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Blutige Repression im neoliberalen Paradies: Protesten nach dem Tod des Sängers und Aktivisten Hachalu Hundessa in Äthiopien wird mit Schießbefehl begegnet
„… Bei Protesten nach der Ermordung eines beliebten Sängers sind in Äthiopien binnen zwei Tagen mindestens 81 Menschen getötet worden. Bei drei der Getöteten handele es sich um Mitglieder einer Spezialeinheit der Polizei, sagte der Polizeichef der Region Oromia, Ararsa Merdasa, am Mittwoch bei einer Pressekonferenz. Der Sänger und Aktivist Hachalu Hundessa war am Montagabend in der Hauptstadt Addis Abeba erschossen worden, danach kam es unter anderem dort zu Ausschreitungen. Hachalu gehörte den Oromo, der größten Volksgruppe in Äthiopien, an. Der Hintergrund des Mordes war zunächst unklar. Nach Polizeiangaben wurden „einige“ Verdächtige festgenommen. Äthiopien mit seinen 100 Millionen Einwohnern ist ein Vielvölkerstaat, in dem es immer wieder zu Spannungen zwischen den Volksgruppen kommt. Als Reaktion auf die Unruhen kappte die Regierung am Dienstag alle Internetverbindungen im Land. Gewalttätige Ausschreitungen gab es am Mittwochabend vor allem in Hachalus Heimatstadt Ambo. Oromo-Vertreter hatten gefordert, Hachalu in der Hauptstadt Addis Abeba zu beerdigen. Historisch gesehen war Addis Abeba ein Zentrum der Oromo-Kultur…“ – aus der Meldung „81 Menschen bei Protesten in Äthiopien getötet“ am 02. Juli 2020 im Spiegel online über die steigende Zahl der Todesopfer der massiven Repressionswelle. Siehe dazu drei weitere aktuelle und einen Hintergrundbeitrag – zu den wirtschaftlichen Gründen für die (bisherige?) politische Beliebtheit der äthiopischen Regierung in der EU und den USA:
- „Äthiopien: Einstieg in eine Diktatur?“ von Shuwa Kifle am 05. Juni 2020 bei telepolis hob bereits vor den aktuellen Entwicklungen hervor: „… Nach neuesten Meldungen soll die Wahl nicht vor dem April 2021 stattfinden. Wann genau bleibt ungewiss. Es ist zu befürchten, dass diese Verschiebung nur der Anfang ist. Präsident Abiy Ahmed und seine Unterstützer könnten so ihre Herrschaft ohne demokratische Legitimation auf Dauer zementieren und damit Äthiopien in eine Diktatur verwandeln. Das erinnert an den eritreischen Präsidenten, der seit der Unabhängigkeit Eritreas (1993) zwar freie Wahlen versprochen und anfangs noch verschoben hat, aber bis heute (27 Jahre später) warten die Eritreer immer noch auf freie Wahlen. Angesichts der Erwartungen, die Präsident Abiy Ahmed noch zu Zeiten seines Amtsantritts geweckt hat, steht diese Entwicklung in eklatantem Widerspruch zu seinen Verlautbarungen in der jüngsten Vergangenheit. Zurzeit gibt es eine Debatte wie sich die erneute Verschiebung der Wahl mit der äthiopischen Verfassung vereinbaren lässt: Parlamentsauflösung, Notstandsregierung, Verfassungsänderung oder eine neue Interpretation der Verfassung. Abiy Ahmed konsultierte Oppositionsgruppen, bezeichnete die Gespräche als „fruchtbar“. Insbesondere von Seiten der Tigray People’s Liberation Front (TPLF) und von dem Führer der Oromo Liberation Front (OLF) kamen allerdings Kritik und Einwände. Mittlerweile sind alle involvierten Institutionen in der Hand oder unter Einfluss der regierenden Prosperity Party (PP) von Abiy Ahmed. Gewaltenteilung scheint kaum noch vorhanden, die Variante einer Verfassungsinterpretation im Sinne der Wohlstandspartei PP ist wohl favorisiert, und zudem sind Artikulationsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft wie etwa Demonstrationen wegen Coronabeschränkungen nicht vorhanden. Es läuft wohl alles auf eine Machtzementierung der gegenwärtig Regierenden auf unbestimmte Zeit hinaus…“
- „Amnesty erhebt schwere Vorwürfe gegen äthiopische Sicherheitskräfte“ am 29. Mai 2020 bei den Welt-Sichten berichtete über die kurz zuvor geäußerte ai-Kritik und ihren Entstehung unter anderem: „… Dass Sicherheitskräfte solche schrecklichen Taten verüben könnten, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden, sei inakzeptabel, kritisierte der Regionaldirektor der Menschenrechtsorganisation, Deprose Muchena, die Regierung von Ministerpräsident Abiy Ahmed. Die Behörden müssten sicherstellen, dass die Schuldigen belangt und Vertriebene sicher in ihre Heimat zurückkehren könnten. Dies sei umso wichtiger, als dass mit den anstehenden Wahlen eine Eskalation der Gewalt drohe, auch wenn die für August geplante Abstimmung wegen der Corona-Pandemie verschoben worden sei. Hintergrund des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte sind die Aktivitäten militanter Gruppen vor allem in den Bundesstaaten Amhara und Oromo, die die Abspaltung von Äthiopien fordern. Mit der Legalisierung oppositioneller Gruppen nach Abiys Amtantritt im April 2018 haben die ethnischen Spannungen in dem Vielvölkerstaat am Horn von Afrika zugenommen…“
- „Trudeau en Éthiopie: Bienvenue au royaume du néolibéralisme“ von Stephanie Jay am 08. Februar 2020 bei der (kanadischen) Plateforme Altermondialiste ist ein aus Anlass des Besuchs des kanadischen Premierministers in Äthiopien entstandener Beitrag. Darin wird vor allem darauf abgehoben, dass die neue äthiopische Regierung in den Staaten „des Westens“ deswegen so freundlich aufgenommen wurde, weil sie einen schon vorher eingeschlagenen neoliberalen Kurs deutlich verstärken wolle – und dies auch bereits getan habe: Das neue „Paradies der Niedriglöhne“.
