Urteil erwartet wird, haben sich einige der bedrohten Frauen zu Wort gemeldet. „Mit dem Urteil – so viel steht schon jetzt fest – ist kein Freispruch für rechte Netzwerke in der Polizei verbunden“, schrieben unter anderem die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız, die Schauspielerin İdil Baydar und die Politikerin Janine Wissler in einer gemeinsamen Erklärung am Dienstag…“ Meldung vom 15.11.2022 in der FR online externer Link, siehe die Erklärung:

    • Gemeinsame Erklärung von Seda Başay-Yıldız, İdil Baydar, Anne Helm, Martina Renner, Janine Wissler und Hengameh Yaghoobifarah anlässlich der Urteilsverkündung im Prozess gegen den Angeklagten A. M. am 17. November 2022 vor dem Landgericht Frankfurt am Main
      Wir erhoffen uns von dem Gericht ein wichtiges Urteil mit einer starken Signalwirkung an den Angeklagten A. M. und alle Nachahmer*innen,die mit rechtsextremen, rassistischen und misogynen Drohschreiben ein Klima der Angst und Einschüchterung weit über den unmittelbaren Kreis der Betroffenen schüren wollten undwollen.Ebenso erhoffen wir uns von dem Gericht ein Signal,dass die Drohserie nicht vollständig aufgeklärt unddie hessische Polizei durch die Verurteilung des M.auch nicht entlastet ist.Deshalb hat die Nebenklage einen Freispruch für den Angeklagten M. in Bezug auf das erste Drohschreiben beantragt.Nach der umfangreichen Beweisaufnahme ist weiterhin die Rolle von mindestens einem Polizeibeamten und einer Polizeibeamtin des 1. Frankfurter Polizeireviers ungeklärt.
      Am 2. August 2018 wurden durch eine fünf Minuten dauernde Abfrage mit 17 verschiedenen Abfragemodalitäten die privaten Daten von Seda Başay-Yıldız und ihrer Familie in polizeilichen Datenbanken abgerufen.Bereits 90 Minuten später wurde das erste mit NSU 2.0 unterschriebene Drohfax an sie versandt.
      Wir gehen nach der Beweisaufnahme davon aus, dass der Angeklagte M. die Daten von Seda Başay-Yıldız nicht durch einen Anruf auf dem Revier erhalten haben kann und dass er nicht die technischen Mittel zum Versenden dieses ersten Drohfaxes hatte.
      Hingegen hat die Beweisaufnahme für den Datenabruf und das Verschicken des Drohfaxes einen plausiblen Alternativtäter ergeben: Den Beamten des 1. Polizeireviers Johannes S. Die als Zeugen geladenen Polizeibeamt*innen des 1. Polizeireviers haben in ihren Aussagen vor dem Landgericht nichts zur Aufklärung dieses Sachverhalts beigetragen und sich schützend vor den verdächtigen Beamten Johannes S. gestellt. Für uns ist es ein Skandal,dass die Staatsanwaltschaft Frankfurt sich auf den vermeintlichen Einzeltäter,den Angeklagten M. festgelegt und versucht hat,die Frage zu der Rolle von hessischen Polizeibeamt*innen und einer verfestigten Gruppe rechter Polizeibeamt*innen im 1. Polizeirevier zu Beginn der Drohserie NSU 2.0 aus dem Verfahren herauszuhalten.
      Mit dem Urteil – so viel steht schon jetzt fest – ist kein Freispruch für rechte Netzwerke in der Polizei verbunden.
      Wir fordern die Ermittlungen in Hinblick auf die polizeilichen Datenabrufe weiter nachdrücklich zu betreiben, dies gilt insbesondere für die noch offenen Ermittlungsverfahren gegen in diesem Zusammenhang beschuldigte und namentlich bekannte Polizeibeamt*innen. Frankfurt und Berlin, den 15. November 2022Thread der RA Seda Başay-Yıldız vom 15. Nov. 2022 externer Link
    • Kommt am 17.11. zum Ende des #NSU 2.0 Prozesses rund um die rechten Verstrickungen des #Frankfurt|er #Polizeiproblem und Alexander Mensch, zu unser Kundgebung vor dem Landgericht. Es handelt sich hier nicht um verwirrte Einzeltäter handelt, sondern  um feste rechte Strukturen!Aufruf von Hessliche Zustände auf Twitter externer Link
  • Freispruch für die Polizei: Staatsanwaltschaft hat keine Zweifel an der Schuld des Angeklagten im Prozess um die »NSU 2.0«-Drohserie 
    Eigentlich waren es zwei Plädoyers, die von der Staatsanwaltschaft am Montag im Frankfurter Landgericht vorgetragen wurden. In dem einen forderte die Anklagebehörde siebeneinhalb Jahre Gefängnis für Alexander M., unter anderem wegen Beleidigung, Bedrohung, Volksverhetzung und des Verwendens verbotener Nazisymbole: Der 54-Jährige aus dem Berliner Stadtteil Wedding sei alleinverantwortlich für die Drohschreiben, mit denen unter dem Label »NSU 2.0« zweieinhalb Jahre lang insbesondere demokratisch engagierte Frauen überzogen worden waren – allen voran die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız. In dem anderen plädierte die Staatsanwaltschaft auf Freispruch für die hessische Polizei. (…) »Dass der eine oder andere Punkt nicht umfassend aufgeklärt wurde, ist unbefriedigend, muss im Rechtsstaat aber akzeptiert werden«, befand Akdogan und verwahrte sich »mit aller Entschiedenheit« gegen den von Nebenklage und Öffentlichkeit immer wieder erhobenen Vorwurf, die Behörden gingen der Rolle von Polizeibeamten beim »NSU 2.0« lieber nicht allzu entschieden nach. »Es handelt sich hier nicht um einen Polizeiskandal«, sagte der Oberstaatsanwalt. (…) Passend dazu begründete die Staatsanwaltschaft ihre überraschend hohe Strafforderung schließlich nicht nur mit den vielen, teilweise einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten, mit seinem aggressiven Auftreten und seinen nachweislichen Lügen vor Gericht sowie mit den Auswirkungen der Drohungen auf seine Opfer, sondern auch mit den negativen Folgen für das Image der Polizei. »Er hat Schaden angerichtet«, sagte Oberstaatsanwalt Akdogan, »weil der Vertrauensverlust in den Staat enorm ist.«Artikel von Joachim F. Tornau vom 24.10.2022 im ND online externer Link

    • Siehe auch den Thread von NSU Watch vom 25.10. externer Link zu den ersten Plädoyers
    • Die Verhandlung wird an diesem Donnerstag fortgesetzt, dann mit den Plädoyers von Nebenklagevertreterin Pietrzyk und der Verteidigung. Ein Urteil könnte (Stand jetzt) am 7. oder 17.11. folgen.
  • „NSU 2.0“: Polizei im Zwielicht 
    Seit Februar läuft am Landgericht Frankfurt das „NSU 2.0“-Verfahren wegen rechtsextremistischer Drohschreiben gegen Prominente und Behörden. Angeklagt ist ein Berliner. Doch die Polizei steht ebenfalls im Fokus.
    Der Fernsehjournalist Jan Böhmermann ist bekannt für beißenden Spott mit ernstem Hintergrund. Als Böhmermann Ende März 2022 im „NSU 2.0“-Prozess vor dem Frankfurter Landgericht als Zeuge aussagt und der Vorsitzenden Richterin einen rechtsextremen Drohbrief zur Verfügung stellen will, der ihn im ZDF erreicht hat, kann er sich eine spitze Bemerkung nicht verkneifen. „Wir müssen ein bisschen aufpassen mit dem Übergeben von privaten Daten an staatliche Stellen“, sagt Böhmermann. „Man weiß ja nicht, wo die landen.“ Selbst Richterin Corinna Distler muss darüber schmunzeln, bevor sie dem Zeugen milde entgegnet: „Das habe ich jetzt nicht so gehört.“ Distler ist Vorsitzende der Kammer, die ein politisch hoch aufgeladenes Verfahren führt. Immer wieder geht es um die Rolle der Polizei bei den Bedrohungen. Doch auf der Anklagebank sitzt kein Beamter der hessischen Polizei, sondern der 54-jährige arbeitslose Berliner Alexander M. Hat er die Drohserie tatsächlich alleine zu verantworten? An dieser These der Staatsanwaltschaft gibt es erhebliche Zweifel. (…) Bei mindestens vier betroffenen Personen wurden in Drohschreiben persönliche Daten genutzt, die kurz vorher von Polizeirechnern abgefragt worden waren, ohne dass dafür ein Anlass erkennbar war (…) Die Frankfurter Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass sich der Täter alle Daten besorgt hat, indem er unter einem Vorwand bei Polizeirevieren angerufen hat. Auffällig ist, dass sich nirgends ein Beamter oder eine Beamte an die einschlägigen Abfragen erinnern konnte. Alle berichteten nach Angaben der Ermittlerinnen und Ermittler, dass das eigentlich persönliche Passwort zum Einloggen in die jeweiligen Polizeirechner auch den anderen Kolleginnen und Kollegen bekanntgewesen sei oder sogar neben dem Rechner gelegen habe. Wer die Daten tatsächlich abgefragt habe und warum, lasse sich nicht mehr nachvollziehen. (…) Im April 2022 erhob die Staatsanwaltschaft Frankfurt deswegen Anklage gegen vier mutmaßliche Beteiligte der Chatgruppe namens „Itiotentreff“, die allesamt im 1. Frankfurter Revier gearbeitet hatten. Haben Frankfurter Polizeibedienstete Daten für die Drohschreiben aus einer rechtsextremen Gesinnung heraus ausgeforscht und herausgegeben? Antonia von der Behrens’ Verdacht reicht noch weiter. Die Berliner Rechtsanwältin vertritt im „NSU 2.0“-Prozess die Nebenklägerin Seda Basay-Yildiz. Sie hat in einem Beweisantrag eine Reihe von Indizien dafür vorgetragen, dass Johannes S. vom 1. Frankfurter Revier zumindest das erste Drohfax an Basay-Yildiz verschickt haben könnte. (…) In jedem Fall steht die Polizei im „NSU 2.0“-Skandal in einem schlechten Licht da. Entweder ist sie so schlecht organisiert, dass sie freimütig Daten auch an unbekannte Anrufer herausgab, die damit Drohschreiben füttern konnten. Oder sie hat Leute in ihren Reihen, die rechtsextreme Drohschreiben versenden…“ Artikel von Pitt von Bebenburg vom 8.7.2022 in der FR online externer Link
  • „NSU 2.0“-Prozess: LKA-Beamter spricht von manipulierten Einsatzzeiten der Polizisten 
    „Waren doch Polizisten an den „NSU 2.0“-Drohschreiben beteiligt? Ein LKA-Ermittler spricht im Prozess gegen Alexander M. davon, dass Einsatzzeiten der Beamten falsch aufgeschrieben worden seien. Wollten sie sich damit ein Alibi verschaffen? Das Frankfurter Landgericht hat sich am Donnerstag mit der Frage beschäftigt, ob Polizisten an den „NSU 2.0″ Drohschreiben beteiligt waren. (…) Eine Streife sei den Ermittlern ins Auge gestochen, weil sie Einsatzzeiten falsch aufgeschrieben habe. Das betreffe auch den Zeitpunkt, zu dem das Drohfax mit einem mobilen Gerät über das Internet an Basay-Yildiz versendet worden war. Die Ermittler hielten es für möglich, dass sich die Streifenpolizisten ein Alibi verschaffen wollten, sagte der LKA-Beamte. Er berichtete auch von zahlreichen volksverhetzenden und rechtsextremen Bildern und Fotos, die später auf dem Handy eines der beiden Polizisten gefunden worden seien. Er sagte, hier fehle es an der Distanz zu rechtsextremem Gedankengut, die bei der Polizei gefordert sei. Es seien auch Fotos entdeckt worden, die an der hessischen Polizeiakademie entstanden seien – von aus Stiften geformten Hakenkreuzen und SS-Runen. (…) Festgestellt worden sei zudem, dass der Polizist im Internet nach Informationen zu Basay-Yildiz gesucht habe. Kurz nachdem das erste Drohfax versendet wurde, habe der Polizist seinen privaten Tablet-Computer verkauft. Unter dem Strich seien viele Indizien gefunden worden, jedoch kein glasklar entscheidender Beweis, sagte der Ermittler. Die Nebenklage in dem Prozess geht davon aus, dass dieser Polizist die Daten abfragte und das erste Drohfax an Basay-Yildiz verschickte. Die Staatsanwaltschaft dagegen legt die gesamte Drohschreiben-Serie dem aus Berlin stammenden Alexander M. zur Last…“ Meldung vom 12. Mai 2022 bei der Hessenschau online externer Link
  • Zweifel an der Einzeltäterthese: Verdächtiger Polizist mit rechter Gesinnung gerät im Verfahren »NSU 2.0« aus der Schusslinie 
    „Wenn Alexander M. sich auf der Anklagebank zu Wort meldet, lautstark zumeist, ist mit dem Schlimmsten zu rechnen. Erst in der vergangenen Woche war der Mann, den die Staatsanwaltschaft für die rechte Drohschreibenserie des »NSU 2.0« verantwortlich macht, den Journalisten Deniz Yücel rüde angegangen – in einem Ton, der sehr an die hasstriefenden Mails erinnerte, die der Angeklagte nie verschickt haben will. Als »Mistmade« und »Stück Scheiße« beleidigte der 54-jährige Berliner den Zeugen und drohte unverhohlen: »Wenn ich könnte, würde ich ganz andere Dinge mit dir machen!« Am Montag aber war der arbeitslose Computerexperte zur Abwechslung mal einverstanden: »So, wie der Zeuge Böhmermann das geschildert hat, so war es auch wirklich gewesen«, sagte er im Berliner Dialekt. »Es war so, als ob er dabei gewesen wäre.« Der »Zeuge Böhmermann« war der Fernsehsatiriker Jan Böhmermann, Moderator des »ZDF Magazin Royale« und eine der vielen Personen des öffentlichen Lebens, die vom »NSU 2.0« mit Hass und Hetze überzogen worden waren. (…) »Bei aller Liebe«, sagte der Moderator, »das ist doch kein einzelner Mensch, der das macht.« Das Muster, dem auch der »NSU 2.0« gefolgt sei, kenne er schon seit vielen Jahren: Schreiben voller rechter »Buzzwords«, also Schlagwörter, gerne garniert mit einem Hitlergruß und geschickt an große Verteiler, um nicht nur einen einzelnen Menschen zu verunsichern, sondern möglichst viel Öffentlichkeit zu erreichen. »Je mehr buzz, desto besser«, sagte Böhmermann. »Ein fantastisches Verbrechen, um mit kleinem Aufwand Destabilisierung zu erreichen.« Die Hassnachrichten, die er vom »Staatsstreichorchester« bekommen habe, seien in Diktion und Formulierungen kaum anders als die des »NSU 2.0«. »Ich bin kein Online-Graphologe, aber das sieht sehr ähnlich aus«, sagte der 41-Jährige und verwies auf das rechte Netzwerk »Reconquista Germanica«, das mit zeitweilig mehreren tausend Mitgliedern Daten ihnen unliebsamer Personen sammelte und über Chatgruppen Online-Attacken koordinierte. »Ein mächtiges Instrument.« Das »ZDF Magazin Royale« hatte dem 2018 die Gegenkampagne »Reconquista Internet« entgegengesetzt. Es sei sehr mühsam, die Ermittlungsbehörden auf solche rechten Strategien aufmerksam zu machen, beklagte Böhmermann. Statt nach Strukturen sei mit großem Aufwand nach einem Einzeltäter gesucht worden. »Die analytischen Fähigkeiten sind rudimentär.«…“ Artikel von Joachim F. Tornau vom 28. März 2022 in neues Deutschland online externer Link, siehe auch:

    • den Thread von NSU Watch vom 29.3.2022 externer Link: „“Die Strafverfolgungsbehörden haben nicht die analytischen Fähigkeiten, die Strukturen aufzudecken.“ Im #NSU20-Prozess sagten gestern Jan Böhmermann, Maybrit Illner und der stellv. Ermittlungsführer Kriminalkommissar Be. aus. Details im ThreadJan Böhmermann sagte aus, dass er seit 2015 Drohschreiben bekomme. Die Schreiben, die bislang im #NSU20-Verfahren eine Rolle spielen, sind vom 18.09.2020 und 22.11.2020. Die darin verwendeten Daten stammen aus einem Datenleak von 2018. Auch er brachte weitere Schreiben mit. Der Zeuge sagte, dass die Polizei ihn über Schreiben, die er erhalten habe, informiert habe, sei eine „nette Geste“. Aber er kümmere sich lieber selbst mit seinen Mitarbeitenden um solche Angelegenheiten. Es sei schwer, den Behörden die Bedrohungslage klarzumachen. Böhmermann: „Den Behörden fehlen die analytischen Fähigkeiten, mit solchen Tätern umzugehen.“ Er erhoffe sich, dass diese Fähigkeiten sich verbessern. „Wissen aus meiner Arbeit über Strukturen prallte [..] auf völlige Ahnungslosigkeit der Behörden, vor allem auf Länderebene“. Der Zeuge sagte, er gehe davon aus, dass die Schreiben aus größeren, organisierten Gruppen stammten. Er wünsche sich mehr Awareness von Seiten der Polizei und fragte kritisch nach, ob es sich hier um ein Strukturermittlungsverfahren handele. Dies wurde verneint. Maybrit Illner ordnet die Schreiben, die sie im Sommer 2020 bekam, in eine gesellschaftliche Dimension ein. „Wir hatten #Hanau zu beklagen und die Ermordung von Walter #Lübcke“, zudem sei der #NSU20-Skandal sowie die Involvierung der hessischen Polizei Thema gewesen. Aufgrund der Verstrickungen hessischer Polizeibeamten verortete die Zeugin die Schreiben nicht in Berlin, sondern in Frankfurt, daher fühlte sie sich nicht stark betroffen. Trotzdem sei es eine Todesdrohung gewesen. Acht Schreiben, die die Richterin ihr vorhielt, kannte sie nicht. Als dritter Zeuge war Kriminalkommissar Be. geladen. Er war bis September 2021 stellvertretender Ermittlungsführer einer Arbeitsgruppe zum #NSU20-Komplex in Hessen. Er erläuterte unter anderem, wie seine AG mit den Ermittlungen begann und den Angeklagten ermittelte…“
  • Rechtsextreme „NSU 2.0“-Drohserie: Versendete Polizist erstes Drohfax? 
