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Am größten Krankenhaus Bulgariens wird protestiert: Polizei will Mitgliederlisten der unabhängigen Gewerkschaft SBMS und entscheiden, welche Forderungen „zulässig“ seien
Bulgarien ist wohl so etwas wie der „feuchte Traum“ aller Schreibtischtäter bei Bertelsmann, IWF und an vielen Universitäten: Restlos alle Krankenhäuser des Landes sind private Unternehmen. Die zudem noch staatliche Zuschüsse bekommen, die nach unklaren Kriterien vergeben werden, mit dem naheliegenden Ergebnis verbreiteter Korruption. Der Kern des menschenfeindlichen Systems ist die Reduzierung von Menschen auf etwaigen Geldwert, denn es wird nach Patientenzahlen abgerechnet – und auch die Arbeitskraft wird nach diesem „Schlüssel“ bezahlt. Zu Jahresbeginn 2019 hatte sich aufgrund dieser Situation – und der geradezu notorischen Tatenlosigkeit der bestehenden Gewerkschaften – am größten Krankenhaus des Landes, dem Pirogov Hospital in Sofia, die unabhängige Gewerkschaft SBMS gegründet, in der neben Pflegerinnen und Pfleger auch etwa Hebammen und PhysiotherapeutInnen und weitere Berufsgruppen organisiert sind. Was im Rahmen einer regelrechten Welle von Protesten und Aktionen in zahlreichen Einrichtungen des ganzen Landes geschah – und mit dem ebenso knappen wie kurzen „Programm“ Gesundheit sei keine Ware, was sowohl das gesamte System, als auch die Bezahlung der Angestellten betreffe. Was zunächst dazu führte, dass die Mitgliedszahlen der Gewerkschaft massiv anwuchsen – und dann dazu, dass die Krankenhausleitung sich gezwungen sah, zur Verteidigung des Profitsystems aktiv zu werden – sowohl zunächst per Einschüchterungsversuche, die, da erfolglos, von Vorladungen der Polizei abgelöst wurden. In der Erklärung „Solidarity with the Bulgarian Nurses’ Union!“ vom 25. Mai 2020 (die wir hiermit zusammenfassen) kritisiert das Alternative Gewerkschaftliche Netzwerk für Solidarität und Kampf (dem LabourNet Germany angehört) dieses polizeistaatliche Vorgehen. Es wird sowohl das Vorgehen gegen die Sprecherin der betrieblichen Organisation der SBMS am Pirogov-Krankenhaus Boyka Anastasova zurück gewiesen, als auch das Verhalten der Polizei, die von GewerkschafterInnen sowohl Mitgliederlisten haben wollte, als auch sich anmaßte zu beurteilen, welche Forderungen (und damit auch: Welche Gewerkschaften) zulässig und welche – „Erpressungen“ seien. Gemeinsam mit der SBMS fordert das Netzwerk sowohl den Rücktritt des Krankenhausdirektors Asen Baltov, als auch die Suspendierung (und ein Untersuchungsverfahren) gegen die Polizisten, die die Verfassung gebrochen haben, indem sie sich selbst zu einer Instanz des sozialen und gewerkschaftlichen Systems des Landes ernannt haben. Siehe dazu auch zwei weitere Beiträge – zur Solidarität bulgarischer Alternativ-Gewerkschaften und zur Entwicklung der Proteste im bulgarischen Gesundheitswesen:
- „Statement from Bulgaria“ am 24. Mai 2020 bei der IWW-AIT (Facebook) ist eine gemeinsame Solidaritätserklärung der bulgarischen Alternativ-Gewerkschaften Autonomous Worker Confederation (ARC), Union AHA Union (Association of Chemical Apparatchics), Association of Democratic Unions (ADS) – Urban Transport und Professional Association of IT Specialists (PAIS) mit der SBMS, in der das Vorgehen der Krankenhausleitung ebenso kritisiert wird, wie – erst recht – das der Polizei. Und darauf verwiesen wird, dass dies kein Einzelfall sei, sondern, dass alle unterzeichnenden Organisationen bereits Erfahrungen mit solchen Repressionsversuchen gemacht hätten, die oft genug auch von den „gelben“ Gewerkschaften des Landes unterstützt würden. Alle bisherigen Erfahrungen, so wird zum Abschluss unterstrichen, zeigten erneut und konkret, dass solche Situationen nur durch Zusammenstehen überwunden werden könnten.
- „BULGARIA – Fifth national protest of medical workers“ am 29. Dezember 2019 bei New Epoch Media war ein Bericht vom fünften nationalen Protest-Tag der Krankenhaus-Beschäftigten in Bulgarien, in dem auch die Entwicklung dieser Proteste, seit ihrem Beginn am 01. März 2019 kurz skizziert wird. An diesem Wintertag wurde auf dem Unabhängigkeitsplatz in Sofia ein Zeltlager mit zahlreichen kleineren Veranstaltungen und Kundgebungen organisiert, die allesamt die Forderung verbreiteten, sie wollten, dass der Ministerpräsident Bulgariens eine Delegation der Protestierenden empfange, damit sie ihm ihre Sicht der Dinge vorstellen können – und ihn zu entsprechendem handeln auffordern. Das Treffen kam dann auch zustande, und zumindest hatte es das Ergebnis, dass die Situation im Gesundheitswesen einige Zeit lang im Zentrum medialer Öffentlichkeit stand – ohne, dass sich allerdings bisher real etwas geändert hätte.