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Der Druck von Epidemie, Protesten und Gewerkschaften: Perus Regierung fordert private Kliniken auf, billiger zu werden – sonst werden sie verstaatlicht. Hat gewirkt…

Corona-Epidemie in Peru „… Doch laut Präsident habe es keinerlei Entgegenkommen der Privatklinik-Besitzer gegeben. Daraufhin gab das Staatsoberhaupt ein 48-Stunden-Ultimatum bekannt, bevor er den Artikel 70 der Verfassung anwenden werde – eine verfassungsrechtliche Kompetenz, die die Enteignung von Privateigentum im Sinne des Allgemeinwohls ermöglicht. Bis dahin solle der private Gesundheitssektor ein annehmbares Angebot vorbringen. „Uns empört die Profitgier inmitten einer Pandemie, die Tausende Peruaner ins Unglück gestürzt hat. Wir laden die Privatkliniken dazu ein, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, damit wir uns darauf fokussieren können, Leben zu retten. Die Bevölkerung erwartet mehr Solidarität von Ihnen“, so der Präsident am Mittwoch. „Unterlassen Sie es mal einen Moment, nur an Ihre Profite zu denken.“ Vizcarras Strategie zahlte sich aus: Noch in der Nacht zum Donnerstag unterbreitete der Verband der Gesundheitsunternehmen der Regierung ein neues Angebot. Eine Covid-19-Behandlung in einer Privatklinik werde künftig umgerechnet 14.000 Euro kosten. 25.000 Euro hatten die Privatkliniken ursprünglich verlangt. Der Betrag wird nun von der öffentlichen Gesundheitsversicherung für diejenigen Patienten übernommen, die bei ausgelasteten Kapazitäten von staatlichen Krankenhäusern in private Krankenhäuser verlegt werden müssen. Vielerorts ist das öffentliche Gesundheitssystem bereits kollabiert. Ohne die Einigung konnte der Staat vielen Menschen keine Behandlung mehr garantieren...“ – aus dem Beitrag „Nach angedrohter Enteignung: Privatkliniken in Peru senken Tarife für Covid-19-Therapie“ von Quincy Stemmler am 26. Juni 2020 bei amerika21.de externer Link über die Maßnahme einer gutbürgerlichen Regierung, die unter vielfachem Druck steht… Siehe dazu auch zwei weitere aktuelle Beiträge und drei Hintergrundbeträge zur Epidemie in Peru und ihren sozialen Auswirkungen:

  • „The socio-economic crisis is aggravating the health crisis in Peru“ von Tanya Wadhwa am 27. Juni 2020 bei Peoples Dispatch externer Link behandelt die ausgesprochen negativen Auswirkungen der bereits seit längerem wirkenden wirtschaftlichen (und sozialen) Krise auf die gesundheitliche Krise durch Corona – was auch in Peru bedeutet, dass die Menschen die „Wahl haben“ zwischen Gefährdung und Hunger. Peru hat – nach Brasilien – die zweitmeisten Infizierten, vor allem im Großraum Lima. Es sind, wie in anderen Ländern auch, vor allem jene Menschen, die im sogenannten informellen Sektor arbeiten, die ohne jegliche Reserven und Absicherung gezwungen sind, weiterhin irgendwie ein Einkommen zu erzielen – und das sind in Peru immerhin 73% der Bevölkerung.
  • „Virus der Reichen, Krise der Armen“ von Janina Strötgen bereits am 06. Mai 2020 in der taz online externer Link fasste die Lage der arbeitenden Menschen in Peru zu Beginn des – gescheiterten – Lockdowns so zusammen: „… Prävention und Eindämmung scheinen die einzige Hoffnung zu sein, in einem Land mit 32 Millionen EinwohnerInnen, von denen ein Fünftel nicht einmal Zugang zu Trinkwasser hat. Die hohe Bevölkerungsdichte in Ballungszentren sowie das starke gemeinschaftliche Zusammenleben sind weitere Risikofaktoren, die die Verbreitung des Virus fördern. In den Armenvierteln, in denen meist mehrere Generationen auf wenigen Quadratmetern zusammenwohnen, ist Abstand halten oder gar Isolation von Kranken schlichtweg unmöglich. Gerade wegen der schlechten medizinischen Infrastruktur wird das Krisenmanagement von Präsident Vizcarra viel gelobt. Laut Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Ipsos liegt seine Popularität bei über 80 Prozent. Seine Konsequenz und sein schnelles Handeln zum Aufstocken medizinischer Ausrüstung könnten das Gesundheitssystem des Landes vor dem Schlimmsten bewahren. (…) Doch der durch die sanitäre Krise vermeintlich gerechtfertigte autoritäre Führungsstil öffnet die Türen für Machtmissbrauch. Die Kultur staatlicher Gewalt ist in Peru tief verankert, jüngstes Beispiel ist das neue, in Zusammenhang mit den Notstandgesetzen in Kraft getretene Polizeigesetz, das Polizisten vor strafrechtlicher Verfolgung schützt, sollten sie „im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Funktion“ Menschen verletzen oder sogar töten. Die Koordinationsstelle für Menschenrechte in Peru (Cnddhh) stuft das Gesetz als verfassungswidrig ein. Es schaffe den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ab und biete Platz für Willkür und Straflosigkeit. In einem Schreiben verlangt sie seine sofortige Rücknahme. Berechtigte Zweifel gibt es auch daran, ob die Boni für bedürftige Menschen wirklich dort ankommen, wo sie am dringendsten benötigt werden. Denn um in den Verteilerlisten überhaupt aufzutauchen, muss eine Person offiziell registriert sein. Die elektronische Erfassung aller Bürger ist jedoch ein Unterfangen, das die Regierung erst für Mitte 2021 auf der Agenda stehen hat…“