    „… Es ist ein überraschender Vorstoß. Im Prozess zur rechtsextremen NSU 2.0-Drohserie, der seit einem Monat vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/Main läuft, fordert die Betroffene Seda Başay-Yıldız einen Teilfreispruch für den Angeklagten Alexander M. Stattdessen soll ein Frankfurter Polizist an der Drohserie beteiligt gewesen sein. Konkret geht es um das erste NSU 2.0-Drohschreiben, das die NSU-Opferanwältin Başay-Yıldız per Fax erhielt, am 2. August 2018 um 15.41 Uhr. Gedroht wurde ihr darin, ihre Tochter zu „schlachten“ – samt Nennung ihrer Privatadresse, die öffentlich nicht bekannt war. Eben jene Adresse, sowie weitere Privatdaten von Başay-Yıldız, waren anderthalb Stunden zuvor auf dem 1. Polizeirevier Frankfurt/Main abgerufen worden. Im Prozess forderte nun Antonia von der Behrens, die Anwältin von Başay-Yıldız, den Angeklagten Alexander M. für dieses erste Drohfax freizusprechen. Denn alles spreche dafür, dass nicht er, sondern der Frankfurter Polizist Johannes S. für dieses verantwortlich sei. Es gebe dafür eine „Fülle von Indizien“, erklärte von der Behrens. Für alle weiteren 82 Schreiben der Drohserie, die ab Dezember 2018 bis März 2021 von einer Yandex-Emailadresse verschickt wurden, sei aber Alexander M. verantwortlich. (…) Wenn aber der Verdacht gegen Johannes S. stimmt, wie kam der in Frankfurt angeklagte Alexander M. an die Privatdaten von Başay-Yıldız, die auch in späteren Drohschreiben auftauchten? Die Nebenklage vermutet, dass Johannes S. diese Daten ins Darknet stellte. Einen konkreten Eintrag fand sie nicht. Sowohl Johannes S. als auch Alexander M. seien aber im Darknet unterwegs gewesen, erklärte von der Behrens. Und das Zusammentragen von Privatdaten von Prominenten, sogenanntes Doxing, sei dort nicht selten. Zudem gebe es noch eine Auffälligkeit: Für ein Drohschreiben wurde als Absender der frühere Polizeiausbilder von Johannes S. angegeben. Dass Alexander M. zufällig auf just diesen Namen stieß, sei unwahrscheinlich, findet von der Behrens. Mehr spreche dafür, dass sich auch über diese Ausbilder im Darknet ausgetauscht wurde…“ Artikel von Konrad Litschko vom 17. März 2022 in der taz online externer Link, siehe auch:

  • „NSU 2.0“-Prozess: Nebenklage vermutet Polizisten hinter Drohschreiben 
    „… Es passiert nicht sehr oft, dass sich die Nebenklage in einem Strafprozess für einen Freispruch einsetzt – selbst wenn er sich nur auf einen Teil der Vorwürfe beziehen soll. Doch an diesem Mittwoch geschieht vor dem Frankfurter Landgericht genau das. Nebenklagevertreterin Antonia von der Behrens fordert einen Teilfreispruch für Alexander M., den Angeklagten im sogenannten „NSU 2.0“-Prozess. Die Anwältin der Frankfurter Juristin Seda Basay-Yildiz ist überzeugt, dass das erste Drohschreiben, das ihre Mandantin erreichte, nicht von dem Beschuldigten verfasst wurde, sondern von einem Beamten des 1. Polizeireviers in Frankfurt. (…) In einer einstündigen Antragsbegründung verwies die Juristin auf zahlreiche Indizien, welche die These der Nebenklage stützen sollen. So stehe den Ermittlungen zufolge der verdächtige Polizist vermutlich hinter der Computer-Abfrage von privaten Daten von Basay-Yildiz, die sich kurze Zeit später in dem Drohschreiben wiederfanden. Zudem sei der Beamte in rechten Darknet-Foren aktiv gewesen. Die Nebenklage vermutet, dass er dort die abgefragten Daten auch weitergegeben haben könnte. Darüber hinaus sei seine rechte Gesinnung auch auf dem Revier bekannt gewesen. Zur Beweiserhebung stellte die Nebenklage den Antrag, jene Polizisten des 1. Polizeireviers zu vernehmen, die in einer Chatgruppe rechtsextreme Inhalte geteilt haben sollen. Über den Antrag muss das Gericht zunächst beraten. (…) Zuvor war die Fernseh-Journalistin Anja Reschke als Zeugin vernommen worden. Die Moderatorin des ARD-Fernsehmagazins Panorama sagte, sie und ihre Kinder seien schon 2015 – drei Jahre vor Beginn der „NSU 2.0“-Drohschreiben – bedroht worden. In einem Brief, der in einem ähnlichen Duktus verfasst gewesen sei und ebenfalls nicht-öffentliche Daten enthielt. Auslöser sei wohl ein Kommentar Reschkes zur Flüchtlingspolitik in den Tagesthemen gewesen. Ein Unbekannter soll zuvor telefonisch eine Nachbarin zu Reschke und ihrer Familie befragt haben. Einige Zeit später sei der Polizei gemeldet worden, dass Reschke tot in ihrer Wohnung liege. Als sie dann 2019 ebenfalls ein mit „NSU 2.0″ unterzeichnetes Schreiben erhalten habe, seien ihr die Ähnlichkeit in Stil und Wortwahl aufgefallen…“ Beitrag von Frank Angermund vom 16. März 2022 bei der Hessenschau online externer Link  
  • Hauptzeugin Seda Başay-Yıldız im „NSU 2.0“-Prozess: Nennung der Tochter in Drohfax war Eskalation 
    Die Serie von „NSU 2.0“-Drohschreiben hat die Empfängerinnen und Empfänger schwer belastet. Im Prozess vor dem Frankfurter Landgericht warfen zwei Zeugen die Frage auf, welche Rolle die Polizei bei der Weitergabe von persönlichen Daten spielte.
    Im Prozess um die „NSU 2.0“-Drohschreiben hat am Montag vor dem Landgericht Frankfurt am Main die Hauptzeugin Seda Başay-Yıldız ausgesagt. Erstmals sei am 2. August 2018 in ihrer Kanzlei ein mit „NSU 2.0“ unterschriebenes Fax eingegangen, in dem ihre Adresse und der Name ihrer damals 22 Monate alten Tochter erwähnt worden seien, sagte die Frankfurter Rechtsanwältin: „Die Nennung ihres Namens hat mich tief getroffen. Das war eine Eskalation.“ Noch am nächsten Tag habe sie bei der Polizei Anzeige erstattet. (…) Sie habe keine Idee, wie der Verfasser der Drohschreiben an die persönlichen Daten ihrer Eltern kommen konnte, die nicht in sozialen Medien unterwegs seien, sagte Başay-Yıldız, „es sei denn über die in den Schreiben genannten Beamtinnen und Beamten des 1. Polizeireviers in Frankfurt am Main“. (…)
    Auch der Bonner Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler wurde am Montag von der Vorsitzenden Richterin Corinna Distler in den Zeugenstand gerufen. Er habe erstmals im Dezember 2018 ein Drohschreiben mit dem Absender „Türkensau“ und der Signatur NSU 2.0 bekommen, sagte Daimagüler. Insgesamt habe er in den vergangenen zehn Jahren mehr als 1.500 Beleidigungs- und Drohschreiben erhalten. Angst habe er keine. Er habe weder Frau noch Kinder, die angegriffen werden könnten. Allerdings belasteten ihn die Drohschreiben psychisch, und er habe deshalb bereits professionelle Hilfe in Anspruch genommen, erklärte er. Er empfinde auch häufiger Wut, auch Mitleid mit den Schreibern. „Das sind oft kleine feige Würstchen, die bei der Mama im Keller hocken“, sagte Daimagüler. Zudem beunruhige es ihn, dass Polizeidienststellen an der Weitergabe von persönlichen Daten beteiligt gewesen sein könnten…“ Bericht vom 22.02.2022 im Migazin externer Link
  • Angeklagter im „NSU 2.0“-Prozess: Polizei schiebt mir Schuld zu, um von sich abzulenken / Tag 3 mit Aussagen der betroffenen Nebenklage-Vertreter*innen 
    „… „Sämtliche Tatvorwürfe werden bestritten.“ Mit diesen Worten leitete der angeklagte Alexander M. den zweiten Verhandlungstag im Prozess um die „NSU 2.0“-Drohschreiben ein. Der 54-jährige Berliner in braun-olivgrüner Jacke mit neongelbem Schulteraufsatz, rotem T-Shirt und schwarzer Hose durfte am Donnerstag im Landgericht Frankfurt am Main seine Sicht der Dinge äußern. (…) Die Polizei habe „einen nützlichen Idioten ermittelt, dem man alle Schuld zuschieben kann.“ Auch die anderen Vorwürfe seien von der Polizei konstruiert worden, um von Tätern in den eigenen Reihen abzulenken. So besitze er keine illegalen Waffen. Der Angeklagte trägt seine Darstellung in geordneten Sätzen vor, aber als die Anwältinnen der Nebenklägerinnen ihre Sicht der Dinge äußern, fällt er ihnen sofort ins Wort. Die Vorsitzende Richterin Corinna Distler muss M. mehrfach ermahnen. Der Angeklagte habe versucht, Lücken in der Anklage auszunutzen, sagte die Berliner Rechtsanwältin Antonia von der Behrens. Seine Täterschaft sei aber nicht offen. Offen sei die Frage, woher die vertraulichen Daten in den Drohschreiben stammen, die zuvor auf Polizeicomputern abgefragt wurden. Dazu stehe nichts in der Anklage. (…) „Das Verhalten des Angeklagten spiegelt das Weltbild wider, das wir in den Schreiben gehört haben“, sagte die Anwältin der Nebenklage, Kristin Pietrzyk aus Jena, nach Ende der Verhandlung. „Der Angriff auf Frauen, die sprechfähig sind, die laut sind, die etwas zu sagen haben auf ihrem Fachgebiet, das stößt ihm auf, da hat er überhaupt gar keinen Respekt.“ Die Anwältin machte auf weiteren Ermittlungsbedarf aufmerksam: „Wir gehen davon aus, dass es absolut nicht aufgeklärt ist, in welchen Netzwerken er sich bewegt hat. Im Blick auf die Chatforen war er erstaunlich schmallippig“. Von der Behrens bekräftigte, dass die Nebenklage überhaupt keinen Zweifel an der Täterschaft von M. habe. Aber es sei entgegen der Behauptung der Staatsanwaltschaft nicht aufgeklärt, welcher Polizist die gesperrten Adress- und Geburtsdaten von Basay-Yildiz am 2. August 2018 auf dem Ersten Frankfurter Polizeirevier abgefragt und wer kurz darauf das erste Drohschreiben verfasst hat. Der Prozess wird am 21. Februar fortgesetzt.“ Bericht von Jens Bayer-Gimm vom 17. Februar 2022 bei MiGAZIN externer Link, siehe dazu:

    • Thread von Seda Başay-Yıldız vom 14. Feb. 2022 externer Link: „Anlässlich des Prozessauftakts gegen den Angeklagten A. M. am 16. Februar 2022 vor dem Landgericht Frankfurt erklären Seda Başay-Yıldız, ldil Baydar, Anne Helm, Martina Renner, Janine Wissler und Hengameh Yaghoobifarah: Für uns ist es ein Skandal,dass die Ermittlungen gegen einen vermeintlichen Einzeltäter geführt wurden.Seit der Festnahme des nunmehr am Landgericht Frankfurt Angeklagten im Mai 2021 wird der Versuch unternommen, den so genannten NSU 2.0-Komplex als endgültig aufgeklärt zu präsenieren. Nach allem, was wir wissen, steht für uns jedoch fest: Der NSU 2.0-Komplex ist mit der Festnahme des Angeklagten nicht aufgeklärt. Es gibt für uns zwingende Hinweise auf mindestens gezielte Datenweitergabe aus Polizeikreisen. Im Mittelpunkt der Berichterstattung über diesen Prozess sollte daher nicht der hiesige Angeklagte stehen, der mit seinen Taten die öffentliche Aufmerksamkeit suchte. Er verschickte über 80 Drohschreiben mit rassistischem, sexistischem,antisemitischem und volksverhetzendem Inhalt mehrere bundesweit für ihr Engagement gegen Rassismus und Antisemitismus bekannte Menschen. Kopien dieser widerlichen Schreiben schickte er auch direkt an Medien…“
    • Tag 3 im #NSU 2.0-Prozess: Heute soll die Anwältin Seda Basay-Yildiz aussagen, bei der als erste im Aug 2018 die Drohschreiben begannen, immer wieder gespickt mit persönlichen Daten. Geladen ist auch der ebenfalls bedrohte NSU-Opferanwalt Mehmet Daimagüler #NSU20…“ Thread von Konrad Litschko vom 21.2. externer Link, siehe seine Berichterstattung und die von NSU Watch auf Twitter externer Link
  • Beginn der Prozesse zum „NSU 2.0“-Komplex: Betroffene,  RAV, VDJ und Strafverteidigervereinigungen sowie NSU-Watch fordern Ermittlungen gegen rechte Netzwerke in der Polizei statt Einzeltäter
    • NSU-Watch zum Beginn der Prozesse zum „NSU 2.0“-Komplex und gegen den Polizisten Stefan K. aus Neukölln: „Rechte Netzwerke in der Polizei zerschlagen!“
