Alltagsrassismus: Die USA kritisieren ist OK. Über bundesdeutschen Rassismus reden ist wichtiger. Dagegen handeln: Am besten
„… Am späten Nachmittag des 26. Mai betrat ein 22jähriger ohne den vorgeschriebenen Mundschutz einen Supermarkt im brandenburgischen Prenzlau. Als ihn ein Sicherheitsmitarbeiter darauf hinwies, beschimpfte der junge Mann den gebürtigen Syrer auf rassistische Weise und erhob den Arm zum Hitlergruß. Beim Eintreffen der Polizei versuchte der 22jährige zu fliehen und stieß dabei eine 80jährige Frau zu Boden. (…) Am Abend des 26. Mai geriet ein Rollerfahrer im Berliner Bezirk Mitte in eine Verkehrskontrolle. Der 29jährige beschimpfte dabei einen Polizisten mehrfach auf rassistische Weise. Der Staatsschutz ermittelt. Wie die Volksstimme am 26. Mai berichtete, beschmierten Unbekannte in der Nacht zuvor die Mauern eines Supermarkts in Benneckenstein (Sachsen-Anhalt) großflächig mit rassistischen Parolen. Am Bahnhof hinterließen sie ein Transparent mit einer rassistischen Aufschrift. Bereits Anfang Mai war es zu einem ähnlichen Vorfall in dem Ort gekommen. Ende April war dort eine Außenstelle der Zentralen Erstaufnahmestelle für Asylsuchende eröffnet worden, in der derzeit 45 Flüchtlinge leben. Wie die Brandenburger Polizei am 25. Mai berichtete, ereignete sich am 22. Mai eine rassistische Verfolgungsjagd in Neutrebbin und Gusow. Zwei gebürtige Afghanen wollten mit dem Auto eine Ladung Steine in Bliesdorf abholen, das Navigationsgerät lotste sie jedoch fälschlicherweise in eine Straße gleichen Namens in Neutrebbin. Als sie sich dort an einem Haus bemerkbar machten, griffen mehrere Personen sie an, schlugen auf sie ein und beleidigten sie auf rassistische Weise. Die Afghanen flüchteten in ihr Auto und fuhren davon, die Angreifer verfolgten sie jedoch. In Gusow gelang es diesen, das Fahrzeug der Attackierten aufzuhalten. Erneut schlugen die Angreifer auf die beiden Männer ein, dann flüchteten sie vom Tatort...“ – aus der wöchentlichen Rubrik „Deutsches Haus“ am 04. Juni 2020 in der jungle world (Ausgabe 23/2020). Siehe dazu eine weitere Wochenrubrik (nur, um deutlich zu machen, dass dies keinesfalls eine irgendwie „besondere Woche“ war) sowie drei aktuelle Beträge zum (Nicht-) Umgang mit bundesdeutschem Alltags-Rassismus auch in den Medien:
- „Deutsches Haus #22/2020“ am 28. Mai 2020 in der jungle world über einige Ereignisse in der Vorwoche: „… Unbekannte ritzten in Jena (Thüringen) ein etwa 50 mal 50 Zentimeter großes Hakenkreuz in eine Stele zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in der Löbstedter Straße. Dabei wurde auch die Inschrift beschädigt, wie die Thüringer Landeszeitung am 18. Mai meldete. Wann genau die Tat verübt wurde, ist unklar. Sie stehe aber vermutlich in Zusammenhang mit dem 75. Jahrestag des Kriegsendes, so das Blatt. Das Amtsgericht Ulm (Baden-Württemberg) verurteilte am 15. Mai einen 51jährigen wegen Schüssen auf einen gebürtigen Nigerianer zu 15 Monaten auf Bewährung. Das Gericht erkannte einen rassistischen Tathintergrund, hielt dem Mann aber zugute, dass er gestanden hatte und das Opfer nur leicht verletzt worden war. Das meldete der SWR auf seiner Website. Wie der SWR dort ebenfalls am 15. Mai berichtete, fordert der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma vom baden-württembergischen Innenminister Thomas Strobl (CDU), einen Polizeieinsatz Ende April in Freiburg aufzuarbeiten. Bei diesem sollen Polizeibeamte vier Roma verletzt haben. Nach Angaben des Zentralrats wurde am 28. April in Umkirch bei Freiburg ein Mann von einem Polizeihund gebissen, außerdem schlugen Polizisten drei weitere Personen. Nach dem Vorfall sollen die Betroffenen an einer Polizeidienststelle abgewiesen worden sein, als sie Anzeige erstatten wollten. Sollten die Vorwürfe zutreffen, handele es sich um schwere Körperverletzung, Nötigung und versuchte Strafvereitelung im Amt, sagte der Zentralratsvorsitzende Romani Rose. Eine Polizeisprecherin teilte mit, es laufe ein Ermittlungsverfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte...“