- „Äthiopien: Aufbruch in den Neoliberalismus mit dem neuen Premierminister Abiy Ahmed?“ ebenfalls von Shuwa Kilfe bereits am 14. August 2018 bei telepolis hatte zu dieser neoliberalen Orientierung bereits unterstrichen: „… Anscheinend weckt die erfolgreiche Entwicklung und die interessante geopolitische Lage Begehrlichkeiten bei kapitalistischen weltweit agierenden Unternehmen sowie Staaten wie den USA. Den Unternehmen ist dabei das Bestreben der bisherigen Regierungen, die Kontrolle über wesentliche Bereiche der Wirtschaft zu behalten, ein Dorn im Auge. Die USA sehen die Kooperationen mit China als störend und die Nähe zum Nahen Osten macht Äthiopien für sie geostrategisch interessant. Nicht umsonst ist Äthiopien das einzige Land Afrikas, welches neben Kenia von Obama besucht wurde. Wurde die alte Regierung wegen Landgrabbing kritisiert, deutet sich jetzt eine ganz andere Dimension des Ausverkaufs an. Gewinnbringende staatliche Unternehmen aus Stromversorgung und Telekommunikation sowie Ethiopian Airlines sollen verkauft und privatisiert werden. Den globalen geopolitischen Machtkampf zwischen China und den USA/Europa/ (arabische Länder) darf man über dem Jubel nicht aus dem Blick verlieren. Alle diese Machtblöcke haben eigene Interessen gegenüber Äthiopien und nehmen Einfluss. Was also tun, wenn äthiopische Regierungen nicht gewillt sind, das Land westlichen Unternehmen und westlicher Machtpolitik bedingungslos auszuliefern? Ein beliebtes Rezept ist die Destabilisierung der missliebigen Regierung und die Unterstützung von Kräften, die den eigenen Interessen näher liegen. In der Regel passiert dies gerne unter dem Propagandadeckmäntelchen der sogenannten westlichen Werte und man versucht die eigene Einflussnahme auch gerne zu verbergen. Der US-Botschafter Raynor ist bekannt für seine Einflussnahme. Kommt da ein Premierminister wie Dr. Abiy Ahmed vielleicht gerade recht? Dass der neue PM nun derartig bejubelt wird von eben den Seiten, die offensichtlich ihren Einfluss auf Äthiopien ausdehnen wollen, passt gut ins Bild. Vorher kritisierte Menschenrechtsverletzungen und Militarisierung einer ganzen Gesellschaft in Eritrea sind für eben jene Propagandisten plötzlich auch kein Thema mehr. Zwei neue Friedensengel sind geboren. Auffällig ist auch die Intransparenz und Eile in der diese Politik und dieser „Friedensschluss“ vorangetrieben wird. Es scheint, als ob die Blaupause für diese Veränderungen außerhalb Äthiopiens bereits fertiggestellt wurde und nun ohne Konsultation aller gesellschaftlich wichtigen Kräfte vom neuen Erfüllungsgehilfen umgesetzt wurde. China und die Vereinigte Arabische Emirate (VAE) rivalisieren um Kontrolle und Investitionen in Häfen in der Region, vornehmlich Dschibuti, Eritrea und Somalia, vor allem die VAE sind im Hintergrund ebenfalls in die Friedensgespräche involviert und üben in ihrem Interesse Einfluss auf die eritreischen Machthaber aus...“
- Siehe auch #HachaluHundessa und #OromoProtest