      Bei zwei Prozessen müsste ab heute über rechte Netzwerke und Umtriebe bei der Polizei gesprochen werden – auf der Anklagebank nehmen aber wieder nur vermeintliche Einzeltäter Platz. In Frankfurt beginnt am Landgericht der Prozess wegen der „NSU 2.0“-Drohschreiben. Zeitgleich muss in Berlin der Polizist Stefan K. vor dem Amtsgericht Tiergarten erscheinen. (…) NSU-Watch: „Justiz und Polizei sowie der hessische Innenminister zeichnen – wie so oft bei rechtem Terror, rechter Gewalt und Bedrohungen – das Bild eines isolierten Einzeltäters. Sie wollen den ‚NSU 2.0‘-Komplex schnell als aufgeklärt ad acta legen, um die möglicherweise beteiligten Polizist*innen zu schützen. Daher müssen wir als Antifaschist*innen potentielle Verbindungen in rechte Polizeikreise umso vehementer thematisieren.“ Im Zentrum muss die Frage stehen, wie der mutmaßliche Täter an Daten aus Polizeicomputern in Frankfurt am Main, Wiesbaden, Hamburg und Berlin gelangen konnte und dabei auch Zugang zu einer beim Einwohnermelderegister gesperrten Adresse erhielt. Die These, dass sich der Beschuldigte als Polizist ausgab und die Polizist*innen die Daten unwissend weitergaben, ist wenig plausibel. (…) Die beiden Prozesse zeigen, wie groß die Gefahr ist, die von rechten Netzwerken und Personen innerhalb der Sicherheitsbehörden ausgeht und wie vielfach die Verbindungen zwischen rechter Szene und Behörden sind. Die zahlreichen in den letzten Jahren bekannt gewordenen rechten Chatgruppen bei der Polizei und anderen staatlichen Organen sind ein Ausdruck der rassistischen, antisemitischen und sexistischen Kultur und dem Korpsgeist, der in Teilen der Sicherheitsbehörden herrscht. Sie sind auch ein Zeichen zunehmender Vernetzung und offenbar völliger Angstfreiheit vor möglicher Strafverfolgung. Die kürzlich eingestellten Ermittlungen gegen zwei Mitglieder des rechten Netzwerks „Nordkreuz“ zeigen, dass diese Straflosigkeit wohl auch 2022 fortgesetzt wird. NSU-Watch: „Rechte Netzwerke in Polizei und Bundeswehr müssen zerschlagen werden. Von ihnen geht eine ständige Gefahr rechten Terrors aus. Unsere Erfahrung zeigt, dass Gerichte die Augen allzu oft vor rechten Netzwerken und Strukturen verschließen. Ohne diese sind solche Taten, wie sie ab heute angeklagt sind, aber nicht möglich. Auf die Ermittlungen ist ebenfalls kein Verlass. Wir werden daher beide Prozesse kritisch im Blick behalten, rufen zu Solidarität mit den Betroffenen und antifaschistischer Aufklärungsarbeit auf und werden diese vorantreiben.““ Statement vom 16. Februar 2022 von und bei NSU-Watch externer Link
    • RAV, VDJ und Strafverteidigervereinigungen kritisieren hessische Ermittlungsbehörden: Die Verstrickung der hessischen Polizei in die Drohserie wird nicht aufgeklärt
      „… Mit der Anklage gegen Alexander M. hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main die Frage, wie Alexander M. an die persönlichen Daten unserer Kollegin gekommen ist, nicht beantwortet. »Die Verbindung zwischen der Abfrage der persönlichen Daten unserer Kollegin über einen Polizeicomputer und dem Verschicken von Drohschreiben stellt eine ernsthafte Gefährdung für unsere Kollegin und ihre Familie dar«, erklärt die stellvertretende Vorsitzende des RAV, Rechtsanwältin Nedelmann. »Wenn der Staat hier nicht aufklärt, sondern sich weiterhin weigert, konsequent auch gegen Beschuldigte aus polizeilichen Kreisen zu ermitteln, dann haben wir ein verfassungsrechtliches Problem.« Mit besonderer Sorge beobachten die Anwaltsvereinigungen, dass der hessische Innenminister Beuth die Anklage als Anlass genommen hat, die Polizei als entlastet zu sehen. So teilte das hessische Innenministerium der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage im Oktober 2021 mit: »Hessische Polizistinnen und Polizisten waren zu keinem Zeitpunkt Absender oder Tatbeteiligte der NSU-2.0-Drohmails-Serie«. »Nur wenn auch die Frage einer möglichen Verstrickung hessischer Polizeibehörden aufgeklärt ist, kann der Ermittlungskomplex NSU 2.0 abgeschlossen werden«, erklärt Rechtsanwältin Gilsbach aus dem Vorstand des RAV. Die VDJ, die Strafverteidigervereinigungen und der RAV werden daher das Verfahren mit großer Aufmerksamkeit beobachten…“ Gemeinsame Pressemitteilung von RAV, VDJ und Strafverteidigerorganisationen vom 15. Februar 2022 externer Link
    • „NSU 2.0“: Betroffene fordern Ausweitung der Ermittlungen
      „… Empfängerinnen der mit „NSU 2.0“ unterzeichneten Drohschreiben fordern vor dem Prozessbeginn am Mittwoch vor dem Landgericht Frankfurt am Main die Ausweitung der Ermittlungen. „Für uns ist es ein Skandal, dass die Ermittlungen gegen einen vermeintlichen Einzeltäter geführt wurden“, erklärten Seda Başay-Yıldız, Idil Baydar, Anne Helm, Martina Renner, Janine Wissler und Hengameh Yaghoobifarah am Montag auf Twitter. Die Betroffenen schreiben, es gebe für sie zwingende Hinweise „auf mindestens gezielte Datenweitergabe aus Polizeikreisen“. Die Justiz müsse ihre Ermittlungen auf eine militante, bewaffnete und vernetzte rechtsradikale Szene ausweiten, die Verbindungen in die Sicherheitsbehörden habe, fordern die Autorinnen. Im Prozess solle aufgeklärt werden, wie der Angeklagte an die Daten aus Polizeicomputern kam und ob Polizisten an den Drohungen beteiligt waren. (…) „In Deutschland existiert eine militante, bewaffnete und analog und digital vernetzte rechte Szene, die vielfältige Verbindungen in die Sicherheitsbehörden hat. Solange Strafverfolgungsbehörden und Justiz ihre Ermittlungen nur auf Einzeltäter konzentrieren, werden diese Netzwerke nicht bekämpft und die Betroffenen nicht geschützt werden“, heißt es in dem Schreiben. Die Unterzeichnerinnen fordern Antworten unter anderem auf die Frage, ob es zwischen Angeklagten und Polizeibeamten Verbindungen gegeben hat…“ Meldung vom 14. Februar 2022 im MiGAZIN externer Link
    • Doch Polizisten beteiligt? Am Mittwoch beginnt der Prozess zur „NSU 2.0“-Drohserie. Nun wird bekannt: Die Polizeiabfragen zu Anwältin Başay-Yıldız waren weit umfangreicher
      „Fast drei Jahre lang erreichten die „NSU 2.0“-Drohschreiben Anwält:innen, Politiker:innen oder Journalist:innen mit wüsten, rassistischen Beschimpfungen. Am Mittwoch nun beginnt der Prozess gegen einen 54-jährigen Berliner, welcher der Verfasser sein soll: Alexander Horst M. Laut Anklage verschickte er insgesamt 116 „NSU 2.0“-Schreiben an dutzende Betroffene. Das erste ging am 2. August 2018 an die Frankfurter NSU-Opferanwältin Seda Başay-Yıldız, inklusive privater Daten. Auffällig in ihrem Fall: Nur kurz zuvor gab es zu genau diesen Daten eine Abfrage im 1. Polizeirevier in Frankfurt/Main. Gleiches geschah später auf anderen Polizeiwachen bei Drohschreiben gegen die Linkenchefin Janine Wissler und die Kabarettistin Idil Baydar. Die Anklage gegen Alexander M. aber glaubt nicht, dass Polizist:innen wissentlich an der Drohserie beteiligt waren. Vielmehr habe der 54-Jährige die Beamten mit Anrufen, in denen er sich als Behördenvertreter ausgab, ausgetrickst und so die Daten erlangt. Doch Başay-Yıldız, die als Nebenklägerin am Prozess teilnehmen wird, und mehrere andere Betroffene haben daran weiterhin große Zweifel. Die These sei eine bloße „Behauptung“ der Ermittler, sagte Başay-Yıldız der taz. „Und die ist in meinem Fall auch noch ziemlich realitätsfern.“ (…) Başay-Yıldız will im nun beginnenden Prozess gegen Alexander M. darauf drängen, dass die Frage, ob und wie die Polizisten an den Drohungen beteiligt waren, dort aufgeklärt wird. So müsse geprüft werden, ob es etwa im Darknet Verbindungen von M. zu Polizeikräften gab. Auch sei offen, ob Verbindungen zu anderen Drohserien existierten und wie gefährlich der Angeklagte wirklich war. Bei seiner Festnahme waren auch eine Schusswaffe und zwei Würgehölzer gefunden worden…“ Artikel von Konrad Litschko vom 14. Februar 2022 in der taz online externer Link
  • „NSU 2.0“-Verfahren in Frankfurt: Welche Rolle spielte die Polizei bei den Drohbriefen? 
    Im Fall „NSU 2.0“ geht es nicht nur um die Schuld oder Unschuld des Angeklagten. Es stehen auch politisch brisantere Fragen im Raum. (…) Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, dass auch die politisch viel brisanteren Fragen aufgeworfen werden. Wie haben sich Polizistinnen und Polizisten verhalten, von denen der Angeklagte offenbar geschützte private Daten von Personen ergattern wollte? Ist es für die Beamtinnen und Beamten so selbstverständlich, solche Daten herauszugeben, dass sie sich nicht einmal mehr an einen solchen Vorgang zu erinnern vermögen? Oder ist es doch so, dass ausgerechnet Polizistinnen und Polizisten einen Rechtsextremisten oder ein rechtes Netzwerk bewusst mit solchen Daten versorgt haben, aus Überzeugung? (…) Wichtig ist, dass die Betroffenen und Opfer von Gewalt und Bedrohung Raum bekommen für ihre Sicht und dass die Fragen nach einer möglichen Verantwortung staatlicher Behörden nicht ausgeblendet wird…“ Kommentar von Pitt von Bebenburg vom 11.01.2022 in der FR online externer Link
  • Die „polizeiliche Datenschlamperei“ in Hessen ist größer als angenommen 
    Innenminister Beuth hat nach den rechtsextremen Vorfällen bei der hessischen Polizei eine neue Fehlerkultur bei den Sicherheitskräften angemahnt. Mehr Offenheit nach innen und außen soll dabei ein entscheidendes Kriterium sein. (…)  Das derzeitige Leitbild der hessischen Polizei sei zwanzig Jahre alt. Themen wie der Datenschutz oder die Diversität seien dabei noch wenig berücksichtigt worden. Das neue Leitbild solle ein ‚moralischer Kompass‘ sein, erklärte Paschek. ‚Das darf dann aber nicht gleich wieder in der Schubladen verschwinden, sondern muss nachhaltig in der Organisation verankert werden.’“ (Frankfurter Rundschau, 02.11.21)
    Ich vermisse bei den Ankündigungen von Innenminister Peter Beuth abermals die Aufarbeitung datenschutzrechtlicher Verfehlungen in der hessischen Polizei. (…) Durch die Bürgerrechtsgruppe “dieDatenschützer Rhein-Main“ wurde nun bekannt, dass in der Vergangenheit auch kommerzielle Sicherheitsfirmen und Detekteien von der “Auskunftsfreude“ hessischer Polizeidienststellen profitierten; die Übermittlung personenbezogener Daten (z. B. “POLAS-Daten“) an nicht-öffentliche Stellen war lange Zeit gängige Praxis und erfolgte zum Teil rein telefonisch (Rechtsgrundlage?). Eine Protokollierung/ Dokumentation dieser Datenübermittlungen an nicht-öffentliche Stellen ist für die hessische Polizei rechtlich nicht bindend, so dass hierbei folgender Schluss nahe liegt: Eine Information der von den polizeilichen Datenübermittlungen betroffenen Bürgerinnen und Bürgern durch die hessische Polizei hat i. d. R. nicht stattgefunden: Was polizeilich nicht protokolliert/ dokumentiert wurde, existiert auch nicht. Die Betroffenen wissen somit in den allermeisten Fällen nicht, das es a) eine polizeiliche Datenübermittlung an eine nicht-öffentliche Stelle gegeben hat und b) wohin (Unternehmen) ihre Adressdaten (zum Personennamen) von der Polizei übermittelt wurden! Eine ähnliche polizeiliche Datenschlamperei ist auch aus Berlin bekannt…“ anonymer Beitrag am 08.11.2021 bei Kontrapolis externer Link
  • Seda Basay-Yildiz entsetzt: Ihre gesperrte Anschrift ging an die AfD 
    „… Die bedrohte Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz hat entsetzt darauf reagiert, dass ihre gesperrte Anschrift allen Fraktionen des Hessischen Landtags zugegangen ist, auch der AfD. (…) Aus den Akten des Untersuchungsausschusses geht hervor, dass im August 2019 zehn Stellen oder Personen innerhalb der Polizei an einem Mailwechsel beteiligt waren, der die gesperrte Anschrift der Anwältin, ihre Kanzleiadresse sowie die Anschrift der Kita enthielt. Basay-Yildiz nennt es eine „Unverschämtheit“, dass ihr privates Umfeld verdächtigt worden sei, die Adresse weitergegeben zu haben. Das brisante Dokument war vom Linken-Abgeordneten Hermann Schaus in den umfangreichen Akten entdeckt worden. Er wandte sich Mitte Juli an Staatskanzleichef Axel Wintermeyer, Innenminister Peter Beuth und den Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, Christian Heinz (alle CDU). Sie sollten prüfen, wie die Einsehbarkeit der Daten zügig gestoppt werden könne, schlug Schaus vor. Wintermeyer zog die Akten jedoch nicht zurück. Vielmehr machte er in einem Schreiben alle Fraktionen auf die kritische Passage aufmerksam, dem er die Schaus-Mail mit der Fundstelle anfügte. Der Staatskanzleichef von Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) wies darauf hin, dass die Landesregierung dem Ausschuss Akten in vollem Umfang vorlege und die entsprechende Mail im Landespolizeipräsidium in einem Aktenordner im Kontext des Mordes an Walter Lübcke angelegt worden sei. Die Daten würden nur unkenntlich gemacht, wenn der Untersuchungsausschuss dies selbst beschließe. Dann sei das Innenministerium bereit, „eine Unkenntlichmachung der von Herrn MdL Schaus angesprochenen Adressen vorzunehmen“. Artikel von Pitt von Bebenburg vom 27. Juli 2021 bei der Frankfurter Rundschau online externer Link
  • NSU 2.0: Experten fordern Neuanfang. Kommission stellte in Hessen Abschlussbericht zu Polizeireformen vor – zwei Mitglieder aus Protest im Vorfeld zurückgetreten 