  • „Die Idiotie des urbanen Lebens“ von Raul Zibechi am 26. Mai 2020 beim NPLA externer Link zu einer Erscheinung, die es nicht nur in Peru gibt unter anderem: „… Erstens ist Lima exponentiell gewachsen, ähnlich wie andere Großstädte Lateinamerikas. 1957 hatte Lima 1,2 Millionen Einwohner*innen, 1981 waren es fast sechs Millionen; 2004 erreichte die Einwohner*innenzahl 8,5 Millionen. Davon waren 60 Prozent Migrant*innen aus der Andenregion. Sie ließen die Stadt im Norden, Osten und Süden enorm wachsen. Neben den Behausungen, entstanden dort Dienstleistungen und kollektive Räume. Zweitens ist es die außerordentliche Verwundbarkeit der ärmeren Bevölkerungsgruppen. 70 Prozent der Menschen arbeitet in der „Informalität“, wie es der Staat nennt: Handel auf Märkten und Straßen, Zubereitung und Verkauf von Lebensmitteln, Herstellung und Verkauf von so unterschiedlichen Dingen wie Kleidung und Videos, verschiedene nicht legale Aktivitäten. Zudem ist Lima auf einer Wüste ohne Wasser entstanden. Je nach Jahreszeit kann es eisig oder brütend heiß sein. Die Lawine der Migrant*innen bezeichnete der Anthropologe José Matos Mar in den 1980er Jahren als „prekäres Überlaufen“. Wie müsste nun die entgegengekehrte Migration genannt werden, das massive Verlassen der gigantischen und bedrückenden Stadt? Die Zahlen sprechen für sich. Ganze Familien brechen auf; teils sogar zu Fuß. Auf ihrem langen Weg schlafen sie, wo es irgendwie möglich ist. Sie gehen große Risiken ein – es gibt bereits bei Flussüberquerungen Ertrunkene und bei Raubüberfällen Ermordete. Angesichts dieser Situation eröffnete der Staat eine Meldestelle, um den Transport zu organisieren. Am 25. April waren dort 167.000 Menschen registriert, die in ihre Dörfer oder Städte zurückkehren wollten. Nur für weniger als 5.000 gab es einen staatlichen Transport. Natürlich haben bereits wesentlich mehr Menschen die Stadt verlassen oder wollen dies tun. Sie fliehen vor dem Hunger, der Einsamkeit, fehlender Solidarität. Ganze Familien mit Töchtern und Söhnen, die ihre Dörfer erreichen wollen, wo sie Verwandte erwarten, die ihre kleinen Landstücke bebauen und sie mit Nahrungsmitteln empfangen können…“
  • „Die Angst geht um in den Bergbauregionen“ von Knut Henkel am 05. Juni 2020 in neues deutschland online externer Link zum Thema: „… Die Angst ist groß, dass sich das Virus durch das geplante Hochfahren der Bergbauaktivitäten ausbreiten könnte. Ohnehin gibt es eine große Dunkelziffer: Bisher seien in den Minen vor allem die Festangestellten getestet worden, sagt Aktivist de Echave. Doch je nach Mine seien bis zu 60 Prozent der Bergarbeiter bei externen Jobagenturen angestellt. »Da schlummert ein Risiko.« Das bereitet auch Muqui-Leiter Jaime Borda Sorgen. Er verweist auf die Situation in den großen Kupferminen nahe der Touristenmetropole Cusco, die auch deutsche Abnehmer beliefern und in von indigenen Gemeinschaften bewohnten Gegenden liegen. »Dort wird der Bergbau ohnehin kritisch gesehen – in der Covid-19-Krise könnte das zu Protesten führen.« Borda hält es für äußerst fragwürdig, den Bergbau hochzufahren, obwohl die Infektionszahlen weiterhin stark steigen. Doch die großen Bergbauunternehmen machen Druck, die bis zum 30. Juni verlängerten Quarantänemaßnahmen zu lockern. »Im Goldbergbau ist das angesichts der hohen Preise von mehr als 1700 US-Dollar pro Unze logisch. Und bei Kupfer haben die peruanischen Minen einen Kostenvorteil, da sie extrem billig produzieren«, so de Echave. Das sorgt dafür, dass die Bergbaukonzerne trotz des Preiseinbruchs um ein Drittel in der Coronakrise Gewinne generieren können. Auch deshalb soll spätestens Ende Juni wieder mit Volldampf gefördert werden. Das kritisieren die NGO-Vertreter, denn mit mehr Verkehr aus den großen Städten in die Regionen steige auch das Risiko, das Virus zu verbreiten. »Das könnte zum Bumerang werden«, meint de Echave. Immerhin gebe es schon Proteste infizierter Bergarbeiter wegen unzureichender Gesundheitsversorgung. Arbeiter des Konsortiums Horizonte kritisierten in einem Video, dass sie sich selbst überlassen seien und nicht medizinisch versorgt würden...“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=174731
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