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Der Einmarsch in die CSSR im August 1968 – „Anfang vom Ende“?
„…Ein Jahr später, im August 1969, war es die von GenossInnen und mir neugegründete Zeitung „Il Manifesto“, die konstatierte: „Prag wird alleingelassen.“ Die kommunistischen Parteien, welche die sowjetische Invasion kritisiert hatten, sprachen nicht länger darüber. Jene, die sich lautstark gegen die Kommunisten stellten, wandten sich auch gegen jene Kommunisten, die gerade Opfer des sowjetischen Angriffs geworden waren. Sie alle hatten aufgehört sich für den Putsch in Prag zu interessieren — die „Normalisierung“ hatte gewonnen. Niemand hatte mehr die Absicht die Ruhe, welche die Koexistenz der beiden Supermächten mit sich brachte, zu stören. Eine Ruhe, die auf der globalen Konservierung des Status quo gründete, selbst dort wo die heilige Wut der postkolonialen Befreiungsbewegungen kochte. Ein Jahr nach dem dramatischen August begannen alle, einer nach dem anderen, die Beziehungen mit dem neuen Regime in Prag unter Gustáv Husák wieder aufzunehmen. Ganz so, als sei nichts geschehen. Ich erinnere mich noch, wie ein wichtiger Funktionär der italienischen Sozialisten den ersten Freundschaftsbesuch in der Tschechoslowakischen Republik absolvierte. Die Kommunistische Partei war so anständig noch ein paar Monate länger zu warten. Selbst die Studierendenbewegung der 1968er schwieg. Nicht, weil sie die sowjetische Invasion befürwortete, sondern weil die Mehrheit dachte, dies sei nicht ihre Angelegenheit. Sie sahen es als eine Auseinandersetzung innerhalb des Traditionskommunismus. In den 1970er Jahren gab es schließlich nur noch wenige, die an den wahren Charakter des Prager Frühlings erinnerten und der Opfer der Aggression des Warschauer Pakts— die tschechoslowakischen KommunistInnen — gedachte. Nur Il Manifesto veröffentlichte die im Untergrund erarbeiteten Thesen des Sonderparteitags der Tschechoslowakischen Kommunistischen Partei. Übermittelt wurde sie von den Protagonisten selbst. Nur auf unseren Zeitungsseiten konnte Jiry Pelikan, ein tschechischer Genosse im römischen Exil, seine Stimme erheben. Alle anderen beschwiegen das Drama von Prag. (…) Die Regierungen der folgenden Jahre versuchten Organisationen, die sich weiter kommunistisch nannten, zu verbieten. Nicht wenige, die Teil des Husák-Establishments waren, tarnten sich. Einige wurden als Teil der Kompradorenbourgeoisie, welche die EU überall in Osteuropa heranzüchtete, reich. Brüssels einzige Bedingung an sie war, dass sie ohne Widerspruch alles akzeptierten, was in der EU in letzten vierzig Jahren entschieden worden war. Der derzeitige tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš ist einer von ihnen. Der einstige Parteigänger Husáks ist heute Milliardär und Rechtspopulist. Unterstützt wird er von jenen, die sich selbst Sozialdemokraten nennen. Sie tun es widerwillig zwar, um Schlimmeres durch jene, zu verhindern, die heute den Namen „Kommunisten“ übernommen haben. Auf diese Weise ist die heutige Prager Regierung zu einem der Hauptprotagonisten der Visegrád-Staaten geworden. Das ist der Grund, warum der 50. Geburtstag des Prager Augusts viel schmerzhafter ist als die bisherigen. Wenn man sieht, wohin der Prozess geführt hat, kommt man nicht umhin daran zu denken, dass die Einsamkeit Prags im Jahr 1968 die Monster von heute mit hervorgebracht hat…“ – aus dem Beitrag „Das Schweigen zu Prag 1968 rächt sich heute in Visegrád“ von Luciana Castellina am 11. Juli 2019 im Prager Frühling (hier dokumentiert im Linksnet). Siehe dazu zwei weitere Beiträge zu kritischen linken Reaktionen auf den Einmarsch
- „Czechoslovakia 1968: What socialism? What human face?“ von Petr Czerny am 22. August 2013 bei libcom.org dokumentiert eine Analyse, die „beide Seiten“ jenes historischen Konflikts kritisiert, die aus anarchistischer Sicht Dogmatiker gegen Technokraten waren, eine Auseinandersetzung, aus der sich die Werktätigen – bis zum Einmarsch des Warschauer Paktes – mehrheitlich „heraushielten“.