    Vor dem Hintergrund illegaler polizeilicher Datenabfragen im zeitlichen Zusammenhang mit »NSU 2.0«-Drohschreiben sowie der Vernetzung von Polizisten in rechtsradikalen Chats sollen angehende Beamte in Hessen künftig vom Verfassungsschutz überprüft werden. Das empfahl eine unabhängige Expertenkommission, die strukturelle Probleme in der hessischen Polizei untersuchen sollte, in ihrem am Montag in Wiesbaden vorgestellten Abschlussbericht. Darin sprach die Kommission von »erheblichem Reformbedarf«. Die Kommission stellte insgesamt zehn zentrale und 58 Einzelforderungen. »Wir müssen mit allen notwendigen Mitteln verhindern, dass bereits bekannte Extremisten in die Reihen der Polizei gelangen könnten«, erklärte Landesinnenminister Peter Beuth (CDU) bei der Vorstellung des Berichts. Deshalb sollten Bewerber nicht nur im Einzelfall, sondern »flächendeckend und regelmäßig« überprüft werden. Weiter riet die Kommission zur Erstellung eines Leitbildes sowie zu einer offenen Fehlerkultur, in der Fehlverhalten »proaktiv« kommuniziert werden sollte. (…)Irritierend sei darüber hinaus, dass zwei Mitglieder der Kommission diese vorzeitig verlassen hätten, so Schaus. Wie die Frankfurter Rundschau berichtete, habe Polizeipräsident Roland Ullmann eine vorläufige Version des Abschlussberichts ungeschwärzt an Polizisten weitergegeben, damit sie kritische Aussagen kommentieren können. In dem Bericht sollen auch die Namen von Informanten einsehbar gewesen seinen, wodurch auf diese Druck von ausgeübt worden sei. Der Umgang mit diesem Vorgehen sei laut FR Inhalt der Auseinandersetzung in der Kommission gewesen. Da die Gruppe sich geweigert habe, den Vorgang öffentlich zu machen, seien die zwei Mitglieder aus Protest zurückgetreten. »Der Fisch stinkt vom Kopfe her«, kommentierte Schaus. Es brauche endlich einen echten Neuanfang in der Polizei – und das ohne Peter Beuth.“ Artikel von Sebastian Bähr vom 12.07.2021 im ND online externer Link
  • Ein Nazi kommt selten allein. Steckt hinter „NSU 2.0“ ein Einzeltäter, der die Polizei an der Nase herumgeführt hat? Wohl kaum 
    „Schon wenige Stunden nach der Verhaftung von Alexander M. jubilierte Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU): Die hessische Polizei sei nun vom NSU-2.0-Verdacht befreit, es gebe „keinen Bezug“ zum Verhafteten. Beuth hatte es eilig und war erleichtert, ebenso wie manche Medien, die nun von einem „Einzeltäter“ schrieben. Zu Recht? „Ein Einzelfall kommt selten allein“, das Motto einer antifaschistischen Kundgebung am 15. Mai im hessischen Offenbach kommt der Sache wahrscheinlich schon näher. (…) Bislang ist es für einen Freispruch zugunsten der Polizei jedenfalls noch viel zu früh. Denn nach wie vor ist eine andere, deutlich beunruhigendere Erklärung dafür, wie M. an die gesperrten Daten gelangt sein könnte, nicht vom Tisch: dass ihm rechte Netzwerke, die bis in die Polizei und andere Sicherheitsbehörden reichen, dabei geholfen haben. Es gibt eine lange Tradition in der rechtsextremen Szene der Bundesrepublik, sogenannte Feindeslisten über politische Gegner anzulegen. (…) Es wäre allerdings ein Irrglaube, anzunehmen, dass diese Gruppen isoliert voneinander eigene Feindeslisten erstellt und recherchiert haben. Im rechtsextremen Untergrund kursieren seit Jahrzehnten entsprechende Übersichten, die von speziellen Beauftragten verwaltet, aktualisiert und ausgetauscht werden. Dabei bedient man sich auch der Zugänge, die die Szene in die Sicherheits- und Meldebehörden besitzt, und wertet Akten von Strafverfahren gegen Rechte aus, in denen Anschriften von Opfern und Zeugen enthalten sind. Im Fall von „NSU 2.0“ wäre daher zu ermitteln, welche Verbindungen M. in den rechtsextremen Untergrund hat und ob er von dort einen Teil der von ihm verwendeten Personendaten erhielt. Sollte das zutreffen, wäre die Einzeltäterthese endgültig passé. Gegen die spricht ohnehin einiges. Vor allem der Fall der Frankfurter Strafverteidigerin Seda Başay-Yıldız gibt nach wie vor Rätsel auf. Sie war vermutlich die Erste, die ein mit „NSU 2.0“ unterzeichnetes Drohschreiben per Fax erhalten hatte. (…) „Für mich bleiben nach wie vor zu viele Fragen offen“, sagte sie dem Spiegel. „Wie kommt ein Tatverdächtiger in Berlin an die unstreitig im 1. Frankfurter Revier abgerufenen Daten? Und vor allem: Wie kommt er danach auch noch an meine neue und gesperrte Adresse?“ Auch die Linken-Chefin und hessische Fraktionsvorsitzende Janine Wissler hat ihre Zweifel. „Mir wird viel zu reflexhaft von einem Einzeltäter gesprochen“, sagte sie und verwies darauf, dass einige Betroffene auf dem Postweg Drohschreiben erhalten haben, die sehr starke Ähnlichkeit zur „NSU 2.0“-Drohserie haben. Einige dieser Briefe hätten jedoch Poststempel aus Frankfurt, Wiesbaden, Freiburg und Chemnitz gehabt. Dass der jetzt festgenommene Alexander M. aber durchs Land gereist sein soll, um die Briefe in diesen Städten einzuwerfen, ist kaum zu glauben…“ Artikel von Andreas Förster vom 25. Mai 2021 im Freitag online (Ausgabe 20/2021) externer Link
  • [Gemeinsame Erklärung] NSU-2.0-Morddrohungen: Wir stehen erst am Anfang der Aufklärung
    „Anlässlich der Festnahme im Zusammenhang mit den NSU-2.0-Drohmails erklären Seda Başay-Yıldız, Idil Baydar, Anne Helm, Martina Renner, Janine Wissler und Hengameh Yaghoobifarah: 1. Zweieinhalb Jahre nach Beginn der NSU-2.0 Drohmailserie und nach über 100 Nachrichten konnte endlich ein Tatverdächtiger festgenommen werden. Das ist erfreulich und ein wichtiger Ermittlungserfolg. Nun gibt es endlich die Chance, die Hintergründe und mögliche Unterstützungsstrukturen sowie die offenen Fragen, die weiterhin im Raum stehen, aufzuklären. 2. Zu den drängenden und offenen Fragen, die sich nun stellen, gehören aus unserer Sicht: Wie konnte der Tatverdächtige an Daten aus Polizeicomputern in Frankfurt am Main, Wiesbaden, Hamburg und Berlin gelangen und insbesondere an die im Einwohnermelderegister gesperrte Adresse? Gibt es Kontakte des Verdächtigen zu Behördern oder Polizeidienststellen? Und in welcher Verbindung steht die Datenabfrage zu der aufgeflogenen rechten Chat-Gruppen im 1. Revier? Wie passt es mit der bisherigen Gefährdungseinschätzung zusammen, dass der mutmaßliche Täter vorbestraft ist wegen Körperverletzung und eine Schusswaffe bei ihm gefunden wurde? Gibt es Verbindungen zur rechten Anschlagsserie nach Neukölln, die in einigen Mails erwähnt ist? Welche Verbindungen hat der Tatverdächtige nach Hessen? In den Mails gibt es viele Bezüge zu Hessen und schriftlich verschickte Drohbriefe mit ähnlichem Inhalt und Duktus tragen Poststempel aus Frankfurt, Wiesbaden und einigen anderen Städten. 3. Wir sind äußerst irritiert darüber, dass Hessens Innenminister Beuth öffentlich erklärt, dass kein hessischer Polizist in die Drohserie verwickelt seien, obwohl bisher gar nicht geklärt ist, wie der Tatverdächtige an die Daten gekommen ist und obwohl es erwiesenermaßen rechte Aktivitäten in einem der betroffenen Reviere gegeben hat. Dass unbekannte Anrufer sich als Polizisten ausgeben und die Daten einer gesamten Familie aus einem Polizeicomputer abfragen können, erscheint wenig plausibel. 4. Es gibt keinen Grund für Entwarnung. Es gibt in Deutschland eine militante, bewaffnete und international vernetzte rechte Szene, von der Bedrohung und Gewalt ausgeht. Das reflexhafte Gerede von ‚Einzeltätern‘ ist Teil des Problems, denn das erschwert die Aufklärung von Netzwerken und Unterstützungsstrukturen. Einer wird verhaftet, viele andere machen weiter. Rechte Strukturen müssen entschlossen bekämpft werden. 5. Die Aufklärung von NSU 2.0 steht erst am Anfang. Im Kampf gegen rechte Bedrohungen und Gewalt stehen wir solidarisch zusammen mit allen Betroffenen. Die allermeisten davon Betroffenen sind Menschen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen und aufgrund ihrer vermeintlichen Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihrer Religionszugehörigkeit angefeindet und angegriffen werden. Umso wichtiger ist es, dass Regierungen und Ermittlungsbehörden die zunehmende Gefahr von rechts ernst nehmen und den Opfern Schutz gewähren. Daran mangelt es bis heute.“ Gemeinsame Erklärung vom 5. Mai 2021 bei der Links-Fraktion Hessen externer Link
  • „NSU 2.0“: „Kein Grund für Entwarnung“ – „NSU 2.0“-Opfer stellen nach Fahndungserfolg Fragen
    „… Zwei Tage nach der Festnahme eines Verdächtigen im Fall der „NSU 2.0“-Drohungen (…) gab die Frankfurter Staatsanwaltschaft in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem hessischen Landeskriminalamt weitere Details über den mutmaßlichen Täter bekannt, einen 53 Jahre alten Deutschen aus Berlin. (…) Der für den Fall zuständige Oberstaatsanwalt Sinan Akdogan sagte in Frankfurt, eine erste, grobe Auswertung der in der Wohnung des Tatverdächtigen sichergestellten Datenträger habe den Verdacht gegen ihn erhärtet. Der Mann sei einschlägig wegen politisch rechts motivierter Delikte vorbestraft, seit 1994 immer wieder als Straftäter in Erscheinung getreten und zuletzt 2014 verurteilt worden. Der Mann sei am Montagabend um 21.20 Uhr in seiner Wohnung verhaftet worden, sagte Akdogan. Der Zugriff sei abends erfolgt, um den Mann an seinem eingeschalteten und somit leichter auswertbaren Rechner zu fassen. Der Leitende Oberstaatsanwalt Albrecht Schreiber sagte, man gehe aktuell davon aus, dass der 53-Jährige alle 116 ihm zugeordneten Drohschreiben verfasst und sich die privaten Daten der von ihm bedrohten Menschen allein beschafft habe. Dennoch gebe es in dem Fall weiter offene Fragen, etwa zu den bei Seda Basay-Yildiz, Idil Baydar und Janine Wissler erfolgten Datenabfragen in hessischen Polizeirevieren. Die Ermittlungen seien mit der Festnahme keinesfalls beendet, sonder würden „mit derselben Intensität wie bisher“ fortgeführt, sagte Schreiber. (…) „Äußerst irritiert“ zeigten sich die Betroffenen über die Erklärung des hessischen Innenministers Peter Beuth (CDU), dass kein hessischer Polizist in die Drohserie verwickelt sei. Bisher sei noch gar nicht geklärt, wie der Tatverdächtige an die Daten gekommen sei. Außerdem habe es „erwiesenermaßen rechte Aktivitäten in einem der betroffenen Reviere gegeben“. Dass unbekannte Anrufer sich als Polizisten ausgeben und die Daten einer gesamten Familie aus einem Polizeicomputer abfragen könnten, erscheine ihnen „wenig plausibel“. Die Frauen wollen auch wissen, welche Verbindungen der Verdächtige nach Hessen hat. So gebe es in den E-Mails Bezüge zu Hessen. Schriftlich verschickte Drohbriefe mit ähnlichem Inhalt und Duktus trügen Poststempel aus Frankfurt, Wiesbaden und einigen anderen Städten.“ Beitrag von Hanning Voigts und Pitt v. Bebenburg vom 5. Mai 2021 bei der Frankfurter Rundschau online externer Link
  • NSU 2.0 Kein Einzeltäter! Wir fordern Untersuchungen und Aufklärung!
    Die Föderation der demokratischen Arbeitervereine, DIDF, hält nichts von der „Einzeltäter“-Theorie des sog. NSU 2.0. Ein 53 Jahre alter Mann aus Berlin war festgenommen worden und soll der alleinige Verfasser von mindestens 115 Drohbriefen sein. Die hessische Polizei und der Landes Innenminister Peter Beuth (CDU) erklärten, einzig und allein der Tatverdächtige, dessen rechte Gesinnung den Behörden bereits bekannt sei, sei verantwortlich für diese gewaltvollen Briefe und habe hierbei keinerlei Unterstützung erhalten. Auch eine Beteiligung der Polizei oder von Behörden an den Drohbriefen könne ausgeschlossen werden. So schreibt der Innenminister in seiner Stellungnahme, dass „nie ein hessischer Polizist für die NSU 2.0-Drohmailserie verantwortlich“ gewesen sei, die Gewerkschaft der Polizei fordert sogar eine öffentliche Entschuldigung für die zu Unrecht beschuldigte Polizei. Seit drei Jahren erhielten Anwälte, Politiker und Künstler Drohbriefe an ihre Privatadressen, die größtenteils geheim und lediglich der Polizei und Meldebehörden zugänglich sind.
    Die Adresse der Nebenklageanwältin im NSU Prozess, Seda Başay-Yıldız, die als erste solche Drohbriefe erhielt, war an einem Polizeirechner des 1. Reviers der Frankfurter Polizei aufgerufen worden. Hausdurchsuchungen bei Polizisten führten dazu, dass in 80 Fällen Disziplinarverfahren gegen Polizisten eingeleitet wurden, weil diese sich in Chat-Gruppen rassistisch geäußert hatten. Auch die Privatanschrift von Idil Baydar, einem weiteren Opfer, wurde auf Polizeicomputern aufgerufen, kurz bevor sie einen NSU2.0-Drohbrief bekam. So auch bei Linken-Politikerin Janine Wissler und vielen weiteren.