- „»Der Umgang mit Rassismus findet hier genauso wenig statt wie in den USA«“ von Vanessa Fischer am 03. Juni 2020 in neues deutschland online ist ein Gespräch mit Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, in dem letztere auf verschiedene Fragen unter anderem unterstreicht: „… Die Gesellschaften in den USA und in Deutschland könnten nicht unterschiedlicher sein – sowohl was ihre Geschichte, aber auch was ihre gegenwärtige Verfassheit und ihr Selbstverständnis angeht. Es gibt aber eine Sache, die diese so unterschiedlichen Länder gemein haben: ihr Nicht-Umgang mit institutionellem Rassismus. Die Tatsache, dass Rassismus eben nicht als ein systemisches Problem wahrgenommen wird, vor allem nicht von den Verantwortlichen in Polizei, Justiz oder Politik. Das ist ja sehr typisch für Deutschland. Es wird ständig von Einzeltätern gesprochen, obwohl offenkundig ist, dass es ein gesellschaftlich übergreifendes Problem gibt, auf verschiedensten Ebenen. Ja, die Ermittlungen zum NSU haben deutlich gemacht, dass es eben nicht nur ein Trio war, sondern dass es ein bundesweites Netzwerk gab. Mit Andreas Temme war sogar ein Verfassungsschützer bei einem der Morde anwesend. Aber auch der Mord an Walter Lübcke hat gezeigt, dass es falsch ist, von Einzelfällen zu reden. Der Umgang mit Rassismus findet hier genauso wenig statt wie in den USA. Und das ist die Wurzel des Übels. Wir stoßen da immer wieder an unsere Grenzen, weil wir eben nicht davon sprechen wollen, dass es einzelne Opfer gibt. Hinter diesen Taten steckt ein System, eine Struktur, die das Leben von Schwarzen Menschen, PoC und Migrant*innen maßgeblich prägt und einschränkt und im schlimmsten Fall dazu führt, dass wir um unser Leben fürchten müssen. Einerseits begrüße ich diese Reaktion natürlich. Es zeugt von Empathie und Solidarität, wenn Menschen sagen: »Das ist ja eine Katastrophe!«, und dann auf die Straße gehen. Aber ich bin auch erstaunt darüber, weil es nicht zum ersten Mal und auch hier bei uns vor der Haustür passiert: Letztes Jahr etwa in Hamburg als William Mbobda, der sich selbst in ein psychiatrisches Krankenhaus eingeliefert hatte dort von Sicherheitspersonal so sehr angegangen wurde, dass er an den Folgen verstarb. Oder Amad Ahmad, der von der Polizei angeblich verwechselt wurde und später in seiner Zelle verbrannte. Und natürlich Oury Jalloh, der 2005 ebenfalls widerrechtlich in Polizeihaft gekommen ist und dort angezündet wurde...“
- „Weißes Schweigen“ von Anne Fromm am 02. Juni 2020 in der taz online kommentiert unter anderem: „… Am 12. 1. 2019 starb der Grieche Aristeidis L. in Berlin. Der 36-Jährige war von der Polizei festgenommen worden, weil er in einer Bäckerei randaliert hatte. Er wurde an Händen und Füßen gefesselt und in einem Fahrstuhl von vier PolizistInnen in Bauchlage auf den Boden gedrückt, bis er erstickte. Das Ermittlungsverfahren gegen die Polizisten wurde eingestellt. Die Staatsanwaltschaft hatte nicht einmal alle vernommen, die mit L. im Fahrstuhl waren, als der starb. Ob auch er „I can’t breathe“ gesagt hat, so wie der von einem Polizisten getötete George Floyd vergangene Woche in den USA, wissen wir nicht. Es gibt von L.s Tod kein Video, keinen Twitter-Hashtag, keine Proteste. Was es auch nicht gab, war Berichterstattung. Mein Kollege Gareth Joswig hat den Fall gerade ausgegraben. Dass Menschen durch Polizeigewalt sterben, ist auch in Deutschland keine Seltenheit. 