Grundlagen kommunistischer Produktion und Verteilung – ein vergessener Klassiker der Gruppe internationaler Kommunisten (GIK) – und die Arbeitszeitrechnung

Grundlagen kommunistischer Produktion und Verteilung - Ein vergessener Klassiker der Gruppe internationaler Kommunisten (GIK)Den marxistischen Klassiker, die »Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung« von der Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland), gibt es nun in zweiter vollständig überarbeiteter, erweiterter und verbesserter Fassung. Die ursprünglich 1930 auf Deutsch erschienene Erstauflage der Grundprinzipien wurde damals beschlagnahmt und weitgehend vernichtet. Eine vollständig überarbeitete und verbesserte Ausgabe in niederländischer Sprache erschien 1931 zunächst auszugsweise und 1935 in zweiter Auflage in Buchform. Der Text der deutschen Erstausgabe wurde 1970 nachgedruckt und auch in die englische und französische Sprache übersetzt. Die vollständig überarbeitete und verbesserte zweite Auflage verblieb die folgenden 85 Jahre dagegen weitgehend unbeachtet in niederländischer Sprache verborgen.Hier wurde sie nun wieder ausgegraben, frisch aus dem Hölländischen übersetzt. Sozusagen Premiere…“ Aus der Bewerbung des Syndikat-A externer Link der Veröffentlichung vom Februar 2020 – siehe hier (neben witeren Infos) die Rezension von Klaus Hecker vom Mai 2020 – wir danken! – und mehr zum Thema:

  • Arbeitszeitökonomie als linke Alternative? New
    Über unsere Strategie – Eine Replik auf zwei Kritiken
    Dieser Text ist eine relativ kurzfristige und nicht bis ins Letzte theoretisch durchdachte Reaktion auf kritische Kommentare von Aníbal und Fredo Corvo an mehreren Texten von uns, die von den beiden auch ins Spanische und Englische übersetzt worden sind. (…) Mit ihrer Kritik haben die beiden auf eine wirkliche Leerstelle in unserer Theoriebildung hingewiesen. (…) Wir sind der Ansicht, dass die Menschen den Sozialismus – insbesondere, wenn es ein selbstverwalteter, durch Räte organisierter Sozialismus sein soll – auch ein Stück weit erfahren müssen, um von ihm überzeugt zu werden. Deshalb wollen wir selbstorganisierte Netzwerke im Kleinen aufbauen, sozusagen „Nischenökonomien“, in denen die Menschen die Arbeitszeitrechnung erproben können; deshalb entwickeln wir eine Software-Anwendung, unsere Arbeitszeit-App, um den Menschen zu demonstrieren, dass die „Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung“ hier und heute praktikabel sind und mit den neuesten technischen Mitteln durchgeführt werden können. Mit Hilfe der App können die Menschen lernen, auf der Grundlage der Arbeitszeitrechnung über ihre eigenen produktiven Tätigkeiten Buch zu führen und sich darüber mit anderen zu verbinden. So lernen sie auch, was Selbstorganisation und (betriebliche) Selbstverwaltung bedeutet. Nur so gewinnen die Menschen auch das Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten wieder und lernen – vielleicht auch mit Freude daran – die Prozesse und Arbeitsabläufe selbst zu regeln und zu steuern, ohne Aufsicht, ohne Überwachung, ohne Vorgesetzte! (…) Vielleicht ist es sinnvoll zu unterscheiden zwischen: 1.) der Arbeitszeitökonomie im Kapitalismus, 2.) der Arbeitszeitökonomie parallel zum Kapitalismus und 3.) der vollentwickelten Arbeitszeitökonomie. (…) Zunächst einige Worte zur ersten Stufe „Arbeitszeitökonomie im Kapitalismus“: Aus unserer Sicht ist dies die Stufe, die wir im besten Fall schon jetzt erreichen könnten. Dies kann natürlich auf vielfältige Weise geschehen. Man könnte zwischen einer starken und einer schwachen Variante unterscheiden. Was wäre eine starke Variante? Beispielsweise ein revolutionärer Umbruch in einer größeren Region, etwa einer größeren Industrieregion. Was wäre eine schwache Variante? Zum Beispiel das von uns oben beschriebene Szenario, in dem es kleinere oder größere Netzwerke selbstverwalteter Betriebe auf Basis der Arbeitszeit gibt (idealerweise auf transnationaler Ebene, was vielleicht als stärkere Version der schwachen Version der ersten Stufe angesehen werden kann). Aus rechtlicher oder staatlicher Sicht wäre eine schwache Version des ersten Falls der bereits existierenden „Solidarwirtschaft“ (Genossenschaften, besetzte Fabriken, Zeitbanken usw.) ähnlich. (…) Wenn wir in unseren FAQs sagen, dass es für die Praktizierung der Arbeitszeitrechnung zunächst keine große Revolution braucht, meinen wir damit die „eine große Weltrevolution“. Nicht, weil wir gegen sie sind, sondern einfach, weil wir sie in dieser Form für sehr unwahrscheinlich halten oder nicht ewig auf sie warten wollen. Wir denken, dass es einen sofortigen oder zumindest sehr schnellen Sprung auf Stufe 2 geben könnte (eine Stufe, in der etwa die Hälfte der Welt zur Arbeitszeitökonomie übergegangen ist), aber eben nicht unmittelbar auf Stufe 3. Wir können daher Fredo Corvo nur zustimmen, dass eine Revolution in einer bedeutenden Industriezone notwendig wäre. (…) Bei unseren Kritikern klang auch die Frage an, wie sich unsere Ideen zum Konzept der Diktatur des Proletariats verhalten. Hierüber könnte man sicherlich weitläufige Überlegungen anstellen, was von uns bisher nicht getan wurde. Letztlich sollte man auch behutsam sein mit politischen Prognosen, vor allem, wenn sie sich auf revolutionäre Umbrüche beziehen. In Anlehnung an die GIK halten wir es einstweilen für richtig, die Arbeitszeitrechnung als die verwirklichte ökonomische Diktatur des Proletariats zu betrachten. So schreibt sie: „Diese Diktatur ist für uns eine Selbstverständlichkeit, die eigentlich nicht besonders behandelt werden muss, denn die Einführung des kommunistischen Betriebslebens ist nichts anderes als die Diktatur des Proletariats.“ Damit soll nicht gesagt sein, dass nicht auch eine politische Diktatur vonnöten wäre. Diese müsste aber eine der Räte sein, nicht eine der Partei oder des Staates. Dabei kommt es uns aber auf Schlagworte aus dem vergangenen Jahrhundert wenig an. Generell sind wir der Meinung, dass sich Fragen der revolutionären Organisation nicht – wie im (Post-)Leninismus – um sich selbst drehen dürfen, d.h. nur um die Frage der Organisation, sondern um den ökonomischen Inhalt, und das ist eben die Arbeitszeitrechnung. Klassenkämpfe, (Massen-)Streiks, Betriebsbesetzungen können dadurch natürlich nicht ersetzt werden. Aber beides wirkt im Idealfall zusammen…“ Beitrag der Initiative demokratische Arbeitszeitrechnung vom 8. Dezember 2023 externer Link