    Innenminister Beuth betont nach der Festnahme auffällig oft, dass es im Fall des NSU 2.0 nie einen Bezug zur hessischen Polizei gegeben habe. Es scheint, dass sowohl die hessische Polizei als auch Peter Beuth glücklich darüber sind, dass es sich bei dem Tatverdächtigen nicht um einen Polizisten aus Hessen handelt und so versucht wird, jegliche Verantwortung von sich zu weisen.
    Es gehört wohl zum Standard, dass in Fällen von rechter Gewalt stets von einem Einzeltäter gesprochen wird und ein rechtes Netzwerk nicht einmal in Erwägung gezogen werden möchte. Die Attentate in Hanau, Kassel oder Halle sind Beispiele dafür. Unklarheiten und zahlreiche offene Fragen zu den Tätern und der Abläufe werden von Behörden vertuscht oder im Dunkeln gelassen. Die Verstrickung von Polizei und Verfassungsschutz in unklare Mordfälle werden vertuscht und geheim gehalten. Auch wenn Beuth und die hessischen Behörden wohl aufatmen: Solange das Umfeld des Tatverdächtigen ignoriert wird, gibt es keinen Anlass zum Aufatmen, sondern vielmehr zur Beunruhigung. Deshalb fordern wir weiterhin und ohne Wenn und Aber, dass das Umfeld des NSU, mit seinen rechten Netzwerken aufgedeckt werden muss und Polizei und Behörden von externen Gutachtern und Untersuchungsausschüssen durchleuchtet werden müssen
    .“ DIDF Bundesvorstand am 06.05.2021

    • Siehe auch den Thread von Stephan Anpalagan vom 4.5.21 externer Link: „Die Polizei hat die Vorfälle um den sogenannten „NSU 2.0“ aufgeklärt. Zumindest behauptet sie das. Ein Thread über die bisherigen Entwicklungen. Und über die Frage, wie plausibel die Hypothese vom Einzeltäter ist…“
  • „NSU 2.0“: Ermittlungen weiter „gegen Unbekannt“ 
    „Laut Hessens Innenminister ermittelt die Polizei akribisch wegen der anhaltenden Serie von Morddrohungen. Die bisher wichtigste Spur führte nur leider in ihre eigenen Reihen (…) In mindestens drei Fällen waren solche Drohmails mit nicht öffentlich zugänglichen Daten der Betroffenen in auffälliger zeitlicher Nähe zu entsprechenden Abfragen auf hessischen Polizeicomputern verschickt worden. Das Innenministerium betonte allerdings am Donnerstag, dass über diese drei Fälle hinaus bei der hessischen Polizei keine weiteren Datenabfragen in diesem Zusammenhang bekannt geworden seien. Die Ermittlungen richten sich demnach gegen „Unbekannt“ und werden „in alle Richtungen geführt“. (…) Eine Verstrickung von Polizeibeamten könnte zumindest erklären, warum trotz der von Beuth behaupteten Bemühungen seit gut zweieinhalb Jahren kein durchschlagender Ermittlungserfolg erzielt wird. Insgesamt 133 versendete Drohschreiben mit der Signatur „NSU 2.0“ sind der hessischen Polizei nach Angaben des Innenministeriums bekannt. 18 davon gelten als Werk von Trittbrettfahrern. 115 gehen wohl auf denselben Personenkreis zurück, der schon für das erste Schreiben verantwortlich war. Die damals verwendete E-Mail-Adresse war nie veröffentlicht worden. Zuletzt sind am vergangenen Wochenende Drohschreiben bekanntgeworden. Insgesamt hätten bisher 32 Menschen und 60 Institutionen in neun Bundesländern solche Schreiben erhalten, so das Ministerium. Über mehr als 20 der betroffenen Personen sollen der oder die Absender „eine Vielzahl personenbezogener Daten“ gesammelt haben. Sollten alle 115 Schreiben von einer Person verfasst worden sein, dürfte sie zumindest Zuträger haben – denn die besagten drei Datenabfragen erfolgten von verschiedenen Polizeirevieren in Frankfurt und Wiesbaden aus. „Deshalb sprechen wir ja von einem Netzwerk“, sagte der hessische Landtagsabgeordnete Hermann Schaus (Die Linke) am Donnerstag gegenüber Telepolis. Auch seine Fraktionskollegin Janine Wissler gehört zu den Adressatinnen der Drohmails…“ Artikel von Claudia Wangerin vom 19. März 2021 bei Telepolis externer Link
  • Polizist*innen in Hessen nutzen Polizeicomputer für illegale Datenabfragen – Innenminister erklärt Datenschutz zur Privatsache der Betroffenen 
    „Die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız erhält schon wieder eine Morddrohung vom ‚NSU 2.0‘. Weil das Innenministerium die Kosten für Schutzmaßnahmen nicht übernimmt, fühlt sie sich vom Land Hessen im Stich gelassen.“ Das meldet die Frankfurter Rundschau (FR) am 05.03.2021. (…) „Die Anwältin war umgezogen, ihre neue Adresse kann nur schwer abgerufen werden. Trotzdem schickte der „NSU 2.0“ ihr Anfang vergangenen Jahres eine Drohung, die ihre neue Anschrift enthielt. Deshalb hat die Juristin Schutzmaßnahmen umgesetzt, die das hessische Landeskriminalamt ihr 2019 empfohlen hatte. Die Rechnung… hat sie…ans hessische Innenministerium geschickt – mit dem Hinweis, dass sie einen Amtshaftungsanspruch habe, weil ihre Probleme durch Beamte ausgelöst worden seien. Mitte Februar erhielt sie im Namen des hessischen Innenministeriums eine Antwort… Darin hieß es, Basay-Yildiz habe keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten. Es gebe keine Hinweise dafür, dass die illegale Datenabfrage ‚in Ausübung eines öffentlichen Amtes‘ erfolgt und einer ‚hoheitlichen Tätigkeit‘ zuzurechnen sei. Die Rechtsanwältin ist von dieser Argumentation empört… Die Abfrage sei von Beamt:innen in der Dienstzeit am Dienstcomputer vorgenommen worden, trotzdem werde ihre Lage wie ein Privatproblem behandelt.“ Zum Ausmaß der illegalen Datenabfragen bei der Polizei in Hessen erklärt Minister Beuth gegenüber der FR, „es seien inzwischen 107 Drohmails verfasst worden. Der eingesetzte Sonderermittler und sein Team arbeiteten auf Hochtouren, doch ihnen sei es bisher nicht gelungen, den oder die Absender:in zu stellen.“ Für mittlerweile zwei Jahre Ermittlungstätigkeit ein mehr als mageres Ergebnis. (…) Ist Hessens Innen- und Verfassungsminister Peter Beuth (CDU) das Grundgesetz egal? Angesicht der hier kurz dargestellten Problematik ist diese Frage berechtigt. Denn in Art. 34 Grundgesetz ist unmissverständlich festgestellt: „Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.“.(…) Darauf hat Netzpolitik.org in einem umfangreichen und gut dokumentierten Beitrag am 27.07.2020 hingewiesen. Zu Recht wurde in diesem Beitrag auch auf ein weiteres großes Problem hingewiesen: (…) Polizist:innen haben im Rahmen ihrer Arbeit Zugriff auf eine große Menge personenbezogener Daten. Die Antwort auf eine parlamentarische Anfrage zeigte für die Berliner Polizei unlängst, dass diese insgesamt mehr als 130 unterschiedliche Datenbanken nutzt. Die Polizei möchte sich meist jedoch nicht in die Karten schauen lassen, wie genau die Datenbanken gepflegt und genutzt werden: Auf eine Presseanfrage nach Zugriffskonzepten antwortete die Polizei nicht.“…“ Beitrag von und bei ‚dieDatenschützer Rhein Main‘ vom 9. März 2021 externer Link
  • „Meine Familie ist zum Abschuss freigegeben“: Die Anwältin Basay-Yildiz hat wieder eine „NSU-2.0“-Morddrohung erhalten und kritisiert Hessens Innenminister scharf 
    „Im Juli wird Seda Basay-Yildiz von der Stadt Wiesbaden mit dem Ludwig-Beck-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet. Sie habe „in herausragender Art und Weise Zivilcourage“ im Umgang mit rechtsextremen Bedrohungen bewiesen, hieß es vor ein paar Tagen von der hessischen Landeshauptstadt als Begründung. Kurz darauf erhielt Basay-Yildiz wieder ein Drohschreiben. Wieder unterschrieben mit „NSU 2.0“, wieder mit Morddrohungen. Mehr als ein Dutzend dieser Schreiben hat sie mittlerweile erhalten. (…) Sie sorge sich vor allem um die Sicherheit ihrer Familie, sagt die Anwältin. „Wie weit geht der noch?“ Die Morde von Hanau hätten gezeigt, was für Leute Waffen besäßen. Vor einer Weile zog Basay-Yildiz um. Die neue Adresse ist nicht aus den Datenbanken abrufbar. Der Drohschreiber nennt die Adresse seit Anfang des vergangenen Jahres trotzdem. An dem neuen Wohnsitz führte das LKA Anfang des vergangenen Jahres eine Begehung mit anschließender Beratung zu Sicherungsmaßnahmen durch. In dem „Beratungsbericht“ vom Januar 2019 heißt es, die Anwältin sei aufgrund der aktuellen Bewertung der Gefährdungslage durch das LKA als „gefährdet, mit flankierenden Schutzmaßnahmen“ eingestuft, eine Vielzahl von „sicherungstechnischen Empfehlungen“ wird aufgelistet. Einen Teil der Empfehlungen setzte Basay-Yildiz um. Die Rechnung in Höhe von 5083,93 Euro schickte ihre Anwältin Mitte Dezember an den hessischen Innenminister. In dem Schreiben heißt es, Basay-Yildiz werde durch das LKA als gefährdet eingestuft, aus dem rechtswidrigen Datenabruf von einem Polizeicomputer, dem das erste Drohschreiben gefolgt sei, ergebe sich ein „amtshaftungsrechtlicher Anspruch“ ihrer Mandantin auf eine Erstattung der Kosten für Schutzmaßnahmen, die ihr überdies das LKA empfohlen habe. Mitte Februar antwortete der Landespolizeipräsident Hessens, Roland Ullmann: Das Innenministerium „bedauert zutiefst“, dass sich Basay-Yildiz und ihre Familienangehörigen „nach wie vor aufgrund der an sie adressierten Drohschreiben bedroht fühlen“ und dass aufgrund der Schutzvorkehrungen ein Kostenaufwand entstanden sei. Doch bestehe „kein Anspruch (. . .) auf Ersatz dieser Kosten gegenüber dem Land Hessen“. Die Voraussetzungen für einen Amtshaftungsanspruch seien nicht erfüllt. Es lägen „insbesondere keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die (. . .) rechtswidrige Datenabfrage ,in Ausübung eines öffentlichen Amtes‘ erfolgte und dass insofern die eigentliche Zielsetzung, in der deren Sinn die Abfrage erfolgte, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist“. Diese Formulierung mache sie wütend, sagt Basay-Yildiz. „Meine Familie ist zum Abschuss freigegeben, und der hessische Innenminister will keine Verantwortung übernehmen.“ Der Fall sei „kein Privatproblem“, die Abfrage sei durch hessische Beamte während der Dienstzeit von einem Dienstcomputer erfolgt. Sie habe nur das getan, was das LKA ihr empfohlen habe. Die Rechtsauffassung des Innenministers sei rechtswidrig und untergrabe das Vertrauen in den Rechtsstaat…“ Artikel von Julian Staib vom 5. März 2021 in der FAZ online externer Link, siehe auch unser Dossier: [„NSU 2.0“] Ermittlungen wegen Neonazi-Skandal in Frankfurt: Polizisten verschickten Hitler-Bilder
  • Solidaritätserklärung mit Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız: Die Bedrohungen gegen unsere Kolleg:innen müssen endlich aufhören – Anwält:innen-Organisationen fordern effektive Ermittlungen im Komplex ›NSU 2.0‹
    Seit mehr als zweieinhalb Jahren erhält unsere Frankfurter Kollegin, Frau Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız, von unbekannten Täter:innen immer wieder Schreiben, in denen sie und ihre Familie beleidigt und mit dem Tode bedroht werden. Die Kollegin, die dieses Jahr den Ludwig-Beck-Preis für Zivilcourage der Stadt Wiesbaden erhalten wird, ist aufgrund ihres öffentlichkeitswirksamen Auftretens als Nebenklagevertreterin im NSU-Verfahren und als Strafverteidigerin in den Fokus der anonymen Täter:innen geraten. Die persönlichen Daten der Familie, die in den Drohschreiben enthalten waren, kamen aus einem Revier der hessischen Polizei. Trotz daraufhin erfolgter Adresssperrungen erreichen unsere Kollegin immer wieder neue Drohschreiben. Wir gehen davon aus, dass die Täter:innen in den Reihen der hessischen Polizei zu finden sind. Die Drohschreiben sind mit ›NSU 2.0‹ unterschrieben, womit sich die Verfasser:innen ausdrücklich auf die mörderische Form des Rechtsterrorismus beziehen. Unsere Kollegin Başay-Yıldız ist nicht die Einzige, die solche Drohschreiben erhalten hat. Auch andere Kolleg:innen, Journalist:innen, Politiker:innen, Künstler:innen und Aktivist:innen erhalten mit dem Kürzel ›NSU 2.0‹ unterzeichnete Drohschreiben. Diese Bedrohungen betreffen vorwiegend Frauen, die sich im Rahmen ihrer Arbeit und öffentlich gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Sexismus engagieren und äußern. Die hessischen Strafverfolgungsbehörden haben bisher keine Ermittlungserfolge öffentlich gemacht. Entweder sind die Ermittlungen über Jahre erfolglos oder Erkenntnisse wurden zwar gewonnen, werden aber geheim gehalten – möglicherweise, um das Ansehen der Polizei zu schützen. (…) »Die Angriffe gegen unsere Kollegin Başay-Yıldız sind zugleich ein Angriff auf die gesamte Anwaltschaft. Angriffe gegen Kolleg:innen, die engagiert ihren Beruf ausüben, sind nicht hinnehmbar. Wir stehen hinter unserer Kollegin und erklären uns mit ihr solidarisch«, erklärt Rechtsanwalt Dr. Peer Stolle, Vorstandsvorsitzender des Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV). »Die erfolglosen Ermittlungen im Komplex ›NSU 2.0‹ zeigen, dass wir bei Strafverfahren, in denen Polizeibeamt:innen beschuldigt werden, unabhängige Untersuchungsstellen brauchen, die effektiv ermitteln können. Solange die Polizeibehörden, aus deren Reihen Verdächtige kommen, gegen ihre unmittelbaren Kolleg:innen ermitteln, wird es keine Ermittlungserfolge geben«, erklärt Rechtsanwalt Dr. Andreas Engelmann, Bundessekretär der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. (VDJ). Derartige Untersuchungsstellen werden im Zusammenhang mit polizeilichem Fehlverhalten und Straftaten schon seit Jahren von verschiedenen Organisationen gefordert…“ Gemeinsame Pressemitteilung vom 25.2.21 von (und bei) RAV, VDJ und Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen externer Link
  • „NSU 2.0“ droht wieder: Walter-Lübcke-Schule erhielt kurz nach Urteil im Prozess um Ermordung des Namensgebers Bombendrohung. Frage nach Netzwerken rund um den oder die Täter bleibt aktuell 
