Autos kaufen, Autos kaufen, Autos kaufen… Über die PR-strategischen Verrenkungen der IG Metall

express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und GewerkschaftsarbeitHans-Jürgen Urban, seines Zeichens Vorstandsmitglied der IG Metall, hat mit seinem Plädoyer für eine ökologische Wirtschaftsdemokratie in der Frankfurter Rundschau vom 19. April aufhorchen lassen. Da ist der extrem wichtige Hinweis, dass »die romantische Sehnsucht nach den alten Zuständen« in der Corona-Krise fatal ist. (…) Da ist die richtige Überzeugung, dass die Krise keine Zeit des Fatalismus sein dürfe, da »die Konflikte um die Entwicklung von Ökonomie, Gesellschaft und Politik« die Nachkrisenphase prägen werden und deshalb »alle Reformkräfte« sich werden aufrappeln müssen. Da ist die sympathische Perspektive, dass tiefgreifende Eingriffe in die bestehenden sozialen Verhältnisse unausweichlich sind (…) Bei einer genaueren Lektüre wird allerdings deutlich, dass Urbans ökologische Wirtschaftsdemokratie große Fragezeichen aufwirft. (…) Hat Urban gar keine Zweifel, dass ein grünes Wachstum ein ähnliches Unding sein könnte wie ein sozialer Neoliberalismus? (…) Wäre es nicht überfällig, dass Urban in einer Krisenzeit wie jetzt auch das Wirken der IG Metall einer eingehenden Kritik unterzieht? Denn dass die IG Metall einiges aufzuarbeiten hätte, steht außer Frage (…) Wenn es nun nicht so traurig und folgenreich wäre, dann könnte man sich über all diese PR-strategischen Verrenkungen der IG Metall amüsieren. Hier ein Blinken nach links, dort ein Blinken Richtung Kultur, hier ein wenig Wirtschaftsdemokratie, dort die Forderung nach europäischen Konjunkturprogrammen. Nehmen wir das Beispiel Abwrackprämie…“ Artikel von Toni Richter, erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 4-5/2020:

Autos kaufen, Autos kaufen, Autos kaufen… Über die PR-strategischen Verrenkungen der IG Metall

Hans-Jürgen Urban, seines Zeichens Vorstandsmitglied der IG Metall, hat mit seinem Plädoyer für eine ökologische Wirtschaftsdemokratie in der Frankfurter Rundschau vom 19. April aufhorchen lassen. Da ist der extrem wichtige Hinweis, dass »die romantische Sehnsucht nach den alten Zuständen« in der Corona-Krise fatal ist. Denn: »Der deutsche Vorkrisenkapitalismus taugt nicht als konkrete Utopie fortschrittlicher Politik. Soziale Ungleichheit, Klimakrise, Rechtspopulismus und andere Missstände sollten auch im Angesicht der Krise nicht so schnell in Vergessenheit geraten.« Da ist die richtige Überzeugung, dass die Krise keine Zeit des Fatalismus sein dürfe, da »die Konflikte um die Entwicklung von Ökonomie, Gesellschaft und Politik« die Nachkrisenphase prägen werden und deshalb »alle Reformkräfte« sich werden aufrappeln müssen. Da ist die sympathische Perspektive, dass tiefgreifende Eingriffe in die bestehenden sozialen Verhältnisse unausweichlich sind, oder mit Urbans Worten: »Notwendig sind grundlegende Korrekturen in den Produktions- und Verteilungsverhältnissen. Hier versagt der Markt. Politische Interventionen etwa durch Schadstoffgrenzen und Produktauflagen sind unverzichtbar. Aber auch Eingriffe in die Eigentums- und Verfügungsrechte. Gelten muss: Wo öffentliches Geld fließt, muss öffentliches Eigentum entstehen und öffentliche Einflussnahme folgen.« Und da ist schließlich der begrüßenswerte Verweis auf die Notwendigkeit internationaler Solidarität, denn wie Urban mit Blick auf die Corona-Politik der EU zutreffend bemerkt: »Die Corona-Tragödien in wichtigen Mitgliedstaaten überforderten die nationalen Selbsthilfekräfte. Der Komplettausfall der Europäischen Union als Organisator innereuropäischer Solidarität war eine Katastrophe. Unterlassene Hilfeleistung statt Solidarität.«