269 Menschen kamen seit 1990 hierzulande durch Polizeischüsse um. Erinnern Sie sich an die letzte Talkshow zum Thema? Minneapolis ist nun überall Thema. Das liegt auch daran, dass es von Floyds Tod ein Video gibt, das jedeR im Internet sehen kann: wie eiskalt und scheinbar genüsslich der Polizist auf Floyd kniet, wie der um sein Leben fleht und irgendwann erschlafft. „Racism isn’t getting worse, it’s getting filmed“, hat der Schauspieler Will Smith gesagt. Auch deswegen gehen nun so viele Menschen in den USA auf die Straße, berichten viele deutsche Medien jetzt so groß – und über Tote nach Polizeigewalt hierzulande so wenig. (…) Wahrscheinlich auch deshalb, weil das gesellschaftliche Echo auf die Polizeigewalt verhalten ist. Was die USA von Deutschland unterscheidet, ist nicht nur die Berichterstattung, sondern auch die vielen Menschen, die gegen rassistische Polizeigewalt auf die Straße gehen. Eine Bewegung, die von der weißen Mehrheitsgesellschaft unterstützt wird, fehlt in Deutschland…“
- „Weiße Selbstgespräche“ von Mascha Malburg am 03. Juni 2020 in neues deutschland online zu den Verteidigungsplattformen des Rassismus (und immer mehr auch der Rassisten selbst) in der BRD: „… Markus Lanz beginnt seine Sendung mit einer drängenden Frage: «Was passiert, wenn die Armut und der alltägliche Rassismus existenziell wird?» Die Kamera schwenkt in die Runde: Keine*r der Befragten ist Schwarz. Trotzdem antwortet eine deutsche Expertin für New Yorker Finanzeliten, die «beide Seiten kennt», da sie öfter durch die USA gereist ist. Am gleichen Tag kündigt Sandra Maischberger den nächsten weißen TV-Monolog an: Morgen wolle sie mit Heiko, Anja, Dirk, Jan und Helga «über die Lage nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd» diskutieren. Immerhin: Der eingeladene Jan Fleischhauer maulte unter dem Hashtag «metwo» einmal, dass er keine Journalistenpreise bekomme, obwohl auch er eine «Migrationsgeschichte» habe, da er «von links nach rechts migriert» sei. Der diskriminierte Hamburger kann uns sicherlich die Wut der Menschen näher bringen, deren Großeltern im eigenen Land keine «weißen» Toiletten oder Hotels betreten durften; die von ihrem Präsident beleidigt und bedroht werden und die fürchten zu sterben, weil sie joggen, ihren Führerschein zu zackig aus dem Handschuhfach ziehen oder für ihre Rechte auf die Straßen gehen. (…) Auch der Journalist Fabian Goldmann hielt den Talkshows bereits mehrfach den Spiegel vor: Seine Recherchen ergaben, dass im vergangenen Jahr nur drei Schwarze Menschen in den Runden der öffentlichen-rechtlichen Sendungen zu Gast waren. Auch andere diskriminierte Gruppen kommen zu selten zu Wort: In deutschen Talkshows begegnet man häufiger einem Peter als einer Person mit türkischem Namen. Und selbst bei internationalen Themen mangelt es an Diversität: Während der Brexit einige britische Expert*innen in die Sendungen spülte, wartete das Publikum das gesamte Jahr vergebens auf einen Gast mit Pass aus einem afrikanischen, südamerikanischen oder asiatischen Land. Über den globalen Süden debattiert man weiterhin mit Menschen, die diese Länder höchstens als privilegierte Gäste kennen...“
- Siehe zu den USA am besten unsere gesamte Rubrik: Internationales » USA » Politik » Das System Ferguson