    „Bereits einen Tag nach der Urteilsverkündung im Prozess um den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ist bei der nach ihm benannten Schule in Wolfhagen eine Bombendrohung eingegangen. Dies berichtete erst am Montagnachmittag der Hessische Rundfunk, nachdem die Drohmail am Freitag erst mit Verspätung entdeckt worden sei. Die Polizei nimmt demnach die Drohung ernst, hält sich aber aus ermittlungstaktischen Gründen bedeckt. Nach Informationen des Senders wird in dem Schreiben auf den „NSU 2.0“ verwiesen. Mit dieser Signatur waren bereits ab der zweiten Jahreshälfte 2018 Anwältinnen und Anwälte der Nebenklage aus dem Münchner NSU-Prozess sowie Politikerinnen und Journalisten bedroht worden, nachdem persönliche Daten von Betroffenen über Polizeicomputer abgefragt worden waren. Im Sommer 2020 waren ein bayerischer Ex-Polizist und dessen Ehefrau als Verdächtige festgenommen worden, es schien sich jedoch um Trittbrettfahrer zu handeln. Die Absender eines Großteils der Drohmails mit dem Kürzel „NSU 2.0“ gelten nach wie vor als unbekannt. Ebenfalls nicht aufgeklärt sind mögliche Verbindungen von Stephan Ernst, der am Donnerstag wegen Mordes an Walter Lübcke vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, zum originalen „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU), dem bisher bundesweit zehn Morde in den Jahren 2000 bis 2007 zugeordnet werden. Das Oberlandesgericht München hat im Juli 2018 Beate Zschäpe als Vollmitglied der rechtsterroristischen Vereinigung NSU und Mittäterin in allen zehn Mordfällen verurteilt – vier Mitangeklagte jedoch nur als Unterstützer. (…) Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) kritisierte nach dem Urteilsspruch, dass im Verfahren „die politischen Hintergründe, die mit dem Mord verbunden neofaschistischen Netzwerke in Nordhessen und darüber hinaus sowie die Eingebundenheit des Täters in AfD bis ‚Sturm 18‘ systematisch ausgeblendet“ worden seien. Die Föderation Demokratischer Arbeitervereine e.V. (DIDF), in der vor allem türkisch- und kurdischstämmige Werktätige in Deutschland organisiert sind, bezeichnete den weitgehenden Freispruch von Markus H. am Donnerstag als „nicht hinnehmbar“. Ebenso wie die Familie Lübcke glaubt DIDF am ehesten die letzte von insgesamt drei Versionen, die Stephan Ernst von der Tat erzählt hat: Demnach hatte es sich bei dem Mord, den seine Verteidiger nur als Totschlag verstanden wissen wollten, um eine Gemeinschaftstat gehandelt. Sowohl er selbst als auch H. hätten sich in den Hass auf den CDU-Politiker hineingesteigert, nachdem dieser bei einer Bürgerversammlung mit deutlichen Worten die Aufnahme von Flüchtlingen verteidigt hatte…“ Beitrag von Claudia Wangerin vom 2. Februar 2021 bei Telepolis externer Link

  • [Rechte Drohmails] „NSU 2.0“: Bedrohte Frauen erheben schwere Vorwürfe gegen Polizei Frankfurt und Innenminister Beuth
    Idil Baydar, Seda Basay-Yildiz und Janine Wissler werden vom „NSU 2.0“ bedroht. Im Interview werfen sie der Polizei und ihrem Chef Peter Beuth Versagen vor. Im August 2018 erhält die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Seda Başay-Yıldız Morddrohung per Fax – von einem Absender mit dem Titel „NSU 2.0“. Auch die Kabarettistin Idil Baydar und Janine Wissler (Die Linke) werden von Unbekannten aus dem rechten Spektrum bedroht. Im Interview äußern sich die drei Betroffenen u.a. zu den Versäumnissen der Polizei Hessen und dem irritierenden Gebaren von Innenminister Peter Beuth (CDU). (…) [Die rechtsextremen Drohungen von „NSU 2.0“ gegen Sie halten jetzt seit zwei Jahren und vier Monaten an. Ein Täter wurde nicht gefasst. Haben Sie noch Hoffnung, dass der oder die Täter gefasst werden?] Seda Başay-Yıldız: Immer weniger. Ich glaube, es ist einfach zu viel Zeit vergangen. Die Anfangsphase war die wichtigste, als noch das Polizeipräsidium Frankfurt ermittelt hat. Je länger das dauert, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das aufgeklärt wird. [Gehen die Bedrohungen weiter?] Janine Wissler: Es dauert an, aber man muss nicht jede Drohmail öffentlich machen. (…) ]Das heißt, aus Ihrer Sicht ist nicht gründlich ermittelt worden?] Başay-Yıldız: Im Polizeipräsidium Frankfurt auf gar keinen Fall. Die Chatgruppe wurde aufgedeckt, aber hinsichtlich des Bedrohungssachverhaltes ist bei mir der Eindruck entstanden, dass nicht alles getan wurde. Ich kann mir das nur so erklären, dass das kleingehalten werden sollte, weil die Verdächtigen Beamte sind. Jeder andere Verdächtige wäre anders behandelt worden. Es war schon falsch, dass die Ermittlungen überhaupt in Frankfurt geführt wurden. Frankfurter Polizei ermittelt gegen Frankfurter Polizei! (…) [Ihre Daten wurden vor den Bedrohungen von Polizeicomputern abgefragt. Halten Sie es für möglich, dass sich nicht herausfinden lässt, wer das getan hat?] Idil Baydar: Lassen Sie es mich ganz direkt auf den Punkt bringen: Die Polizei wurde erwischt. Es ist für mich kein Fall, bei dem schlampig gearbeitet wurde. Das wurde ganz klar unter den Tisch gekehrt. In meinem Fall hatten sie mehr als ein Jahr Zeit, mir Bescheid zu sagen und sich in irgendeiner Weise darum zu kümmern, und das haben sie nicht getan. Man kann versuchen, das zu erklären. Wer soll gegen die Polizei ermitteln? Die Polizei. Da stoßen wir auf wissenschaftliche Ergebnisse, die wir über Cop Culture haben, die wir über Verhalten innerhalb des Polizeiapparates haben. Ich sehe darin keinen Zufall, ich sehe darin auch kein Versehen. Ich sehe darin ganz klare Absicht. (…) Başay-Yıldız: Mich hat sehr verärgert, was der Sonderermittler, den der Innenminister Beuth in diesem Sommer eingesetzt hat, jetzt gebracht hat. Er lässt jetzt, zwei Jahre und drei Monate nach dem ersten Fax, meine früheren Nachbarn befragen und stellt lauter Fragen, die ich auch beantworten könnte. Ich will gerne bei der Ermittlungsarbeit helfen, aber so lasse ich mich nicht behandeln. (…) Wissler: Ich bekam vor kurzem eine Drohmail, nicht von „NSU 2.0“, sondern eine andere, und wollte Anzeige erstatten. Das LKA hat mir dann erst gesagt, ich sollte eine Online-Anzeige stellen bei der Frankfurter Polizei. Soll ich jetzt in ein Online-Formular der Frankfurter Polizei meine Adresse eingeben, die gerade erst in allen Registern gesperrt wurde, weil sie von einem Polizeicomputer abgerufen wurde? Wo landet meine Adresse, wenn ich sie dort eingebe? Beim 1. Revier, wo Sedas Daten abgerufen wurden? Aber ich muss mich an die Polizei wenden, um Anzeige zu erstatten. Im Konkreten ließ sich das dann lösen, aber es macht das Problem deutlich. (…) Baydar: Nicht nur in Hessen. NRW hat das Problem, Berlin hat das Problem. Es ist unfassbar, und es hört einfach nicht auf. Dabei habe ich immer noch nicht das Gefühl, dass die Polizei will, dass das rauskommt. Es ist eine Zeit, in der wir uns alle auf das Grundgesetz besinnen müssten und schauen, ob alle Institutionen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen oder ob rassistische Einstellungen bestimmte Dinge verhindern…“ Interview von Pitt v. BebenburgvonPitt v. Bebenburg vom 03.12.2020 in der FR online externer Link mit einer anschließenden Chronologie des „NSU 2.0“
  • Unberechtigte Datenabfragen [auch!] bei Bundespolizei und BKA 
    „Unberechtigte Datenabfragen kommen nicht nur bei Landespolizeibehörden vor. Auch bei Bundespolizei und BKA fragten Beamte in den letzten Jahren ohne dienstlichen Grund Informationen ab. (…) Eine vermeintliche Gefälligkeit für den Nachbarn, persönliche Neugier oder Ausforschung politischer Gegner: Wenn Polizeibeamte ihren Zugriff auf Datenbanken missbrauchen, um Informationen über Personen abzufragen, kann das viele Hintergründe haben. Vor allem durch die Drohschreiben des sogenannten NSU 2.0 wurde das Problem der unberechtigten Datenabfragen breit diskutiert. Denn den Einschüchterungsversuchen sollen in mehreren Fällen Abfragen auf Polizeicomputern vorausgegangen sein, etwa in Hessen, Berlin und Hamburg. Insgesamt sollen bundesweit in etwa 400 Fällen Verfahren gegen Beamte wegen missbräuchlicher Datenabfragen eingeleitet worden sein. Dass Polizeibeamte Daten ohne dienstlichen Grund einsehen, kommt nicht nur bei den Landespolizeien vor. Auch bei den polizeilichen Behörden des Bundes gibt es Fälle. Das antwortete das Bundesinnenministerium auf eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke. Bei der Bundespolizei seien von 2017 bis zum ersten Halbjahr 2020 insgesamt 31 Fälle mit unberechtigten Datenabfragen aufgefallen. Hier sollen „private Interessen“, „Neugier“ und „Abfrage von Angehörigen“ zu den häufigsten ermittelten Gründen gezählt haben. Ob hinter privaten Interessen oder „Gefallen für Bekannte“ auch politische Motivationen stecken könnten, gibt das Innenministerium nicht an. (…) Ob es auch bei den bundesdeutschen Geheimdiensten ein Problem mit fragwürdigen Auskunftswünschen gibt, beantwortet die Bundesregierung nicht öffentlich. Bei Nachfragen zu Bundesverfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Militärischem Abschirmdienst verweist sie auf die Geheimhaltung zugunsten des Staatswohls. (…) Wie und von wem die Abfragen bei den Bundessicherheitsbehörden kontrolliert werden, ist nicht einheitlich. Beim BKA erfolgt bei mittlerweile durchschnittlich jedem tausendsten Datenabruf eine Überprüfung. Dann muss der Abfragende den Grund für die Auskunft angeben. „Dieser wird vom behördlichen Datenschutzbeauftragten und seinen Mitarbeitern auf Plausibilität geprüft“, heißt es in der Antwort. Versucht ein Beamter die Überprüfung zu schließen oder zu ignorieren, wird das an den Datenschutzbeauftragten gemeldet. Jelpke hält diese Frequenz für „viel zu wenig“. Im Vergleich zu manchen Bundesländern ist jede tausendste Abfrage relativ selten. In Hessen müssen die Beamten bei jeder zweihundertsten Auskunft mit einer Prüfung rechnen, in Rheinland-Pfalz bei jeder fünfzigsten. (…) Für Jelpke steht fest, dass Behörden mit umfangreichen Datensammlungen diese Daten so gut wie möglich vor unbefugtem Zugriff zu schützen haben. „Das wird von den Bundessicherheitsbehörden in beinahe sträflicher Manier vernachlässigt. Gerade angesichts der rechtsextremen Netzwerke in der Polizei muss der Datenschutz schleunigst massiv verbessert werden“, fordert sie.“ Beitrag von Anna Biselli vom 5. Oktober 2020 bei Netzpolitik.org externer Link
  • „NSU 2.0“-Drohschreiben: Warum ermittelt der Generalbundesanwalt nicht? 
    Seit zwei Jahren tauchen bundesweit immer wieder Schreiben mit Morddrohungen gegen Personen des öffentlichen Lebens auf – unterzeichnet mit: „NSU 2.0“. Der Generalbundesanwalt will in den Fällen jedoch nicht ermitteln. (…) Inzwischen ist bekannt, dass nicht nur in Frankfurt, sondern auch in anderen Polizeidienststellen sensible Daten unberechtigt abgefragt wurden. Nach Angaben der Frankfurter Staatsanwaltschaft, bei der die Ermittlungen zu „NSU 2.0“ zusammenlaufen, wurden 25 Ermittlungsverfahren gegen 50 Personen eingeleitet. Zum Teil handelt es sich dabei um Polizisten. Der Fall beschäftigt inzwischen die hessische Landespolitik. Der Landespolizeipräsident verlor seinen Posten, CDU-Innenminister Peter Beuth steht in der Kritik. Er schließt ein rechtsextremes Netzwerk in den Polizeibehörden nicht mehr aus. Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner fürchtet dennoch, dass die Ermittlungsbehörden die Sache im Fall „NSU 2.0“ nicht ernst genug nehmen. (…) Die Frankfurter Staatsanwaltschaft hat den Fall dem Generalbundesanwalt zur Prüfung vorgelegt, das bestätigt sie auf Anfrage. Eine Nachfrage bei der Bundesanwaltschaft ergibt: Sie sieht sich derzeit nicht zuständig und überlässt die Ermittlungen weiter den Landesbehörden. Sie teilt aber mit, sie stehe in engem Kontakt, um auf etwaige neue Ermittlungsergebnisse zeitnah reagieren zu können. Die Bildung einer terroristischen Vereinigung sieht der Generalbundesanwalt also derzeit offenbar nicht – auch wenn das Kürzel „NSU 2.0“ sich konkret auf eine Terrorgruppe bezieht…“ Beitrag von Ina Krauß, BR, vom 26.09.2020 bei tagesschau.de externer Link
  • [Wiesbaden] Attacken auf linkes Café: Rechtsradikale wollen Aktivisten mit Drohbriefen einschüchtern / taz-Recherche zu Drohmails: Wer steckt hinter „NSU 2.0“? 
    • [Wiesbaden] Attacken auf linkes Café: Rechtsradikale wollen Aktivisten mit Drohbriefen einschüchtern
      Die Serie von Drohbriefen aus der rechten Szene gegen linke Einrichtungen im Rhein-Main-Gebiet reißt nicht ab. Das Wiesbadener Bündnis gegen Rechts externer Link machte dieser Tage auf einen aktuellen und »besonders widerwärtigen Versuch der Einschüchterung« aufmerksam. Empfänger eines kürzlich zugestellten anonymen Schreibens aus der extremen Rechten waren erneut der links-alternative Stadtteil- und Szenetreff Café Klatsch in Wiesbaden sowie ein weiteres kulturpolitisches Zentrum. Eine Bündnis-Aktivistin beschreibt gegenüber »nd« den Brief als »besonders ekelerregend«. Neue Qualität sei nunmehr, dass die darin enthaltenen handfesten Androhungen von Mordanschlägen durch offensichtliche Hitlerfans nicht nur auf einzelne Einrichtungen abzielten, sondern auch gegen eine breite Zivilgesellschaft gerichtet seien. So benennen die Verfasser als ihre erklärten Feinde ausdrücklich die Umweltbewegung Fridays for Future, Migranten, Aktivisten der Flüchtlingshilfe aus Kirchengemeinden, die Solidaritätskampagne für die US-amerikanische Black-Lives-Matter-Bewegung sowie letztlich alle linken Organisationen. »Erneut wird damit ein solidarisches Miteinander und mitmenschliches Zusammenleben direkt angegriffen«, so die Aktivistin. »Sie beziehen sich auf Anschläge, die vor Kurzem verübt wurden, und werfen ein düsteres Bild auf Vernetzung, Brutalität und Gewaltfantasien der Rechten in Deutschland«, so ihr Resümee. Dahinter stehen keine »verwirrten Einzeltäter«, sondern rechte Strukturen und Aktivisten. So stehe dieser Brief in der Tradition des Angriffs auf die Synagoge in Halle und der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) 2019 sowie des Hanauer Anschlags im Februar, bei dem zehn Menschen getötet wurden. Die »eigentlich erschreckende Erkenntnis« ist aus Sicht des Bündnisses jedoch, dass eine »zutiefst rechte Gesinnung« auch bei Angehörigen von Polizei und Militär zu finden sei. Dies ist eine Anspielung auf eine Serie von Drohschreiben an Personen des öffentlichen Lebens…“ Artikel von Hans-Gerd Öfinger vom 07.09.2020 im ND online externer Link, siehe dazu die Pressemitteilung des Wiesbadener Bündnis gegen Rechts externer Link
    • taz-Recherche zu Drohmails: Wer steckt hinter „NSU 2.0“?