Bei einer genaueren Lektüre wird allerdings deutlich, dass Urbans ökologische Wirtschaftsdemokratie große Fragezeichen aufwirft. Wie selbstverständlich ignoriert er etwa die vielen Überlegungen der Linken zu einer Post-Wachstums-Gesellschaft, um umso ungestümer für ein neues, grünes Wachstumsmodell einzutreten. Hat Urban gar keine Zweifel, dass ein grünes Wachstum ein ähnliches Unding sein könnte wie ein sozialer Neoliberalismus? Warum wirft er keinen Blick in die ihm wohlbekannten Texte von Elmar Altvater, Birgit Mahnkopf oder Niko Paech? Borniert wird es, wenn Urban schreibt, dass es beim Kampf für seine ökologische Wirtschaftsdemokratie »vor allem (auf) Gewerkschaften sowie Akteure aus der Ökologiebewegung und dem fortschrittlichen Spektrum der Parteien« ankommen werde. Merkt er nicht, dass er den Bock damit teilweise zum Gärtner macht, denn zumindest Gewerkschaften sowie SPD und Grüne haben die von Urban kritisierten Vor-Corona-Verhältnisse in Deutschland zentral mit zu verantworten, da langt das Stichwort Hartz-IV, oder? Regelrecht selbstgerecht wirkt Urban schließlich, wenn er schreibt: »Die Linke analysiert und räsoniert, bleibt aber weitgehend wirkungslos. Wieder einmal schwächelt der neoliberale Kapitalismus, und wieder einmal fehlt eine Kraft, die die Gunst der Stunde nutzen und die Gesellschaft auf einen progressiven Pfad drängen könnte.« Die Analyse ist nicht falsch. Aber wer will das von jemandem hören, der mit Steinen aus dem IG-Metall-Haus wirft, indem er dick gepolstert sitzt? Wäre es nicht überfällig, dass Urban in einer Krisenzeit wie jetzt auch das Wirken der IG Metall einer eingehenden Kritik unterzieht?

Denn dass die IG Metall einiges aufzuarbeiten hätte, steht außer Frage. Die IGM hat beispielsweise die Hartz-IV-Politik der Schröder-Regierung weitgehend geschehen lassen und entsprechend ist sie durchaus mitverantwortlich für »Europas größten Niedriglohnsektor« (Schröder). Die IGM hat 2008/2009 mit der Abwrack-Prämie eine ökologische Abrissbirne als ihren Erfolg gefeiert und wie es scheint, will sie sich erneut für Kaufanreize bei Autos nach der Corona-Krise einsetzen. Die IGM spielt seit Jahren ein doppeltes Spiel mit LeiharbeiterInnen und WerkverträglerInnen, insofern sie diese Anstellungsformen zwar kritisiert, gleichzeitig aber z.B. durch ihre Leiharbeits-Tarifverträge ein gesetzlich wirksames Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit mit verhindert. Die IG Metall hat geschwiegen, als »große« IG-Metall-Automobil-Betriebsräte in der Springer-Presse 2019 über Kevin Kühnert herfielen, weil dieser es gewagt hatte, sich für eine partielle Verstaatlichungspolitik einzusetzen. Wichtig bei alledem ist: eine solche Selbst-Kritik der IG Metall wäre keine intellektuelle Spiegelfechterei zur Unzeit. Zum einen könnte sie helfen, die vielfach verkrusteten Strukturen der IG ­Metall zum Tanzen zu bringen. Zum zweiten würde die IG Metall an Glaubwürdigkeit außerhalb ihrer Automobile produzierenden Kernklientel gewinnen. Schweigt sie jedoch über ihr eigenes Tun weiter wie bisher, dann ist klar, dass von ­einer Organisation, die irgendwo zwischen Borniertheit und Selbstüberschätzung oszilliert, für die Zukunft nichts zu erwarten ist. Die IGM bleibt dann letztlich nur eine größere Co-Management-Gewerkschaft, wie die IG BCE.