    • Siehe weitere bei der Initiative Demokratische Arbeitszeitrechnung externer Link
    • IDA nimmt Ideen auf aus den „Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung“ der „Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland)“. Das Buch kann hier externer Link heruntergeladen werden
    • Was ist Arbeitszeitrechnung? Einfach erklärt
      Wie organisieren wir eigentlich die Produktion von allem, was wir zum Leben brauchen nachdem wir den Kapitalismus losgeworden sind? Die notwendige Arbeit könnte über eine Arbeitszeitrechnung gerecht verteilt und ihre Organisation in Räten organisiert werden. Wie das aussehen könnte, zeigt die Initiative Demokratische Arbeitszeitrechnung (IDA) in diesem Video mithilfe der Arbeiter*innen Chana (Konditorin) und Kalle (Müllmann). IDA nimmt Ideen auf aus den „Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung“ der „Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland)“…“ Video bei labournet.tv externer Link (deutsch | 6 min | 2023)

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Grundlagen kommunistischer Produktion und Verteilung –
Ein vergessener Klassiker der Gruppe internationaler Kommunisten (GIK)

Wenn auch Ausbeutung in der Geschichte der Menschheit in unterschiedlichen Formen auftrat, so bestand sie in ihrem Kern immer in der Aneignung fremder Arbeit. Andere Menschen für sich arbeiten zu lassen, war seit je her der Schlüssel zu einem individuellen Reichtum, der allein mit Hilfe der eigenen Arbeitskraft nie in dem Umfang hätte realisiert werden können. Von den Pyramiden im frühen Ägypten über die Schlösser im Feudalismus bis zur Parallelgesellschaft der Oberschicht im globalisierten Kapitalismus des 21. Jahrhunderts zeugen die individuellen Reichtümer von der Aneignung fremder Arbeit und damit davon, dass die Armut der Mehrheit die Grundlage für die Reichtümer einer Minderheit ist.

So einfach die Grundlage der Ausbeutung ist, so einfach ist auch die Formulierung von der Aufhebung der Ausbeutung. Sie kann nur geschehen, wenn die Trennung zwischen Arbeit und Arbeitsprodukt aufgehoben wird, wenn das Verfügungsrecht über das Arbeitsprodukt und darum auch über die Produktionsmittel wieder den Arbeitern zukommt.