      „Seit Jahren bekommen Menschen, die sich gegen rechts stellen, Morddrohungen vom „NSU 2.0“. Wer verschickt sie? Die Spur führt vor die Haustür eines Polizisten. (…) Wer steckt hinter „NSU 2.0“? Wie werden die Empfänger*innen der Drohschreiben ausgewählt? Und ermittelt die Polizei in dem Fall, in dem eigene Kolleg*innen unter Verdacht stehen, gut genug? Uns liegen mehr als ein Dutzend der Drohschreiben vor. Wir werten Unterlagen aus, recherchieren in sozialen Netzwerken und Darknet-Foren. Wir sprechen mit Empfänger*innen der Drohungen, mit Ermittler*innen. Und irgendwann stehen wir vor einem Haus in Frankfurt, in dem ein Polizist wohnt, und betätigen die Klingel, an der sein eigener Name nicht steht. Über diesen Polizisten hat die Öffentlichkeit bislang so gut wie nichts erfahren. Wir sind bereits Anfang 2019 auf ihn gestoßen, bei einer Recherche über zwei andere mutmaßlich rechtsextreme Polizisten im hessischen Kirtorf. Aber die Hinweise waren vage, seine mutmaßliche Rolle war noch unklar. Als der „NSU 2.0“-Skandal sich ausweitet, schauen wir genauer auf die Puzzleteile, finden seinen Namen heraus, Details über seine Person, seine Facebook-Seite. Und dann bekommen wir die Bestätigung: Er ist der Hauptverdächtige, gegen den bis heute im Fall „NSU 2.0“ ermittelt wird. Er heißt Johannes S. (…) 18 von 40 Inhalten, die als strafrechtlich relevant eingestuft werden, sollen laut Spiegel von ihm stammen. Als er in Verdacht gerät, hinter den „NSU 2.0“-Drohungen zu stecken, überwachen die Ermittler*innen seine Kommunikation, Telefon und Internet, durchsuchen im Juni 2019 seine Wohnung in Frankfurt und das Haus in Kirtorf, einem abgelegenen Städtchen im mittelhessischen Vogelsbergkreis, das er, so sagen Anwohner*innen, von seinem Vater geerbt habe. Schon im Herbst 2018 hatte die Polizei das Haus durchsucht. Bei der Durchsuchung im Juni 2019 nehmen sie den Polizisten vorläufig fest. Für mehr reicht es offenbar nicht. (…) Er darf derzeit seine Dienstgeschäfte nicht ausüben, heißt es, ist aber nicht suspendiert, bekommt weiter sein volles Gehalt. Gegenüber den Ermittlern schweigt er zu den Vorwürfen. Und auch von den Kolleg*innen sagt offenbar niemand gegen ihn aus…“ Artikel von Sebastian Erb, Christina Schmidt, Dinah Riese, Konrad Litschko und Luisa Kuhn vom 5. September 2020 in der taz online externer Link
  • Die hessische Drohkampagne mit Hilfe von Polizei-Daten: Öffentliche Untersuchung statt polizeilicher (Selbst)Ermittler
  • „NSU 2.0“: Affäre um rechtsextreme Drohmails weitet sich aus – Neue Spuren weisen zur Polizei 
    „Nicht nur in hessischen Dienststellen soll es grundlose Abfragen nach Daten der Opfer gegeben haben, sondern auch in Hamburg und Berlin. Seit zwei Jahren kommen diese Drohungen, seit zwei Jahren erhalten Frauen wie die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız, die Künstlerin İdil Baydar oder die hessische Linkenpolitikerin Janine Wissler anonyme Schreiben, in denen ihnen im Namen von „NSU 2.0“ extreme Gewalt angedroht wird. Immer wieder weisen Spuren in Richtung der hessischen Polizei. Denn immer wieder enthalten die Schreiben vertrauliche Daten, die kurz zuvor an Polizeicomputern in Hessen abgerufen worden sind – so im 1. Polizeirevier in Frankfurt am Main und zuletzt im 4. Polizeirevier in Wiesbaden. Offenbar hat es solche verdächtigen Datenabfragen aber noch in mehr Bundesländern gegeben als bislang bekannt. Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung und des WDR laufen interne Ermittlungen der Polizei nun auch in Hamburg und Berlin. So sollen am 5. März 2019 persönliche Daten der Künstlerin İdil Baydar an einem Berliner Polizeicomputer abgefragt worden sein, ohne dass ein dienstlicher Grund erkennbar ist. Kurz darauf erhielt die Künstlerin, die in Frankfurt und Berlin lebt, Drohschreiben mit dem Absender „NSU 2.0“. Am selben Tag hatte es – was bereits bekannt war – eine solche Abfrage auch an einem Polizeicomputer in Wiesbaden gegeben. In Hamburg wiederum haben Ermittler festgestellt, dass die Daten von Hengameh Yaghoobifarah im Polizeisystem abgerufen worden sind. Yaghoobifarah schreibt Kolumnen für die taz. In einer Kolumne im Juni 2020 gab es den Vorschlag, Polizisten auf die „Mülldeponie“ zu verbannen. Daraufhin hatten Polizeigewerkschaften und Innenpolitiker scharf protestiert. Im Juli tauchte der Name Hengameh Yaghoobifarah erstmals in einem von „NSU 2.0″ gezeichneten Drohschreiben auf…“ Artikel von Florian Flade und Ronen Steinke vom 26. August 2020 in der Süddeutschen Zeitung online externer Link
  • Solidarität mit Gökay Akbulut und allen Betroffenen des NSU 2.0 
    „„In der Nacht zum 22. Juli haben verschiedene Personen des öffentlichen Lebens Morddrohungen per E-Mail erhalten, die mit der Absenderunterschrift „NSU 2.0“ unterzeichnet wurde. Auch die Mannheimer Bundestagsabgeordnete der LINKEN Gökay Akbulut hat eine solche Morddrohung erhalten. Wir sind entsetzt, aber nicht überrascht. Wir sind nicht überrascht, weil solche Mails seit zwei Jahren verschickt werden, und überwiegend engagierte, mutige Frauen Ziel dieser Angriffe sind. Wir sind sprachlos über die Ignoranz mit der die Sicherheitsbehörden dieser Aggression von rechts begegnen. Wir fordern die lückenlose Aufklärung dieser Reihe von Drohmails. Wir stehen solidarisch an der Seite von Gökay und lassen uns nicht von derartigen Hassmails einschüchtern! Wir halten an unserem politischen Kurs für eine solidarische Gesellschaft, gegen rechte Hetze und gegen Rassismus fest! Gemeinsam sind wir stark!Solidaritätserklärung von DIDF- Mannheim, Kreisvereinigungen Mannheim und Heidelberg der VVN-BdA u.v.a.m.
  • Abfragen von Datenbanken durch Polizeibeamte – Illegale Abfrage von Polizeidatenbanken … über die Tragweite des Problems 
    Dieser zweite Teil des Artikels zu Abfragen von Datenbanken durch Polizeibeamte beschreibt die Tragweite des Problems und stellt eine Modellrechnung auf über die (Mindest-)Zahl solcher Abfragen pro Tag. Er befasst sich ferner mit der technischen Ausstattung, die Polizeibeamten am Arbeitsplatz und mobil für Datenabfragen zur Verfügung steht, mit den verschiedenen Varianten der Zugangskontrolle, von denen keine „hundertprozentigen“ Schutz gegen illegale Nutzung polizeilicher Datenbanken gewährleistet und erklärt, was die Pflicht zur Eingabe eines Zwecks für die Abfrage eigentlich bezweckt und wie in der Praxis damit umgegangen wird. (…) Fazit: Das Problem des Datendiebstahls aus polizeilichen Datenbanken ist evident. Sowohl die Datenschutzaufsichtsbehörden als auch – vereinzelt – parlamentarische Initiativen versuchten in den letzten Jahren, für mehr Sicherheit für die Betroffenen im Umgang mit deren persönlichen Daten zu sorgen. Komplett verhindern lässt sich der Diebstahl von personenbezogenen Informationen aus polizeilichen Datenbanken allerdings nicht! Wer es darauf anlegt, wird immer Mittel und Wege finden, solche Informationen illegal auszuforschen und für seine eigenen Zwecke oder zur Weitergabe an interessierte Dritte zu nutzen. Zumal es ein Polizeibeamter gar nicht besonders raffiniert anstellen muss: Wer es darauf anlegt, kann die Zugangskontrolle zu Datenbanken der Polizei überwinden; teilweise erleichtert eine nachlässige technische Absicherung solche Informations-Piraterie. Die Pflichtangabe eines Zwecks der Abfrage steht auf geduldigem Papier: In der Praxis gibt es Belege dafür, dass banale Schlagworte, wie ‚Strafverfolgung‘ oder ‚Vorgangsbearbeitung‘ bereits ausreichen, um der vermeintlichen Formalie Genüge zu tun.“…“ Beitrag vom 31. Juli 2020 von Annette Brückner im police-it.net externer Link – Blog über Polizei und ihre Informationssysteme. Es ist der 2. Teil, siehe Teil 1 externer Link: Abfrage von Datenbanken durch Polizeibeamte -1: Besondere Rechte und Pflichten der Polizeibeamten bei der Abfrage von Polizeidatenbanken und Datenbanken anderer Behörden
  • „NSU 2.0“: Bedrohte vermissen Ernsthaftigkeit bei Ermittlungen / [Seit 2018 mehr als 400 Fälle] Polizisten nutzen Dienstcomputer oft für private Abfragen von Bürgern 
    • „NSU 2.0“: Bedrohte vermissen Ernsthaftigkeit bei Ermittlungen
      „Die Linken-Politikerin Mohamed Ali und der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Mazyek, haben wie viele andere „NSU 2.0″-Drohmails erhalten. Sie warnen davor, die Drohungen zu unterschätzen und verlangen intensive Ermittlungen. Die Fraktionschefin der Linken im Bundestag, Amira Mohamed Ali, dringt auf Ermittlungen der Bundesanwaltschaft zu den „NSU 2.0“-Drohmails. Mohamed Ali sagte dem Deutschlandfunk in einem am Sonntag gesendeten Interview, in der Vergangenheit seien an vielen Stellen Drohungen auch Taten gefolgt. Die Linken-Politikern zählt zu den Empfängerinnen und Empfängern der Mails und sprach von einer „bedrohlichen Situation“. Aus Sicht des Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, sind die rechtsextremistischen Drohmails unbedingt ernst zu nehmen. „Wenn einer solch einen Mordaufruf gegen Menschen und ihre Familien ausspricht, dann ist er auch potenziell in der Lage, solche Terroranschläge zu vollziehen“, sagte Mazyek, der nach eigenen Angaben bereits drei solche Schreiben erhalten halt, dem Internetportal „t-online“. Angesichts dessen vermisse er auch bei den polizeilichen Ermittlungen immer noch eine entsprechende „Ernsthaftigkeit“. Vor wenigen Tagen hatte der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) im Innenausschuss des Landtags von bislang 69 Drohschreiben mit dem Absender „NSU 2.0“ an 27 Personen und Institutionen in acht Bundesländern berichtet. In mehreren Fällen wurden Daten der Bedrohten über hessische Polizeicomputer abgefragt…“ Meldung vom 27. Juli 2020 von und bei MiGAZIN externer Link
    • [Seit 2018 mehr als 400 Fälle] Polizisten nutzen Dienstcomputer oft für private Abfragen von Bürgern
      „… Das ergab eine Abfrage bei allen Bundesländern. (…) Bundesweit sind seit 2018 mehr als 400 Ordnungswidrigkeits-, Straf- oder Disziplinarverfahren infolge unberechtigter Datenabfragen durch Polizeibeamte eingeleitet worden. Das ergab eine Umfrage von WELT AM SONNTAG bei den Innenministerien und Datenschutzbeauftragten der 16 Bundesländer und des Bundes. Aus Sachsen-Anhalt konnten die entsprechenden Stellen bis zum Ablauf der Frist keine konkreten Zahlen mitteilen. Unter den Angaben ist auch eine zweistellige Zahl eingestellter und in Prüfung befindlicher Verfahren. Je nach Bundesland unterscheiden sich die Kontrollmechanismen sowie die Verfolgungsbefugnisse. Müssen Beamte in Baden-Württemberg jede 50. Abfrage begründen, fordert Hessen das nur bei der 200. Abfrage – und auch erst seit 2019. In Bundesländern wie etwa Sachsen, Hamburg oder Baden-Württemberg ahnden Datenschutzbehörden Ordnungswidrigkeiten, in anderen Ländern fehlen der Behörde entsprechende Befugnisse. Das Problem der missbräuchlichen Nutzung polizeilicher Datenbanken durch Beamte wird bundesweit diskutiert, seitdem mehrere Dutzend Drohschreiben an Politiker und Prominente mit dem Absender „NSU 2.0“ kursieren. Bislang ist unklar, wer sie verfasste. In drei Fällen ist bekannt geworden, dass die Angeschriebenen zuvor in Datenbanken der hessischen Polizei recherchiert worden waren.“ Artikel von Alexej Hock und Ricarda Breyton vom 26. Juli 2020 in der Welt am Sonntag online externer Link
  • 69 Mord-Drohungen und eine Verteidigungslinie: Wie eine schwarz-grüne Landesregierung die polizeilichen Datenlieferanten zu schützen versucht 
    „… Inzwischen hält der Minister sogar für möglich, was er stets kategorisch ausgeschlossen hatte, dass es nämlich in der hessischen Polizei rechte Netzwerke geben könnte. „Der Verdacht wiegt schwer“, so Beuth. Die Landtagsopposition attestiert dem Minister längst Totalversagen, zumal die Reihe der Drohmails gegen Politikerinnen, Journalistinnen und andere nicht abreißt. Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder legt dem Minister daher den Rücktritt nahe. „Was muss denn noch alles passieren, um zu beweisen, dass der Staat auf dem rechten Auge blind ist? Was Sachsen und Thüringen im Osten waren, ist Hessen gegenwärtig im Westen. Und wenn jetzt der Feind sogar in den eigenen Reihen steht, hat das natürlich eine noch tiefgreifendere Dramaturgie“, so der Politikprofessor gegenüber der taz. Doch vom grünen Koalitionspartner, zu dessen politischem Programm der Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus gehört, ist bis heute kein kritisches Wort gegen den Minister überliefert. Die innenpolitische Sprecherin der Grünen erklärte sich zwar „zutiefst besorgt“, sprach vom „Fehlverhalten Einzelner“, versicherte aber gleichzeitig dem zurückgetretenen Polizeipräsidenten ihren Respekt…“ – aus dem Beitrag „Das laute Schweigen der Grünen“ von Christoph Schmidt-Lunau am 20. Juli 2020 in der taz online externer Link, worin zwar noch auf ziemlich uralte grüne Programme verwiesen wird, aber dann doch die Verteidigungsrealität der hessischen Landesregierung als Fakt übrig bleibt… Siehe dazu auch zwei weitere aktuelle Beiträge der (keineswegs: Un-) Tätigkeit der hessischen Landesregierung bezüglich Nazis in Uniform:

    • „Keine Ahnung und keine Lust“ von Uwe Kalbe und Hans-Gerd Öfinger am 21. Juli 2020 in nd online externer Link zum Verhalten von Landesregierung (und Staatsanwaltschaft): „… Nach der Sitzung ist bestätigt, was bereits weitgehend bekannt war. Innenminister Peter Beuth (CDU) teilte mit: Das Landeskriminalamt (LKA) habe Kenntnis von 69 rechtsextremen Drohschreiben, die mit der Unterschrift »NSU 2.0« an 27 Personen in acht Bundesländern versendet wurden. Auch in der Nacht zum Dienstag waren wieder E-Mails dieser Art verschickt worden – so an Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne), die Linke-Vorsitzende Katja Kipping, die Chefin der Grünen-Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckardt, die Bundestagsabgeordneten Martina Renner (Linke) und Karamba Diaby (SPD) sowie die Staatssekretärin in der Berliner Senatskanzlei, Sawsan Chebli (SPD). In der Sammelmail, aus der die Deutsche Presse-Agentur zitierte, werden die Adressaten als »Menschendreck« beschimpft. »Wir wissen alle genau, wo ihr wohnt«, zitiert dpa weiter und: »Wir werden euch alle abschlachten.« Unterzeichnet ist die Mail erneut mit »NSU 2.0« und »Der Führer«. (…) Beuth habe sich erneut als der »falsche Mann am falschen Ort« gezeigt. Zuvor hatte auch die hessische SPD-Chefin, Nancy Faeser, erklärt, Beuth müsse jetzt die politische Verantwortung übernehmen. Im Deutschlandfunk sagte sie, dies scheitere wohl nur an der dünnen Mehrheit der schwarz-grünen Koalition – Beuth ist auch Abgeordneter des Landtages. Der Innenminister hatte unlängst einen Sonderermittler eingesetzt, der eng mit dem neuen Landespolizeipräsidenten Roland Ullmann zusammenarbeiten soll. Der war eingesetzt worden, nachdem der bisherige Landespolizeipräsident Udo Münch zurückgetreten war. SPD-Politikerin Faeser zog auch den Nutzen eines solchen Sonderermittlers in Zweifel. Die Ermittlungsarbeit gehöre in die Hände der Staatsanwaltschaft. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft warf am Dienstag aber auch ein schlechtes Licht auf den Ermittlungswillen der Behörden. »Katastrophal« nannte Hermann Schaus den Auftritt des leitenden Oberstaatsanwalts. Die Behörde habe ihre Unfähigkeit bewiesen, aber auch mangelnde politische Sensibilität an den Tag gelegt. Nachdem bereits im Oktober 2019 die illegalen Datenabfragen vom Computer eines Wiesbadener Polizeireviers entdeckt wurden, kam es erst im Juni dieses Jahres zur Befragung der zwölf Polizeibeamten, die damals Dienst hatten. Ein Disziplinarverfahren wurde offenbar unter dem Druck der öffentlichen Berichterstattung erst in der vergangenen Woche eingeleitet...“
    • „GBA will nicht ermitteln“ von Lenny Reimann am 21. Juli 2020 in der jungen welt externer Link zum weiteren Fortgang der Schutzmächte: „… Da in mindestens drei Fällen persönliche Daten von Empfängerinnen und Empfängern der Drohschreiben von Polizeicomputern in Frankfurt und Wiesbaden abgefragt worden waren, mehren sich mittlerweile Forderungen, dass der Generalbundesanwalt (GBA) die Ermittlungen an sich ziehen solle. »Man wird nicht darum herumkommen, dass man bundesweit eine ermittlungsführende Behörde hat«, sagte die ebenfalls betroffene Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Die Linke) der Frankfurter Rundschau vom Montag. Das könne »nur der GBA sein«. Ihr Eindruck sei, »dass die Kommunikation, der Informationsaustausch und die Ermittlungsstrategie zwischen dem LKA Hessen, dem LKA Berlin und dem BKA nicht wirklich abgestimmt sind«, wodurch »Querbezüge zu anderen Komplexen« nicht ausreichend in den Fokus der Ermittler gerieten. Der GBA sei aber auch die richtige Ermittlungsstelle, weil die Täter »den Staat in seinen Institutionen« angriffen. Auch der FDP-Bundestagsabgeordnete Konstantin Kuhle hatte sich am Wochenende laut Welt dafür ausgesprochen, die Ermittlungen auf die Bundesebene zu ziehen – »um dem Staatsschutzcharakter der Vorfälle Rechnung zu tragen«. Der GBA betrachtet sich jedoch als »nicht zuständig«, da die Ermittlungen in den Ländern »keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für Sachverhalte ergeben, auf deren Grundlage die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernehmen und die Strafverfolgung in eigener Zuständigkeit durchführen dürfte«, behauptete ein Sprecher der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe am Montag…“
  • Die Mord-Drohungen gehen immer weiter: Einige erhalten sie mehrfach
    „… Nach einer Serie von rechtsextremen Drohschreiben sind erneut weitere Fälle bekanntgeworden. Ein anonymer Verfasser habe am Freitag mindestens zwei E-Mails mit identischem Inhalt an insgesamt 15 Adressaten geschickt – unterzeichnet mit „NSU 2.0″, berichtete die Welt am Sonntag. Zu den Empfängern sollen neben Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) auch die Linken-Politikerin Janine Wissler und die Kabarettistin Idil Baydar gehören, die schon früher Drohschreiben erhalten hatten. Auch nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur ging eine neue derartige E-Mail an eine Reihe von in der Öffentlichkeit bekannten Empfängern. Auch der neue hessische Polizeipräsident Roland Ullmann wird offenbar darin erwähnt. Die Welt am Sonntag berichtete, in dem ihr vorliegenden Schreiben tauche erstmals auch der Name des Welt-Korrespondenten Deniz Yücel auf…“ – aus der Meldung „Neue Drohschreiben des „NSU 2.0“ aufgetaucht“ am 19. Juli 2020 in der Süddeutschen Zeitung online externer Link über die aktuelle Fortsetzung der Drohkampagne. Siehe dazu auch einen weiteren aktuellen Beitrag:

    • „NSU 2.0“: Über Grenzen ermitteln“ von Pitt v. Bebenburg am 19. Juli 2020 in der FR online externer Link zu den Ermittlungen: „… Die rechtsextreme Szene ist seit vielen Jahren bestens vernetzt zwischen Nordhessen, Thüringen und dem Ruhrgebiet. Die Drohserie wiederum weist klare Bezüge nach Berlin auf. Dort steht ein Nazi vor Gericht, der mehr als hundert Drohschreiben mit dem Kürzel „Nationalsozialistische Offensive“ verschickt haben soll. Die Parallelen zum „NSU 2.0“ liegen auf der Hand, zumal das Berliner Gericht zum Prozessauftakt wegen einer Drohung des „NSU 2.0“ geräumt werden musste. Die Ermittler werden das Netz nur erfolgreich zerschlagen, wenn sie über ihre Ländergrenzen hinaus schauen, die Querverbindungen zwischen den Fällen erkennen und mit den Kollegen eng kooperieren...“
  • Der Nazi-Mob droht, keineswegs nur in Frankfurt. Und bewaffnet sich weiter
  • Die hessische Drohkampagne mit Hilfe von Polizei-Daten: Öffentliche Untersuchung statt polizeilicher (Selbst)Ermittler
  • So geht Polizeistaat: Wenn der Verdächtige eine Uniform hat, reicht es, dass er seine Unschuld beteuert – die Morddrohungen gegen Linke Politikerin mit seinen Daten gehen weiter 
    „… Die Fraktionschefin der Linken im hessischen Landtag, Janine Wissler, hat erneut Drohmails mit Todesdrohungen erhalten. Wie mehrere Medien berichten, erhielt Wissler die zwei Schreiben in den vergangenen vier Tagen. Ihre Fraktion bestätigte demnach den Eingang neuer Drohungen. Der Absender der E-Mails ist offenbar derselbe wie bereits im Februar: Die Schreiben sind mit dem Kürzel „NSU 2.0“ unterzeichnet. In den Drohschreiben von Februar waren private Daten enthalten, die der „Frankfurter Rundschau“ zufolge vermutlich aus Abfragen von einem Dienstcomputer der Polizei stammen. Demnach wurden von einem Polizeicomputer in Wiesbaden Wisslers private Daten abgefragt. Kurz darauf habe sie zwei Schreiben mit Beschimpfungen, Drohungen und persönlichen Daten erhalten, die nicht öffentlich zugänglich seien, schreibt die Zeitung. Die Drohungen wurden vor wenigen Tagen publik…“ – so die Meldung „Hessische Linkenfraktionschefin erhält Drohmails“ am 09. Juli 2020 in Spiegel online externer Link über die erneuten Morddrohungen gegen Janine Wissler.  Siehe dazu auch zwei Beiträge über die Schutzmechanismen für Verdächtige – sofern sie uniformiert sind:

    • „Privatadresse, abgefragt vom Polizeicomputer“ von Matthias Bartsch am 09. Juli 2020 beim Spiegel online externer Link zum Thema, warum man den Verdächtigen in Ruhe lässt: „… Die beiden bislang letzten Schreiben erhielt Janine Wissler am vergangenen Samstag und in der Nacht von Montag auf Dienstag. Sie wurden offenbar weit gestreut und auch an andere Landespolitiker verschickt, darunter den hessischen Innenminister Peter Beuth und Regierungschef Volker Bouffier (beide CDU). Die beiden ersten Morddrohungen hatte Wissler bereits Mitte Februar bekommen und an das hessische Landeskriminalamt weitergeleitet. Was die Linkenpolitikerin damals nicht erfuhr: Nur wenige Tage zuvor war damals ihre Privatadresse an einem Polizeicomputer in einem Wiesbadener Revier abgefragt worden. Das bestätigten jetzt Sicherheitskreise dem SPIEGEL. (…) Im aktuellen Fall Wissler konnte nach SPIEGEL-Informationen ein Wiesbadener Beamter ermittelt werden, unter dessen persönlicher Kennung im Februar unter anderem Wisslers Privatadresse und Handynummer aus einem amtlichen Verzeichnis abgerufen wurde. Der Polizist sei vernommen worden. Er habe die Abfrage aber bestritten und ausgesagt, möglicherweise habe ein Kollege oder eine Kollegin seine Kennung genutzt. Man habe dem Beamten das Gegenteil nicht nachweisen können, heißt es in Ermittlerkreisen. Deshalb werde der Mann jetzt in den Akten offiziell als „Zeuge“ geführt. Eine Verbindung zu der rechtsextremen Chat-Gruppe in Frankfurter Polizeikreisen habe man ebenfalls nicht ermitteln können. Allerdings fand, anders als in Frankfurt, offenbar auch keine Durchsuchung der privaten Datenträger des Wiesbadener Beamten statt...“
    • „Hessens Minister Beuth wurde offenbar nicht informiert“ von Putt von Bebenburg am 09. Juli 2020 in der FR online externer Link zum Schutzwirken der Bruderschaft: „… Der hessische Polizeiskandal dürfte Konsequenzen haben. Innenminister Peter Beuth (CDU) berichtete am Donnerstag, dass er über die erneute Spur von rechtsextremen Drohmails zu einem Polizeicomputer nicht informiert worden sei. Das Hessische Landeskriminalamt habe „nicht die Sensibilität an den Tag gelegt, die ich bei solchen Bedrohungen erwarte“, sagte Beuth in Wiesbaden. Er setze ab sofort einen erfahrenen Beamten einen Sonderermittler ein, der direkt an Landespolizeipräsident Udo Münch berichte. (…) Die hessische SPD zeigte sich „fassungslos“. Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer, Günter Rudolph, bezweifelte, dass Innenminister Beuth der Richtige sei, um zur Aufklärung beizutragen. „Wir wollen wissen, seit wann der Innenminister von der Datenabfrage per Polizeicomputer wusste. Hierzu verlangen wir auch Akteneinsicht“, kündigte Rudolph am Donnerstag an. „Dass er die Fraktionen des Hessischen Landtags darüber erst gestern Abend informiert hat, als die Frankfurter Rundschau schon fast gedruckt war, macht deutlich: Dieser Mann ist nicht mehr Teil der Lösung, er ist Teil des Problems.“...“
  • „»Gefährder« in Uniform“ von Markus Bernhardt am 06. Juli 2020 in der jungen welt externer Link zur neuerlichen hessischen Drohkampagne samt polizeilicher Verwicklung und staatsanwaltschaftlicher Deckung: „… Vieles deutet darauf hin, dass rechte Polizeikreise hinter den Drohungen gegen die hessische Linke-Fraktionsvorsitzende Janine Wissler stecken. Wie am Freitag bekannt wurde, hatte die Politikerin bereits im Februar zwei Drohmails erhalten, die mit »NSU 2.0« unterzeichnet worden waren. Bemerkenswert ist das, da derzeit Ermittlungen gegen einen Kreis von Polizeibeamten aus Frankfurt am Main laufen, bei denen es um mit diesem Kürzel unterzeichnete Drohschreiben gegen die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz geht. Basay-Yildiz hatte als Nebenklägerin Angehörige im »NSU«-Prozess vertreten. Die Ermittlungen im Fall der prominenten Rechtsanwältin hatten ergeben, dass ihre persönlichen Daten von einem Computer des 1. Polizeireviers in Frankfurt am Main abgerufen worden waren. Auch in den an Wissler verschickten Drohschreiben finden sich Bezüge zur Polizei. Neben faschistischen Grußformeln und unflätigen Beschimpfungen enthalten die Schreiben Anspielungen auf einen »Tag X«. Der gilt Faschisten auch aus Szene der »Reichsbürger« und sogenannter »Prepper« als Tag der »Abrechnung« bzw. Machtübernahme, an dem sie gegen politische Gegner vorgehen und sie »eliminieren« wollen. Bei diesem Spektrum handelt es sich keineswegs um »ungefährliche Spinner«, das legen die Diebstähle von Munition und Sprengstoff nahe, zu denen es in der Vergangenheit bei Bundeswehr und Polizei gekommen ist. Unterdessen verweigerte die Staatsanwaltschaft der Mainmetropole gegenüber der Frankfurter Rundschau »aus ermittlungstaktischen Gründen« eine Stellungnahme zu den gegen die Linke-Politikerin gerichteten Drohschreiben, in denen auch Daten Wisslers verwendet wurden, die nicht öffentlich zugänglich sind. »Es war eine klare Bedrohung gegen mein Leben«, sagte die stellvertretende Bundesparteivorsitzende der Linken am Freitag abend gegenüber dpa…“

Siehe zuvor im LabourNet Germany:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=175083
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