Mit dieser Verweigerung gegenüber jeder Selbstkritik steht Urban aber keineswegs allein, wie ein Artikel von Roman Zitzelsberger, seines Zeichens IGM-Bezirksleiter in Baden-Württemberg, im Freitag vom 28. April verdeutlicht. Auch hier finden sich progressive Anknüpfungspunkte wie bei Urban, etwa wenn Zitzelsberger schreibt: »Ich bin zutiefst überzeugt, dass alle nationalen Aktivitäten nicht mal ansatzweise so viel zur Überwindung der Krise beitragen können, wie es eine europäische vermag.« Oder wenn er bemerkt: »Der Mensch lebt nicht von Brot allein. Deshalb ist es von großer Wichtigkeit, auch kulturelle Vielfalt zu erhalten und finanziell zu fördern. Nicht nur mit Blick auf die großen und renommierten Häuser und Spielstätten, sondern unter besonderer Berücksichtigung der Vielzahl von kleineren Projekten und Formaten, die zu einem gelingenden Gemeinwesen, lebendigen Debatten, der Stärkung der Demokratie vor Ort beitragen.«

Aber es bleibt bei losen Anknüpfungspunkten, die Maske fällt schnell. Etwa, wenn Zitzelsberger schön ökologisch ausgeschmückt, aber doch deutlich, erneut eine massenverkaufsfördernde Abwrackprämie für Autos fordert: »Eine gezielte Förderprämie für Pkw, um besonders stark CO2-emittierende Fahrzeuge von der Straße zu bekommen, kann dabei einen wirksamen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Die genauen Bedingungen eines Kaufanreizes müssen entlang der Stoßrichtung ›je höher die CO2-Einsparung, desto höher die Förderprämie‹ entwickelt werden.« Wie konservativ Zitzelsberger denkt, wird deutlich, wenn er unvermittelt aggressiv schreibt: »Ob es einem passt oder nicht: Erfolgreiche Klimapolitik und De-Industrialisierung schließen sich aus. Wer statt ökologischer Modernisierung auf einen Wandel der Lebensstile setzt, verkennt den Charakter der Klimakrise.« Worte zur Verantwortung der IG Metall für die jetzige Lage – auch hier Fehlanzeige!

Wenn es nun nicht so traurig und folgenreich wäre, dann könnte man sich über all diese PR-strategischen Verrenkungen der IG Metall amüsieren. Hier ein Blinken nach links, dort ein Blinken Richtung Kultur, hier ein wenig Wirtschaftsdemokratie, dort die Forderung nach europäischen Konjunkturprogrammen. Nehmen wir das Beispiel Abwrackprämie. Auch wenn es erstens zweifelhaft ist, ob E-Autos in der Gesamtbetrachtung ökologischer als die jetzigen Verbrenner sind, in Sachen CO2-Einsparung im Fahrbetrieb sind sie es allemal. Zweitens jedoch verfügt Deutschland zurzeit über kein flächendeckendes System von Ladestationen für E-Autos, was für diesen Autotypus sehr nachteilig ist, weil E-Autos über kürzere Reichweiten verfügen. Drittens: wer sich dennoch für ein E-Auto entscheidet, hat laut Spiegel Online das Problem, dass man bei deutschen Herstellern gegenwärtig knapp ein halbes Jahr warten muss, um eines  geliefert zu bekommen. Um diese großen Hürden beim E-Auto-Kauf weiß die IGM-Führung selbstverständlich. Indem sie das aber verschweigt und stattdessen öffentlich das Motto »je höher die CO2-Einsparung, desto höher die Förderprämie« in den Raum stellt, gleicht ihr Tun dem Winkelzug eines geschickten Autoverkäufers, der schnell noch eine ganze Generation von Verbrenner-Autos verkaufen will, um diese nicht für die Halde produziert zu haben. Und wie es sich für einen guten Auto­verkäufer gehört, kennt auch dieser kein schlechtes Gewissen. Im Gegenteil: er ist, wie Zitzelsberger zeigt, regelrecht stolz auf seinen wohlstandsverstockten Lebensstil.