Die Durchsetzung der individuellen Arbeitszeit als Maßstab für den Anteil am Produkt der gesellschaftlich notwendigen Arbeit bedeutet die Aufhebung der Ausbeutung und damit zugleich die Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Die Durchführung der sozialen Revolution ist somit im Wesen nichts anderes als die Durchführung der Arbeitszeit als Maßstab im gesamten Wirtschaftsleben. Sie dient als Maß in der Produktion und zugleich wird mit ihr der Anteil des einzelnen am gesellschaftlichen Produkt gemessen. Das Wesentliche hierbei aber ist, dass die Arbeitszeitrechnung von den Produzenten selbst durchgeführt wird. Und dies geschieht nicht, weil es eine »ethische« oder »moralische« Forderung des Kommunismus ist, sondern weil die »Vereinigung freier Menschen« ökonomisch nicht anders möglich ist. Die Durchsetzung der Arbeitszeitrechnung ist keine Frage der Gerechtigkeit, sondern eine Frage der ökonomischen Grundlage, auf der die Produzenten selbständig ihre Kooperation aufbauen können. Auf dieser Grundlage, auf der das Verhältnis von Arbeitsaufwand zu Ertrag für alle Gesellschaftsmitglieder offenliegt, ist eine Produktionsplanung möglich, bei der die Menschen selbst entscheiden, was sie gemäß ihrer individuellen Abwägung von Aufwand und Ertrag haben möchten. Das heißt, es kann jeder selbst über seine Arbeits- zeit und seinen Konsum bestimmen. Die individuellen Bedürfnisse werden gegenüber ihrem gesellschaftlichen Aufwand abgewogen und entsprechend über den Konsumwunsch und die Arbeitsbereitschaft in den gesellschaftlichen Planungsprozess eingebracht. Die Arbeitszertifikate sind inhaltlich nichts anderes, als der Abgleich der in der gemeinsamen Planung vorweggenommenen Arbeitseinteilung. Über die Arbeitszeitrechnung löst sich die Verteilungsfrage somit in Produktionsplanung auf. Planung des gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhanges bedeutet schließlich nichts anderes, als die zur Bedürfnisbefriedigung erforderliche gesellschaftliche Arbeitszeit mit der Summe der zur Verfügung stehenden individuellen Arbeit zu verbinden. Der Prozess des Ineinandergreifens und Zusammenfügens wächst von unten auf, weil die Produzenten selbst die Leitung und Verwaltung in Händen haben. Jetzt ist Raum gemacht für die Initiative der Gesellschaftsmitglieder selbst, die das bewegliche Leben in seinen tausendfachen Formen gestalten können.

Die 1930 von der Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland) als Reaktion auf die negative Entwicklung der russischen Revolution veröffentlichen »Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung« sind ein Klassiker der marxistischen Literatur. Mit dieser Schrift stellten die Autoren erstmalig die ökonomischen Grundlagen für den Aufbau und die Organisation einer Gesellschaft im Sinne der »Vereinigung freier und gleicher Menschen« zur Debatte. Dabei berücksichtigten sie zugleich alle gesammelten Erfahrungen der bisherigen Versuche der Arbeiterbewegung, um über die Kritik derselben notwendige neue Wege aufzeigen zu können. Eine Kritik die bis zum heutigen Tag nichts von ihrer ursprünglichen Aktualität verloren hat.

Die ursprünglich auf Deutsch erschienene Erstauflage der Grundprinzipien wurde beschlagnahmt und weitgehend vernichtet. Eine vollständig überarbeitete und verbesserte Ausgabe in niederländischer Sprache erschien 1931 zunächst Auszugsweise und 1935 in zweiter Auflage in Buchform. Der Text der deutschen Erstausgabe wurde 1970 nachgedruckt und auch in die englische und französische Sprache übersetzt. Die vollständig überarbeitete und verbesserte zweite Auflage verblieb die folgenden 85 Jahre dagegen weitgehend unbeachtet in niederländischer Sprache verborgen. Mit der hier vorliegenden Übersetzung der zweiten Auflage in die deutsche Sprache wird dieser Dornröschenschlaf beendet.

Eine Rezension von Klaus Hecker vom Mai 2020 – wir danken!

Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland) Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung
Deutsche Erstausgabe der 2. Auflage von 1935
Red & Black Books ISBN: 9798601283687 339 Seiten
14,90 €
Zu beziehen über: https://www.syndikat-a.de/index.php?article_id=2&cat=3922&prod=5508 externer Link

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