- „CSSR: Die Invasion der Truppen des Warschauer Pakts 1968 und die bundesdeutsche Linke“ von Jürgen Schröder am 17. August 2018 beim mao-projekt dokumentiert einige der linken Reaktionen in der BRD auf den Einmarsch: „Es erscheint die ‚apo press‘ München Nr. 13 (vgl. 18.8.1968, 1.9.1968). Die Ausgabe beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Einmarsch der Warschauer Paktstaaten in die CSSR und den Stellungnahmen dazu. Die Kampagne für Demokratie und Abrüstung (KfDA) „verurteilt den nun erfolgten Einmarsch von Truppen der UdSSR, der DDR und der Volksrepubliken Polen, Ungarn und Bulgarien in die CSSR; sie fordert den Rückzug dieser Interventionstruppe. Die militärische Intervention der Warschauer Pakt-Staaten steht in absolutem Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht der Völker und zu dem Recht sozialistischer Staaten auf den eigenen Weg zum Sozialismus; sie ist unvereinbar auch mit dem wohlverstandenen Interesse des sowjetischen Volkes und des internationalen Sozialismus. Diese Intervention stärkt objektiv jene politischen Kräfte im Westen, die den Antikommunismus und die Rüstungspolitik forcieren und die Demokratie im eigenen Lande abbauen. Die Kampagne für Demokratie und Abrüstung wendet sich zugleich gegen die Rüstungs- und Notstandspolitiker im eigenen Lande … Die Kampagne für Demokratie und Abrüstung sieht durch die jüngsten Vorgänge ihre politischen Forderungen bestätigt: Die Militärsysteme NATO und Warschauer Pakt müssen aufgelöst werden. Die Kampagne für Demokratie und Abrüstung ruft dazu auf, sich der gesamteuropäischen Opposition gegen den Militarismus, für Abrüstung und demokratische Emanzipation anzuschließen. Für den eigenen Weg der CSSR zum Sozialismus – Gegen Stalinismus! Intervention stärkt Antikommunismus – Schluß mit der Intervention – Schluß mit Antikommunismus! Für Demokratisierung der CSSR – Gegen Notstandsgesetze (NSG, d.VF.) in der Bundesrepublik!“ Der Republikanische Club (RC) Augsburg „erklärt sich solidarisch mit der Bevölkerung der CSSR, weil sie jeden Eingriff eine Staates in die Souveränität eines anderen verurteilt; gleich ob es sich um die Intervention der USA in Vietnam und lateinamerikanischen Staaten oder die Besetzung der CSSR durch Truppen der Sowjetunion und ihrer Verbündeten handelt … weil sie den Versuch begrüßt, die erstarrten bürokratischen Formen der Parteidiktatur aufzulockern und die persönlichen Freiheitsrechte des Bürgers zu erweitern … Die außerparlamentarische Opposition wendet sich entschieden gegen die Politik der Sowjetunion, weil sie ihre Satellitenstaaten in militärischer, ökonomischer und politischer Abhängigkeit hält, ihnen vorschreibt, was Sozialismus sei und alle Demokratisierungsversuche im Keim erstickt, weil die Sowjetunion eine Außenpolitik betreibt, die sich kaum von der imperialistischen Großmachtpolitik der USA unterscheidet und damit den Sozialismus diskreditiert.“ Der Republikanische Club (RC) München e. V. stellt u.a. fest, daß „der Einmarsch der Truppen von fünf Staaten des Warschauer Paktes in die CSSR inhaltlich wie formal ein Akt klassischer imperialistischer Machtpolitik ist … Das zynische Vorgehen der fünf Staaten des Warschauer Paktes bestärkt die USA in ihrer Völkermord-Politik, es bestärkt generell alle reaktionären Kräfte in ihrem ignoranten Antikommunismus, es bringt alle Bemühungen der Linken in westlichen Ländern in weiteren Mißkredit. Die Chance der Linken – auch in der Bundesrepublik – liegt einzig darin, sich in einem schmerzhaften Klärungsprozeß von all jenen falschen Verbündeten zu distanzieren, denen der Sozialismus zu einem Lippenbekenntnis verkommen ist, das lediglich Tarnfunktion besitzt und eine lebendige Weiterentwicklung des Sozialismus zur Not mit Waffengewalt zu verhindern weiß“. In einer Stellungnahme des SDS ist u.a. festgehalten:“Der SDS fordert den Abzug der Warschauer-Pakt-Truppen aus der CSSR; wir werden uns aber nicht in die bürgerliche Empörungsfront einreihen und werden es auch nicht wie die westeuropäischen KPs dabei bewenden lassen, die Warschauer-Pakt Intervention zu bedauern. Der Verzicht auf die Kritik am Revisionismus der KPdSU und der anderen osteuropäischen KPs würde den Weg zu einer sozialistischen Praxis in den hochindustriellen Ländern versperren. Die Kritik am Revisionismus muß praktisch werden sowohl durch die Unterstützung des antiimperialistischen Befreiungskampfes in der Dritten Welt als auch in einem durch Selbsttätigkeit und Selbstorganisation der Betroffenen bestimmten konsequenten Kampf in den hochindustrialisierten Ländern.“ Der SHB erklärt in einer Stellungnahme an das ZK der SED der DDR u.a.:“Der Einmarsch der Truppen der DDR, UdSSR und der Volksrepubliken Polen, Ungarn und Bulgarien ist ein historischer Fehler … Genossen, die Korrektur dieses Fehlers schadet nicht dem Kommunismus; im Gegenteil, sie wird die politische Stärke und die moralische Kraft des Sozialismus erhöhen. Die westdeutschen Sozialisten und Kommunisten stehen im harten Kampf gegen den Imperialismus. Gegen alle Widerstände sind wir mit aller Kraft für den Sozialismus und für die Anerkennung und Würdigung der DDR eingetreten. Als Freunde und Genossen beschwören wir Euch, das Gebot der Stunde zu erkennen. Rückzug der Truppen aus der CSSR!“ Berichtet wird auch über Proteste gegen die CSSR-Invasion in München (vgl. 24.8.1968, 26.8.1968) und Augsburg (vgl. 21.8.1968) und die letzten Treffen der APO-Basisgruppen München (vgl. 21.8.1968)...“