Arme Staaten versinken in gigantischen Bergen des westlichen Plastikmülls. Feuerwalzen wie in Russland, Brasilien oder Australien werden Normalität. Die nächste Dürre steht auch in Deutschland vor der Tür. Gletscher, Polkappen und Permafrostböden sind auf dem Rückzug. Das Artensterben beschleunigt sich. Durch industrielle Fleischproduktion und tierische Habitat-Verluste wartet das nächste Virus bereits auf uns. Der obszöne Reichtum einer kleinen Gruppe charakterlich deformierter ›Leader‹ wie Trump & Co ­dominiert die Milliarden Individuen, ­deren Leben auf dem Planeten der Slums (Mike Davis) nie eine Chance gekannt hat. Warum sollte das alles ein Grund sein, den eigenen Lebensstil zu hinterfragen oder gar zu ändern? Wegen dieser Häufung von Lappalien soll die IGM die Konzepte der technologischen Innovation, der Wettbewerbs- und Wachstumsorientierung, des Wohlstandserhalts kritisch überprüfen?

Dabei gibt es genügend Ideen, wie die IG Metall jenseits ihrer PR-Rhetorik neue Akzente setzen könnte. Sie könnte einen staatlich finanzierten ökologischen Transforma­tionssektor andenken, in dem – ähnlich, wie das in der Waffenproduktion fraglos möglich ist – nun ökologische Produkte und Konzepte entwickelt und durch den Staat abgenommen werden. Sie könnte überlegen, die Lebensarbeitszeit deutlich zu verkürzen und gleichzeitig für Rentner ein gut ausgestattetes europäisches Grundeinkommen zu verlangen. Sie könnte das hochaktuelle Themenfeld Gesundheit aufgreifen, um ähnlich wie die italienischen Gewerkschaften in den 1970er Jahren damit gesellschaftspolitisch in die Offensive zu kommen. Sie könnte, wie Sam Gindin angeregt hat, ein großes gewerkschaftliches Bildungsprogramm auflegen, dessen Ziel es ist, bei den eigenen Mitgliedern Verständnis für die Grenzen des Wachstums und des eigenen Lebensstils zu schaffen. Sie könnte eine neue gewerkschaftliche Solidaritätskultur zu schaffen suchen, die z.B. die Kämpfe von ›systemrelevanten‹ ArbeiterInnen wie Care-Workern und Einzelhandelsbeschäftigten mit denen der Metall- und Elektroindustrie verknüpft. Und wem das alles nicht passt: In einer ähnlichen Si­tua­tion hielt die IG Metall Ende der 1980er Jahre Zukunftskongresse ab, um mit Mut zur Kontroverse einen öffentlichen Ideenwettbewerb auszutragen. Aber statt diese oder andere Möglichkeiten einer gewerkschaftlichen Selbst-Renovierung der IG Metall auch nur in Erwägung zu ziehen, gleicht die IG Metall trotz aller PR-Ornamente immer mehr einem Autohaus.

Und in einem Autohaus gibt es halt nur eine Botschaft: Autos kaufen, Autos kaufen, Autos kaufen…

Artikel von Toni Richter, erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 4-5/2020

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